V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 11½½½½15. März 2002 AA731
Elias Lönnrot
Der Retter des Liedes
Vor 200 Jahren wurde der
finnische Arzt und Sprachforscher geboren.
lias Lönnrot wurde als viertes von sieben Kin- dern eines armen Dorf- schneiders 1802 in Sammat- ti/Südfinnland geboren. Seine Muttersprache war Finnisch, später lernte er Schwedisch und Latein. Mit zwanzig Jah- ren ging sein Traum in Erfül- lung: Er wanderte die fünfzig Kilometer nach Turku und schrieb sich an der Universität für Literatur ein. Lönnrot schloss sich national gesinn- ten Professoren und Studen- ten an, die sich für Romantik begeisterten und die Stellung der finnischen Sprache ver- bessern wollten. Unter Rein- hold von Becker schrieb er 1827 seine Magisterarbeit.
Lönnrot unternahm eine erste Fahrt nach Ostkarelien, um Lieder zu sammeln. Da- nach beschloss er, zusätzlich Medizin zu studieren, und ging nach Helsinki, das inzwischen Landeshauptstadt geworden war. Seine Dissertation trug den Titel „Über die magische Medizin der Finnen“. Sie war das Bindeglied zwischen sei- ner literarischen und seiner ärztlichen Tätigkeit.
Ewige Menschheitsfragen Zunächst arbeitete er als Arzt in Helsinki; materiell ging es ihm dadurch besser. So konn- te er weitere Sammelreisen unternehmen, denn dem Liedschatz des finnischen Volkes gehörte sein innerstes Interesse. Doch 1831 wurde er wegen einer Choleraepide- mie von einer Reise nach Weißmeerkarelien zurückge- rufen, da er als Arzt benötigt wurde. 1833 wurde er Kreis- arzt in Kajaani, das den karelischen Liederzentren näher lag. Dort wurde er von Arbeit fast erdrückt; Epide-
1853 wurde Lönnrot als Nachfolger Castréns zum Professor für finnische Spra- che und Literatur an der Kai- serlichen Alexander Univer- sität Helsinki berufen. 1856 hielt er die erste finnischspra- chige Vorlesungsreihe. 1862 trat er in den Ruhestand. 1880 veröffentlichte er „Magische Lieder“; es ist das Jahr, in dem er mit 78 Jahren seine letzte Reise durch Finnland antrat. Hoch geehrt starb er als 82-Jähriger am 19. März 1884 in seiner Heimatstadt Sammatti.
Er hatte aus dem finni- schen Volk eine selbstbewuss- te Nation mit einer neuen Sprache gemacht. Nicht weni- ge nannten Lönnrot den Ho- mer Finnlands. Das
„Kalevala“ be- fruchtet bis heute viele Künstler,
die bekanntesten sind der Komponist Jean Sibelius und der Maler Akseli Gallén-Kal- lela.
Das „Kalevala“ als meist- publiziertes finnisches Werk gehört längst zur Weltlitera- tur und ist in mehr als 50 Spra- chen übersetzt. Bereits 1852 übertrug es Anton Schiefner mithilfe des Schwedischen in die deutsche Sprache. Bear- beitungen auf dieser Grund- lage erfolgten von Martin Bu- ber und Dagmar Welding, ei- ne Neuübersetzung von Lore und Hans Fromm direkt aus dem Finnischen ist 1979 er- schienen. Trotzdem ist die Rezeption im deutschsprachi- gen Raum noch immer zu ge-
ring. Maja Rehbein
chäen; die Melodien bewegen sich innerhalb von fünf Tö- nen. Gesungen wurde ab- wechselnd, wobei sich zwei Sänger gegenübersaßen.
Die uralte Volksdichtung enthält Mythen- und Helden- lieder, Zaubersprüche und ly- rische Lieder. Viel ist die Rede von dem rätselhaften Sampo, der dem Volk
Glück bringt.
Hauptge- stalten
sind die Halbgötter Väinä- möinen, Ilmarinen und Lem- minkäinen. Besonders an- rührend sind die Schicksale Kullervos und Marjattas ge- schildert. Das Kalevala ist heidnisch und christlich, ein Epos, das von der Weltschöp- fung bis zur Geburt Christi reicht. Nur etwa ein Prozent der Verse sind von Lönnrot hinzugefügt, um Fehlendes zu überbrücken.
mien und Armut beutelten die Bevölkerung. Insgesamt arbeitete er mehr als 20 Jahre als Arzt.
Daneben unternahm er weitere Fahrten. Bereits im Herbst 1833 war das „Urkale- vala“ mit mehr als 5 000 Ver- sen vollendet (erst nach sei- nem Tode gedruckt). 1834 er- hielt er 60 Lieder von dem al- ten Runensänger Arhippa Perttunen. Am 28. Februar 1835 erschien das so genannte Alte Kalevala mit 12 078 Ver- sen, das Lönnrot großen Er- folg brachte. Danach war er 1836/37 ein ganzes Jahr lang bis hinauf nach Kola, hinunter bis zum Ladogasee und in Weißmeerkarelien unterwegs.
Im Jahr 1840 veröffentlichte er eine Liedersammlung („Kan- telar“). Das Lied war im Un- tergehen; er rettete es für Finn- land und damit für die Welt.
Mit dem Ranzen auf dem Rücken wanderte er von Dorf zu Dorf, wo es viele Kranke und Analphabeten gab. Dort wirkte er als Arzt und Lehrer für die Kinder.
Abends hörte er den Sängern zu und schrieb ihre Verse auf.
1849 erschien in 22 795 Versen und 50 Gesängen das
„Neue Kalevala“,und Lönn- rot wurde in Europa be- rühmt. Das „Kalevala“ be- handelt ewige Menschheits- fragen: das Geheimnis von Liebe, Leben und Tod. Seine ältesten Verse stammen unge- fähr aus der Zeit um 600 n.
Chr. Es sind vierfüßige Tro- Feuilleton
Weitere Informationen: Finnische Literaturgesellschaft & Kalevalagesell- schaft, Hallituskatu 1, FIN-00170 Helsinki, Finnland; Internet: www.finlit.fi.
Hier findet man auch den Text des Kalevala sowie Informationen zu Überset- zungen, Illustrationen und Liedern. Galle´n-Kallela-Museum in 02600 Espoo, Esbo, Galle´n-Kallelan tie 27 (bei Helsinki). Internet: www.gallen-kallela.fi Informationen zu Finnland: Finnische Zentrale für Tourismus, Lessingstraße 5, 50325 Frankfurt; Telefon: 0 69/719 19 80, Fax: 724 1725
Lönnrots Geburtshütte nach einer Zeichnung von Topelius, 1840
Fotos: Maja Rehbein