Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 23⏐⏐8. Juni 2007 A1617
S E I T E E I N S
I
m Fernsehen überrascht einen so schnell nichts mehr.Vor wenigen Jahren noch hat die Realityserie „Big Brother“, bei der in vielen Ländern sich Freiwillige unter Verzicht auf ihre Privatsphäre filmen ließen, für Aufre- gung und Empörung gesorgt. Die zurzeit laufende Staffel auf RTL2 nimmt kaum noch jemand zur Kenntnis. Der Produzent der Reihe, die TV-Firma Endemol, hat sich in- zwischen etwas einfallen lassen, was denn doch wieder Aufsehen erregte. In einer Sendung des niederländischen Senders BNN sollte eine 37-jährige krebskranke Frau entscheiden, wer von drei Kandidaten eine Niere von ihr erhält. Das Publikum war aufgerufen, die als Lisa vorge- stellte Spenderin per SMS zu beraten. Die Show, die am 1. Juni im niederländischen Fernsehen zur besten Sende- zeit ausgestrahlt wurde, endete schließlich mit einer Über- raschung. „Wir verschenken heute keine Niere, das ginge selbst nach Ansicht von BNN zu weit“, sagte der Mode- rator, Patrick Lodiers, nach 90 Minuten. Die angeblich todkranke Lisa entpuppte sich als Schauspielerin. Die drei Kandidaten sind wirklich nierenkrank, sie wussten jedoch, dass es nur ein Spiel war. Kandidatin Charlotte, die die meisten Stimmen erhalten hatte, zeigte sich be- geistert: „Es war sauspannend“, sagte die 29-Jährige.
„Ich fand es großartig, dabei zu sein, und kann nur hof- fen, dass die Politik die mangelnde Spendenbereitschaft jetzt offensiver angeht.“
Bereits im Vorfeld war auch in der niederländischen Öffentlichkeit intensiv über die Ausstrahlung der Show diskutiert worden. „Geschmacklos“, „unmoralisch“ und
„menschenverachtend“ waren die Stichworte, die fielen.
Der Sender BNN berief sich jedoch auf die Pressefrei- heit und behauptete, er wolle auf den Mangel an Organ- spendern hinweisen und für die Bereitstellung von mehr lebenswichtigen Organen werben. Nach Ausstrahlung der Sendung wandelte sich dann in den Niederlanden größtenteils die öffentliche Meinung. So äußerte sich der sozialdemokratische Kulturminister, Ronald Plasterk, der die angekündigte Nierenspende Tage zuvor noch scharf kritisiert hatte, begeistert. Er bezeichnete die Sen- dung als „sehr intelligent“. Der Verband der niederlän- dischen Nierenpatienten erklärte: „Wir sind alle auf den
Arm genommen worden. Aber das ist nicht wichtig.
Wichtig ist, dass das Problem nun ein Gesicht hat.“ Fi- nanzminister Wouter Bos sagte, er überlege, nieder- ländischen Bürgern Pässe unentgeltlich oder günstiger ausstellen zu lassen, wenn sich jemand als Organspen- der registrieren lasse. Nach Auflösung des Bluffs er- scheint die Sendung zwar in einem anderen Licht. Es bleibt allerdings dahingestellt, ob es dem Sender nicht doch vorwiegend um Quoten ging. Schließlich hatte die Sendung das zweitbeste Einschaltergebnis aller Zeiten in den Niederlanden. Der Pressesprecher der konservativen Regierungspartei CDA, Joop Atsma, be- zeichnete die Sendung als geschmacklosen Werbegag.
Aber selbst wenn es tatsächlich beabsichtigt war, auf die Organspenderealität in Europa hinzuweisen, und auch wenn „in sieben Tagen hier mehr über Organ- spenden gesprochen worden ist als zuvor in sieben Jah- ren“, wie der Sender mitteilte, ist das Konzept eines solchen „Organ-TVs“ nicht weniger fragwürdig. Denn, so die niederländische Ärztevertretung KNMG: „Ein großer Teil der Bevölkerung denkt jetzt, man müsse todkrank sein, um Organe zu spenden. Dabei betreffen 40 Prozent aller Spenden Menschen in bester Gesund- heit.“ Und ist es für die Steigerung der Organspende- zahl nicht besser, seriös und ohne Angstmacherei die Bevölkerung aufzuklären?
Gisela Klinkhammer Chefin vom Dienst FERNSEHSENDUNG
Bluff um Nierenspende
Gisela Klinkhammer