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Archiv "Im Labyrinth der Bindungen" (19.06.1998)

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in Grundpfeiler der bür- gerlichen Gesellschaft gerät aus den Fugen – die klassische Familie. Immer mehr Ehen werden geschie- den, immer mehr Kinder kommen „unehelich“ zur Welt oder wachsen mit wech- selnden Lebenspartnern des Vaters oder der Mutter auf.

Der unaufhaltsame Trend muß gesetzlich geregelt wer- den. Die überfällige Reform des Kindschaftsrechtes zum 1. Juli kommt dem in ver- nünftiger und realitätsnaher Weise nach.

Sieben Jahre sind eine lan- ge Zeit. Vor allem für die vie- len tausend Kinder, die während dieser Spanne seit 1991 gezeugt, geboren und schon eingeschult wurden und deren Eltern nicht miteinan- der verheiratet sind. Ihnen war bisher verwehrt, was das Bun- desverfassungsgericht schon am 7. Mai 1991 per Beschluß eingefordert hatte: das ge- meinsame Sorgerecht beider Eltern, bislang laut Bürgerli- chem Gesetzbuch nur Eheleu- ten zustehend. Nicht verheira- tete Eltern, die dennoch ent- sprechende Anträge bei den Gerichten stellten, mußten trotz der offenkundigen Un- gleichbehandlung gegenüber Verheirateten abgewiesen werden – mangels Gesetzes- grundlage.

Doch vom 1. Juli an werden unehelich neugeborene Kin- dern nun ebenfalls gemeinsam sorgeberechtigte Eltern ha- ben können, wenn beide El- ternteile dies in einer „Sorge- erklärung“ vereinbaren. An diesem Tag tritt eine umfas- sende Reform des Kind- schaftsrechts in Kraft, mit der die Koalition endlich die weit- gehende Gleichbehandlung von Kindern aus ehelicher und nichtehelicher Herkunft hergestellt hat.

Als Teil der Reform än- dert sich auch das Namens- recht: Die Regelungen über den Familiennamen knüpfen nicht mehr daran an, ob das Kind ehelich geboren wurde oder nicht. Haben unverhei- ratete Paare eine gemeinsa- me Sorgeerklärung abgege- ben, entscheiden sie auch ge-

meinsam, ob das Kind den Nachnamen der Mutter oder des Vaters erhält. Doppelna- men sind unzulässig. Liegt keine gemeinsame Sorge vor, erhält das Kind den Nachna- men des sorgeberechtigten Elternteils, in den meisten Fällen der Mutter.

Wie überfällig die Gleich- stellung von Unverheirateten mit Ehepaaren war, zeigen wenige Zahlen: Gab es in den alten Bundesländern noch 1979 rund 42 000 nichteheli- che Geburten, waren es 1995 bereits 88 000 – plus noch ein- mal 35 000 in den neuen Län- dern. Und selbst unter den Verheirateten behalten schon heute rund 17 Prozent der El- ternpaare das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder, wenn sie sich scheiden lassen – das war bereits nach altem Recht möglich. Hierfür ent- fällt bei der Reform die zwin- gende gerichtliche Überprü- fung, was beispielhaft dem Trend des gesamten Reform- werks entspricht, mehr Spiel- räume für eigenverantwortli- che Konsensfindung der El- tern zu gestatten. Zwar wird das gemeinsame Sorgerecht Geschiedener wie auch un- verheirateter Paare nach wie

vor nicht als Regelfall aufge- faßt, aber das Bundesjustiz- ministerium gesteht mit der Reform zu, daß ein verstärk- ter gesellschaftlicher Bedarf nach diesem Rechtsinstru- ment mit seinen weitreichen- den Folgen für die Erziehung der gemeinsamen Kinder be- steht. Entgegengewirkt wer- den soll damit auch der Tatsa- che, daß mehr als die Hälfte der geschiedenen Väter ein Jahr nach der Scheidung keinerlei Kontakt mehr zum eigenen Kind hat.

„Kindesanwalt“

für Konfliktfälle Gemeinsames Sorgerecht heißt jedoch nicht, daß beide Eltern in jeder das Kind be- treffenden Frage auch ge- meinsam entscheiden sollen.

Das neue Kindschaftsrecht räumt dem Elternteil, bei dem das Kind lebt, für die Alltags- fragen ein Alleinentschei- dungsrecht ein. Anders ist es, wenn die Thematik für die Entwicklung des Kindes weit- reichende Konsequenzen hat.

Analog zum Sorgerecht wird auch das Umgangsrecht angepaßt: Das Kind erhält ein eigenes Recht darauf,

durch Briefe, Telefonate oder Besuche Umgang mit dem Elternteil zu halten, bei dem es nicht mehr lebt. Die ge- trennten Eltern haben umge- kehrt erstmals auch die ge- setzliche Pflicht zum Umgang mit ihren gemeinsamen Kin- dern. Das bedeutet auch, daß sie das Kind nicht vom Um- gang mit dem jeweils anderen Elternteil abzuhalten versu- chen dürfen; im Gegenteil soll das Kind, wenn es diesen Kontakt sucht und er ihm guttut, dazu ermutigt werden.

Ihm wird eine Art „Kindes- anwalt“ für Konfliktfälle zur Seite gestellt, um den Interes- sen minderjähriger Kinder auch bei Behörden Gehör zu verschaffen und sie nicht zu reinen Streitobjekten der El- tern zu degradieren.

Insgesamt sollen Rechts- entscheide und damit staatli- che Einmischungen in das Wohl des Kindes transparen- ter, ausgleichender und vor allem weniger invasiv gestal- tet werden – wenn sie nicht sogar ganz verzichtbar wer- den, was die Reform unter anderem durch neue Bera- tungskompetenzen für die Ju- gendämter und Familienge- richte anstrebt. Waren bis- lang teilweise die Vormund- schaftsgerichte oder auch die Amtsgerichte zuständig, sieht das neue Recht die einheitli- che und alleinige Zuständig- keit des Familiengerichts vor.

Wichtige Änderungen der Kindschaftsrechtsreform be- treffen nicht zuletzt die Fra- ge, wer rechtlich der Vater des Kindes ist. Eine Unter- scheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Herkunft wird nicht mehr gemacht.

Anders als bislang geht der Gesetzgeber auch nicht mehr davon aus, daß ein Kind noch vom geschiedenen Ehemann stammt, wenn es bis zu 302 Tage nach der Scheidung ge- boren wurde. In der Praxis habe sich diese Regelung als unrealistisch erwiesen. Nach der neuen Regelung wird es zur Anerkennung der Vater- schaft des neuen Partners vor allem darauf ankommen, daß ihr alle beteiligten Erwachse- nen zustimmen. Peter Tuch A-1619 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 25, 19. Juni 1998 (59)

V A R I A BILDUNG UND ERZIEHUNG

Familienrecht

Die Nicht-Ehe wird kindgerechter

Im Labyrinth der Bindungen

Ein neues Sachbuch skizziert die entstehende Familienkultur: Es reicht nicht, dem Puzzlespiel neuer Formen des limitierten Zusam- menlebens mit gesetzlichen Regelungen wie der Kindschaftsrechts- Reform beikommen zu wollen. Mütter, Väter und Kinder müssen auch ohne Rechtsbeistand ihre neuen Rollen im „postfamiliären“ Zu- sammenleben definieren und weiterentwickeln. „Was kommt nach der Familie?“ fragt daher schon der Titel eines neuen Buches der Er- langer Soziologin Elisabeth-Beck-Gernsheim (Beck'sche Reihe, München, 1998, 196 Seiten, 17,80 DM). Hoffnung für Traditionali- sten: Die gewohnte Familie löst sich nicht unbedingt auf, sie muß sich nur der Konkurrenz der neuen Formen stellen. Das zwingt alle Betei- ligten, offener für vielerlei gleichzeitige Beziehungen und deren Dy- namik zu werden. Immerhin, so die Autorin, läuft demnach nicht al- les auf ein beziehungsloses Alleinsein und Singleleben in willkürli- cher Beliebigkeit hinaus. Quintessenz: Wer seine sozialen Bindungen nicht in bequeme, aber starre Formen preßt und dafür die stetige Rei- bung an mehreren Beziehungsfronten zugleich erträgt, gestaltet das Zusammenleben ertragreicher und ehrlicher – wenn es gutgeht. OD

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