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Archiv "Die Beeinflussung erhöhter Blutfette" (27.07.1978)

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(1)

Die Beeinflussung erhöhter Blutfette

Pathophysiologische Mechanismen

und möglicher Nutzen einer medikamentösen Therapie

Heiner Greten, Gerald Klose und Gotthard Schettler

Kardiovaskuläre Erkrankun- gen sind die Haupttodesursa- che in den westlichen Län- dern. Es ist erwiesen, daß Er- höhungen der Serumlipide zur frühzeitigen Entstehung der Arteriosklerose beitragen.

Mit der Klassifikation der Hy- perlipoproteinämien entstand die Grundlage für eine geziel- te Behandlung von Fettstoff- wechselstörungen. Nach Dis- kussion der Grundlagen der

„Lipidhypothese", die davon ausgeht, durch effektive Langzeitbehandlung von Hy- perlipoproteinämien das Risi- ko kardiovaskulärer Erkran- kungen zu vermindern, wer- den Wirkungsweise und Ne- benwirkungen der gebräuch- lichsten lipidsenkenden Medi- kamente dargestellt.

Aus der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg und aus dem Klinischen Institut für Herzinfarktforschung

(Direktor: Professor Dr. med. Dr. h. c. Gotthard Schettler)

Der Zusammenhang zwischen Hy- perlipidämie und Arteriosklerose ist in der letzten Zeit vielfach in Frage gestellt worden (1)*). Die Argumen- tation, mit der die sogenannte „Li- pidtheorie" als primäre oder sekun- däre Ursache arteriosklerotischer Gefäßwandveränderungen verneint wird, ist dabei unsachlich und zum größten Teil wissenschaftlich unkor- rekt geführt worden. Auf die Proble- matik dieser Kontroverse soll hier nicht näher eingegangen werden, da inzwischen eine ausreichende Do- kumentation darüber vorhanden ist (2).

Die Bekämpfung eines Risikofaktors

— wie ihn die erhöhten Blutfette dar- stellen — mit medikamentösen Maß- nahmen erfordert jedoch einige Überlegungen zum tatsächlichen Nutzen einer solchen Therapie. Zu- nächst sei auf einige neuere Befun- de der Arterioskleroseforschung hingewiesen:

ne) entstehen können, ist die sekun- däre Ablagerung von Lipoproteinen in der Gefäßwand wahrscheinlich wichtiger.

(1)

Bei verschiedenen Tierspezies — insbesondere bei Affen — konnte durch diätetische Maßnahmen, die eine drastische Senkung der Plas- macholesterinkonzentration zur Fol- ge hatten, bewiesen werden, daß sich bereits vorhandene arterioskle- rotische Läsionen zurückbilden können (4). Diese Befunde müssen selbstverständlich im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf den Men- schen mit großer Vorsicht interpre- tiert werden. Dennoch sei auf die Befunde von Starzl hingewiesen, der mit Hilfe der Koronarangiographie zeigen konnte, daß bei Patienten mit familiärer Hyperlipoproteinämie Typ II nach erfolgreicher Therapie schwere koronarsklerotische Verän- derungen innerhalb von Monaten rückläufig waren (5).

durch Fütterung einer choleste- rinhaltigen Diät allein ist es gelun- gen, eine herdförmige, arterielle En- dotheldesquamation zu erzeugen (3). Diese durch Hypercholesterin- ämie primär erzielte Endothelläsion kann direkte Ursache für die Arterio- sklerose sein. Da Endothelläsionen jedoch auch durch andere Noxen (Hypertonie, Rauchen, Katecholami-

Die Transportform für Plasma- cholesterin ist für die Entstehung der Arteriosklerose zweifellos von Bedeutung. Glatte Muskelzellen be- sitzen spezifische Rezeptoren für unterschiedliche Lipoproteine, mit denen die intrazelluläre Aufnahme

*) Die Ziffern in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

1739

(2)

Hyperlipidämie

von diesen Makromolekülen gesteu- ert wird (6). Während den Lipopro- teinen niedriger Dichte (low density lipoproteins, LDL, oder ß-Lipopro- teine) eine besonders atherogene Wirkung zuerkannt wird, konnte in neuerer Zeit nachgewiesen werden, daß Lipoproteine mit hoher Dichte (high density lipoproteins, HDL, oder a-Lipoproteine) wahrschein- lich sogar eine protektive Rolle bei der Entstehung der Arteriosklerose spielen. Daher wäre aus klinischer Sicht eine Senkung gerade dieser Lipoproteinfraktion durch Diät oder Medikamente als prognostisch un- günstig zu werten.

Die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen einer lipidsenkenden Thera- pie ist nach wie vor nicht mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantwor- ten. Klinische Langzeitstudien, die diese Frage schlüssig beantworten können, sind außerordentlich schwierig zu planen und durchzu- führen. Die Ergebnisse der bisheri- gen veröffentlichten Untersuchun- gen waren insofern enttäuschend, als die erzielte Senkung der Chole- sterinkonzentration (— 10 bis 15 Prozent) sicher nicht ausreichte, um die Todesrate durch kardiovaskuläre Erkrankungen wirksam zu senken.

Immerhin sei darauf hingewiesen, daß in den USA von 1970 bis 1975 die Todesrate an nichtkardiovasku-

lären Erkrankungen um 6,5 Prozent, an koronarer Herzkrankheit jedoch um 13,2 Prozent und der tödliche Schlaganfall sogar um 17,5 Prozent zurückgegangen sind (7). Ob dies durch Bekämpfung der Risikofakto- ren Hyperlipämie, Rauchen und Hy- pertonie erreicht wurde, bleibt zu klären. Immerhin gibt es Anhalts- punkte dafür, daß die Kontrolle die- ser Riskikofaktoren den Prozeß der Arteriosklerose zumindest verlang- samt (8). Aufgrund der Zahlen des Heidelberger Infarktregisters kann man für die Bundesrepublik die Zahl der jährlichen Herzinfarkte hoch- rechnen.

Danach ist die Zahl der frischen In- farkte pro Jahr auf eine Viertelmil- lion zu veranschlagen (9). Gelingt es nicht, wie in den USA diese Häufig- keitszunahme zu senken, so wird man in 20 Jahren mit etwa einer hal- ben Million frischer Herzinfarkte pro Jahr rechnen müssen.

Unter Berücksichtigung dieser neueren Ergebnisse der Arterioskle- roseforschung sollte eine Senkung erhöhter Blutfette deshalb stets ver- sucht werden, weil

eine enge Korrelation zwischen Hyperlipoproteinämien und kardio- vaskulären Komplikationen in um- fangreichen epidemiologischen Stu- dien gesichert wurde,

(1) tierexperimentell der Nachweis für die Entstehung arterioskleroti- scher Gefäßwandveränderungen durch Fütterungsversuche mit be- sonders fetthaltigen Diäten gelang,

O

eine Beziehung zwischen heredi- tären Fettstoffwechselstörungen und frühzeitiger Mortalität an dege- nerativen Herz- und Kreislauferkran- kungen besteht.

Männer unter 60 Jahren müssen bei einem Serumcholesterinspiegel zwi- schen 250 und 275 mg/100 ml be- reits doppelt häufiger mit einem Myokardinfarkt rechnen als eine Vergleichsgruppe, in der die gemes- senen Werte unter 200 mg/100 ml liegen. Überschreitet der durch- schnittliche Serumcholesterinwert 300 mg/100 ml, muß mit einem mehr als dreimal höheren Risiko gerech- net werden (National Pooling Pro- ject, 10). Diese aus einem zehnjähri- gen Beobachtungszeitraum ermit- telten Daten lassen zweifelsfrei die Indikation zur Behandlung erken- nen. Sie machen gleichzeitig deut- lich, bei welchem Cholesterinspie- gel die Therapie einsetzen sollte. Bei vielen Formen von Hyperlipopro- teinämien sieht sich der Patient ei- ner nicht absehbar langen Behand- lungszeit gegenüber. Der Erfolg der Behandlung ist weitgehend von der Mitarbeit des Patienten abhängig.

Diese hängt von seiner Einsicht und somit von seiner ausführlichen Auf- klärung ab.

Tabelle 1: Die gebräuchlichsten Monosubstanzen zur Senkung des Serumcholesterins

Erhaltungsdosis Sitosterin kompetitive Hem-

mung der Choleste- rinresorption an der Darmmukosa

Cholestyramin Hemmung der Cho- lesterinrückresorp- tion

Pyridylcarbi- Hemmung der LDL- nol (in retard- und VLDL-Synthese Form)

Nikotinsäure Hemmung der LDL- und VLDL-Synthese Dextro-Thyr- Beschleunigung des oxin LDL-Abbaus

Voraussetzung für die gezielte Be- handlung ist die genaue Diagnose der vorliegenden Fettstoffwechsel- störung. Diese kann primär oder se- kundär sein. Mit der routinemäßigen Erfassung der Serumtriglyzeride und des Serumcholesterins gewinnt man nützliche Anhaltspunkte für versteckte Stoffwechselabnormitä- ten auf dem Boden von Organer- krankungen (Niere, Leber, Schild- drüse, Pankreas, Diabetes mellitus, Alkohol). Diese sekundären Hyperli- poproteinämien müssen von den primären Hyperlipoproteinämien unterschieden werden. Durch The- rapie der Grundkrankheiten norma- lisieren sich im allgemeinen die er- höhten Lipidwerte, ohne daß zusätz- Substanz Angriffspunkt Anfangs-

dosis 3-24 g

8-16 g

150 mg

300 mg 2 mg

3-24 g

16 g

0,9-1,2 g

3-6 g 4-8 mg

(3)

Clofibrat- Nikotinsäure

Chol.

lonenaustauscher GS

FFS FFS

Lipolytische Enzyme Lipolytische

Enzyme

kronen; Chol.:

Cholesterin; GS:

Gallensäuren;

FFS: Freie Fett- säuren VLDL:

very low density lipoproteins;

LDL: low density lipoproteins;

HDL: high densi- ty lipoproteins;

IDL: intermedi- ate density lipoproteins

lich lipidsenkende Medikamente ge- geben werden müßten. Die Diagno- se einer primären Hyperlipopro- teinämie schließt immer die Unter- suchung von Familienangehörigen mit ein. Bei der Bestimmung der Serumlipide muß beachtet werden:

• der Patient muß bei der Blutab- nahme nüchtern sein (Nahrungska- renz über ca. zwölf Stunden);

fp

Gewichtskonstanz muß gewahrt sein;

(1)

Pharmaka, die den Fettstoffwech- sel beeinflussen, sollten drei bis vier Wochen vorher abgesetzt sein (alle lipidsenkenden Medikamente, Hor- monpräparate);

• Untersuchung frühestens sechs Wochen nach einem Herzinfarkt.

Wegen ihrer Unlöslichkeit im wäßri- gen Milieu des Plasmas zirkulieren die Lipide in Form komplexer Ma- kromoleküle mit jeweils definierter Protein- und Lipidzusammenset- zung, den Lipoproteinen. Die Lipo- proteine sind nach ihrer unter- schiedlichen Dichte bezeichnet:

Chylomikronen

very low density lipoproteins (VLDL) low density lipoproteins (LDL) high density lipoproteins (HDL)

Mit zunehmender Dichte nimmt der Lipidgehalt der Partikel ab, und der Proteingehalt steigt an. Die Chylo- mikronen enthalten überwiegend exogene, aus dem Nahrungsfett stammende Triglyzeride, die VLDL enthalten Triglyzeride endogenen Ursprungs und werden in der Leber synthetisiert. Die LDL sind die Lipo- proteine, die in erster Linie das Cho- lesterin transportieren. In den HDL sind wie in allen Lipoproteinen alle Lipidkomponenten enthalten, es überwiegen jedoch die Phospholipi- de. Diese Partikel bestehen zur Hälf- te aus Protein.

Eine Erhöhung der Serumlipide ist lediglich Symptom einer heteroge- nen Gruppe von Störungen, die sich in ihren klinischen Zeichen, ihrer Prognose, utid, was vielleicht von größter Bedeutung ist, in ihrem un- terschiedlichen Ansprechen auf Be- handlung unterscheiden.

Medikamentöse Beeinflussung des Cholesterinspiegels, der LDL Die Erhöhung der LDL im Plasma — es wird meist die in den LDL enthal- tene Cholesterinkonzentration, das LDL-Cholesterin oder ß-Cholesterin angegeben — geht mit dem höchsten Risiko für koronare Herzkrankheit und Myokardinfarkt einher. Als obe- re Toleranzwerte werden für das ß- Cholesterin angegeben: bis zum 30.

Lebensjahr 170 mg%, bis zum 40.

Lebensjahr 190 mg% und darüber bis 210 mg%. Aus der Kenntnis des Gesamtcholesterins und der Trigly- zeride (TG) läßt sich die Cholesterin- konzentration der LDL nach der von Fredrickson angegebenen Formel annähernd schätzen (11):

LDLchol = Gesamt-Chol — ( T-9 + 45) Die Cholesterin-transportierenden Lipoproteine (LDL) entstehen prak- tisch ausschließlich aus größeren, für den Triglyzeridtransport vorhan- denen Lipoproteinen, den VLDL.

So wird auch verständlich, daß eine Hemmung der VLDL-Synthese schließlich eine Verminderung der LDL-Konzentration bewirken kann.

Andererseits führt ein beschleunig- ter Abbau der VLDL zu einer Erhö- hung der LDL. Dem Arzt, der die Behandlung von Hyperlipoprotein- ämien überwacht, sind die Auswir- kungen dieser Vorgänge als „Typen- wechsel" bzw. Ansteigen einer Se- rumlipidfraktion unter der Senkung einer anderen bekannt.

Der größte Teil des synthetisierten Cholesterins wird über die Galle in den Darm sezerniert und wieder rückresorbiert. Zur Beeinflussung des Serumcholesterins stehen Medi- kamente zur Verfügung, die

den enterohepatischen Kreislauf der Gallensäuren unterbrechen,

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 30 vom 27. Juli 1978

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(4)

Tabelle 2: Die gebräuchlichsten Substanzen zur Senkung erhöhter Serumtriglyzeridspiegel

Substanz Angriffspunkt Anfangs Erhaltungsdosis dosis

Clofibrat

Nikotinsäure Pyridylcarbi- nol (in retard- Form)

Hemmung der Frei- setzung der VLDL aus der Leber, Be- schleunigung der Elimination der VLDL aus dem Plasma

Hemmung der LDL- und VLDL-Synthese Hemmung der LDL- und VLDL-Synthese

1-2 g 1-2 g

300 mg 3-6 g 150 mg 0,9-1,2 g Hyperlipidämie

Q die Resorption von Cholesterin kompetitiv an der Darmwand hemmen,

• die LDL-Synthese hemmen und

• den LDL-Abbau beschleunigen.

Im Rahmen dieser Übersicht soll le- diglich auf die international ge- bräuchlichsten Monosubstanzen eingegangen werden (12). Die Wir- kung der sogenannten essentiellen Phospholipide (Lipostabil®) auf den Arterioskleroseprozeß ist komplex.

Sie ist nicht allein auf den Fetttrans- port begrenzt und wird daher hier nicht behandelt (18, 19). Tabelle 1 gibt eine Übersicht über diese Sub- stanzen. Darstellung 1 veranschau- licht die Wirkungsweise und den wahrscheinlichen Angriffspunkt die- ser Medikamente.

Cholestyramin und ähnliche Verbin- dungen binden als lonenaustau- scher die Gallensäuren im Darm. Da- durch wird der enterophepatische Kreislauf unterbrochen, die Gallen- salze werden nicht rückresorbiert, sondern mit den Faeces ausgeschie- den. Durch pflanzliche Sterine wie Sitosterin wird möglicherweise die Resorption des Cholesterins an der Darmwand kompetitiv gehemmt. Der Serumcholesterinspiegel fällt ab, wenn die Synthese geringer bleibt als die Aufnahme von Cholesterin aus dem Darm.

Das gehäufte Auftreten von Hyper- cholesterinämie bei Hypothyreose legte nahe, daß Schilddrüsenhormo- ne den Cholesterinstoffwechsel be- einflussen. Es konnte gezeigt wer- den, daß durch Schilddrüsenhormo- ne der Abbau der LDL gesteigert wird. Der therapeutische Einsatz von Schilddrüsenhormonen (L-Thyroxin oder L-Trijodthyronin) war jedoch wenig befriedigend: Die als Aus- druck eines beschleunigten LDL- Abbaues erzielte Senkung des Cho- lesterinspiegels hielt meist im Ver- lauf der Behandlung nicht an; au- ßerdem wurden Nebenwirkungen wie Erhöhung der Herzfrequenz, Ge- wichtsabnahme und verstärktes Auf- treten von Angina pectoris beobach- tet. Auch die früher mit Dextro-Thyr- oxin-Präparaten beobachteten hy- permetabolischen Effekte beruhten wahrscheinlich auf deren Anteil an L-Thyroxin. Jetzt stehen hochgerei- nigte Substanzen zur Verfügung, deren L-Thyroxingehalt unter 0,2 Prozent liegt. Die Wirkung der Niko- tinsäure und ihrer Derivate wird mit einer Hemmung der LDL- und der VLDL-Synthese in der Leber erklärt.

Medikamentöse Beeinflussung des Triglyzeridspiegels

Eine Erhöhung der Triglyzeride im Serum entsteht im allgemeinen ent- weder durch eine Vermehrung der Chylomikronen oder beider Lipo- proteinklassen. Die Chylomikronen

werden in der Darmwand syntheti- siert und bestehen im wesentlichen aus den Triglyzeriden der Nahrungs- fette. Sie gelangen über den Ductus thoracicus in die Blutbahn und wer- den zum Teil in der Peripherie unter Einwirkung lipolytischer Enzyme hy- drolysiert. Die VLDL werden in der Leber gebildet und enthalten über- wiegend Triglyzeride, die endogen synthetisiert werden. Diese Lipo- proteine niedriger Dichte werden über Zwischenprodukte zu den LDL abgebaut. Unter physiologischen Bedingungen enthält das Plasma zwölf bis 14 Stunden nach der letz- ten Nahrungsaufnahme keine Chy- lomikronen mehr. Die Vermehrung der beiden triglyzeridreichen Lipo- proteinklassen ist makroskopisch sichtbar: nach längerem Stehen bil- den die Chylomikronen einen mil- chig bis rahmigen Überstand auf dem Plasma, eine Vermehrung der VLDL läßt das ganze Plasma trüb erscheinen. Serumtriglyzeridwerte über 250 mg% im Nüchternzustand gelten als pathologisch. Durch eine Vermehrung der Chylomikronen kommt es oft zu abdominellen Be- schwerden mit manifester Pankrea- titis. Die Erhöhung der VLDL geht besonders häufig mit einem größe- ren Risiko für periphere arterielle

Verschlußkrankheiten einher. Tabel- le 2 gibt eine Übersicht über die ge- bräuchlichsten Substanzen, die be- vorzugt zur Senkung des Triglyze- ridspiegels eingesetzt werden.

Nikotinsäure wirkt senkend auf den Serumtriglyzeridspiegel durch O Hemmung der VLDL-Synthese und der LDL-Synthese,

O Hemmung der Lipolyse.

Wenn durch verminderte Lipolyse weniger Fettsäuren aus dem „Depot Fettgewebe" freigesetzt werden, können in der Leber entsprechend nur vermindert neue Lipide syntheti- siert werden.

Clofibrat wirkt wahrscheinlich durch O Hemmung der Freisetzung von Lipoproteinen niedriger Dichte (VLDL) aus der Leber,

(5)

Colestipol®**)

ß-Pyridylcarbinol (z. B. Ronicol® retard) (einschleichend) 3 mal 2 bis 4 mal 2 Kaps.

Nikotinsäure (z. B. Niconacid® 500 pro Tag nach d. Mahlz.

retard)

D-Thyroxin (z. B. Eulipoe (einschleichend) 2 mal 1 bis 2 mal 2 Tabl.

pro Tag vor d. Mahlz.

Typ Ilb wie Ila plus Clofibrat (z. B. Regelan®) 2 mal 1 bis 2 mal 2 Kaps. pro Tag nach d.

oder Kombinationen (z. B. Lipofacton®) Mahlz.

Typ III Clofibrat (z. B. Regelan®) 3 bis 4 mal 1 Kaps. nach d. Mahlz.

Typ IV Clofibrat (z. B. Regelan®) wie oben

Kombinationen (z. B. Lipofacton®)

Typ V f3-Pyridylcarbinol (z. B. Ronicol® retard) wie oben Clofibrat (z. B. Regelan®)

*) Die aufgeführten Handelsnamen sind Beispiele von Medikamenten, mit denen die Autoren eigene Erfahrungen haben

**) Zur Zeit noch nicht im Handel

11)

Beschleunigung der Elimination der VLDL aus dem Plasma.

Richtlinien zur medikamentösen Behandlung von Patienten mit kardiovaskulärem Risiko

Eine adäquate Diät ist die Basis ei- ner effektiven Therapie mit der min- destmöglichen Erhaltungsdosis ei- nes oder mehrerer lipidsenkender Medikamente. Selbstverständlich müssen die beiden anderen Hauptri- sikofaktoren der koronaren Herzer- krankung, Bluthochdruck und Ziga- rettenrauchen, ebenfalls kontrolliert werden. Bei Erwachsenen müssen Cholesterinwerte über 250 mg%

und Triglyzeridwerte über 200 mg%

behandelt werden. Führt Gewichts- reduktion und richtige Diät nicht zu einer Normalisierung erhöhter Blut- fette innerhalb von sechs Monaten, ist die zusätzliche medikamentöse Therapie berechtigt. Eine lipidsen- kende Therapie stellt in jedem Fall eine Langzeitbehandlung dar. Des- halb muß bei den einzelnen Patien- ten das Medikament gewählt wer- den, das bei ausreichender Wirk- samkeit am wenigsten Nebenwir- kungen besitzt. Es gibt keine Mono- substanz, die für die Senkung er- höhter Cholesterinspiegel und er- höhter Triglyzeridspiegel gleicher- maßen geeignet ist.

Zur Senkung erhöhter Cholesterin- werte (Typ 11a) eignen sich Sitoste- rin, lonenaustauscher, Nikotinsäure- derivate und D-Thyroxin. Sind im

wesentlichen die Triglyzeride erhöht (Typ IV), stellen Clofibrat und Niko- tinsäurederivate die Medikamente der Wahl dar (Tabelle 3).

Oft ist bei gleichzeitiger Erhöhung der Triglyzeride und des Choleste- rins in der Praxis die genaue Dia- gnose der Hyperlipoproteinämie schwierig. Es empfiehlt sich, bei die- sen Fällen einen Versuch mit Clofi- brat zu machen. Die Wirkung eini- ger neuerer Kombinationspräparate (Clofibrat + ß-Pyridylcarbinol) ist nach neueren Untersuchungen der des Clofibrat ähnlich. Die Auswahl des jeweiligen Präparates wird von der subjektiven und objektiven Ver- träglichkeit bestimmt werden müs- sen. Der Effekt lipidsenkender Medi- kamente ist erheblich von der Aus- gangshöhe der Blutfette abhängig.

Erfahrungsgemäß gilt, daß familiäre Hyperlipoproteinämien schlechter auf Medikamente ansprechen.

Die als Granulat zur Verfügung ste- henden Substanzen Sitosterin und Cholestyramin sollen vor den Mahl- zeiten eingenommen werden. Wäh- rend für Sitosterin keine ernsten Ne- benwirkungen bekannt sind, muß bei der Gabe von Cholestyramin be- achtet werden, daß die Absorption von folgenden Medikamenten be- einflußt werden kann: Digitalis, Mar- cumar®, Eisen- und Schilddrüsen- präparate, fettlösliche Vitamine, Te- trazykline, Thiazide, Phenylbutazon.

Deshalb sollten diese Medikamente eine Stunde vor der Cholestyramin- gabe genommen werden. Die Ne-

benwirkungen des Cholestyramins — wie Nausea, Obstipation usw. — sind in Tabelle 4 zusammengefaßt.

Clofibrat, Nikotinsäurederivate und D-Thyroxin werden vollständig re- sorbiert. Clofibrat und D-Thyroxin potenzieren den Antikoagulantien- effekt von Marcumar. Deshalb muß bei gleichzeitiger Gabe von Clofibrat oder D-Thyroxin die Marcumardosis reduziert werden. Da Nikotinsäure eine Gefäßdilatation bewirkt, kann die durch Ganglienblocker erzielte Blutdrucksenkung verstärkt werden.

Zum Absetzen dieser Medikamente können während der Behandlung mit Clofibrat, Nikotinsäurederivaten und D-Thyroxin beobachtete patho- logische Leberfunktionstests zwin- gen. Unter Clofibrattherapie wurde eine erhöhte Neigung zur Gallen- steinbildung beobachtet. Auf kardia- le Komplikationen wie Arrhythmien und Angina pectoris muß unter D- Thyroxingabe besonders sorgfältig geachtet werden. Leichtere subjekti- ve Unverträglichkeiten, die bei allen Lipidsenkern auftreten können, sind in Tabelle 3 zusammengestellt.

Eine amerikanische Untersuchungs- gruppe veröffentlichte eine aufse- henerregende Dokumentation (The Coronary Drug Project) (13) über die Untersuchungsergebnisse an über 8000 Patienten, die Herzinfarkte durchgemacht hatten. In der Studie sollte geklärt werden, ob 1. unter lipidsenkenden Maßnahmen weni- ger Rezidive auftraten, und ob 2. die Nebenwirkungsrate der ausgewähl-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 30 vom 27. Juli 1978 1743

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Tabelle 4: Nebenwirkungen lipidsenkender Medikamente

Nebenwirkungen

sehr geringe Nebenwirkungsquote, ganz vereinzelt gastrointestinale Symptome

Übelkeit, Verstopfung, seltener: hyper- chlorämische Azidose, Steatorrhöe, ver- minderte Absorption anderer Medikamen- te, Gallenwegserkrankungen

Flush, Pruritus, Nausea, Diarrhöe, selte- ner: Glukoseintoleranz, Hyperurikämie, Hepatotoxizität sowie gastrointestinale Beschwerden

milde hypermetabolische Effekte wie Ta- chykardie, Schweißneigung, Schlafstörun- gen, seltener: Glukoseintoleranz, Verstär- kung von Antikoagulantien vom Cumarin- typ

Nausea, Diarrhöe, Verstärkung der Antikoagulantienwirkung vom Typ des Cu- marin seltener: Myositis, Hepatotoxizität, Entstehung von Gallensteinen, Potenzstö- rungen

Substanz Sitosterin

Cholestyramin

Nikotinsäure und Nikotinsäu re- derivate

Dextro-Thyroxi n

Clofibrat

Hyperlipidärnie

ten Substanzen (Östrogene, D-Thyr- oxin, Clofibrat, Nikotinsäure) in der Langzeittherapie vertretbar wäre.

Die umfangreiche Untersuchung schloß mit dem Ergebnis, daß ge- genüber der Plazebogruppe die Ga- be der Medikamente keine günstige- re Prognose des Fortschreitens der koronaren Herzerkrankung bewirk- te. Überdies wurde für die behandel- te Gruppe eine höhere Rate zum Teil gefährlicher Nebenwirkungen doku- mentiert. Gegen die Interpretation, daß der Nutzen einer medikamentö- sen Beeinflussung erhöhter Serum- lipidwerte widerlegt wäre, läßt sich einwenden (14):

in primären Präventivstudien wur- de eine Senkung kardiovaskulärer Komplikationen durch Normalisie- rung pathologischer Serumlipide beschrieben (15, 16, 17).

fp In dem Kollektiv des Coronary Drug Project wurde der Einfluß an- derer -Risikofaktoren (Nikotin, Hy-

pertonie, Diabetes) nicht adäquat ausgeklammert.

0

Die prognostische Bedeutung der Serumlipidwerte bei Patienten nach Herzinfarkt ist geringer, da der Ver- lauf dann durch andere Faktoren in stärkerem Maße bestimmt wird.

Überdies war die beobachtete Senkung der Lipide in dem Kollektiv nur gering, zumal keine typenspezi- fische Therapie erfolgte.

Die Ergebnisse des Coronary Drug Project lassen somit die Therapie von Patienten mit erhöhten Blutfet- ten nicht als nutzlos erscheinen. — Weitere Ergebnisse zur Prognose durch lipidsenkende Pharmaka ste- hen aus und sind von den aufwendig angelegten Studien der sogenann- ten „Lipid Research Clinics" (LRC), die zur Zeit in zahlreichen Stoff- wechselzentren der Vereinigten Staaten durchgeführt werden, zu erwarten.

Literatur

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Anschrift der Verfasser:

Professor Dr. med. Heiner Greten Dr. med. Gerald Klose

Professor

Dr. med. Dr. h. c. Gotthard Schettler Medizinische Klinik des

Klinikums der Universität Heidelberg Bergheimer Straße 58

6900 Heidelberg

27. Juli 1978

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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