Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 7⏐⏐17. Februar 2006 AA365
S E I T E E I N S
S
eit die Rente mit 67 nicht mehr politisch tabu ist, häufen sich die Artikel über Nobelpreisträger, die mit 80 noch wissenschaftlich auf der Höhe sind, oder Sporttrainer, die sich mit 67 voll jugendlichem Elan präsentieren. Selbst Firmen, die Menschen mit 50 plus einstellen und nicht rauswerfen, werden entdeckt.Bisher ist ein derartiger Alten- boom ein Phänomen des Presse- und nicht des Arbeitsmarktes. Realität ist der Frühruhestand mit 60, sind Tarif- verträge und Betriebsvereinbarun- gen, die Arbeitnehmer mit 65 in den Ruhestand versetzen, und individuel- le Arbeitsverträge, die Manager mit 62 aussteuern. Denn dann gelten sie als nicht mehr kreativ und zu teuer.
So betrachtet läuft die „Rente mit 67“ auf Rentenabschläge um weite-
re zwei Jahre hinaus. Für die Gesetz- liche Krankenversicherung, von der bei der Rentendiskussion merkwür- digerweise nie die Rede ist, obwohl sie doch Teil des Verschiebebahn- hofes ist, bedeuten Abschläge ver- ringerte Einnahmen (siehe dazu den Beitrag „Rentenreform: Auf Kosten der Kassen“).
Um die „Rente mit 67“ für die So- zialversicherung zu einem Erfolgs- modell zu machen, bedarf es gewalti- ger Veränderungen auf dem Arbeits- markt. Davon ist bisher wenig zu er- kennen.Wir brauchen altersgerechte Arbeitsplätze, inhaltlich und zeitlich flexibel. Denn trotz all der schönen Geschichten von den fitten Alten und dem immerwährenden medizi- nischen Fortschritt, die Wahrheit ist auch, dass Leistungsfähigkeit und
Kreativität im Alter vielfach abneh- men und nur teilweise durch Erfah- rung ausgeglichen werden können.
Nötig sind, damit einhergehend, neue Gehaltsstrukturen. Die Einstel- lung, die in unser aller Köpfe tief ver- wurzelt ist, mit zunehmendem Alter müssten auch die Einkommen zu- nehmen, hat keine Zukunft.
Doch auch neues Denken wird nicht weiterhelfen, wenn es an Ar- beitsplätzen fehlt. Solange junge Leute „unten“ Arbeit nachfragen, wird der Anreiz, „oben“ abzubauen und die Alten zulasten der Sozialkas- sen in Rente zu schicken, anhalten.
Und damit landet auch die „Rente mit 67“ bei dem Grundproblem unse- rer Gesellschaft, bei dem früher oder später jede soziale Frage endet: dem Arbeitsmarkt. Norbert Jachertz
Rentenpolitik
Früher oder später
Arzneimittel-Spargesetz
Wenig verheißungsvoll U
nion und SPD haben sich auf ihrerstes großes gesundheitspoliti- sches Projekt geeinigt. Das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlich- keit in der Arzneimittelversorgung soll am 1. April in Kraft treten und den Krankenkassen zu jährlich rund 1,3 Milliarden Euro an Einsparun- gen bei den Arzneimittelausgaben verhelfen. Die Änderungen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in den ursprünglichen Entwurf ein- gebracht wurden, halten sich – trotz heftiger Kritik – in Grenzen.
Bitter für die Ärztinnen und Ärz- te ist, dass die Politik an der geplan- ten Bonus-Malus-Regelung festge- halten hat. Künftig werden also die Ärzte für Überschreitungen vorge- gebener Tagestherapiekosten be- straft und für Unterschreitungen be- lohnt. Die Ethik-Falle schnappt in
jedem Fall zu, denn Patienten wer- den sich künftig fragen, ob der Arzt seine Verordnungen am eigenen Geldbeutel ausrichtet. Dass der Ma- lus erst ab einem Überschreitungs- betrag von zehn und nicht, wie ur- sprünglich geplant, von fünf Prozent wirksam wird, ist da kein Trost. Al- lerdings kann die Bonus-Malus-Re- gelung entfallen, wenn die Kas- senärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkas- sen auf regionaler Ebene gesonderte Vereinbarungen treffen. Angesichts der Alternative ist die Verhand- lungsposition der Ärzte dabei je- doch denkbar schlecht.
Darüber hinaus sind einige zen- trale Punkte der Umsetzung des Arz- neimittelwirtschaftlichkeitsgesetzes noch völlig unklar. So wird beispiels- weise den Kassen die Möglichkeit
eingeräumt, mit Pharmafirmen Ra- batte zu vereinbaren. Ziel ist es, den Versicherten mögliche Selbst- behalte zu ersparen, die durch die drastische Absenkung der Arznei- mittelfestbeträge zusätzlich zu den üblichen Zuzahlungen fällig wer- den. Wie Ärztinnen und Ärzte un- ter solchen Umständen noch den Überblick über Arzneimittelpreise, sprich über eine wirtschaftliche Ver- ordnungsweise behalten sollen, ist selbst den Krankenkassen schleier- haft. Vielleicht hilft ja der Druck durch die Patienten. Diese werden künftig von den Zuzahlungen be- freit, wenn sie auf die Verordnung ei- nes Arzneimittels dringen, dessen Preis um mindestens 30 Prozent un- terhalb des Festbetrages liegt – der Anbruch einer völlig neuen Diskus- sionskultur? Heike Korzilius