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Archiv "Reformdiskussion: Anders - aber nicht besser" (05.11.1999)

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A-2800 (32) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 44, 5. November 1999

T H E M E N D E R Z E I T

ie von der Bundesregierung zur Zeit zusammengebastelte Gesundheitsreform sollte alte Fehler nicht wiederholen. Die Re- form muß die konkreten Erfahrungen der Praxis berücksichtigen. Statt des- sen umgeben sich Politiker und ein Teil der Medien mit einer Mauer, da- mit konkrete Erfahrung keine ab- strakten Pläne gefährdet.

Was macht der Patient, wenn er plötzlich nichts mehr hört, Blut im Urin oder Herzra-

sen hat? Er soll zu seinem Hausarzt gehen, der für ihn die „Lotsenfunk- tion“ ausübt. Aber was geschieht, wenn der Haus- arzt nicht für alle Krankheitsfälle

taugt? Was passiert, wenn der Arzt Urlaub hat? Im Zuge der Budgetie- rung wird dies immer häufiger wer- den. Wird er zum richtigen Speziali- sten schicken? Darf der Patient nicht mehr auf die Empfehlung seines Nachbarn oder auf die Medien hören?

Darf er, soll er oder muß er überhaupt zum Spezialisten? Jedermann möge die Frage für sich selbst stellen, ob er für seine hohen Krankenkassen- beiträge solche Freiheitsbeschrän- kungen hinnehmen möchte.

Der Facharzttitel sagt nichts über die Persönlichkeit aus. Viel- leicht kann der Hausarzt besser mit Ultraschall umgehen, der Facharzt aber besser erklären und trösten.

Ärzte sind keine Beamten, die den gleichen Lohn bekommen, ob sie gut oder schlecht sind. Beim Arzt ist die Praxis voll oder leer, danach richtet sich sein Einkommen. Das Hausarzt- modell läuft auf ein Gängeln des Pa- tienten hinaus. Bei Beschwerden wird schließlich der Verwaltungsan- gestellte am Kassenschalter das Sa- gen haben. Er wird den Disput mög- lichst rasch und ungefährlich been- den wollen. In einem solchen Umfeld sucht der Patient wie Diogenes mit der Lampe einen Weisen. Eine Hor- rorvorstellung(!).

Wenn der Hausarzt nach Einzelleistungen bezahlt wird und sich fortgebildet hat, versucht er möglichst viel selbst zu machen. Das bringt ihm berufliche Befriedigung und Geld. Hat er nur ein Hörrohr, macht er nichts, weiß er we- nig, verdient er nichts. Bekommt der Patient durch die Überweisung einen Malus, tut der Hausarzt entweder zu- viel oder zuwenig. Er fühlt sich von der modernen Medizin ausgeschlossen und wird frustriert. Darunter wird auch der Patient leiden.

Praxisnetze von 20 bis 50 Ärzten sollen mehr Effektivität bringen. Das wird sich als Irrtum herausstellen. In diese Konzeption paßt der Facharzt- malus ohnehin nicht, es sei denn, die Einzelleistungshonorierung würde abgeschafft. Gerät der Patient syste- BERICHTE/KOMMENTARE

ten fühlt“ (Sträter in: Hönig R, „Klini- sche Prüfung: Wieviel Ethik ist nötig?“ DÄ 8/1999).

Im Rahmen einer schriftlichen Anfrage sind wir daher der Frage nachgegangen, wie die 18 Ethik-Kom- missionen der Landesärztekammern sowie elf Ethik-Kommissionen medi- zinischer Fakultäten diesen Sachver- halt bewerten. Geantwortet haben 13 Ethik-Kommissionen der Landesärz- tekammern und vier Ethik-Kommis- sionen medizinischer Fakultäten.

Ergebnis: Lediglich eine Ethik- Kommission gab an, bei multizentri- schen Studien, für die das Ethikvotum für den Leiter der klinischen Prüfung vorliegt, nur auf Wunsch des Antrag- stellers erneut eine Prüfung zu veran- lassen. Alle anderen Ethik-Kommis- sionen behielten sich vor, anhand der eingereichten Unterlagen zu entschei- den, ob sie in eine Prüfung eintreten, oder sie treten grundsätzlich in eine erneute Prüfung ein.

Der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen empfiehlt den lokalen Ethik-Kommissionen bei der legitimen inhaltlichen Mitberatung

„Änderungswünsche auf das unbe- dingt Notwendige zu beschränken“.

Dieser Wunsch wird jedoch nicht von allen Ethik-Kommissionen umge- setzt. Vielmehr gibt es Ethik-Kom- missionen, die unmißverständlich klar- machen, daß eine unterlassene Bera- tung für die Prüfärzte zu berufsrecht- lichen Folgen führen kann.

Vor diesem Hintergrund kann je- dem Prüfarzt nur geraten werden, erst dann mit der klinischen Prüfung zu beginnen, wenn das Votum der für ihn zuständigen Ethik-Kommission vor- liegt. Andernfalls läuft er Gefahr, in eine Auseinandersetzung mit seiner Landesärztekammer verwickelt zu werden. Falls der Sponsor nicht grundsätzlich für alle beteiligten Prüf- ärzte ein Ethikvotum einholt, sollte der Prüfarzt die Unterstützung des Sponsors anfordern. Die unterschied- lichen Auffassungen zur aktuellen Rechtslage verdeutlichen, daß Län- der- und Berufsrecht sowie Bundes- recht (8. AMG-Novelle) harmonisiert werden müßten.

Andree Beckerling IFE Europe GmbH

Alfred-Herrhausen-Straße 44 58455 Witten

Reformdiskussion

Anders – aber nicht besser

Eine stärkere Rolle für den Hausarzt, die drohende Schwächung der Ärzteschaft insgesamt und der Dauerkonflikt zwischen Ökonomie und Medizin:

Mit diesen Themen befassen sich die folgenden Kommentare zur Gesundheitsreform 2000.

D

Alte Fehler

(2)

matisch in die Fänge von medizini- schen Netzen, wird die Behandlung langwierig und teuer. Bei der poly- morbiden Altengesellschaft würde mehr die Krankheit als die Gesund- heit gepflegt werden. Die Tendenz ist vorhersehbar, daß der Kranke „wei- tergereicht“ wird. Alle wollen diagno- stizieren, therapieren und verdienen.

Wenn die Gesundheitsreform zu sehr auf den Hausarzt abgestellt wird, werden diese über- und die Fachärzte unterfordert werden. Die Medizin ist eine Erfahrungswissenschaft, bei lee- rer Praxis kann auch der Facharzt kein Facharzt mehr sein.

Es geht anders: Datentransfer än- dert den Praxisablauf. Nichtinvasive Verfahren wie Ultraschall und Dopp- ler-Sonographie gehören heute auch für den Hausarzt zur gründlichen Erstuntersuchung. Moderne Labor- analysengeräte und bildgebende Ver- fahren (CT, Kernspin) erstellen und übertragen ihm in Stunden alle ge- wünschten Untersuchungen. Die Ab- wägung Überweisung „ja oder nein“

ist die eigentliche ärztliche Kunst. Auf keinen Fall darf sie durch Bonus- oder Malusregelungen fehlgesteuert wer- den. Wenn der Patient zum Facharzt will, geht er auch hin. Zu „Kranken- scheinzeiten“ war der Arztwechsel in- nerhalb eines Quartals nur mit Ge- nehmigung der Kasse möglich. Das Problem erledigte meist die Sprech- stundenhilfe. Theoretisch mag dies bedenklich sein, praktisch hat es sich bewährt. Der Überweisungsschein unterschied zwischen definierter Lei- stung, konsularischer Beratung und Weiterbehandlung. Verweigerung der Überweisung durch den Hausarzt war und ist selten, hat sie doch meist den Verlust des Patienten zur Folge.

Der Erfahrene weiß, daß es im- mer noch die preiswerteste Methode ist, wenn der Patient sich seinen Arzt, ob Hausarzt oder Facharzt, selbst aus- sucht. Die Mehrzahl der Fälle erledigt sich mit der Facharztbehandlung. Das Hin und Her ist für den Patienten lä- stig und kostet die Krankenkassen zu- nehmend Geld.

Ein Facharztmalus für den Pati- enten im Rahmen der geplanten Re- form 2000 macht das Gesundheits- system noch kopflastiger. Im übri- gen stimmt der Bürger mit den Füßen ab. Dr. med. Karl-Heinz Weber

A-2801 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 44, 5. November 1999 (33)

T H E M E N D E R Z E I T KOMMENTARE

ie Optimierung medizinischer Leistungen nimmt zu. Jeder Bereich in der Medizin fordert eine optimale Versorgung des Patienten. Innerhalb eines jeden Be- reichs setzt sich diese mehr globale Forderung aus einer Vielzahl von Ein- zelforderungen zusammen, wobei jede dieser Forderungen für sich erhoben wird, ohne Zusammenführung zu ei- nem in sich geschlossenen Ganzen. So wird für den Diabetiker, für den Hypo- toniker, für den dialysepflichtigen Pati- enten oder für den Epileptiker genau so wie für jeden Behinderten eine opti- male Diagnose und Therapie gefor- dert, angepaßt an den jeweils letzten Stand des medizinischen Wissens. Vom Grundsatz her beruht die Forderung nach einer optimalen Medizin für je-

dermann zu Recht. Dies entspricht der Auffassung von der sozialen Verant- wortung unserer Gesellschaft und vom ethischen Grundverständnis eines je- den Arztes. Ein schicksalsbedingter Verzicht wird in unserer Gesellschaft weniger denn je akzeptiert. Für alles und für jeden muß eine Einrichtung zur Verfügung stehen, die in Anspruch genommen werden kann, um optimal auszugleichen, was als ausgleichsfähig angesehen wird. Doch die Summe aller Forderungen übersteigt das zur Verfü- gung stehende Finanzvolumen. Damit stellt sich die Frage nach dem Zieler- reichungsgrad für die einzelnen Lei- stungen, der möglich und akzeptabel ist.

Beispiel Rettungsdienst: Jedes Bundesland hat ein Rettungsdienst- gesetz. Da der Notfall wohl überall gleichlautend zu definieren ist, könnte erwartet werden, daß auch die Ret- tungsdienstgesetze in ihrer Zielvorga- be übereinstimmen. Dies trifft jedoch nicht zu. Qualitätskriterium für den Rettungsdienst ist unter anderem die

Hilfsfrist oder Eintreffzeit, worunter die Zeit verstanden wird, die von der Alarmierung bis zum Eintreffen ver- streicht. Einige Länder nennen über- haupt keine Hilfsfrist, andere legen im Rettungsdienstgesetz Hilfszeiten fest, die zwischen zehn und 30 Minuten lie- gen, oft mit spezifizierenden Hinwei- sen wie „. . . ausschließlich über eine Straße erreichbarer Einsatzort . . .“.

Dann gibt es statistische und damit nicht den Einzelfall betreffende Vorga- ben, die besagen, daß „. . . in 95 Pro- zent ein geeigneter Arzt . . . den Not- fallort . . . in 20 Minuten erreicht . . .“.

Es wird also nicht immer und nicht un- bedingt auf den Einzelfall abgestellt, sondern eine statistische Vorgabe po- stuliert. Ist dies ein Weg, der in die Zu- kunft weist?

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur GKV-Strukturreform 2000 enthält für die Gesetzliche Krankenversicherung ein Globalbudget bei stabilen Beitragssätzen. Damit ist der Konflikt darüber pro- grammiert, was mit diesem Budget geleistet werden kann. Die oft beschwore- nen Rationalisierungsre- serven, die sicher vorhan- den, aber nicht grenzenlos sind und deren Erschließung nicht ohne Pro- bleme und zumindest kurzfristig nicht möglich ist, bieten keine Lösung. Und unberücksichtigt ist der medizinische Fortschritt. Niemand wird sich der Forderung verschließen können, ein neues Mittel gegen Krebs, gegen De- menz, gegen multiple Sklerose oder gegen AIDS dann einzusetzen, wenn es verfügbar ist, und dies für jeder- mann und zu welchem Preis auch im- mer. Und daß diese Mittel kommen werden, steht außer Frage.

Dabei sind wir auch in der Medi- zin bei der Problematik, wohin verfüg- bare Finanzmittel fließen sollen. Wir können dieser Problematik nicht aus- weichen. Es kann nicht sein, daß der Arzt allein, in welcher Situation auch immer, die Entscheidung darüber trifft, wie begrenzte Ressourcen einzu- setzen sind. Dies ist ein Problem unse- rer Gesellschaft insgesamt. Die politi- sche Diskussion über dieses Problem muß eingefordert werden, heute mehr denn je. Prof. Dr. med. Fritz Beske

Programmierter Konflikt

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