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Archiv "Chirurgenkongress: Mit dem „Skalpell“ gegen Diabetes" (04.05.2012)

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A 922 Deutsches Ärzteblatt

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4. Mai 2012

CHIRURGENKONGRESS

Mit dem „Skalpell“ gegen Diabetes

Bariatrische Operationen führen auch bei normalgewichtigen insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern zu einer signifikanten Verbesserung der Stoffwechsellage – sogar mit kompletten Remissionen. Hat die „metabolische Chirurgie“ eine Zukunft?

B

isher ist die Versorgung von Typ-2-Diabetikern eine Do- mäne der medikamentösen Thera- pie. In den letzten Jahren hat man jedoch bei Folgeuntersuchungen von Patienten nach Adipositasope- rationen festgestellt, dass es neben dem Gewichtsverlust auch zu einer deutlichen Verbesserung der diabe- togenen Stoffwechsellage kommt.

78 Prozent der Patienten können so- gar auf eine Therapie mit Insulin oder oralen Antidiabetika verzich-

ten, so das Ergebnis einer Metaana- lyse aus 621 Studien mit mehr als 135 000 Patienten (Am J Med 2009;

122(3): 248–56.e5). Dieser positi- ve „Nebenbefund“ könnte sich zu einer eigenen Indikation entwickeln – möglicherweise auch für Diabeti- ker mit mäßigem Übergewicht oder sogar Normalgewicht, wie auf dem 129. Kongress der Deutschen Ge- sellschaft für Chirurgie (DGCH) in Berlin diskutiert wurde.

Operierte: Weniger Hypertonie, Dyslipidämie und Tumoren

Eine weitere Studie, die als Beleg dafür zitiert wird, dass sich die ba r - iatrische Chirurgie zur metaboli- schen Chirurgie weiterentwickelt, ist die „Swedish Obese Subjects“-

Studie (SOS) mit mehr als 4 000 Patienten. Ihre seit fast 20 Jahren gesammelten Daten zeigen, dass Patienten nach Adipositaschirurgie nicht nur seltener an arterieller Hy- pertonie, Dyslipidämie und Diabetes mellitus erkranken, sondern auch we- niger maligne Tumoren entwickeln (NEJM 2007; 357: 741–52).

„In der SOS-Studie waren 72 Prozent der Patienten mit Diabetes mellitus zwei Jahre postoperativ normoglykämisch“, sagte DGCH-

Präsident Prof. Dr. med. Markus W.

Büchler von der Universitätsklinik in Heidelberg. Nach zehn Jahren hatte sich die Zahl dieser Remissio- nen zwar wieder halbiert, aber mit Blick auf den Deutschen Gesund- heitsbericht 2012 wertet Büchler dieses Ergebnis dennoch als Erfolg:

„Neun Prozent der deutschen Be- völkerung sind Diabetiker, davon sind 40 Prozent insulinpflichtig.

Diese Patienten haben konservativ keine realistische Chance, aus der Insulinabhängigkeit mit all ihren Folgen herauszukommen.“

Überraschend ist für die Wissen- schaftler, dass die Diabetesremis - sion meist unmittelbar nach der Operation einsetzt – also unab - hängig von der Gewichtsreduktion

ist. Welche Mechanismen dem zu- grunde liegen, ist bisher nicht be- kannt. Man schätzt, dass durch die Minimierung der Nahrungspassage die Ausschüttung gastrointestinaler Hormone (GLP-1, GIP, Ghrelin) verändert wird. Es gibt auch Hin- weise darauf, dass die Menge des viszeralen Fetts, die Dauer der In- sulinpflicht vor der Operation und das Ausgangskörpergewicht einen Einfluss auf die Diabetesremis sion haben.

Das Wissen um den gewichtsun- abhängigen Effekt des operativen Eingriffs auf den Diabetes hat dazu geführt, dass nun auch leicht über- gewichtige beziehungsweise nor- malgewichtige Patienten mit insulin- pflichtigem Diabetes mellitus Typ 2 im Rahmen von Studien bariatrisch operiert werden. Inzwischen belegen mehrere Publikationen, dass die me- tabolische Chirurgie bei weit mehr als 90 Prozent der Normalgewichti- gen zur Remission des Diabetes führt und dieser Effekt über mindes- tens zwei Jahre anhält (Surg Obes Relat Dis. 2010 May-Jun; 6(3):

296–304. Epub 2009 Nov 10).

Büchler verwies in Berlin auf zwei weitere Studien, die im März auf der Jahrestagung des American Zu den baria -

trischen Opera - tionsverfahren gehören der Ma- genbypass (links), das verstellbare Magenband (Mitte) und der Schlauch-

magen (rechts).

Nicht dargestellt ist die biliopankreati- sche Diversion mit und ohne Duode- nal-Switch.

Abbildungen: Expertengruppe MBC

M E D I Z I N R E P O R T

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4. Mai 2012 College of Cardiology in Chicago

vorgestellt wurden. „Es handelt sich um die ersten großen Studien, in denen die Operation direkt mit der medikamentösen Diabetesthera- pie verglichen wurde“, sagte Büch- ler. „In beiden Studien erzielte der Magenbypass bei den schwer Über- gewichtigen die bessere Wirkung.“

Nach seinen Angaben wiesen in der Studie von Schauer et al. (NEJM 2012; 366: 1567–76) 42 Prozent der Diabetiker nach der Operation einen normalen HbA1c auf; in der Untersuchung von Mingrone et al.

(NEJM 2012; 366: 1577–85) erziel- ten sogar 75 Prozent der Patienten eine Remission des Diabetes.

Diasurg-2-Studie untersucht auch Spätkomplikationen

Auch die Chirurgen des Universi- tätsklinikums Heidelberg widmen sich der metabolischen Chirurgie:

Im Rahmen der Diasurg-1-Studie wurde inzwischen 18 insulinpflich- tigen Typ-2-Diabetikern mit einem Body-mass-Index (BMI) zwischen 25 und 35 ein Magenbypass ange- legt. Derzeit liegen die Auswertun- gen von 15 Patienten vor. Danach befänden sich 53 Prozent der Pa- tienten in Remission, und die wei- terhin Insulinpflichtigen konnten ihre Dosis um 80 Prozent senken, berichtete Priv.-Doz. Dr. med. Lars Fischer.

Das Ziel der Diabetesbehandlung ist allerdings nicht allein die Nor- malisierung des Blutzuckers, son- dern auch die Vermeidung der Be- gleiterkrankungen wie Hypertonie, Hypercholesterinämie und der Fol- geschäden an Herz, Nieren und Nerven. Ob die Operation diese Komplikationen verhindere und lang- fristig die Lebenserwartung der Dia- betiker verlängere, sei noch nicht geklärt, sagte Büchler. „Dies wird in der Diasurg-2-Studie, die ab Juni in Heidelberg startet, untersucht.“

Ein für alle Patienten pauschal zu empfehlendes Operationsverfah- ren (Kasten) gibt es nicht – ob- wohl es Präferenzen für den Ma- genbypass gibt. Hierbei wird ein Ausschalten des Magens mit Umge- hung des Zwölffingerdarms durch- geführt. Das Risiko, an der Opera - tion zu sterben, liegt bei 0,35 Pro-

zent, die Rate der Komplikationen bei 4,3 %.

Trotz der insgesamt positiven Er- gebnisse sollte die metabolische Chirurgie bislang nur im Rahmen von klinischen Studien angewendet werden, betonte Büchler. Die Vor- sicht gründet sich auf die nicht abschließend untersuchten Lang- zeitfolgen der Operation. Die funk- tionelle Darmverkürzung schränkt die Aufnahme von Vitaminen und Spurenelementen ein. „Die Adiposi - tas chirurgie ist keine Lifestyle-Ope - ration, nach der die Patienten ihr früheres Leben fortsetzen können.“

Deshalb sollte in Zentren sicher - gestellt sein, dass Patienten nach der Operation von Ernährungs- und Sportmedizinern und Psychologen betreut werden.

Dass die DGCH um Interdiszip- linarität bemüht ist, spiegelte sich auch in der Teilnahme von Internis- ten als Referenten zu dieser Thema- tik wider. Nach Ansicht von Prof.

Dr. Andreas Hamann, Diabetes-Kli- nik Bad Nauheim, sind bei adipösen

Diabetikern mit einer multimoda- len konservativen Therapie keine wirklich befriedigenden Ergebnisse zu erzielen. Die Internisten soll- ten daher versuchen, festzulegen, wann eine konservative Diabetes- therapie bei dieser Patientengruppe erschöpft ist.

Diabetes ist nicht mehr nur

„Internistensache“

Auch für Prof. Dr. med. Matthias Blüher, Endokrinologe an der Uni- versität Leipzig, ist die Behandlung adipöser Diabetiker längst nicht mehr nur „Internistensache“. Allein für die Behandlung der Kompli - kationen des Diabetes mellitus fie- len pro Jahr Kosten in Höhe von 13 Milliarden Euro an. In Deutsch- land dürften die Möglichkeiten der metabolischen Chirurgie daher nicht länger ignoriert werden.

Als Vertreter der „Expertengrup- pe Metabolische Chirurgie“, der auch Hamann und Blüher angehö- ren, plädierte der Chirurg Prof. Dr.

Rudolf Weiner, Krankenhaus Sach- senhausen, Frankfurt/Main, für die Aufnahme der metabolischen Chir - urgie zur Therapie von Adipositas mit metabolischen Komorbiditäten einschließlich Vor- und Nachsorge ab einem BMI von 30 in den Leis- tungskatalog der gesetzlichen Kran- kenversicherung. Denn auf lange Sicht könnten dadurch die Kosten einer lebenslangen konservativen Therapie gesenkt werden.

Aus Sicht der Kostenträger kommt diese Forderung zu früh.

Wilfried Jacobs, Vorstandsvorsitzen- der der AOK Rheinland, stellte in Berlin die provokative Frage in den Raum, ob die Wissenschaft Treiber der metabolischen Chirurgie sei oder doch eher die Deckungsdefizite ei - niger Krankenhäuser, die sich neue Betätigungsfelder suchten. Derzeit seien die rechtlichen Rahmenbedin- gungen für die Kostenerstattung operativer Eingriffe zur Diabetesthe- rapie problematisch. Jacobs rät Inter- nisten und Chirurgen, die S3-Leitli- nie „Chirurgische Adipositas-Chir - urgie“ aus 2010 im Hinblick auf eine sinnhafte Diabetestherapie zu über- arbeiten und mit einem gemeinsa- men Konzept zu konsentieren.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn Einer Propagierung der Chirurgie als Allheilmittel für Dia-

betespatienten widerspricht die Deutsche Diabetes-Gesell- schaft (DDG). Sie sieht in der Magenbypass-Operation ei- ne wissenschaftlich nicht belegte und langfristig nicht ge- prüfte Therapieoption. „Es handelt sich hierbei um eine große Operation mit beträchtlichen Nebenwirkungen, ins- besondere bei Risikopatienten wie den Typ-2-Diabetikern“, sagt Prof. Dr. med. Andreas Fritsche von der Universität Tübingen als Pressesprecher der DDG. Nach seinen Anga- ben liegen bislang keine wissenschaftlich hochwertigen Studien vor, die bei Diabetespatienten mit einem BMI von 30 bis 35 chirurgische Maßnahmen mit einer optimalen konservativen medikamentösen Therapie vergleichen.

Darüber hinaus würden derzeit unter dem Begriff „me- tabolische Chirurgie“ verschiedene Techniken zusammen- gefasst (siehe Abbildungen), die nicht ausreichend mit - einander verglichen wurden. „Derzeit ist auch noch nicht abzusehen, ob operierte Diabetespatienten langfristig bes- ser, komplikationsärmer und länger leben“, erklärte Frit- sche. Abgesehen vom Risiko eines solchen Eingriffs seien dessen Nebenwirkungen beträchtlich: Sie reichten von Vit - aminmangel und Hypoglykämien bis zu Depressionen.

Neuere Daten würden sogar darauf hindeuten, dass der Erfolg der metabolischen Chirurgie zeitlich begrenzt ist. Längerfristig benötigten die Patienten wieder eine me- dikamentöse Therapie mit Insulin, und sie legten auch wieder an Gewicht zu.

KRITISCHE EINSCHÄTZUNG

M E D I Z I N R E P O R T

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