EINIGES ÜBER DIE SOGENANNTEN SCHALEN DER LEVANTE
IM XVII. UND XVIII. JAHRHUNDERT
von A. H. de Groot, Leiden (Niederlande)
Die ,, Schalen" sind die Handelsplätze der europäischen Kaufleute (It. scala. Fr.
echelle, Holl, schaal, Eng. scale oder factory, Tü. iskele), an denen seit ungefähr 1570 die Engländer, gefolgt von den Holländern, sich eine dominierende Stellung über die Venezianer, andere Italiener und die Franzosen verschafften. Erst am Ende
des 17. Jh. gewann Ffankreich seine Vormachtstellung in der Levante definitiv
zurück*.
Der Levantehandel war für die osmanische Wirtschaft wohl weniger interessant als für die Europäer. Für unsere Betrachtungen sind die Schalen wichtig als Punkte des direkten Kontaktes, der ökonomischen, politischen und kulturellen Beziehun¬
gen zwischen der islamisch-osmanischen und der christlich-westeuropäischen Welt;
im Gegensatz zum Heüigen Kriege oder Kreuzzug waren es Stätten des friedsamen
Austausches. Die rechtliche Basis war wenig solide im Islamischen Recht mittels
einer schon lange üblichen Erweitemng der Begriffe amän und där al-^ahd gegeben.
Die vertragsmäßige Form von bedingter Unterwerfung von Nichtmuslimen im
islamischen Gebiet wurde auf christliche, nicht-unterworfene, aber wohl residieren¬
de Ausländer ausgedehnt. Die osmanische Regiemng hat dafür die Rechtsform der
sogenannten Kapitulationen angewandt, die schon für d^/mmf-Untertanen, wie die
Genuesen in Scio und Galata, die Bevölkerung des Herzogtums der Cycladen, die
Stadt Ragusa, u.a. bestanden.
Die Lage der Europäer war ganz anders als die der Kaufleute der großen Handels¬
kompagnien in Süd- und Südost-Asien, wo die europäische Überlegerüieit in der
Bewaffnung eine große Rolle beim Instandhalten der Beziehungen spielte. Das
Osmanische Reich stand der Westeuropäischen Expansion damals noch widerstands¬
fähig gegenüber. Erst im 19. Jh. wurden die Kapitulationen das Instrument der
ökonomischen und politischen Unterjochung.
In bezug auf Frankreich und später England und die RepublUc der Vereinigten
Niederlande, waren die Kapitulationen (^ahdnäme) Mittel der osmanischen Außen-
politüt geworden, um in das Netz der europäischen internationalen Beziehungen
einzudringen^. Das Gegenstück, osmanische Schalen oder Staffeln, blieb beschrärüct auf Venedig und einen Versuch in Antwerpen, der 1585 scheiterte^.
1 Cf. H. Wätjen, Die Niederländer im Mittelmeergebiet zur Zeit ihrer höchsten Machtstellung, Berün 1909,p. 134 u. nl.
2 Cf. H. inalcik, EP , s.v. .imtiyäzät '.
3 Cf P. Preto, Venezia e l Turchi, Firenze 1975 pp. 116-45. - J. A. Goris, ,Turksche Koop- lieden te Antwerpen in de XVIe Eeuw', Bijdragen tot de Geschiedenis van ... Brabant XIV (1922) 30-38.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
Einiges über die sogenannten Schalen der Levante 387
Das wichtige Element der Anwesenheit von Gruppen fremder Untertanen, „Na¬
tionen", in den Handelsplätzen der Levante ist die relativ lange Dauer des Aufent¬
haltes. Dadurch wurde ein gewisser, kultureller und gesellschaftlicher Kontakt
ermöglicht zwischen Muslimen und Christen im Gegensatz zum altherkömmlichen
Klischee von der gegenseitigen Isolierung. Die Art der Beziehungen machte es not¬
wendig, respektvoll miteinander umzugehen. Das trifft am besten zu in denjenigen Plätzen, wo die Zahl der kapitulationsgeschützten Nationen groß war.
Istanbul, das heißt speziell Galata und Pera (Beyo|lu), stand zentral im System
der Schalen, obwohl es nie der wichtigste Handelsplatz war. Die osmanischen Zen¬
tralbehörden und die europäischen Botschaften bildeten den kontrollierenden
Apparat der Kapitulationen. Rapporte, Korrespondenz und Memoiren von diplo¬
matischen Vertretern geben uns ein Bild des regen sozialen Verkehrs zwischen
Christ und Muslim.
Unter den Teilnehmern an diesem Verkehr sind es besonders die Dragomane, die
Dolmetscher und Mittelsmänner par excellence, die die wertvollsten Berichte über
die Lage der Levanteschalen erstattet haben. Zum Beispiel „Mouradgea" d'Ohsson,
Pietro Busineho, Marsigli, Donado, Testa sind Persönhchkeiten, die das System der
Kapitulationen eigentlich verkörperten.
Gut qualifiziert waren auch die Orientalisten, die von europäischen Universitä¬
ten ausgeschickt wurden, um Sprach-Praxis und Handschriften zu erwerben, z.B.
Jacobus Golius und Levinus Warnems aus Leiden, Antoine Galland aus Paris.
Zu Anfang des 17. Jh. bildete Aleppo das größte levantinische Zentrum. Vene¬
zianische, französische, englische und holländische Konsuln waren anwesend und
beobachteten die Kämpfe der verschiedenen Missionsorden. Das reichste europäi¬
sche Gemeinwesen im Osmanischen Reich wurde nach ungefähr 1650 Izmu. Dort
entwickelte sich eine kolonial anmutende Gemeinschaft an der sogenannten Rue
des Francs.
Unter der wohlwollenden Verwaltung der örtlichen osmanischen Behörden, des
kadis und besonders der mächtigen derebeys der Provinz aus dem Geschlechte
Karaosmanoglu, konnten sich wahre Dynastien von Kaufleuten bilden, wovon
einige bis auf den heutigen Tag florieren; Namen wie de Hbchepied, Kenn, van Len¬
nep, de la Fontaine, Whittall.
Die Nationen in Izmir besaßen Landgüter und Villen außerhalb der Stadt in den
Dörfern Bornova, Seydiköy und Hacilar. Es gab eine Anzahl eigener Kirchen (die
Niederländische Reformierte Kirche steht noch), Krankenhäuser und Friedhöfe*.
Auf Zypern, im syrischen Tripolis, Beirut, Sidon herrschten etwa vergleichbare Zustände. Das Leben in Kairo und Alexandrien galt als unangenehmer für Franken'.
Das war stärker der Fall ün nordafrikanischen Tripolis, Tunis und Algier, wo es
zwar viele Europäer gab, aber meist mit Sklavenstatus oder als Renegaten angesie¬
delt.
Das Studium der osmanisch-europäischen Kulturbegegnung in der Levante kann
ausgehen von den materiellen Nachlässen, den Archiven der Konsulate und Han-
4 Cf. A. H. de Groot, ,01d Dutch Graves at Istanbul',.4rc/»Vum Ottomanicum V, 1973, 5-16.
5 Cf. F. Charles-Roux, Les Echelles de Syrie et de Palestine au XVIIIe Siicle, Paris 1928, ist eine brauchbare Kompilation von französischen Quellen.
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delsorganisationen, jetzt in Marseille und Paris, London und Den Haag*. Vieles iiber
osmanische Lokalverwaltung, sogar viele Original-Urkunden befinden sich in den
Archiven des Direktoriums des Levantehandels im Haager Allgemeinen Reichs¬
archiv. Solche Kollektionen bilden ein wichtiges Supplement zu den anderen Quel¬
len der osmanischen Geschichte.
6 Cf. Über die Haager Levante-Archiyali^ berichtet A. H. de Groot, The Ottoman Empire and the Dutch Republic. A History of the Earliest Diplomatic Relations 1610-1630, Leiden- Istanbul 1978,231-65,340-4.
BERICHT ÜBER DAS WÖRTERBUCH DER MYTHOLOGIE
DER ALTEN KULTURVÖLKER
von H. W. Haussig, Bochum
Wenn der Herausgeber des mythologischen Wörterbuches sich jetzt in der Form
eines Berichtes an die wissenschaftliche Öffentlichkeit wendet, geschieht das, weil
das Werk nun mit dem Erscheinen der sechzehnten Liefemng mehr als die Hälfte
des geplanten Umfanges erreicht hat. Er will diese Gelegenheit benutzen, um die
noch nicht erschienenen Teile vorzustellen, gleichzeitig aber auch auf das Gmnd¬
sätzliche zu sprechen kommen, das fiir die Auswahl der Mythen für das Wörterbuch
maßgebend war.
Hier bedarf zunächst die Bezeichnung „Wörterbuch der alten Kulturvölker"
einer Erklämng. Man könnte hierin zunächst, wenn man von der politischen Welt¬
geschichte ausgeht, eine Beschränkung auf die Darstellung der Mythen der Völker
des alten Orients, Ägypter, Perser, Phönizier, Akkader und Ugariter und die grie¬
chisch-römische Antike, sehen. Das aber ist nicht gemeint. Wenn von alten Kultur-
völkem die Rede ist, muß diese Bezeichnung unabhängig von der Chronologie der
Weltgeschichte verstanden werden. Was für die zeitliche Begrenzung der Mythen¬
entwicklung un alten Ägypten gilt, ist nicht für andere Völker verbindlich. Ihre
Entwicklung und später ihre Kanonisiemng durch die Theologie der Priester war
dort um Jahrtausende früher abgeschlossen als etwa bei den Völkern in Europa, bei
deren Mehrzahl es durch die Annahme des Christentums nicht mehr dazu gekom¬
men ist.
Wo nur die in die Religion aufgenommene kanonisierte Form der Mythe erhalten
ist, wie in Ägypten, mußte von ihr aus rückschließend ihr älteres weit zurückliegen¬
des Entwicklungsstadium erschlossen und ihre ursprüngliche Form rekonstmiert
werden. Was aber auf diese Weise nicht mehr nachweisbar war, ließ sich zu einem
TeU durch eine mythische Überliefemng, die bei den sogenannten Autoehthonen
oder verwandten VöUcem noch bestand, rekonstmieren. Eine Darstellung der My¬
thologie der alten Kulturvölker darf also nicht auf die der Autoehthonen und der
ihnen verwandten Völker bei der Darstellung der Mythen verzichten.
Auf den ersten Band des Wörterbuches mit den Mythen der bekannten Hoch¬
kulturen der Hethiter, Akkader, Sumerer, Phönizier, Araber und Ägypter folgt
im zweiten Band mit Alteuropa die Darstellung der Mythen von Völkern, die eine
mit dem alten Orient vergleichbare Hochkultur nicht erreieht haben oder, von
Uiren überlieferten Mythen her gesehen, sich noch auf der Stufe von Autoehthonen
befanden. Allen diesen Völkern gemeinsam ist, daß sie die Schrift als Mittel der
XX. Deutscher OrientaMstentag 1977 in Erlangen