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Vordergründige und liöchste Walirheit im g^n s/on-Madhyamaka

Von Klaus-Dieter Mathes, Kathmandu

Die Einteilung in eine vordergrimdige (kun rdzob bden pä) und höchste Wahrheit (,don

dam bden pa) ist ein grundlegendes Kennzeichen des Madhyamaka, wenn nicht sogar

des ganzen Mahäyäna-Buddhismus. Obwohl es letztlich nur eine Wahrheit geben kann, wird neben der Wahrheit der wirklichen Beschaffenheit der Welt auch eine Wahrheit der alltäglichen Erfahrung dieser Welt mit all ihren Konventionen' usw. zugestanden.

Eine in den tibetischen Madhyamaka-Traditionen übliche Weise ist es, letztere dadurch von der höchsten Wahrheit zu unterscheiden, daß sie einer genauen Untersuchimg nicht standhält.^ Höchste Wahrheit bedeutet im Madhyamaka gewöhnhch, daß alle Gegeben¬

heiten dieser Welt ihrem Wesen nach leer sind. Direkte positive Bestimmungen dieser Leerheit werden normalerweise nicht vorgenommen.^

Während die Madhyamaka-Schulen aufder Ebene der höchsten Wahrheit gewöhn¬

lich nichts mehr gelten lassen, außer daß alle Gegebenheiten ihrem Wesen nach leer sind," beschreiben die Anhänger des gzan stori die höchste Wahrheit geme mit dem Yogäcära-Ausdmck "Vollkommenes" (yoris grub). Dieses "Vollkommene" ist im gzan stori zwar leer von anderem, den abhängig entstehenden Gegebenheiten, aber nicht leer von eigenen, unermeßlichen Eigenschaften. Es werden daher zwei "Arten des Leer- Seins" unterschieden: "Leer[heit] von einem Selbst" (tib. rariston) und "Leer[heit] von anderem" (tib. gzan stori).

Auf die Frage, was der wichtigste Unterschied zwischen ran stori und gzan stori wäre, antwortete Khenpo Tshultrim Gyamtsho Rinpoche, ein zeitgenössischer Vertreter des gzan stori, daß im Gegensatz zum ran ito« die Buddha-Qualitäten, der dharmakäya usw. nicht neu erworben werden, sondem lediglich in einem manifest werden, nachdem die Hindemisse der spirituellen Befleckungen beseitigt sind. Die Buddha-Qualitäten sind untrennbarer Bestandteil der höchsten Wahrheit. Aus der Erfahrung der eigenen Meditation schöpfend, lehrte Khenpo Tshultrim Gyamtsho Rinpoche:

"Da [die Natur des Geistes] untrennbare Offenheit und Bewußtheit, Klarheit und Leerheit,

' Siehe G. M. NAGAO: Mädliyamika and Yogäcära. New York 1991, S. 13-22.

' Siehe z.B. Sa skya Pandita: Sa pan lain dga ' rgyal mtshan gyi gsuri 'bum. Lhasa/Hsi Ning 1992, Vol. 1, S. 327, Z. 3-4 und Z. 12-15 (Gahs can rig mdzod. 23-25.).

' Siehe H. TauscheR: Die Lehre von den zwei Wirklichkeiten in Tsonkha pas Madhyamaka-Werken. Wien 1995, S.75.

* Siehe dazu P. Williams: Mahäyäna Buddhism. London 1989, S. 62.

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ist, können aus der Energie dieser [Natur des Geistes] ihre Freunde, die unermeßhchen Buddhakörper (sku) und die Weisheit, [nach Beseitigung der Makel] aufscheinen, so wie im klaren Himmel - wenn die Wolkendecke aufgerissen ist (sprin pa dari bral ba 'i) - bei strahlendem Licht ein Regenbogen erscheinen [kaim]. Daher gibt es in der gzin stori- Tradition [bereits] im 'Grundzustand' (d.i. im Bewußtseinsstrom einer gewöhnlichen Person) den dharmakäya, und dieser dharmakäya ist bei der Vollendung im Zustand eines Buddha nicht nur leer, nicht nur 'nicht-implizierende-Vemeinung', nicht nur Ruhe von geistig geschaffener Vielfalt und auch nicht, wenn die Skandhas aufgehört haben, nur überhaupt nichts, sondem die unermeßlichen, unausdrückbaren Qualitäten der Buddhakör¬

per und Weisheit, die auf untrennbare Offenheit und Bewußtheit gestützt sind."*

Solch eine Madhyamaka-Position nehmen u.a. die Jo naripa ein, für die die höchste Wahrheit nicht leer, sondem mit imtrermbaren besonderen Buddha-Qualitäten ausge¬

stattet ist. Wichtigster Vertreter dieser Richtung des Madhyamaka ist der Jo naripa-

Meister Dol po pa ses rab rgyal mtshan (1292-1361), der das erste Mal diese

Auffassung systematisch darlegte und gzan stori ("Leer-von-anderem")-Madhyamaka

nannte. Nach der tibetischen Tradition gelangte Dol po pa während einer langen

Meditation zu einem neuen Verständnis der kanonischen Literatur. Nachdem er begon¬

nen hatte, in Jo nari einen großen Stüpa zu bauen, verkündete er seine Erkenntnis des

gzan stori.'' Seine Auslegung der buddhistischen Sütras und deren indischer Kom¬

mentare hat im Westen bislang kaum Beachtung gefunden, so daß das gzan stori-

Madhyamaka meist nur kurz zusammengefaßt als die gegnerische, zu widerlegende Lehrmeinung bekannt ist.'

Erst in den letzten Jahren ist ein gewisses Interesse an der Erforschung des gzan stori entstanden. So steht z.B. Hookham die gzan iton-Sichtweise das erste Mal ausführlich

auf der Grundlage des Ratnagotravibhäga dar.' Nachdem nun Matthew Kapstein die

'Dzam thari-Ausgahc der gesammelten Werke von Dol po pa in Delhi veröffentlicht

' Khenpo Tshultrim Gyamtsho Rinpoche (Samye Ling, Schottland, April 1990, Tonbandaufnahme):

dbyins daii rig pa dbyer med pa dari gsal stori yin pa 'i phyir na/de 'i rtsal las sku dari ye ses kyi rogs pa bsam gyis mi khyab pa 'char thub gyi red/dper na sprin dari bral ba 'i nam mkha ' dvaris ba la 'od gsal yod na 'ja ' tshon ^ar gyi red /... / de yin dus gian stori kyi lugs la gzi 'i gnas lugs la chos sku yod red / 'bras bu saris rgyas pa 'i skabs su chos sku de stori rkyari med dgag tsam ma red /spros pa zi tsam yan ma red / phuri po 'gags son na ci yari med pa yari ma red / de nas dbyiris dari rig pa dbyer med pa de la brten te sku dari ye ses kyi yon tan bsam gyis mi khyab pa brjod du med red.

' Siehe C. STEARNS: Dol-po-pa Shes-rab rgyal-mtshan and the Genesis of the Gzhan-stong Position in Tibet, (noch nicht veröffentlichter Aufsatz).

' Siehe z.B. G.Newland: The Two Truths. New York 1992, S. 29-31, D. SEYFORT RuEGG: Le Traite du Tathägatagarbha de Buston rin chen grub. Paris 1973, S. 64, S. 122-128, DERS.: TTie Jo nari pas: A school of Buddhist ontologists according to the Grub mtha ' sei gyi me lari. In: JAOS 83, Nr. 1, S. 73-91. Im letztgenannten Aufsatz bezeichnet SeyfORT Ruegg das gian stori der Jo nah pas als "apparently un¬

Buddhist" (S. 74), J. Hopkins nennt es dem Vedänta ähnlich (Meditation on Emptiness. London 1983, S. 535).

» S. K. Hookham: The Buddha Within. New York 1991.

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Vordergründige und höchste Wahrheit im g^an 5ton-Madhyamaka 459

hat,' ist eine Grundlage geschaffen, sich ausftihrlicher mit Dol po pas Sichtweise zu befassen.

Zur Untersuchung der philosophischen Grundlage des gzan sfon eignet sich u.a. der erste Abschnitt eines bislang kaiun beachteten Werks von Dol po pa: "Die Sonne, die die zwei Wahrheiten erhellt".'" Dieser 45 Sehen umfassende Text ist allerdings schon in dem 1984 in Delhi nachgedruckten ersten Band der bhutanesischen sPa sgro skyid cA«-Ausgabe enthalten. Obwohl Tauscher in seiner kiuzlich erschienenen Studie über die zwei Wirklichkeiten m Tsoh kha pas Madhyamaka-Werken auf verschiedene Stellen dieses Textes zur Darstellung der gegnerischen Jo nanpa-Position eingeht, hahe ich es für sinnvoll, trotz einiger Überschneidungen Dol po pas Begründung seiner kontro¬

versen Definitionen der beiden Wahrheiten zusammenhängend darzustellen." Aufgnmd der gebotenen Kiuze sind allerdings nur die wichtigsten Zitate berücksichtigt.

Gleich zu Beginn steht Dol po pa seine provokativen Definitionen der beiden Wahr¬

heiten vor:

"Was zum einen Gegenstand [gewöhnlichen] Bewußtseins und zum anderen in bezug auf seine Beschaffenheit leer von einer wahren eigenen Natur ist, das ist das Wesensmerkmal der vordergründigen Wahrheit."'^

"Was zum einen Gegenstand der heiligen Weisheit der Ehrenwerten und zum anderen in bezug auf seine Beschaffenheit nicht leer von einer wahren, jeweils eigenen Natur ist, das ist das Wesensmerkmal der höchsten Wahrheit."'^

Das Besondere an Dol po pas Definitionen ist es, daß die beiden Wahrheiten dahin¬

gehend unterschieden werden, daß das Vordergründige seinem Wesen nach leer {rari

stori) ist, während die höchste Wahrheit leer von anderem {gian stori), nicht aber von den unermeßlichen Eigenschaften eines Buddha ist.

Um dies zu verdeutlichen, zitiert Dol po pa den Mahäyänasüträlamkära:'"

"Indem die Realität verdeckt ist, erscheint den Toren in jeglicher Hinsicht Nicht- Wirkliches. Die Reahtät aber erscheint vollständig den Bodhisattvas, nachdem sie dieses

' Siehe M. KapsteH'.: TTie 'Dzam-Thang Edition of tlte Colleeted Works of Kun-mkhyen Dol-po-pa Shes-rab rGyal-mtshan: Introduction and Catalogue. Delhi 1992.

Dol po pa: Chos rje thams cad mkhyen pa dus gsum sahs rgyas dol po 'i bka ' bden gnis gsal ba 'i hi ma zes bya ba bzugs so. In: Kun mkhyen dol po 'i gsuh 'bum, Delhi 1984, Vol. 1 (ka), S. 1-45.

" So fuhrt Tauscher z.B. in seiner Einleitung lediglich Dol po pas Verständnis einer Lahkävatärasüträ und Akutobhayä-SteWe an, die für sich allein genommen nicht sehr überzeugend sind (op. cit [Anm. 3], S.

69-71).

Dol po pa: op. cit. (Anm. 10), S. 4, Z. 1-2: mam ^es kyi yul gah zig / giis la ran gi ho bo bden pas stoh pani / kun rdzob bden pa 7 mtshan nid. ..

" Ibid., S. 4, Z. 2-3: 'phags pa 'iye ses dam pa 'iyul gah zig/gzis la rah ran gi ho bo bden pas mi stohpa ni/ don dam bden pa 'i mtshan nid de /.

Mahäyänasüträlarnkära XIX 53-54: tattvam samchädya bälänäm ataltvam khyäti sarvatah / tattvam tu bodhisattvänäm sarvatah khyäty apäsya tat II (XIX 53) akhyänakhyänalä jneyä asadarthasadarthayoh / äärayasya parävrttir mokso 'sau kämacäratah (XIX 54). [S. LEVI (ed.): Mahäyänasüträlamkära. Paris 1907, Vol.l].

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[Nicht-Wirkliche] beseitigt haben. Das Nicht-Erscheinen von Nicht-Existentem und das Erscheinen von Existentem soll als Umwandlung der Grundlage gewußt werden. Diese ist die Befreiung, da [darm] Handlungen spontan (kämacära) sind."

Für Dol po pa existiert somit das Vordergründige in Wirklichkeit nicht und ist des¬

wegen leer von einem Selbst (rariston). Es erscheint dem gewöhnlichen Bewußtsein, der Weisheit hingegen nicht. Das Höchste existiert in Wirklichkeit tmd ist deswegen nicht leer von einem Selbst, es ist leer von anderem (gzan ston). Es erscheint der Weisheit, dagegen aber mit Sicherheit nicht gewöhnlichem Bewußtsein. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Verweis auf rJe Pho ri ba, der offensichtlich schon vor Dol po pa die vordergründige Wahrheit als "leer von einem Selbst" (rariston) und die höchste Wahrheit als "leer von anderem" (gzan ston) faßt.'*

Wichtig für Dol po pa, der sich als Vertreter des Madhyamaka versteht, ist natürhch,

daß seine Aussage im Einklang mit Nägärjima ist. Er zitiert daher Müla¬

madhyamakakärikä XVIII, 19, wo es heißt:

"Nicht von anderem abhängig, Ruhe, nicht künstlich durch Gedanken geschaffen, vorstellimgsfrei, frei von Unterscheidung, dies ist das Wesensmerkmal der Wirklichkeit.""' Es scheint, daß ftfr Dol po pa das Höchste hier mit den Atfributen "Ruhe" tmd "nicht von anderem abhängig" durchaus positiv gefaßt und lediglich leer von anderem, Gedanken, Vorstellimgen, Unterscheidungen, kurz leer von den weltkonstitutiven Faktoren, ist. Anhänger des gzan stori weisen darauf hin, daß Nägärjuna ja auch in Werken wie dem Dharmadhätustava das Höchste positiv beschreibt."

Bedeutend für das ^an jron-Madhyamaka sind vor allem aber die Yogäcära-Werke.

Zur Erläuterung der beiden Wahrheiten macht Dol po pa nämlich ausfuhrlich von dem Yogäcära-Konzept der drei Beschaffenheiten Gebrauch. Jede Gegebenheit hat in dieser Schulrichtung eine vorgestellte Beschaffenheit (parikalpitasvabhäva), d.h. das, was wir in die Dinge hineinprojizieren, eine abhängige Beschaffenheit (paratantrasvabhäva), d.i. der in Abhängigkeit entstehende Sfrom von Geistesfaktoren und eine vollkommene

Beschaffenheit (parinispannasvabhäva),'' die mitimter mit dem wahren Wesen der

Gegebenheiten, der sfrahlenden Lichtnatur des Geistes und anderen positiven Attributen gleichgesetzt wird. Zur Erläuterung seiner Auffassung von der höchsten Wahrheit zitiert

Dol po pa Vasubandhus Süträlamkärabhäsya zum ersten Vers des Kapitels über die

Realität, wo es heißt, daß die höchste Wahrheit nicht als Vorgestelltes und Abhängiges, wohl aber als Vollkommenes existiert. Sie ist weder dasselbe noch wirkhch verschieden

" Siehe Dol po pa: op. cit. (Anm. 10), S. 5, Z. 5-6.

" Mülamadhyamakakärilcä XVlll, 9: aparapratyayam ääntam prapancair aprapancitam / nirvikalpam anänärtham etat tattvasya lalesatiam // [ J. W. DE JONG (ed.): (MülaMadhyamalcakäriliäh. Adyar (Madras) 1977]. Das von Dol po pa gegebene tibetische Zitat weicht an einigen Stellen ab.

Siehe Koh sprul blo gros mtha' yas: Ses bya Icun khyab mdzod Beijing 1982, Vol.l, S. 460, Z. 2-4.

Siehe E. Frauwallner: Die Philosophie des Buddhismus. Berlin 1956. S. 280 f

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Vordergründige und höchste Wahrheit im g^n 5/on-Madhyamaka 461

vom Vorgestellten und Abhängigen, und die höchste Wahrheit ist keiner Verändenmg unterworfen:

"Nicht-Zweiheit ist die höchste Wahrheit. ... Sie ist 'weder [Sein]', [d.h.] nicht als Wesens¬

merkmal des Vorgestellten und Abhängigen. 'Noch [Nichtsein]', [d.h.] als Wesens¬

merkmal des Vollkommenen. 'Weder dasselbe', da das Vollkommene nicht eins mit dem Vorgestellten tmd Abhängigen ist. 'Noch verschieden', da es von diesen beiden nicht ver¬

schieden ist. 'Weder entsteht [die höchste Wahrheit] noch vergeht [sie]', da der dharmadhätu überhaupt nicht bedingt ist. 'Sie nimmt weder ab noch zu', da sie beim Aufhören der [spirituellen] Befleckungen und beim Einsetzen der Läuterung [stets] im [unveränderlichen dharmadhätu] verweilt. 'Sie wird weder gereinigt', da sie von Natur aus nicht befleckt ist, 'noch nicht gereinigt', da die hinzutretenden Makel verschwinden."

[Grundtext in '...']."

In seinem Ri chos ries don bezieht Dol po pa die vorgestellte und abhängige Be¬

schaffenheit auf die vordergründige Wahrheit. Während die vorgestellte Beschaffenheh nicht als eigenes Wesensmerkmal existiert, ist das Abhängige leer von einem Selbst

(ran stori). Das Vollkonunene, in dem es die ersten beiden Beschaffenheiten in

Wirklichkeit nicht gibt, ist die höchste Wahrheit. Sie ist ihrem Wesen nach nicht leer imd wird u.a. als strahlende Lichtnatur und natürliche, gleichzeitig entstandene Weisheh gefaßt.^" Die höchste Wahrheit existiert also als wahres Wesen der Gegebenheiten,

Natur des Geistes und dergleichen. Sie bleibt in Wirklichkeit unberührt von den

weltkonstitutiven Faktoren, die zwar als etwas existieren, das in Abhängigkeit von anderem entsteht, ihrem wahren Wesen nach aber leer sind. Zusammen mit dem Vorge¬

stellten bildet das Abhängige die vordergründige Wahrheit. Beide Wahrheiten sind

wegen ihres unterschiedlichen ontologischen Status nicht dasselbe. In Wirklichkeit sind sie aber auch nicht voneinander getrermt, da das Vollkommene nicht etwa etwas ist, das femab von der Welt existiert, sondem als wahres Wesen des Abhängigen omnipräsent ist. Im folgenden werden wir sehen, daß Dol po pa mit seinem ausführlichen Zitat des Süträlamkärabhäsya nicht nur seine gzan 5to«-Position erläutert, sondem auch bemüht

ist, mit den hier vertretenen Yogäcära-Positionen philosophische Einwände aus¬

zuräumen.

1. Der erste Einwand, den Dol po pa wohl einem Großteil seiner Zeitgenossen und

späteren Gegner uiunittelbar vorwegnahm und -nimmt, lautet, daß doch auch die

" Süträlamkärabliäsya zu Matiäyänasüträlamicära VI,1 : advayärtho hi paramärthah /... / na sat pari- lialpitaparatantralaksanäbhyäm na cäsat parinispannalaksanena / na tathä parilcalpilaparalanträbhyäm parinispannasyailian>äbhävät / na cänyathä täbhyärn evänyatväbhävät / na jäyate na ca vyety anabhisamsloiatväd dharmadhätoli /na hiyate na ca vardhate sarnklesavyavadänapalisayor nirodhotpäde tadavasthä(Text ajtvät / na viäudhyati pralcrtyasarnklistatvät (!) na ca na visudhyati ägantuko- paklesevigamät /... [L6vi (ed.); op. cit. (Anm. 14), S. 22],

Dol po pa: Ri chos ries don rgya mtsho zes bya ba mthar thug thun mori mayin pa 'i man riag. In: Kun mkhyen dolpo pa'i gsuri 'bum. Kathmandu 1988, Vol. vam, fol. 190b5-191al.

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höchste Wahrheh im Madhyamaka wie alle Gegebenheiten ihrem Wesen nach leer ist.

Geschickterweise verweist Dol po pa u.a. auch bzw. gerade auch auf Nägärjunas

Dharmadhätustava, wo es heißt, daß alles, was der Buddha in den Sütras, die die

Leerheit lehren, gesagt hat, gegen die spirituellen Befleckungen gerichtet ist und dem

[Buddha-]Element (khams) keinen Schaden zufugt. Dabei habe Nägärjuna daran

gedacht, daß die spirituellen Befleckungen das Vordergründige und leer von einem Selbst (raristori) sind und daß das [Buddha-]Element die höchste [Wahrheit] ist, die leer von anderem ist (gzan stori)}'

Auch in den Yogäcära-Werken sei mit der natürhchen Leerheit (prakrtisünyatä) die Leerheit von anderem (gzan stori) trefflich zum Ausdruck gebracht. Im Madhyänta¬

vibhäga heißt es:

"Die Leerheit wird als [die der] Nicht-Existenz, [des] Nicht-so-Existieren[s] und als natürliche [Leerheit] gefaßt."^^

Und im Mahäyänasüträlamkära:

"Erst wenn man die Leerheit des Nicht-Existierens erkannt hat und die Leerheit des Nicht- so-Existierens und erst wenn man die natürliche Leerheit erkannt hat, dann gih man als ein Kenner der Leerheit.""

Vasubandhu bezieht in beiden Fällen die Leerheit des Nicht-Existierens auf das

Vorgestellte (parikalpita), die Leerheit des Nicht-so-Existierens auf das Abhängige (paratantra) und die natürliche Leerheit auf das Vollkommene (parinispanna). Bei den ersten beiden Beschaffenheiten, so Dol po pa, habe Maitreya an die vordergründige Wahrheit, an Leerheit von emem eigenen Selbst, gedacht. Bei der natürhchen Leerheit,

dem Vollkommenen, an die höchste Wahrheit, an die LeerheU von anderem. Dies gehe

auch aus Madhyäntavibhäga 1,20 hervor:

"Nicht-Existenz einer Person und der Gegebenheiten ist diesbezüglich (d.i. in bezug auf die 14 Leerheiten) die Leerheit. Das in deren Nicht-Existenz bestehende wirklich

2' Dol po pa: Chos rje thams cad mtdiyen pa dus gsum sans rgyas dolpo 'i bka ' bden giiis gsal ba 'i iii ma zes bya ba bzugs so. [op. cit. (Anm. 10), S. 8, Z. 1 - 3].

Madhyäntavibhäga II1.6cd: abhäva^ cäpy atadbhävah prakriih Sünyatä matä [G.M. Nagao (ed.):

Madhyäntavibhägabhäsya. Tokyo 1964]. Vasubandhu bezieht diese drei Arten der Leerheit aufdie drei Beschaffenheiten. Leerheit der Nicht-Existenz bedeutet demnach, daß das Merkmal des Vorgestellten in keinster Weise existiert. Leerheit des Nicht-so-Existierens bedeutet, daß das Merkmal des Abhängigen zwar nicht so existiert, wie man es sich vorstellt, aber andererseits auch nicht vollkommen nicht existent ist.

Natürliche Leerheit ist das Merkmal des Vollkommenen, das Wesen der Leerheit (vgl.

Madhyäntavibhägabhäsya zu ni.6cd). Siehe auch Madhyäntavibhägatikä zu Madhyäntavibhäga III, 6cd, wo von der prakrtisünyatä, dem Wesen der Leerheit (Sünyatäsvabhäva), gesagt wird, daß sie ihrem Wesen nach die Nichtexistenz von Zweiheit ist [S. YAMAGUCHI (ed.): Madhyäntavibhägatikä. Nagoya 1934].

^' Mahäyänasüträlamkära XTV, 34: abhävaSünyatämjnätvä tathäbhävasya Sünyatäm / prakrtyä sünyatäm jnätvä sünyajna iti kathyate//. [LEVI (ed.): op. cit (Anm. 14)].

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Vordergründige und höchste Wahrheit im g^n j/on-Madhyamaka 463 Existierende ist eine davon verschiedene Leerheit.""

Im weiteren verweist Dol po pa auf Ratnagotravibhäga I, 155:

"Das [Buddha-]Element ist leer von Akzidentellem, dessen Merkmal es ist, abgetrennt werden zu können. Es ist nicht leer von den höchsten Qualitäten, die sich dadurch auszeichnen, daß sie untrennbar [mit dem Element] verbunden sind.""

Kaum eine andere Stelle belegt besser, daß die höchste Wahrheit nicht wie alle Gegebenheiten ihrem Wesen nach leer, sondem mit untrennbaren besonderen Qualitäten ausgestattet ist.

2. Als nächstes beschäftigt sich Dol po pa mit dem Einwand, daß die höchste Wahrheit

unter keinen Umständen Erkeimtnisgegenstand sein kann. Ein möglicher Opponent

könnte sich nämlich auf den Bodhicaryävatära bemfen, wo es heißt, daß die [höchste]

Wahrheit nicht Gegenstand von Erkenntnis ist.^' Da die höchste Wahrheit also nicht Gegenstand irgendeiner Form der Erkeimtnis ist, könne sie auch nicht Erkenntnisgegen¬

stand der Weisheit sein." Dies, so Dol po pa, stimmt nicht, da bei solchen Zitaten

immer nur der Verstand auf der Ebene vordergründiger Wahrheit gemeint ist. Im

weiteren verteidigt sich Dol po pa mit einem Zitat aus dem Ratnagotravibhäga, wo es heißt:

" Madfiyäntavibliäga I, 20: gari zag dari ni chos rnams kyi / driospo med 'dir stori pa nid//de dnos med pa 'i drios yod pa / / de ni de las stori riid gzan / [Dol po pa: op. cit (Anm. 10), S. 9, Z. 2-3], skr.

pudgalasyätha dharmäriäm abhävah sünyatätra hi / tadabhävasya sadbhävas tasmät (Text: tasmin) sä sünyatäparä //[Nagao (ed.): op. cit (Anm. 22), S. 26]. Diese beiden Leerheiten sind die Leerheit der

Nicht-Existenz (abhävasünyatä) und die Leerheit des Wesens der Nicht-Existenz

(abhävasvabhävasünyatä) (vgl. Madhyäntavibhägabhäsya zu Madhyäntavibhäga 1,16). Sie sind die letzten beiden von insgesamt 16 Leerheiten, die im Madhyäntavibhäga allerdings etwas anders als im Madhyamaka erklärt werden. Sthiramati erläutert in semer Madhyäntavibhägatikä die beiden Leerheiten wie folgt: "Die Nicht-Existenz einer Person und Gegebenheiten ist die Leerheit der Nicht-Existenz. Das Existierende dieser Nicht-Existenz ist die Leerheit des Wesens der Nicht-Existenz. ... Die Leerheit der Nicht-Existenz ist dargelegt, um das fälschliche Zuschreiben einer Person und Gegebenheiten zu beseitigen, die Leerheit des Wesens der Nicht-Existenz, um das fälschliche Vemeinen der Leerheit von diesen zu beseitigen (... gari zag dari chos drios po med pa ni drios po med pa stori pa riid do // drios po med pa de 'i drios po yod pa ni drios po med pa'i rio bo riid stori pa riid do (skr. nicht vorhanden) ... pudgala- dharmasamäropasya parihärärtham abhävaiünyatäm vyavasthäpayati / tacchünyatäpavädapari- (ab hier rekonstruiert)-AärärrAam cäbhävasvabhävaSünyatäm /) [YAMAGUCHI (ed.): op. cit. (Anm. 22), S. 57].

" Ratnagotravibhäga 1,155: Sünya ägantukair dhäluh savinirbhägalaksanaih / asünyo 'nuttarair dharmair avinirbhägalaksanaih / [E. H. JOHNSTON (ed.): TTie Ratnagotravibhäga Mahäyänottaratantrasästra. Patna 1950]. Siehe S. K. Hookham: op. cit. (Anm. 8), S. 229 ff. und H. TAUSCHER: op. cit. (Anm. 3), S.381.

^' Siehe Bodhicäryävatära lX,2b: / buddher agocaras tattvam buddhih sarnvrtir ucyate //. Die Wirklichkeit ist nicht Gegenstand von Erkenntnis. Die Erkenntnis wird als vordergründige [Wahrheit] bezeichnet [P. L.

Vaidya (ed.): Bodhicaryävatära of Säntideva with the commentary Parijikä of Prajnäkaramati. Darbhanga 1960 (Buddhist Sanskrit Text. 12.)].

" Eine solche Position vertritt z.B, gem. Go ram pas ^es don rab gsal ein gewisser "bZad pa " (nach TaUSCHER wahrscheinlich bZad/bZari pa Dar ma 'od oder bZad/bZari pa Don grub, die in der ersten Hälfte des 13. Jh.s 3. und 4, Abt von gSari phu sMad waren): Die bloßen Erkenntnisobjekte umfaßten lediglich die vordergründige Wahrheit, höchste Wahrheit sei nicht Erkenntnisobjekt (siehe Tauscher: op. cit (Anm. 3),S. 184-5).

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"...Soheit, ... die makellosen Buddha-Qualitäten und die Aktivität der Siegreichen sind [Erkenntnis-]Gegenstand derjenigen, die die höchste Wahrheit sehen..

Nach Hookham impliziert der Begriff "[Erkeimtnis-]Gegenstand" (yul) hier nicht eine duahstische Wahmehmimg dergestalt, daß ein erfassendes Subjekt einen zu erfassenden Gegenstand wahmimmt. Vielmehr realisieren Buddhas und Bodhisattvas die Soheit, die Buddha-Qualitäten usw. direkt, d.h., daß die Soheit, die makellosen Buddha-Qualitäten und die Aktivität der Siegreichen letztlich nichts anderes als Buddha-Weisheit sind."

Auch zu diesem Punkt fuhrt Dol po pa noch eine Reihe von Zitaten aus Yogäcära- und

Madhyamaka-Lehrwerken an.

3. Der nächste Einwand ist mm, daß das Vordergründige selbstverständlich Erkennhiis- gegenstand der Weisheit sei, heißt es doch in Mahäyänasüträlamkära IX,33:'''

"So wie die Welt durch die ersten Sonnenstrahlen erhellt wird, derart erhellt die Weisheit des Buddhas auf einmal alle Wissensobjekte."

Somit erscheinen doch der Weisheit alle Wissensobjekte, also auch das Vordergründige.

Dol po pa entgegnet:

"So wie [es] in diesem Zitat [heißt, daß] durch die Sonnenstrahlen die Welt erhelU wird, so werden durch die Weisheit des Buddha alle Wissensobjekte gewußt (mkhyen pa). Damit ist gelehrt, daß [die Weisheit] zu [den Wissensobjekten] hin erhelh, und nicht, daß [diese]

zur [Weisheit] hin erscheinen."^'

Außerdem heißt es in demselben Lehrwerk, daß das Wirkliche in Erscheinung tritt,

nachdem der Bodhisattva dies (d.i. die Makel) beseitigt hat. In Vasubandhus Kom¬

mentar dazu wird erklärt, daß dem Bodhisattva ntu- noch das Wirkliche erscheint und

nicht mehr das Unwirkliche. Was nun das Verhältnis der Buddha-Weisheit zum

Vordergründigen angeht, so erscheint die gewöhnliche Welt nicht dem Buddha, der

Buddha keimt (mkhyen pa) vielmehr die ganze Welt. Im weiteren wird mit Hilfe von

Sütras, Madhyamaka- und Yogäcära-Lehrwerken gezeigt, daß die Annahme, das

Vordergründige erscheine der Buddha-Weisheit, zu Widersprüchen führt.

''Ratnagotravibhäga 1,23:... tathatätha ... vimalä buddhagunäjinakriyä / visayahparamärthadaräinäm...

[Johnston (ed.): op. cit. (Anm. 25)].

" H00K.HAM: op. cit (Anm. 8), S.193.

'° yathä süryaikamuktäbhai rasmibhir bhäsyate jagat I sakrt jneyam tathä sarvarn buddhajnänaih prabhäsyate //. [Levi (ed.): op. cit (Anm. 14)].

Dol po pa: op. cit (Anm. 10), S. 13, Z. 1-2: luri des iii ma'i 'od zer gyis 'gro ba snari bar byedpa Itar/

saris rgyas ye Ses kyis Ses bya thams cad mkhyen pas phar (Text bar) snari byed ces par ston gyi / tshur snari ma yin te. Entscheidend ist hierbei für Dol po pa, daß ein Buddha keine gewöhnlichen, durch Prägungen (bag chags) hervorgerufene Erscheinungen der Welt mehr hat (tshur snari). Er kennt zwar die Erscheinungen anderer Bewußtseinsströme (im Yogäcära ist die Welt lediglich durch diese konstituiert), indem seine Weisheit zu diesen hin erhelh (phar snari), das bedeutet aber nicht, daß diese wie durch eigene Prägungen bedingt in Erscheinung treten.

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Vordergründige und höchste Wahrheit im g^n s^on-Madhyamaka 465

4. Der vierte Einwand ergibt sich nun unmittelbar aus dem vorher Gesagten: Falls dem

Buddha das Vordergründige dann eben nicht erscheint, dann ist er auch nicht

allwissend. Dies folge, so Dol po pa, nicht. Obwohl die Gegebenheiten aller Zeiten nicht in Erscheinung treten, so kermt sie ein Buddha doch, so wie man sich, nachdem man wach geworden ist, zwar an das Geträumte erirmert, es aber nicht mehr direkt sieht.

Ebenso erscheinen einem Buddha zwar nicht mehr die Gegebenheiten dieser Welt, er

kennt die Gegebenheiten aber, indem er ihr wahres Wesen direkt sieht. Dol po pa führt dies u.a. mit dem Ratnagotravibhäga 1,16 weiter aus. Dort heißt es:

"[Weisheit in bezug auf] das 'Wieweit-Vorhandensein' ergibt sich daraus, daß der [erleuchtete] Geist, der die Wissensobjekte völlig durchdringt, sieht, daß das wahre Wesen {dharmatä) des Allwissenden in allen Lebewesen vorhanden ist.""

5. Der letzte Einwand lautet, daß die zwei Wahrheiten dann ihrem Wesen nach ja

verschieden wären:" Da die beiden Wahrheiten jeweils Gegenstand zweier unter¬

schiedlicher Arten von Erkeimtnis sind tmd auch die Arten des Leer-Seins verschieden sind, sind die beiden Wahrheiten ihrem Wesen nach verschieden. Dol po pa entgegnet, daß

"die beiden Wahrheiten dem Wesen nach weder als dasselbe noch als etwas verschiedenes (wtl. anderes) zu bezeichnen sind. [Zwischen ihnen besteht lediglich] der Unterschied der Negation von Identität {gcigpa bkagpa 7 tha dad pa)."'^*

" Ratnagotravibhäga 1,16: yavadbhavilcatä jrieyaparyantagatayä dhiyä / sarvasatrvesu sarvajnadharma- tästitvadarsanät [JOHNSTON (ed.): op. cit (Anm. 25)].

" Vor allem Gelehrte, die sich der dGe lugs pa-Überliefemng verpflichtet fühlen, hegen diesen Einwand gegen dieVo nari pas. So erklärt z.B. Newland, ohne sich allerdings direkt auf die Texte Aer Jo nari pas zu beziehen, daß fur Dol po pa die zwei Wahrheiten "different entities (rio bo lha dad pa)" seien [op. cit (Anm. 7), S. 30]. Er beraft sich dabei auf Seyfort RUEGG, HOPKINS und Thurman (ibid, S. 260).

" Dol po pa: op. cit (Anm. 10): bden gnis ni rio bo de riid dari gzan du brjod du med pa gcig pa bkag pa 'i tha dad pa yin te (S. 23, Z. 2-3). Siehe dazu auch Dol po pa: bKa bsdu bzi pa 'i don gtan tshigs chen po.

In: Kun mkhyen dol po 'i gsuri 'bum. Delhi 1984, S. 366, Vol. 1 (ka), Z. 6 - S. 367, Z. 2: bden griis rio bo gcig pa mi srid la / rio bo tha dad pa yari ma yin ziri / tha dad gtan nas med pa 'an ma yin te I rio bo gcig pa bkag pa 7 tha dad do / 'di riid la ni rio bo de riid dari / gzan du brjod du med ces gsuris pa ste / chos dari chos riid la yari tshul 'di riid I. TauSCHERs Wiedergabe des letzten Satzes mit "Etwas hat nicht das (eine) Wesen und [gleichzeitig] das auf andere Weise bezeichnete, so heißt es. ..." [op. cit. (Anm. 3), S. 192] halte ich für problematisch. Mit de riid dari gzan, skr. tattvänyatva, ist auch hier wie im Madhyänta¬

vibhägabhäsya [siehe Nagao (ed.)., op. cit (Anm. 22), S.23, und Karmapä Tanjur. Rumtek/Delhi, o.J., sems tsam, Bi, 4b 1] Identität und Verschiedenheit ausgedrückt. Auch nimmt das 'di riid den unmittelbar vorangegangenen terminus technicus "Unterschied der Negation von Identität" auf Dieser wird dann im folgenden näher bestimmt: Zwischen den beiden Wahrheiten ... besteht der Unterschied der Negation von Identität. Genau dieser soll weder als "dem Wesen nach gegebene Identität" noch als "[dem Wesen nach gegebene] Verschiedenheit" bezeichnet werden. In Anlehnung an den Dharmadharmatävibhäga, in dem das als Beispiel genannte Verhältnis von chos und chos riid genau beschrieben ist, hat man wohl zu verstehen, daß sich ein Unterschied lediglich durch die Vemeinung einer dem Wesen nach gegebenen Identität ergibt. Dabei impliziert diese Negation nicht ihr Gegenteil, eine dem Wesen nach gegebene Verschiedenheit.

(10)

Obwohl somit die Identität der beiden Wahrheiten negiert wird, ist damit nicht impliziert, daß sie völhg verschieden sind." Dabei beruft sich Dol po pa auf das dritte

Kapitel des Sarndhinirmocanasütra}'' wo es heißt, daß sowohl die Aimahme von

Identität als auch von Verschieden-Sein vier Fehler hat. Dies wird darm wie folgt zusammengefaßt:

"Das Merkmal des Bereichs der bedingten [Gegebenheiten] (von Dol po pa mit vordergründiger Wahrheit gleichgesetzt) und des Höchsten ist das Merkmal des Weder- gleich-noch-verschieden-Seins. Wer sich Gleich-Sein bzw. Verschieden-Sein vorstelh, der hat [dies] nicht in angemessener Weise erkannt.""

Im folgenden zitiert Dol po pa ausfuhrlich den Dharmadharmatävibhäga, wo es

heißt, daß Gegebenheiten tmd ihr wahres Wesen weder dasselbe noch wirklich vonein¬

ander getrermt sind. Gegebenheiten imd ihr wahres Wesen stehen im Dharma¬

dharmatävibhäga, so Dol po pa, für vordergründige und höchste Wahrheit. Sie sind wegen ihres unterschiedlichen ontologischen Status zwar nicht dasselbe, in Wirklichkeit unterscheiden sie sich aber insofem nicht, als das wahre Wesen der Gegebenheiten

{dharmatä) lediglich durch die Abwesenheit eben dieser Gegebenheiten {dharma)

gekennzeichnet ist.'* Mit anderen Worten, die höchste Wahrheit ist als die Tatsache, daß die als Subjekt und Objekt in Erscheinung tretenden Gegebenheiten nicht wirklich so existieren, im Vordergründigen stets gegenwärtig und somit nicht wirklich davon ver¬

schieden."

Nachdem er sich mit diesen fiuif möglichen Einwänden beschäftigt hat, faßt Dol po pa seine Position im nächsten Gliedemngspunkt noch einmal zusammen:

"Das Vordergründige ist wahr, insofem es [gewöhnlichem] Bewußtsein bzw. dem

" Siehe dazu TauSCHER: op. cit. (Anm. 3), S. 189.

" Darin erklärt der Buddha, von dem Bodhisattva SuviSuddhamati gefragt, das Verhältnis zwischen Bedingtem und Höchstem.

" Dol po pa: op. cit (Anm. 10), S. 24, Z. 1-2: 'du byed tdiams dati don dam mtshan nid ni //gcig dari tha dad bral ba 'i mtshan riid de//gcig dari tha dad nid du gari rtog (Text rtogs) pa/ / de dag tshul bzin ma yin zugs pa yin/.

Dharmadharmatävibhägakärikä Z. 38-41, siehe K-D. MaTOES: Unterscheidung der Gegebenheiten von ihrem wahren Wesen. Odendorf 1996 (Indica et Tibetica. 26.), S. 105, siehe auch Übersetzung der Dharma- dharmatävibhägavrtti {ibid., S. 122).

" Vor diesem Hintergmnd scheint es fraglich, ob Dol po pas Position wirkhch so eindeutig die Theorie des satyadvayayuganaddha ausschheät (siehe M.Broido: "The Jo-nang Pas on Madhyamaka: A Sketch". In:

Tibet Joumal 14/1 (1989), S. 88). Mit Hilfe des Yogäcära versucht doch Dol po pa zu zeigen, daß man aus seinen Definitionen der beiden Wahrheiten nicht deren wirkliche Verschiedenheit folgem kann. Auch Mi pham fuhrt in seinem Kommentar zum Mahäyänasüträlarnkära VI, 1, der mit denselben Argumenten wie der Dharmadharmatävibhäga die Nicht-Verschiedenheit der beiden Wahrheiten nachzuweisen bemüht ist, seine satyadvayayuganaddha-Theone aus (Theg pa chen po mdo sde 'i rgyan gyi dgoris don theg mchog bdud rtsi 'i dga 'ston ces bya ba bzugs so. In: sDe dge dgon chen spar ma / 'Jam mgon Mi pham rgya mtsho.

sDe dge dgon chen prints of the writings of 'Jam mgon 'Ju Mi pham rgya mtsho (Nachdmck durch Jamyang Khyentse, Kathmandu, Pothi-Format). Kathmandu 1987, Vol. A, S. 96).

(11)

Vordergründige und höchste Wahrheit im g^an ston-Madhyamaka 467 getäuschten [Geist] erscheint, und nicht wahr, insofem es Weisheit bzw. dem nicht getäuschten [Geist] nicht erscheint. Es ist leer von einem Selbst (rariston), derart, daß es in bezug auf seine Beschaffenheit seinem Wesen nach leer ist. Das Höchste ist dem entgegengesetzt."""

Als Beleg fuhrt Dol po pa den locus classicus für die beiden Wahrheiten in Nägärjiuias Akutobhayä an:

"... Was die sogenaimte weltliche, vordergründige Wahrheit angeht, ... so ist sie das Sehen, daß Gegebenheiten entstehen. Da dies für eben jene [gewöhnlichen Leute]"' auf der vordergründigen [Ebene] ausschheßhch wahr ist, ist es die vordergründige Wahrheit. Die höchste Wahrheit ist - indem die Ehrenwerten [die höchste Wahrheit] in korrekter Weise verinnerlichen - das Sehen, daß alle Gegebenheiten nicht entstehen. Da dies für eben jene [Ehrenwerten] auf der höchsten [Ebene] ausschließlich wahr ist, ist es die höchste Wahrheit ...""^

Dies erläutert er folgendermaßen:

"[Damit] hat Nägärjuna gesagt: Das Vordergründige existiert als vordergründige Wahrheit, jedoch nicht auf der Ebene höchster [Wahrheit]. Das Höchste existiert auf der Ebene

höchster [Wahrheit], jedoch nicht auf der Ebene vordergründiger [Wahrheit]. 1st etwas auf der Ebene vordergründiger [Wahrheit] nicht wahr, so widerspricht es der vordergründigen Wahrheit. Ist etwas aufder Ebene höchster [Wahrheit] nicht wahr, so widerspricht es der höchsten Wahrheit.""'

Damit ist für Dol po paeine Einteilung in rari stori xmd gzan s?o« gegeben. Leerheit von

einem Selbst ergibt sich nämlich daraus, daß das Vordergründige auf der Ebene

höchster Wahrheit nicht existiert; Leerheit von anderem, daß das Höchste auf der Ebene

" Dol po pa: op. cit. (Anm. 10): Icun rdzob ni mam äes sam 'khrul rior snari ziri bden la / ye ses sam ma 'khrul pa 'i rior mi snari ziri mi bden pa 'i gSis la rari gi rio bos stori pa 'i rari stori dari / don dam ni de las bzlogpayin te / (S. 25, Z. 4-5).

" Tauscher [op. ci<.(Anm. 3), S. 70] verbessert de dag riid la zu de dag riid las bzw. wählt im folgenden Satz die Lesart las statt la und übersetzt "von diesen beiden (Wahrheiten)". Mir scheint dies aber gewagt.

Zusammen mit dem einschränkenden riid (skr. wahrscheinlich eva) dürfte dag wohl eher in seiner Funktion als Kollektivpartikel gebraucht sein (siehe M. HAHN: On the Function and Origin of the Particle dag. In:

Tibetan Studies. Presented at the Seminar of Young Tibetologists. Zurich. June 26 - July 1. 1977. Zürich 1978, S. 137-147, vgl. auch Bodhicaryävatära 1,24).

« Akutobhayä zu Mülamadhyamakakärikä XXTV, 8 (K Karmapa-Ausgabe, P Peking-Ausgabe des Tanjur):

'jig rien pa 'i kun rdzob kyi bden pa zes bya ba ni ... chos thams cad (P rnams) skye bar mthori ba gari yin pa ste /deni de dag riid la kun rdzob tu (P du) bden pa riid yin pas (P /) kun rdzob kyi bden pa 'o / don dam pa 'i bden pa ni 'phags pa mams kyis phyin ci ma log par thugs su chud pos / chos thams cad skye ba med par gzigs pa gari yin pa ste/de ni de dag riid la (K las) don dam par bden pa (P om) riid yin pas (P /) don dam pa 'i bden pa 'o / Karmapa-Tanjur. Rumtek/Delhi, o.J., dbu ma, Tsa, 89a 1-3, Peking-Tanjur. Tokyo 1962, Text No. 5229, 102b 3-6.

Dol po pa: op. cit (Anm. 10), S. 26, Z. 5-6: tun rdzob ni kun rdzob kyi bden par yod kyi / don dam par med pa dari / don dam ni don dam par yod kyi / kun rdzob du med pa dari / kun rdzob du mi bden na kun rdzob bden par 'gal äri / don dam par mi bden na don dam par bden par 'gal bar gsuris so /.

(12)

höchster Wahrheit existiert.'"

Zusammenfassung

Wenngleich Dol po pa bemüht ist, sein gzan Jton-Madhyamaka mit Hilfe der

eigentlichen Madhyamaka-Werke Nägärjimas und seiner indischen Kommentatoren zu

begründen, ist doch nicht zu übersehen, daß die bedeutendsten Argumente aus der

Tathägatagarbha- imd Yogäcära-Literatur stammen. Bei einer solchen Vorgehensweise ist es erforderlich, im Yogäcära usw. eine Fortsetzung des Madhyamaka zu sehen,"* und diese Lehrwerke als wörtlich zu nehmende Unterweisungen mit definitiver Bedeutung (ries don) aufzufassen. Wenngleich Dol po pas Auslegung der kanonischen Literatur im Vergleich zu den übrigen tibetischen Überlieferungen mitunter außergewöhnlich ist, muß man doch zugestehen, daß sie in vielen Fällen eine mögliche Interpretation der indischen Lehrwerke ist und eine emstzunehmende Exegese im Rahmen der tibetischen Geistesgeschichte darstellt. Dabei werden natürlich, wie in anderen Schulen auch, die kanonischen Werke so zitiert und gedeutet, daß sie ins eigene Lehrgebäude passen."'

Auch in bezug auf die angeführten Yogäcära-Werke bleibt festzuhalten, daß sie im

Grunde das Vollkommene lediglich insoweit positiv bestimmen, als sie eine Existenz der Soheit, des wahren Wesens der Gegebenheiten usw. als Nicht-Existenz der Objekt-

Subjekt-Zweiheit aimehmen. Allenfalls werden diese verschiedentlich mit dem

dharmadhätu oder der strahlenden Lichtnatur des Geistes gleichgesetzt.

" Siehe S.4, Z. 4-5.

So bezeichnet Dol po pa z.B. das Yogäcära-Werk Maltäyänasüträlamkära als dbu ma mdo sde rgyan.

■" So geht z.B. bei einem Samdliinirmocanasütra-Z\Xa.\. nicht klar hervor, daß es sich lediglich um eine Zusammenfassung handelt. Dol po pa gibt zwar den Gedankengang des dritten Kapitels korrekt wieder, bei der dritten Begründung dafür, daß die beiden Wahrheiten nicht verschieden sind, fügt er aber die positive Bestimmung "Grundlage (gzi)" für das Merkmal des Höchsten hinzu (siehe ibid., S. 23, Z. 3 - S. 24, Z. 2).

(13)

Die mongolischsprachigen Branntweinlieder in der Tradition der Tuwiner von Cengel

Von Erika Taube, Leipzig

Die Tuwiner von Cengel im mongolischen Teil des zentralen Altai singen zweierlei Lieder - die sogenannten diva iri und die arayi iri. Für die diva iri, das bedeutet

"Tuwinerlieder", gebrauchen sie - bis auf zwei Ausnahmen - eine Grundmelodie, deren einzelne Töne man melismenartig umsingen kann, so daß mit jedem Singen eine etwas andere konkrete Gestalt der Melodie entsteht. Musikwissenschaftliche Untersu¬

chungen des Komponisten und Pianisten Steffen Schleiermacher ergaben, daß bei 20

untersuchten mehrstrophigen Liedem tatsächlich nicht ein einziger Fall von völliger Identität zweier Strophen festzustellen war. Die arayi iri, das bedeutet "Brannt¬

weinlieder", singt man dagegen auf unterschiedliche Melodien, wie auch wir das bei unseren Liedem tun, und zudem ausschließlich bei festlichen Anlässen. Deswegen habe ich sie zur Unterscheidimg von den Tuwinerliedem auch als "Festlieder" bezeich¬

net. Den Tuwinem gelten diese Brarmtweinlieder als Lieder der mongolischsprachigen

und zum Teil auch mongolischstämmigen Urianchaj; damit hängt wohl die abgren¬

zende Bezeichnung der eigenen Lieder als diva in zusammen.'

1980 veröffentlichte ich fast alle zum damaligen Zeitpunkt aufgezeichneten Lied¬

texte in deutscher Übersetzung.^ Die diva iri-Texte dieser Ausgabe und der inzwischen hinzugekommenen Aufzeichnungen sind 1995 in Kyzyl erschienen' - in kyrillischer

Umschrift, nicht aber in die Standardsprache übertragen wie die von FaFaa oflu

Zolbajar 1993 in Kyzyl publizierten Lieder und anderen Folkloretexte der

' Ausfuhrlicher zu den Liedem der Tuwmer im Altai im Nachwort zu E. Taube: Tuwinische Lieder.

Volksdichtung aus der Westmongolei. Leipzig-Weimar 1980 ♦, S. 97-138. Diese Ausgabe enthält 111 Liedtexte, davon 22 Urianchaj-Lieder. - Das Singen von Liedem in nicht-eigener Sprache ist auch sonst belegt, siehe z, B. I. Baldauf: Materialien zum Volkslied der Özbeken Afghanistans. Emsdetten 1989 (Islam & Ethnologie. 3.), Bd. 2, S. 630 ff. (özbekische qösiq bei Turkmenen und Persem) und S. 747 ff.

(qösiq und dästän bei Nicht-Özbeken).

* im folgenden: TL

^ Siehe Anm. 1.

' Baryyn Moolda Setjgel tyvalarynyr/ yrlary. fiRIKA TAUBE öyyp targuskan Z. K. KVRGVZ redaktorlaan (Übersetzung der deutschen Kommentare, Worterklämngen und Vorbereitung ftir den Dmck: D. A.

Mor)GUS). Kyzyl 1995. Diese Ausgabe enthält 105 Liedtexte.

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