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Auf den Spuren der Ahnen. Überlegungen zur Nachweisbarkeit der Ahnenverehrung in Vorderasien vom Neolithikum bis in die Bronzezeit

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Peter Pfälzner

Auf den Spuren der Ahnen

Überlegungen zur Nachweisbarkeit der Ahnenverehrung in Vorderasien vom Neolithikum bis in die Bronzezeit*

Interkulturelle Konstanten

Eines der weitverbreitesten religiösen Konzepte der Menschheit ist der Ahnenkult. Dieser ist definiert als die »dauerhafte rituelle Verehrung der verstor- benen Vorfahren« (Streck f987). Der Ausgangspunkt für diese Verehrung ist die Überzeugung, daß die Ahnen das Leben und die Umwelt ihrer Nachfahren positiv oder negativ beeinflussen können. Aus die- sem Grund müssen die Nachfahren darum bemüht sein, diese Kräfte dahin zu lenken, daß von ihnen ein positiver Einfluß ausgeht. Die Ahnen müssen wohl- wollend gestimmt werden. Der Weg dazu ist die stän- dige Besänftigung durch Verehrung, Opfer und Be- fragung. In diesem Sinne läßt sich das Ahnenkult- konzept deutlich gegenüber dem Totenkult abgren- zen: Der Totenkult regelt den Übergang des Leben- den in das Dasein im Tod durch einmalige Riten. Er ist auf die Verstorbenen bezogen. Der Ahnenkult hingegen garantiert einen fortgesetzten Kontakt zu den Verstorbenen. Es ist ein auf die Nachfahren, die Lebenden, bezogener Kult (Morris 1991; Noväk - Oettel 2000).

Von erheblicher Tragweite ist auch die soziale Bedeutung des Ahnenkultes. Der Ahnenkult kann ein bedeutendes Instrument der Erbregelung sein.

Für die Verehrung der Ahnen innerhalb einer Fami- lie ist im allgemeinen das Familienoberhaupt verant- wortlich, wodurch dessen Machtstellung auch nach außen hin dokumentiert und legitimiert wird. Beim Tod des Familienoberhauptes werden der Grundbe- sitz, das Haus und die Verantwortlichkeit für den Ah- nenkult an den Nachfolger als Familienoberhaupt vererbt. Durch die erbliche Übernahme des Ahnen- kultes werden die innerfamilialen Besitz- und Auto- ritätsverhältnisse beim Tod eines alten Familienober- hauptes übertragen und aufrechterhalten. Gleichzei-

tig werden die vorhandenen Verwandtschaftsverhält- nisse dadurch bestärkt und tradiert. In den meisten Kulturerf, die einen Ahnenkult pflegen, stehen diese beiden Aspekte der Ahnenverehrung, der ideelle und der soziale, gleichrangig nebeneinander (Fortes 1940;

1970).

Oie Historizität des Ahnenkultes

Der Ahnenkult (Manismus) galt vielen ais das älteste religiöse Konzept. Dies steht in Verbindung mit der These, daß die Angst vor den Toten die Religion geschaffen habe* 1. Unter Zugrundelegung eines evo- lutionistischen Paradigmas entwickelt sich aus der Ahnenverehrung ein Götterglaube, da die Ahnen mit zunehmendem Alter immer stärker göttliche Züge annehmen. Sie werden zu »Urahnen« und können mit einem »Höchsten Wesen« bzw. »Urzeitwesen«

oder gar mit einem »Schöpfergott« gleichgesetzt wer- den (Streck 1987, 15 f.). Götter können sich demzu- folge aus besonders alten, hochverehrten Ahnen kon- zeptionell entwickeln. Innerhalb dieses Paradigmas wird eine sehr alte Tradition des Ahnenkultes po- stuliert.

Die Problematik der empirischen Verifizierung dieser These liegt in den bisher sehr geringen histo- rischen bzw. prähistorischen Indizien fiir die Prakti- zierung von Ahnenkult in frühen menschlichen Ge- sellschaften. Den frühen religiösen Entwicklungen im Alten Vorderasien kommt dabei eine besonders große Bedeutung zu2.

Die Existenz des Ahnenkultes in den histori- schen Perioden Altvorderasiens ist durch textliche Belege nachweisbar, vor allem fiir das zweite vor- christliche Jahrtausend und für die Regionen Meso- potamien, Syrien und Anatolien (Bayliss 1973; Tsu- kimoto 1985; van der Toorn 1989, 1994, 1996; Haas

* Der vorliegende, dem Jubilar Prof. Dr. Winfried Orthmann gewidmete Aufsatz ist die stark überarbeitete und durch neue Forschungsergebnisse erheblich erweiterte Fassung eines Vortrages, den der Verfasser ur- sprünglich im Rahmen seines vom Jubilar begleiteten Habilitationsverfahrens an der Universität Halle- Wittenberg im Jahr 1994 gehalten hatte. Er soll als Zeichen meiner Dankbarkeit gegenüber Winfried Orth- mann für seine vielfältige Unterstützung gelten.

1 Vgl. dazu Streck 1987:15.

2 Zur Religion Vorderasiens in prähistorischer Zeit allgemein siehe Cauvin 1994.

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Lehmaltar für den Ahnenkult bei den Somba in Benin (Foto: R. Gardi; aus: Gardi 1973) Abb. 1

1994; Jonker 1995). In der archäologischen Diskus- sion hat das Phänomen des Ahnenkultes im Alten Orient bisher wenig Beachtung gefunden. Archäolo- gische Hinweise auf den Ahnenkult sind bisher nur vereinzelt untersucht worden (Bienert 1991; 1995;

Mayer-Opificius 1988; Moortgat 1968; Meyer 1997).

Der Grund für diese archäologische Zurück- haltung liegt in der Tatsache begründet, daß wenig genaue Vorstellungen darüber bestehen, wie sich der Ahnenkult in der materiellen Kultur einer Gesell- schaft niederschlagen kann und welche archäologi- schen Objekte oder Befunde als Indizien für die Exi- stenz einer Ahnenverehrung gelten können.

Ein ethnoarchäologisches Modell

zur Frage der Materialisierung des Ahnenkultes Methodische Vorbemerkungen

Bei der Suche nach archäologischen Indizien für den Ahnenkult ist zu fragen, an welchen Orten die Praktizierung von Ahnenverehrung zu erwarten ist, welche Objekte und welche Installationen in Verbin- dung mit dem Ahnenkult auftreten können, und welche konkreten Aktivitäten im Zusammenhang

mit der Ausübung des Ahnenkultes nachweisbar sein können. Für die modellhafte Annäherung an diese Fragen wird ein ethno-archäologischer Ansatz ge- wählt. Aus ethnologischen Beobachtungen läßt sich erschließen, welche Konsequenzen die Ausübung von Ahnenkult für die materielle Kultur einer Ge- sellschaft haben kann. Dabei sind interkulturelle Ver- gleiche anzustellen, um die Varianz der existierenden Phänomene zu erfassen und auf mögliche Regel- mäßigkeiten ihres Auftretens aufmerksam zu wer- den. Auf diese Weise werden einfache, unkontrol- lierte Analogieschlüsse vermieden3 und stattdessen die Variabilität der Erklärungsmöglichkeiten aufge- zeigt.

Die materiellen Medien des Ahnenkultes

Im folgenden werden Belege für die materiellen Äußerungen des Ahnenkultes in Westafrika zusam- mengestellt, die aus der ethnologischen Literatur und aus eigenen Feldforschungen des Verfassers4 ent- nommen sind. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, erläutern aber die geläufigsten Prak- tiken des Ahnenkultes in Westafrika. Diese ließen sich durch ethnologische Beobachtungen zur Mate- rialisierung des Ahnenkultes in anderen Regionen

3 Vgl. die Problematisierung dieses Vorgehens bei Hodder 1982.

4 Die angeführten eigenen Beobachtungen sind das Ergebnis mehrerer ethnoarchäologisch ausgerichteter Forschungsreisen nach Westafrika (Mali, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea, Senegal u.a.) zwischen 1994 und 2000.

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Abb. 2 Auf einem Holzbündel aufgestelltes Gefäß für den Ahnenkult bei den Gan in Burkina Faso

(Foto: P. Pfälzner)

der Welt, etwa in Taiwan5 oder in Indonesien6 und Melanesien ergänzen, was in vorliegender Studie aber nicht angestrebt wurde.

Die geläufigsten materiellen Medien des Ahnen- kultes in Westafrika lassen sich in fünf unterschied- liche Kategorien unterteilen. Zusätzlich ist die Tatsa- che zu berücksichtigen, daß Ahnengeister oder Ahnen- vorstellungen auch in einer Anzahl von immateriel- len Medien oder Naturbestandteilen zum Ausdruck kommen können, die archäologisch keine Aussicht auf Nachweisbarkeit im Rahmen der materiellen Hinterlassenschaften einer Kultur haben und deshalb in der folgenden Aufstellung unberücksichtigt blei- ben.

1. Ahnenaltäre

Die westafrikanischen Völker benutzen in den überwiegenden Fällen konische Lehmkegel als Ah- nenaltäre. Sie sind mit der Hand aufgebaut, bestehen massiv aus Lehm und besitzen eine Höhe von 30 bis 60 cm. Meist sind sie im Freien vor den Häusern in der Nähe des Eingangs aufgestellt, können aber auch im Innenhof der Häuser liegen. Auf den Lehmkegeln werden die Opfer für die Ahnen dargebracht, in den meisten Fällen Hühner- oder Hirseopfer, wie ein Bei-

spiel von den Somba in Benin (Abb. l) veranschau- licht (Gardi 1973:121). Bisweilen kann auf der Spitze der konischen Lehmkegel ein Keramikgefäß fest ein- gelassen sein, was sich zum Beispiel bei den Kassena in Burkina Faso nachweisen läßt (Fiedermutz-Laun 1990, Taf. 25; Fisher 1984:122). Die Opfer werden dann im Gefäß dargebracht.

2. Ahnengefäße

Ahnengefäße spielen in der Ahnenverehrung eine große Rolle. Die o.g. Anbringung auf einem ko- nischen Lehmaltar ist nur eine Variante. Häufiger werden Gefäße einzeln oder in Gruppen auf den Bo- den gestellt oder auf Ständer aus Holz plaziert (Gardi 1973:116). Diese Gefäßopferstätten können in In- nenräumen oder im Freien angelegt sein. Auch die Anbringung eines Gefäßes auf einem in den Erdbo- den gesteckten Bündel aus Holzstöcken findet sich häufig, wie ein Beispiel von den Gan in Burkina Faso veranschaulicht (Abb.2). Typologisch handelt es sich bei diesen Gefäßen entweder um gewöhnliche Vor- ratsgefäße oder Kochtöpfe, seltener werden spezielle Gefäße verwendet, die etwa mit einer Noppenverzie- rung versehen sein können. In diesen Fällen verkör- pern oder symbolisieren die Gefäße nicht die Ahnen selbst, sondern markieren lediglich die Stelle, an de- nen für die Ahnen geopfert oder mit ihnen kommu- niziert werden kann.

Eine besondere Form der Ahnengefäße ist bei den Matakam in Kamerun belegt. Sie besitzen sog.

Seelenkrüge (vray genannt), in denen die Seele der verstorbenen Vorfahren wohnen kann (Abb.3). Die Gefäße werden im Speicherhaus zusammen mit üblichen Vorratsgefäßen aufbewahrt, so daß sich auf diese Weise die Seelen der Verstorbenen im Umkreis ihrer Nachfahren aufhalten. Der älteste Sohn der Fa- milie ist für die Versorgung des Seelenkruges seines verstorbenen Vaters in Form von regelmäßigen Op- fern zuständig (Gardi 1973: 118 f.).

3. Ahnenfiguren

Am häufigsten werden Ahnen in Westafrika in Form von (Holz- und) Lehmstatuen dargestellt und verehrt. Diese können vor dem Haus oder in Innen- räumen aufgestellt werden. Bei den Lobi in Burkina Faso findet sich vor dem Haupteingang des Hauses häufig eine in einem unregelmäßigen Halbkreis auf- gestellte Reihe von Ahnenbildnissen aus Lehm (Abb.

4). Die Figuren sind grob anthropomorph gestaltet, mit einem blockartigen Unterteil, das den Körper an- deutet, und einem rundlichen Kopfaulsatz, bei dem die Augen meist durch eingelegte Kaurischnecken angedeutet sind (Abb.5). Als Kopfbedeckung kann zum Beispiel die Lehmhaube eines kleinen Termiten- haufens benutzt werden. Einige der Ahnenbildnisse sind bemalt, zum Beispiel mit von roten, schwarzen und weißen Punkten. Die Ahnenfiguren zeigen

5 Vgl. Tsan 2000.

6 Beispielsweise die Ahnenverehrung bei den Asmat in Irian Jaya (s. Konrad - Konrad 1995).

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Ahnenstatue aus Lehm vor einem Haus der Lobi in Burkina Faso (Foto: P. Pfälzner)

Abb. 3

Abb. 4

Detail einer Ahnenstatue aus Lehm vor einem Haus der Lobi in Burkina Faso (Foto: P. Pfälzner) Abb. 5

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Abb. 6 Gruppe von Ahnenstatuen vor dem Eingang eines Lobi-Gehöftes in Burkina Faso (Foto: P. Pfälzner)

Abb. 7 Ahnenheiligtum der Häuptlinge der Gan in Kalangassou (Burkina Faso) (Foto: P. Pfälzner)

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deutliche Opferspuren in Form von herabgelaufe- nem Blut oder anklebenden Federn von Opferhüh- nern.

In den Dörfern im nördlichen Lobi-Gebiet7 fin- den sich nicht selten 10 oder 20 solcher Statuen vor einem einzigen Haus (Abb.6). Sie variieren stark in der Größe: die kleinsten sind nur 30 cm hoch, die größten erreichen fast Lebensgröße. Die einzelnen Statuen dieser Gruppen sollen nicht etwa unter- schiedliche Ahnen darstellen oder gar eine »Ahnen- galerie« der betreffenden Familie repräsentieren, sondern jede Ahnenstatue ist einem einzelnen Fami- lienmitglied zugewiesen und symbolisiert für dieses den Ort seiner persönlichen Ahnenverehrung. Dabei

»gehört« die größte Ahnenstatue dem Familienober- haupt, das heißt er alleine ist für ihre Versorgung und Beopferung zuständig. Dies ist die Hauptahnen- statue der Familie und sie wird vom Vater auf den ältesten Sohn vererbt, der die Nachfolge als Famili- enchef antritt. Die anderen, kleineren Ahnenstatuen gehören der Frau des Familienoberhauptes, der Mut- ter, erwachsenen oder verheirateten, aber im Haus lebenden Söhnen, eingeheirateten Frauen oder an- deren im Haushalt lebenden Familienmitgliedern. In- teressanterweise bringen einheiratende Frauen ihre eigenen Ahnenstatuen in ihr neues Haus mit, ande- rerseits werden Familienmitglieder, die das Haus für immer oder nur temporär, etwa um an einem ande- ren Ort zu arbeiten und zu wohnen, ihre eigene Ah- nenstatue dorthin mitnehmen. Dabei genügt es, den Kopf der Statue abzunehmen und diesen mit sich zu führen, während der Sockel der Statue am Ort zu- rückbleibt. Letzterer wird allmählich durch Witte- rungseinflüsse abgetragen, bei der Rückkehr der be- treffenden Person kann der Sockel aber jederzeit wieder hergestellt und der Kopf wieder aufgesetzt werden. Die Hauptahnenstatue der Familie wird nur in solchen Fällen versetzt, wenn das Lehmhaus aus Altersgründen verlassen wird und an einer anderen Stelle ein neues Haus errichtet wird. Auch in diesem Fall genügt es, den Kopf des Ahnenbildnisses an den neuen Familiensitz mitzunehmen und ihn dort auf einem neuen Sockel wieder aufzurichten8.

Außerhalb eines Hauses stehende Ahnenstatu- en können - außer im Freien - auch unter einem Schutzdach oder in einem eigenen kleinen Ahnen- schrein untergebracht werden. Ein Beispiel dafür läßt sich in einem Ahnenheiligtum bei den Gan in Burkina Faso beobachten (Abb.7). In der Nähe des

Dorfes Obire liegt die Ahnenverehrungsstätte des Häuptlings der Gan. Hier finden sich die Statuen von 18 verstorbenen Häuptlingen der Gan, darunter vier Frauen. Um jede dieser Statuen ist ein Häuschen ge- baut, um die Lehmfiguren vor Witterungseinflüssen zu schützen. Innerhalb des Häuschens findet sich vor dem Ahnenbildnis jeweils eine Opferstelle, die durch einen Steinhaufen markiert sein kann. Hier werden den Ahnen regelmäßige Opfer dargebracht. Die Sta- tuen der verstorbenen Häuptlinge sind freiplastisch aus Lehm geformt in einem etwas unter lebens- großen Format. Sie sind sitzend dargestellt, mit ange- zogenen Beinen und auf die Knie gestützen Armen.

Augen und Schmuck sind durch in den Ton einge- drückte Kaurischnecken dargestellt (Abb.8).

Ahnenbildnis eines verstorbenen Häuptlings der Gan in Kalangassou (Burkina Faso) (Foto: P. Pfälzner)

Abb. 8

7 Am ausgeprägtesten ist diese Sitte in den Lobi-Dörfern zwischen Nako, Tiankoura und Borom-Borom, z.B. in dem Dorf Diourao.

8 Der Ahnenkult bei den Lobi ist ein in der ethnologischen Literatur umstrittenes Thema. Nach Piet Meyer (1981:40, 53) kann man bei den Lobi nicht von einem Ahnenkult sprechen. Diese Aussage bezieht sich hauptsächlich auf Beobachtungen in der Gegend von Wourbira, wo Phänomene des Ahnenkultes tatsäch- lich nicht vorhanden zu sein scheinen. In anderen Lobi-Gebieten, wie etwa der Gegend um Nako, ist der Ahnenkult hingegen ein auffälliges Phänomen. Bei dieser Frage spielt auch ein Definitionsproblem eine erhebliche Rolle: während Piet Meyer (1981: 54) nur solche Toten als Ahnen bezeichnet, die vor mehreren Generationen gestorben sind, wird vom Verfasser - Meyer Fortes (1970:178) folgend - auch die kultische Verehrung des verstorbenen Vaters als Ahnenkult aufgefaßt.

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Abb. 9

Abb. 10

Kultraum eines Beschwörungspriesters der Lobi bei Kampti (Burkina Faso) mit verschiedenen, aus Lehm errichteten Ahnenstatuen der Eltern- und Großelterngeneration des lebenden Familienoberhauptes

(hinten an der Rückwand, an der linken Seitenwand und vorne rechts) (Foto: P. Pfälzner)

Ahnenstatuen aus Lehm auf einem Podest im fnneren eines Lobi-Hauses (Burkina Faso)

(Foto: F. K.J. Nielsen; aus: Fisher 1984)

Ahnenstatuen können auch innerhalb des Hau- ses aufgestellt sein. Im Haus eines Beschwörungs- priesters der Lobi in der Gegend von Kampti (Bur- kina Faso) finden sich im Kultraum Lehmstatuen des Dorfgründers Manko und seiner Frau, der der Bruder des Großvaters des lebenden Familienoberhauptes war, und zusätzlich solche seines Vaters und seiner Mutter sowie des ältesten Bruders des Vaters (Abb.9).

Den Ahnen wird hier in Zusammenhang mit Wahr- sagungen geopfert. Ein anderes Beispiel (Abb. 10) zeigt lebensgroße Ahnenfiguren aus Lehm, die auf einem Lehmpodest innerhalb eines Lobi-Hauses aufgesetzt sind (vgl. Fisher 1984: 125).

In anderen Gegenden Westafrikas sind Ahnen- figuren häufig aus Holz geschnitzt und können - wie bei den Dogon in Mali (Leloup et al. 1994:488ff.) - Lebensgröße erreichen. Bei den Dogon sind diese Ahnenfiguren auf Altären im Inneren der »Ginna- Häuser« (Ahnenheiligtümer) errichtet (ebenda:495).

Ahnenfiguren können aber auch ein miniaturartiges Format haben, wie zum Beispiel kleine, nur 10-20cm hohe Ahnenfiguren aus Lehm bei den Gan in Bur- kina Faso belegen, die an der Außenwand eines Hauses auf einem Gestell aufgesetzt sein können

(Abb. 11).

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Miniaturhaftes Ahnenfigurenpaar aus Lehm an der Außenwand eines Hauses der Gan in Burkina Faso Abb. 11 (Foto: P. Pfälzner)

Krug mit dem Schädel eines Ahnen bei den Doayo in Kanterun (Foto: R. Gardi; aus: Gardi 1981) Abb. 12

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4. Knochenreliquien

Knochenreliquien spielen in vielen Kulturen eine große Rolle für den Ahnenkult. Dabei kommt dem Schädel eines Verstorbenen eine besondere Be- deutung zu. Häufig wird eine gewisse Zeit nach dem Begräbnis, wenn die Verwesung der Leichenteile ab- geschlossen ist, das Grab geöffnet und der Schädel des Toten entnommen. Er kann dann im Rahmen des Ahnenkultes als Symbol für den verstorbenen Vorfahren verehrt werden.

Diese Praxis ist zum Beispiel bei den Doayo in Kamerun belegt. Die aus dem Grab entnommenen Schädel werden in Krüge gelegt und an bestimmten Schädelstätten aufbewahrt (Abb. 12). Dort werden den Ahnen Opfer dargebracht (Gardi 1981:84).

Für die Fang in Gabun ist eine besondere Sitte des Umgangs mit Ahnenreliquien belegt. Die Schädel und häufig auch die Gebeine der Verstorbenen wer- den in geflochtene Körbe gelegt und an besonderen Ahnenkultstätten zusammen mit anderen Gebein- körben aufbewahrt und verehrt (Abb. 13). In die Körbe wurde eine Holzstatuette eingesetzt (L. Meyer 1992:

131 ff„ Abb. 124-125).

5. Gräber

Gräber stehen normalerweise nicht direkt mit der Ausübung des Ahnenkultes in Verbindung, da die Ahnenverehrung räumlich nicht an das Grab, sondern meistens an eine Ahnenkultstätte oder ei- nen Altar gebunden ist, der in einer bestimmten räumlichen Beziehung zur Wohnstätte der Nachfah- ren steht. In Ausnahmefällen wird das Grab eines verstorbenen Familienoberhauptes aber in der Nähe der Familienkultstätte angelegt. Dies konnte bei den Lobi in Burkina Faso beobachtet werden, wo das Grab des verstorbenen Vaters durch den ältesten Sohn, der die Ahnenstatue von seinem verstorbenen Vater übernimmt, vor dem Haus unmittelbar neben der Hauptahnenstatue der Familie angelegt wird9.

Auf diese Weise wird eine direkte räumliche Verbin- dung zwischen dem Verstorbenen und der Ahnen- kultstätte der Familie geschaffen (Abb. 14). Das Grab ist auf unbefangene Weise in das Familienleben inte- griert, in dem man sich beim Unterhalten oder beim Essen darauf setzen oder im Falle der Kinder beim Spielen darüberlaufen kann.

Die Archäologischen Indizien des Ahnenkultes in Vorderasien

Das Neolithikum

Einige theoretische Überlegungen mögen die Relevanz der Frage nach der Nachweisbarkeit des Ahnenkultes im vorderasiatischen Neolithikum ver- anschaulichen. Aufgrund der allgemeinen sozio-öko- nomischen Struktur der neolithischen Gesellschaften besitzt die Ausprägung eines Ahnenkultes prinzipiell eine große Wahrscheinlichkeit. Der Grund dafür ist in den Subsistenzbedingungen der dörflichen neo- lithischen Bevölkerung zu sehen. Die Voraussetzung für die neolithische agrarische Subsistenzwirtschaft ist der Zugang zu oder der Besitz von Ackerland, gleich ob er auf familialer oder kommunaler Ebene verwaltet und verteilt wird. Eine anwachsende dörf- liche Bevölkerung, wie dies in vielen neolithischen Siedlungen in Jordanien, Syrien oder Anatolien zu beobachten ist10, führt zwangsläufig zu einer Land- verknappung im Umfeld der betroffenen Siedlungen.

Deshalb kann nicht mehr jeder Dorfbewohner einen ungehinderten oder unlimitierten Zugang zu Acker- land haben. Regeln hierfür müssen folglich erstellt werden. Ein geläufiges Mittel ist die Regelung durch Vererbung (Morris 1991:151 f.), wodurch die Ab- stammung zu einem wichtigen sozio-ökonomischen Kriterium innerhalb der Dorfgemeinschaft wird.

Als sichtbares äußeres Zeichen der Abstam- mung wird in vielen Gesellschaften die Rückführung auf einen bestimmten Ahnen oder die Zugehörigkeit zu einer Ahnenverehrungsgruppe bedeutsam. Dieser Zusammenhang ist in zahlreichen ethnologischen Un- tersuchungen festgestellt worden (Fortes 1940:248 ff.

253 ff.; 1970). Fortes (1940:253) drückt dies folgen- dermaßen aus: »The ancestor cult, the supreme sanc- tion of kinship ties, is a great stabilizing force coun- teracting the centrifugal tendencies inherent in the lineage system«. Der Ahnenkult wird also auf der sozio-ökonomischen Ebene umso wichtiger, je stär- ker eine Dorfsiedlung mit begrenzten Ressourcen in ihrem Umland anwächst.

Derartige Entwicklungen sind für das Neolithi- kum zu postulieren, vor allem in solchen Siedlungen, die eine deutliche Bevölkerungsexpansion bei einem begrenzten agrarischen Einzugsgebiet erkennen las- sen. Beispiele für ein solches Modell sind die akera- mische Siedlung in Jericho, die auf künstliche Be- wässerung in Abhängigkeit von einer lokalen Quelle angewiesen war (Kenyon 1981:1) oder £atal Hüyük, eine der größten keramisch-neolithischen Siedlun- gen, deren agrarisches Wachstum ebenfalls durch die Notwendigkeit der künstlichen Bewässerung limi- tiert war (Mellaart 1967).

9 Eigene Beobachtungen des Verfassers im Dorf Diourao im nördlichen Lobi-Land.

10 Vgl. die neolithischen Großsiedlungen mit einer Fläche von 13 ha oder mehr, wie Qatal Hüyük (Türkei) oder Ain Ghazal (Jordanien). Die akeramisch-neolithischen Großsiedlungen in Jordanien werden in der Forschung neuerdings mit dem bezeichnenden Terminus »Megadörfer« bezeichnet (Gebel 1997).

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Körbe mit Knochenreliquien und eingesetzter Reliquiarfigur (aus: RS. de Brazza, Voyages dans Abb. 13 l'Ouest africain, in: Le Tour du Monde, Paris 1887; übernommen aus: L. Meyer 1992)

Grab des verstorbenen Familienoberhauptes in unmittelbarer Nähe zur Hauptahnenfigur der Familie vor dem Eingang des Hauses (Lobi, Burkina Faso) (Foto: P. Pfälzner)

Abb. 14

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Auf der Basis dieser theoretischen Überlegun- gen läßt sich vermuten, daß der Ahnenkult gerade in den demographisch größeren neolithischen Dorfge- meinschaften eine gewisse Bedeutung gehabt haben muß. Die Frage ist, ob sich dies archäologisch bele- gen läßt.

Beispiel 1: iericho

In Jericho weist ein vieldiskutierter steinerner Rundturm unabhängig von seiner tatsächlichen fortifikatorischen oder andersartigen Funktion (Bar- Yosef 1986; Hachmann 1994) auf eine gewisse sozio- politische Komplexität dieser Dorfsiedlung während des akeramischen Neolithikums hin (Reinhold - Steinhof 1995).

Hinweise auf die Praktizierung eines Ahnenkul- tes in Jericho während der Periode PPNB liefern die sog. Schädelnester (Abb. 15). Diese stehen in ursäch- lichem Zusammenhang mit den häufig unter den Fußböden der Häuser angelegten Gräbern, bei denen in vielen Fällen der Schädel fehlt. Dies weist darauf hin, daß diese Gräber nach der Bestattung erneut geöffnet wurden, wobei meist nur das Kalvarium entnommen wurde, während die Mandibula beim postkranialen Skelett verblieb (Kenyon 1981:407ff.

Pl. Vllc. VHIa; Bienert 1991, 1995). Die entnomme- nen Schädel dienten sicher der Verehrung im Rah- men eines Ahnenkultes. Die Schädelnester weisen darauf hin, daß die Schädel nach dem Ende ihrer ak- tiven Verehrung in Gruben unter den Häusern depo- niert und damit erneut bestattet wurden.

Eine besondere Behandlung zeigen die mit Gips übermodellierten Schädel (Kenyon 1981, Pl. VHIb-d;

IX). Die Ahnenreliquie sollte auf diese Weise offen- sichtlich besonders haltbar und anschaulich gemacht werden. Die prinzipielle Funktion dürfte dieselbe ge- wesen sein, wie im Falle der nicht übermodellierten Schädel aus den Schädelnestern. Leider wird in kei- nem der bekannten Beispiele aus Jericho an Hand des Fundkontextes erkennbar, an welchen Orten und in welcher Aufstellung diese Ahnenreliqien verehrt wurden.

Einen Hinweis auf diese Frage ergeben lediglich die Fundumstände eines einzelnen, nicht übermo- dellierten Schädels, der sich 15 cm unterhalb eines Fußbodens in einem Haus in Areal E I in Jericho fand (Kenyon 1981:305, Pl. 171 a-b; 308b). Er war offensichtlich nicht in einer Grube deponiert, son- dern in aufrechter Stellung sorgfältig in der Ecke des Raumes plaziert. Diese Fundsituation könnte darauf hinweisen, daß eine Ahnenverehrung in Zusammen- hang mit diesem Schädel in dem betreffenden Wohnraum stattgefunden hat“. Dies spricht für eine Lokalisierung des Ahnenkultes in den Wohnhäusern von Jericho.

In diesem Zusammenhang sei auf einen ähnli- chen Befund in der PPNB-zeitlichen Siedlung von Beisamun im Hule-Tal in Palästina hingewiesen. In einem zweiräumigen Wohnhaus, welches aus einem Hauptraum und einem dahinter gelegenen, erheblich kleineren Nebenraum bestand, fanden sich in einer Eintiefung im Fußboden zwei übermodellierte Schä-

Abb. 15 Sogenanntes »Schädelnest« aus dem akeramischen Neolithikum in Jericho (aus: Kenyon 1981)

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del (Lechevallier 1978; Bienert 1995). Diese beiden übermodellierten Schädel, die sicher Bestandteil ei- nes Ahnenkultes in diesem Haus waren, lagen im Nebenraum des Hauses, aber offensichtlich in einer direkten räumlichen Beziehung zur Herdstelle: Diese befand sich in der Mittelachse des Hauptraumes, un- mittelbar an der zum Nebenraum gelegenen Trenn- mauer, während die Schädeldeponierung direkt an der anderen Seite derselben Mauer innerhalb des Nebenraumes lokalisiert war. Diese Situation ist als deutliche Bezugnahme der Schädel auf den Herd zu interpretieren, der üblicherweise das soziale Zentrum eines Hauses markiert. Die Schädel sind mit ihrer Gesichtsseite sogar zum Herd hin ausgerichtet.

In Verbindung mit dem genannten Befund in Jericho läßt sich aus diesen Beobachtungen ableiten, daß die Aufbewahrung und Verehrung der Schädel im Rahmen eines neolithischen Ahnenkultes in den Wohnhäusern lokalisiert war und in enger Verbin- dung mit dem sozialen Zentrum des Hauses gestan- den haben dürfte.

Beispiel 2: Ain Ghazal

Der akeramisch-neolithische Fundort Ain Ghazal in Jordanien gehört zu den größten Siedlungen sei- ner Zeit (Rollefson et al. 1985). An diesem Ort neo- lithischer Bevölkerungskonzentration ist mit den oben vorgebrachten Argumenten ebenfalls eine wich- tige Rolle des Ahnenkultes zu erwarten. Diese Über- legung wird bestätigt durch den Fund übermodellier- ter Schädel in Ain Ghazal (Rollefson et al. 1985:110), die mit einem Ahnenkult in Verbindung gestanden haben dürften.

Die auffälligsten und am meisten beachteten Funde aus Ain Ghazal stellen menschliche Statuen und Büsten aus Kalkmörtel dar (Abb. 16). Die Ganz- körperfiguren sind bis zu 90 cm hoch, während die Büsten in der Regel etwa halb so hoch sind. Sie wur- den jeweils in Gruppen zu mehreren Statuen als Depotfunde in drei Gruben angetroffen (Rollefson 1984; 1986; Rollefson et al. 1985; Tubb 1985). Eine in der Kampagne 1983 freigelegte Grube war im Füll- schutt eines aufgelassenen Hauses angelegt worden.

Dort müssen die Statuen abgelegt worden sein, nach- dem sie nicht mehr gebraucht wurden bzw. nachdem das Gebäude, in dem sie benutzt worden waren, nicht mehr bestand. Ihre Fundlage gibt somit noch keinen direkten Aufschluß über den Ort und die Art ihrer Verwendung. 11

11 Stratigraphisch müßte dieser Schädel unter die- ser Voraussetzung mit einem älteren, in der Grabungspublikation nicht angesprochenen Fuß- boden in diesem Raum assoziiert gewesen sein.

Die Lage bei 15 cm unterhalb des in der Publi- kation erwähnten Fußbodens schließt eine Zu- gehörigkeit zu diesem Niveau aus, falls es sich nicht doch um die Deponierung in einer uner- kannt gebliebenen Grube gehandelt hat.

Eine der als Ahnenüguren zu deutenden Statuen Abb. 16 des akeramischen Neolithikums aus Ain Ghazal

(aus: Collon 1995)

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Abb. 17 Das als Ahnenkultstätte zu deutende Heiligtum VII 21 von (^atal Hüyük (aus: Mellaart 1967)

Nach Ansicht des Ausgräbers Gary Rollefson (1986) spielten die Statuen eine zeremonielle Rolle für die gesamte Gemeinschaft des Ortes oder könn- ten sogar eine ebensolche Funktion auf regionaler Ebene besessen haben. Auf diese Weise werden sie als Elemente eines öffentlichen Kultes gedeutet.

Jaques Cauvin (1994) sieht in ihnen »übernatürliche Geschöpfe«, die in kultischen Zeremonien verwen- det worden sein könnten. Beide Deutungen gehen also von einem öffentlichen Kult in Zusammenhang mit den Statuen und Büsten in Ain Ghazal aus.

Diese Deutung erscheint fraglich, vor allem auf dem Hintergrund der Fundsituationen der Bildnisse.

Die drei Gruben, in denen die Statuen und Büsten angetroffen worden waren und die im Abstand von 8 bzw. 28 m voneinander lokalisiert worden waren, liegen in einem Siedlungsbereich, der durch die Ar- chitekturbefunde als Wohnviertel ausgewiesen ist.

Es wurden in diesem Siedlungsteil keine Hinweise auf öffentliche oder kultische Bauten gefunden. Eine Grube befand sich nachweislich im Füllschutt eines aufgelassenen Hauses, eine andere unter dem durch- schlagenen Boden eines aufgelassenen Hauses und die dritte war in das gewachsene Erdreich unter dem Boden eines Hauses eingetieft. Aus diesem Grund muß in Betracht gezogen werden, daß die Statuen und Büsten Bestandteile eines häuslichen Kultes ge- wesen sein könnten. Deshalb ist zu erwägen, daß sie - ähnlich wie die übermodellierten Schädel - mit dem Ahnenkult in Zusammenhang standen.

Der Blick auf die ethnographischen Vergleichs- beispiele aus Westafrika (s.o.) läßt es als sehr plausi- bel erscheinen, daß solche Objekte Bildnisse von Ah- nen sein können, die in einer häuslichen Ahnenver- ehrungsstätte aufgestellt gewesen sein könnten. Die Büsten verweisen darauf, daß die Bildnisse vielleicht auf Podesten oder Altären innerhalb der Häuser montiert waren. Natürlich ist auch eine Aufstellung außerhalb der Häuser im Freien oder unter Schutz-

dächern denkbar. Die Tatsache, daß sich drei unter- schiedliche Gruben mit deponierten Statuen und Büsten fanden, könnte darauf hinweisen, daß die Ahnenbildnisse kein Einzelfail in Ain Ghazal waren, sondern daß zahlreiche Häuser dieser großen Sied- lung entsprechende Ahnenverehrungsstätten besaßen.

Beispiel 3: Qatal Hiiyiik

Die zentralanatolische Siedlung von £atal Hiiyük stellt mit einer Fläche von 13 ha die größte neoli- thische Siedlung Anatoliens dar, die vom Ausgräber James Mellaart (1967) sogar als »Stadt« bezeichnet wurde. Diese Ansicht wird vom Verfasser zwar nicht geteilt, dennoch ist aufgrund der dichten Bebauung und wegen der zahlreichen Nachweise von Prestige- gütern (Becks - Jakob 1996) von einer komplexen Bevölkerungsstruktur an diesem Ort während des Neolithikums auszugehen.

Mellaart hat diejenigen Räume in £atal Hüyük, die sich durch eine besonders auffällige Ausstattung mit Wandmalereien, Gipsreliefs und eingelassenen Tierschädeln auszeichneten, als »Heiiigtümer« bezeich- net, die er mit einer bedeutenden »Priesterklasse« in der Siedlung ^atal Hüyuk in Verbindung bringen möchte. Zwei dieser sog. »Heiligtümer« sollen im fol- genden kurz vorgestellt und ihre mögliche Funktion diskutiert werden.

Die Kultstätte VII 8 wird als »Geierheiligtum«

bezeichnet. An der Nord- und der Ostwand befindet sich eine Malerei, die insgesamt sieben Geier mit aus- gebreiteten Schwingen zeigt, zwischen denen sich insgesamt sechs kopflose menschliche Wesen befin- den. Mellaart (1967, 196-199) deutet diese Darstel- lung als Hinweis darauf, daß die Bevölkerung von

£atal Hüyük ihre Toten Geiern zur Entfleischung aussetzte, bevor die Knochen bestattet wurden. Die fehlenden Köpfe der dargestellten Menschen erklärt Mellaart als malerische Konvention zur Symbolisie- rung von Toten. Vielleicht liegt eine tiefere Bedeu-

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tung in den kopflosen Figuren, die zudem in einer Bestattungshaltung dargestellt sind: Die Tatsache, daß die Menschen ohne Kopf dargestellt sind, errin- nert an die akeramisch-neolithische Tradition, die Köpfe der Verstorbenen aus den Gräbern zu entneh- men und als Ahnenreliquien zu verwenden. Viel- leicht liegt hier ein darstellender symbolischer Bezug zu diesem Aspekt der Ahnenkultes vor.

Diese Deutung wird durch den Befund im sog.

Heiligtum VII 21 unterstützt (Abb. 17). Hier finden sich ebenfalls Wandmalereien von Geiern neben kleinen, kopflosen Menschen, die in genau derselben Darstel- lungsweise wiedergegeben sind wie im erstgenann- ten Geierheiligtum (Mellaart 1967:103 f.). Hier aller- dings finden sich in demselben Raum vier mensch- liche Schädel. Einer davon lag in einem Korb unter einem Stierkopf an der Westwand, ein zweiter be- fand sich unter einem Stierkopf an der Westmauer und zwei lagen auf einem Podest unterhalb der Geiermalerei. Mellaart (ebenda) nimmt an, daß die Schädel bei einem Beerdigungsritual Verwendung fanden. Meines Erachtens ist in diesem Befund ein deutlicher Bezug zu einem Ahnenkult in Verbindung mit Schädelreliquien zu erkennen. Die Tatsache, daß einer der Schädel dieses Raumes in einem Korb auf- bewahrt wurde, erinnert an die Sitte der Fang (Pang- we), Schädelreliquien in Körben aufzubewahren (s.o.). Dieser Befund unterstützt die oben als These vorgebrachte Assoziierung der Darstellung von Gei- ern und kopflosen Menschen mit dem Ahnenkult, da zwei der Schädel in Raum VII 21 räumlich deutlich Bezug auf die entsprechende Malerei nehmen.

Mit diesen Überlegungen läßt sich der Raum VII21 nicht als »Heiligtum«, sondern als Stätte eines häuslichen Ahnenkultes deuten, der möglicherweise in üatal Hüyük ein verbreiteter Familienkult gewe- sen sein könnte. Die Tatsache, daß in demselben Raum auch Stierkopfreliefs angebracht waren, muß dieser These nicht widersprechen. Wie die Deponie- rung jeweils eines Schädels unter zwei Stierkopf-

reliefs in diesem Raum andeutet, könnte auch die Stiersymbolik in üatal Hüyük in irgend einer Bezie- hung zum Ahnenkult gestanden haben. Damit wäre ein Argument gefunden, auch die anderen sog. »Hei- ligtümer« in (Jatal Hüyük, in denen Stierköpfe neben weiblichen Reliefs das häufigste Element der Wand- dekoration sind, nicht als »Heiligtümer«, sondern als Wohnhäuser mit einem ausgeprägten Hauskult zu interpretieren. Dabei bildet der Ahnenkult eine der Möglichkeiten eines Hauskultes. Im Unterschied zum akeramischen Neolithikum der Levante könnte er in ^atal Hüyük weniger mit Ahnenreliquien als mit bildlichen Symbolen verbunden gewesen sein. Die sog. »Gottheiten« von (Jatal Hüyük könnten Ahnen- symbole gewesen sein.

Die Bronzezeit Tall Chuera

Der Tall Chuera in Nordost-Syrien stellt eine der größten Stadtanlagen der Frühen Bronzezeit (3. Jt. v.

Chr.) im nordmesopotamisch-syrischen Raum dar.

Hinweise auf die Existenz eines Ahnenkultes in die- ser Stadt sind bisher noch nicht in direkter Form vor- handen. Einige im folgenden vorzustellende Befunde können aber als Indizien für die Praktizierung eines Ahnenkultes gedeutet werden.

a) Knochenreliquien

Im Siedlungsviertel »Kleiner Antentempel« im Zentrum der Stadtanlage wurde eine Anzahl von Häusern freigelegt, die dem Schema des »Parzellen- hauses« zuzuordnen sind (Pfälzner, im Druck). Eines dieser Häuser, das Haus I< 11 (ebenda Taf. 64), besitzt an der Ostwand seines Hauptraumes (53) ein großes Postament aus Lehm, das ebenso wie eine flache Herdstelle westlich davon in der Mittelachse des Raumes angelegt ist (Abb. 18). Hinter dem Postament öffnet sich ein winziger Nebenraum (51), in dem

Das Haus K 11 von Tall Chuera mit einer in einer Frittebettung niedergelegten Ahnenreliquie im Nebenraum 51 (aus: Moortgat - Moortgat-Correns 1976)

Abb. 18

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ein menschlicher Schädel gefunden wurde, dem die Mandibula fehlte (Moortgat - Moortgat-Correns 1976: 22-26, Plan III). Der fehlende Unterkiefer weist darauf hin, daß der Schädel nachträglich aus einem Grab entnommen worden sein könnte. Der Schädel war sorgfältig in eine Lage von Fritteperlen eingebettet, eine Sitte, die in den altmesopotami- schen Kulturen eine wertvolle kultische Deponie- rung des betreffenden Gegenstandes anzeigt12.

In diesem Fund dürfte sich eine Ahnenreliquie fassen lassen, die an dieser Stelle des Hauses un- mittelbar hinter dem großen Lehmpostament des Hauptraumes deponiert worden war. Die Anordnung dieser Reliquie erinnert in auffälliger Weise an die- jenige aus dem akeramisch-neolithischen Haus von Beisamun. In beiden Fällen sind Schädel in einem kleinen Nebenraum unmittelbar hinter dem Haupt- raum des Hauses niedergelegt worden, in einem Fail (Beisamun) unmittelbar hinter der Herdstelle, im anderen Fall (Tall Chuera) unmittelbar hinter dem Lehmpostament, welches seinerseits in einem direk- ten räumlichen Bezug zur Herdstelle stand. Hierbei muß keine direkte verbindende Tradition zwischen den beiden Befunden des Neolithikums und der Frühen Bronzezeit postuliert werden. Es genügt zu erkennen, daß in beiden Fällen offensichtlich eine Ahnenreliquie in einem bewußten Bezug zum Herd im Hauptraum als dem sozialen Zentrum des Hauses aufgestellt oder abgelegt worden ist. In beiden Fällen kann dies als ein Indiz für einen im Familienleben einflußreichen Ahnenkult gewertet werden.

Daß die Deponierung von menschlichen Kno- chen in Wohnhäusern von Tall Chuera kein Einzel- fall war, zeigt der Fund eines menschlichen Skelettes in einem Haus der Grabungsstelle »Häuser« (Orth- mann - Klein - Liith 1986:22; Wahl 1986:65 ff.). Die Knochen einschließlich des Schädels wurden nicht im anatomischen Verband, sondern verstreut in un- mittelbarer Nähe des Lehmpostamentes im Haupt- raum des Hauses gefunden. Allerdings ist in diesem Fall nicht erwiesen, ob die Knochen vom Fußboden oder aus einer später eingetieften Grube stammen.

Mit Sicherheit handelt es sich in diesem Fall nicht um eine Bestattung. Die Knochen können erst nach der Verwesung der Fleischteile an diese Stelle gelangt sein. Sie könnten als Reliquiar im Bereich des Lehm- postament aufbewahrt worden sein.

Ein Parallelfund stammt aus einer anderen nordsyrischen Siedlung des 3. Jts. v. Chr., dem Tell Raqa’i am Habur. Dort lag ein menschlicher Schädel auf einer Bank im Hauptraum eines Hauses (Nieu- wenhuyse 1992:96). Diese vereinzelten Belege wei- sen darauf hin, daß auch noch in der Frühen Brone- zezeit eine Ahnenverehrung in Zusammenhang mit Knochenreliquien in Nordsyrien bestanden haben dürfte.

b) Altäre

Die Tatsache, daß im Haus I< 11 von Tall Chuera eine Knochenreliquie hinter einem Lehmpostament, einer Installation, die für die Häuser von Tall Chuera typisch ist, aufbewahrt wurde, führt zur Frage nach der Funktion dieser Lehmpostamente. Ein aufschluß- reicher Befund für diese Frage stammt aus dem Haus K Ila der Grabungsstelle »Kleiner Antentem- pel«. Dieses Gebäude wurde von der Ausgräberin, Frau Ursula Moortgat-Correns, als »Kleiner Anten- tempel« der Schicht 4 bezeichnet (Moortgat 1967:

25 ff., Abb. 16-20). Nachuntersuchungen haben aber ergeben, daß es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Wohnhaus gehandelt haben dürfte (Doh- mann-Pfälzner - Pfälzner 1996).

In diesem Haus liegt an der Rückwand des Hauptraumes ein hohes Lehmpostament derselben Art wie in Haus K 11. Im Unterschied zu den ande- ren Installationen derselben Art in Tall Chuera hat sich dieses Beispiel besonders gut erhalten. Auf der Oberseite des Postamentes sind zwei Keramikgefäße fest eingelassen. Dazwischen finden sich flache, mit Gips ausgestrichene Becken (Abb. 19). Es ist schwer vorstellbar, daß diese Anlage - auch wegen ihrer re- lativen Höhe - für praktische häusliche Aktivitäten gedient haben kann. Sie ist - wie dies auch bereits die Ausgräberin (Moortgat 1967:28 f.) vorgeschlagen hat - als Altar zu deuten, auf dem Opfer und Libatio- nen dargebracht werden konnten, die in den fest ein- gelassenen Gefäßen aufgefangen werden konnten.

Diese Deutung wird unterstützt durch einen Haufen von Tierknochen, der unmittelbar neben dem Posta- ment auf dem Fußboden lag. Dies ist ein ungewöhn- licher Fund, da die Häuser von Tall Chuera nor- malerweise sorgfältig von weggeworfenen Schlacht- oder Speiseresten freigehalten wurden. Man könnte deshalb vermuten, daß die Tierknochen von Opfern herrühren und deshalb nicht beseitigt wurden. Ein zwischen den Tierknochen gefundenes Messer (eben- da: 28, Abb. 22) unterstützt die These, daß die Schlach- tung der Tiere an dieser Stelle stattfand.

Die Installation in Haus K Ila ist folglich als häuslicher Altar für Opferhandlungen zu deuten. Ein Zusammenhang dieses Altarpostamentes mit einem familialen Ahnenkult ist deshalb in Erwägung zu ziehen, weil in Haus I< 11 ein entsprechendes Podest mit der dahinter deponierten Ahnenreliquie verbun- den werden konnte. Auffällig ist, daß in fast allen Wohnhäusern von Tall Chuera ein ähnliches Altar- postament im Hauptraum vorhanden ist (Pfälzner, im Druck; Dohmann-Pfälzner - Pfälzner, im Druck).

Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß der fami- liale Kult in den Haushalten von Tall Chuera allge- mein verbreitet war. Es liegt deshalb nahe zu vermu- ten, daß die meisten Familien von Tall Chuera an ihren Altarpostamenten einen Ahnenkult pflegten.

12 Vgl. die kultischen Deponierungen von Objekten auf Perlenpolstern im Ischtar-Tempel von Assur (Andrae 1977:156, 158).

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Das als Hausaltar zu deutende Lehmpostament in Haus K Ila von Tall Chuera (aus: Moortgat 1967) Abb. 19

c) Kultstätten

Das im Grabungsbereich »Kleiner Antentem- pel« von Tall Chuera gelegene Haus K Ila der Schicht 4 wird in der Schicht 3 durch einen kleinen Tempel ersetzt, der dem Antentempeltypus angehört (Moort- gat 1965: 11 li.; 1967:8 ff.). Die Einrichtung der Cella entspricht prinzipiell derjenigen des Hauptraumes eines Wohnhauses. An der Rückwand befindet sich ein Altarpostament, im Rauminneren liegt eine Herd- stelle. Interessanterweise nimmt der Altar dieses Tempels der Schicht 3 einen deutlichen räumlichen Bezug auf das Altarpostament des darunterliegen- den, älteren Hauses I< Ila der Schicht 4. Es ist zu fra- gen, ob hier eine Kultkontinuität vorliegt. Dies ist zunächst abwegig, wenn man davon ausgeht, daß in der Schicht 4 an dieser Stelle ein Haus stand und in der Schicht 3 ein Tempel. Angesichts der Interpreta- tion des Altares in Haus K Ila der Schicht 4 als Ah- nenaltar (s.o.), läßt sich allerdings für eine kultische Anknüpfung eine plausible Erklärung finden: Der familiale Ahnenaltar der Schicht 4 wurde zu einem über den Familienverband hinaus wirksamen, be- deutenden Ahnenaltar in der Schicht 3 umgewan- delt. Eine derartige Veränderung ist dann zu erwar- ten, wenn aus einem Familienahnen hohen Alters

ein übergeordneter Ahn einer Abstammungsgruppe hervorgeht, dem eine eigene Kultstätte errichtet wird. In ethnologischen Kontexten ist eine solche Entwicklung häufig beobachtet worden13.

Der Grund für die Errichtung des »Kleinen An- tentempels« der Schicht 3 über einem Wohnhaus der Schicht 4 könnte folglich in der Herausbildung eines bedeutenden interfamilialen Ahnenheiligtums einer Abstammungsgruppe zu sehen sein, wobei der Kult aus der Verehrung eines lokalen, alten Familienahns hervorgegangen ist. Der »Kleine Antentempel« der Schichten 3 bis 1 von Tall Chuera ist unter dieser Voraussetzung als eine Ahnenkultstätte zu interpre- tieren.

Möglicherweise bestand in Tall Chuera neben dem familialen Ahnenkult auch ein zentraler Ah- nenkult. Darauf verweist die monumentale Anlage der sog. Stelenreihe außerhalb des Stadttores von Tall Chuera, die von Jan-Waalke Meyer (1997: 301 ff.) überzeugend als Ort einer Ahnenverehrung gedeutet werden konnte.

Wenn man versucht, die verschiedenen Belege für den Ahnenkult in Tall Chuera in eine soziale Kategorisierung einzuordnen, läßt sich das folgende Modell herausarbeiten: In einem breiten Teil der

13 Vgl. Fortes 1970:181; Leloup et al. 1994:495; Tsan 2000:82.

(17)

Bevölkerung wurde ein familialer Ahnenkult im häuslichen Kontext praktiziert; in einigen Fällen können altehrwürdige Familienahnen zu gemeinsa- men Ahnen einer bestimmten Abstammungsgruppe innerhalb der Stadtbevölkerung aufgestiegen sein, denen eine innerstädtische Ahnenkultstätte, wie zum Beispiel der Kleine Antentempel, errichtet werden konnte; die dritte Stufe der Ahnenverehrung bildete ein zentraler, vielleicht dynastischer Ahnenkult einer politischen Elite von Tall Chuera, der sich in einer monumentalen, öffentlichen Anlage wie der Stelen- reihe vor dem südöstlichen Stadttor von Tall Chuera äußert. Mit letzterer Anlage könnten die Ahnenbild- nisse auf dem Djebelet el-Beda (J.-W. Meyer 1997) in Verbindung gestanden haben, die eine regionale Ah- nenverehrungsstätte markiert haben könnten.

d) Ahnenbildnisse

Angesichts der Deutung der monumentalen Skulpturen auf dem Djebelet el-Beda als Ahnenbild- nisse einer politischen Elite des 3. Jts. v. Chr. in Nord- syrien (J.-W. Meyer 1997) erhebt sich die Frage, ob auf dem Niveau des familialen oder des auf Abstam- mungsgruppen bezogenen Ahnenkultes ebenfalls ei- ne Verbildlichung der Ahnen stattgefunden hat. Ein Flinweis auf diese Frage ergibt sich aus den Statuet- tenfunden innerhalb des »Kleinen Antentempels«

von Tall Chuera, der als Ahnenkultstätte einer lo- kalen Abstammungsgruppe gedeutet werden kann (s.o.).

Innerhalb und außerhalb des Tempels der Schicht 2 fanden sich 16 Fragmente von Kalkstein- figurinen, die zu insgesamt fünf sogenannten »Be- terstatuetten« zusammengesetzt werden konnten

(Abb.20) (Moortgat 1965; 17ff.; 1967, 14ff.). Die Frag- mente waren sorgfältig abgedeckt an verschiedenen Stellen deponiert worden, wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt, als sie nicht weiter kultisch verehrt wer- den sollten. Sie waren ca. 20 bis 35 cm hoch und könnten ehemals innerhalb des »Kleinen Antentem- pels«, etwa auf dem hohen Altarpostament, aufge- stellt gewesen sein. Unter dieser Voraussetzung sind

sie - in Abhängigkeit von der Deutung des »Kleinen Antentempels« als Ahnenheiligtum - als Ahnenfigu- ren zu interpretieren. Sie könnten verschiedene Ah- nen einer Abstammungsgruppe repräsentieren, die gemeinsant in der Ahnenkultstätte verehrt wurden.

Diese Überlegungen zur Deutung der sogenann- ten Beterstatuetten von Tall Chuera führt zu einer These zurück, die Anton Moortgat (1968; 222 ff.) be- reits im Jahr 1968 geäußert hatte: Er deutete den Ninni-Zaza Tempel in Mari als Ahnenkultstätte. In der sog. Cella (Raum 13) dieses Tempels waren ehe- mals »Beterstatuetten«, die in unzähligen Bruch- stücken aufgefunden wurden, auf einer umlaufen- den Bank aufgestellt. Davor fanden sich auf dem Fußboden Libationsmulden, die für Trankopfer vor oder an den Statuetten benutzt worden sein könn- ten. Moortgat schlug aus diesem Grund vor, die Sta- tuetten als Abbilder von verstorbenen Angehörigen des Hofes und von hohen Verwaltungsbeamten zu deuten, denen in diesem Raum Opfer gespendet wur- den (ebenda; 226 ff.).

Einen ähnlichen Gedanken, die Deutung der frühdynastischen Beterstatuetten aus Nordmesopo- tamien und Syrien in Zusammenhang mit einem Totenkult zu bringen, hat zwanzig Jahre später Ruth Mayer-Opificius (1988: 247 ff.) vorgebracht. Ausge- hend von Nachweisen für Trankopfer in Verbindung mit den Statuetten in Mari und Tall Chuera hat sie einen »Libationskult für die Toten« postuliert (eben- da: 262). Allerdings grenzt die Autorin diese Kultpra- xis von einem echten Ahnenkult ab. Für diese Ab- grenzung liegen meines Erachtens keine schliissigen Gründe vor.

Die oben dargelegten Überlegungen zur Funk- tion des »Kleinen Antentempels« in Tall Chuera un- terstützen und bekräftigen die Thesen von Moortgat und Mayer-Opificius, die leider bisher ohne breite Akzeptanz geblieben sind. Auigrund der formalen Ähnlichkeiten aller Beterstatuetten und der ver- gleichbaren Fundumstände an fast allen ihren Fun- dorten lassen sich die frühdynastischen Beterstatuet- ten prinzipiell als Ahnenbildnisse deuten.

(18)

Frühdynastische Beterstatuette

aus dem Bereich »Kleiner Antentempel« in Tell Chuera (aus: Talon - van Lerberghe 1997)

Abb. 20

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