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Archiv "Muten und Ahnen im Hilde-Garten" (22.12.1997)

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Die endgültige Rettung der me- dizinischen Wissenschaft steht bevor.

Denn, merke, ein „ganzer Kosmos an neuem Wissen“ kommt auf uns zu. So die bahnbrechende Erkenntnis eines kompetenten Kenners, eines Geistes- kämpen, der immer im Großen und Ganzen und Weiten, kosmisch also, zu denken pflegt: Hans Christian Meiser. Was das von ihm empfohlene Weistum besonders kostbar macht, ist (neben der hemmungslosen An- preisung) das ehrwürdige Alter des Konsumguts, seine augenfällige Wurmstichigkeit; im Schnäppchenla- den des Abendlands verkauft sich so etwas immer gut. Die Fülle der Er- kenntnis hat zudem ein einfaches, fröhlich klingelndes Markenzeichen:

Hildegard.

Das rettende Prinzip, das ins Haus steht, ist die vor acht- hundert Jahren von der Äb- tissin von Bingen ersonnene Heils- und Heilungslehre, die heute, mit bodenlosen Erwar- tungen und Versprechungen reich garniert, als „Hilde- gard-Medizin“ reaktuali- siert werden soll. Deren Prämisse ist eine Art fundamental-religiö- ses Degenerati- ons-Theorem:

„Wärme und Feuchtigkeit wie auch Blut und Fleisch sind nämlich durch

Adams Sündenfall in die entge- gengesetzten Phlegmata umgewan- delt worden.“ Daraus resultieren Krankheiten. Konsequent schließt sich die Vorstellung an, daß Tugend und rechter Glaube, wie sie das Vor- urteil gerade sieht, die verdrehte Phy- siologie wieder um-be-kehren könn- ten.

Krebs, nach Hildegards unwider- leglicher Meinung aus dem „Trocke- nen“ oder „Lauwarmen“ entstehend, zeichnet sich unter anderem dadurch aus, daß „vermes“ (Würmer, von den modernen Hilde-Gardisten allerdings

sanft korrigierend in „Viren“ trans- formiert) den Leib verzehren. Für die Krebsheilung braucht es eine Mixtur aus unter anderem Aal-Galle, pulve- risierten Geierschnäbeln und zermah- lenem Elfenbein. Vor Metastasen schützen drei Messerspitzen Schaf- garbenpulver täglich (zitiert aus Hertzka und Strehlow „Handbuch der Hildegard-Medizin“).

Dieser hoffnungslos uferlosen Lehre ist nun mit Hans Christian Meiser ein kongenialer Weit- sichts-Zeuge und Fernseh-Pro- phet erwachsen. Seiner Verkün- digung zufolge ist „Hildegard“

der Zauberschlüssel für die Tür ins nächste Jahrtausend: wir dür-

fen hoffen,

„daß sich in Zukunft eine gesunde Human- medizin auf der Ba- sis der Hildegard-Me- dizin abspielt“. Also ab- spielte sich’s aus dem vi- brierenden Kehlkopf des Meis(t)ers, der damit die eigene Sendung „Atlan- tis“, Untertitel „Das ver- borgene Wissen der Welt“, in ihrer säku- laren Bedeutung nicht ohne Wohl- wollen würdigte.

Wer aber ist Hans Christian Meiser? Zunächst einmal unter- scheidet er sich von dem namensglei- chen anderen Talk- und Talg-Master Meiser dadurch, daß selbiger trotz aller Anstrengung nur Hans heißt – was doch schon einiges besagen will.

Hans nämlich, geradlinig-ananka- stisch, versteht es zwar, die persönli- che Ausstrahlung seines immer frisch gebügelten Anzugs durch vorgehalte- ne Stichwortzettel abzusichern, so daß er nie aus dem Konzept kommt – ausgenommen, er stößt auf wirkli- chen Widerspruch, was zetteltech- nisch nicht vorgesehen ist. Doch ihm fehlt das charismatische Tiefenruder,

welches nun gerade der schon durch seinen Namens-Dreiklang mehr sphärenmusikalisch angehauch- te Hans Christian Meiser gern be- dient. H. C. M. vertritt in der Medien- landschaft das spirituelle Prinzip; mit unablässigem Schnäbeln, Knabbern und Drauflos-Plappern weiß er auch die unsinnigsten Annahmen aufzu- picken und durch emsiges weiteres Schnabelklappern und Knuspern so weit zu zerfleddern, daß schließlich nur ein teigiges Muten und Ahnen übrigbleibt und jedermann „Bahn- hof“ versteht. Doch gerade das ist dann der gelobte Zielbahnhof des Esoterik-Tourismus, Geheimnishau- sen, Nifelheim, der Ort, wo die

Welt sich in Nebel auflöst.

H. C. M.s besonderer Grundsatz lautet: Am Anfang kommt die Bestätigung – dann kommt das Experiment. Entspre- chend diesem illuminativen Prinzip verfuhr H. C. M. schon in einer frühe- ren Sendung, wo er, von Gongs um- läutet, Teemeister und Wiederauf- brüher fernöstlicher Erkenntnis-Blät- termischungen war. Rührte er doch ei- nes Tages mit einem Wunderstab statt im Tee in gewöhnlichem H2O, um auf diese Weise dem trivialen Naß

„kosmische Energie“ und gesundheit- liche Kraft anzudrehen. Ein zuvor zum Wegblicken vermahnter Studio- gast durfte anschließend prüfende Schlückchen nehmen – der bangen Frage ausgesetzt, ob er das eine Glas vom anderen unterscheiden könne.

Und siehe: er konnte. Das Meisersche Wasser-Wunder ereignete sich vor al- ler Augen. Wenn auch, betrübliche Einschränkung, erst nach mehreren Anläufen; immerhin war es die dritte Anzeige, die ins Schwarze traf. Der ebenfalls kosmisch überzeugte Gast – doppelter Aberglaube ist auch Dop- pelblindversuch – hatte endlich rich- tig getippt – und beide Experten wa- ren sofort einig, daß die vorausgehen- den Fehl-Aussagen als momentane Geschmacks-Schwächen unerheblich seien, während das richtige Resultat durch sein herausragendes Ge- schmackserlebnis wirklich zähle. So wurde auch diese Experimentalreihe zum vollen Erfolg.

Bei derart solid gegründeten Geistesfundamenten ist H. C. M.

natürlich die berufene Gestalt, um A-3459

P O L I T I K GLOSSE

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 51–52, 22. Dezember 1997 (23)

Zeichnung: Ralf Brunner

Muten und Ahnen

im Hilde-Garten

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wissenschaftliches Denken umfas- send zu revolutionieren – nunmehr also mit Mixturen aus dem Hilde- Garten. In der „Atlantis“-Sendung wurde außer der verblichenen (übri- gens nicht kirchlich approbierten)

„Heiligen“ aber auch eine irdische Beistandsmacht aktiv: W. Strehlow, der oben schon zur Krebsbehand- lung zitierte Autor, nahm das Thema strahlungs-, ladungs- und schwin- gungsmäßig in die Hand. Meiser und Strehlow – Fußsoldat und Kanonier im „Atlantis“-Pakt der Wissen- schaftsinnovation – marschierten al- so gemeinsam verheerend querfeld- ein und ließen dabei im Interview- Duett das Hohe Lied der Hilde- gard-Medizin erschallen. Das klang dann so:

H. C. M. (mit Prüfungsblick): „Ich bin skeptisch gegen Edelsteinschwin- gung.“ Strehlow (einen Bergkristall hebend): „Der Stein hat eine Struk- tur, hat Molekülschwingungen. Das kommt aus der prägenden Begeg- nung von Himmelsmaterie, materia lucida, mit Erdmaterie, materia tur-

bulenta. Die Schwingungen werden bei der Heilung auf das Nervensy- stem übertragen.“ H. C. M. (vom Er- kenntnisschock getroffen): „Man könnte vielleicht sagen, dieser Stein ist elektrisch geladen – also natürlich nicht elektrisch – aber er ist gela- den?“ Strehlow (beifallnickend): „Die Eigenschwingung geht nie verloren.

Gegen eine Über- oder Unterfunkti- on der Schilddrüse muß man den Stein in die Sonne legen, ,er wird noch einmal energetisch aufgeladen‘, dann badet man ihn in Wasser und trinkt dieses. Und das reinigt den Kropf . . .“ H. C. M.: „Das erscheint mir schon viel klarer . . .“

„Viel klarer?“ Nein: Alles klar.

Wir schlagen nur noch etwas unter- stützend Werbliches für die neuen Therapieverfahren vor. Etwa: „Hast du Hildegard im Magen, ist der Kropf bald abgetragen.“ Oder: „Den Strehlow ins Köpfchen, bringt Schwingung ins Kröpfchen.“ Schön auch: „Ich bin klein, mein Kropf ist rein, soll niemand drin wohnen als Hans Christian allein.“ Heinz Knapp

A-3460

P O L I T I K GLOSSE/AKTUELL

(24) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 51–52, 22. Dezember 1997

„Ich hoffe, daß es den ärztlichen Körperschaften gelingt, eine rationale Medizin zu fördern. Sie ist auf Dauer die wirksamste und die wirtschaftlich- ste“, sagte Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärzte- kammer (BÄK), anläßlich der dies- jährigen Mitgliederversammlung der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft (AkdÄ), einem Fachausschuß der Kammer, Anfang Dezember in Köln. Indem den be- sonderen Therapierichtungen im 2.

GKV-Neuordnungsgesetz ein Son- derstatus eingeräumt wurde, sind nach Ansicht von Vilmar falsche Ak- zente gesetzt worden: „Der Boden der wissenschaftlichen Medizin ist weit- gehend verlassen worden.“ Dieser Trend sei auch bei der Gesundheits- ministerkonferenz der Länder er-

kennbar gewesen. Die Konferenz ha- be sich ebenfalls für eine Förderung

„unkonventioneller medizinischer Methoden“ stark gemacht. Vilmar hofft, daß sich die Ärzte beispielswei- se durch eine weitere und schnellere Verbreitung von Therapieempfehlun- gen von Fachgremien wie der Arznei- mittelkommission „auf rationale und rationelle Therapien besinnen“.

Auf Kollisionskurs mit Wettbewerbsrecht Immer wichtiger werden solche Therapieempfehlungen, so Vilmar, wenn es darum geht, bei gleichblei- bender Qualität Einsparungen bei Arzneimitteln zu erzielen. Die AkdÄ werde zunehmend solche Empfehlun-

gen erarbeiten. Die Schwierigkeit da- bei sei jedoch, daß die Kommission sich damit auf Kollisionskurs mit dem Wettbewerbsrecht begebe.

Auch Prof. Dr. med. Bruno Mül- ler-Oerlinghausen, wiedergewählter Vorsitzender der AkdÄ, rückte die Dienstleistungs- und Beratungsfunk- tion der Arzneimittelkommission in den Vordergrund. An die Kommissi- on gerichtet, wies er die künftige Ar- beitsrichtung: „Wir müssen uns am Beratungsbedarf der Ärzte orientie- ren, da muß man sich von Lieb- lingsthemen trennen können.“

Nicht immer kann die AkdÄ je- doch ihre Informationen ungehindert an den Arzt bringen. Durch ihre Ein- bindung ins Stufenplanverfahren sei es der Kommission nach geltender Rechtsprechung erst dann erlaubt, In- formationen über ein Verfahren zu veröffentlichen, wenn die zuständige Bundesoberbehörde dies bereits ge- tan habe, sagte Müller-Oerlinghau- sen. Das stehe im Widerspruch zur Verpflichtung der AkdÄ, die Ärzte über Arzneimittelrisiken zu informie- ren. Forderungen nach weitergehen- den Rechten habe der Gesetzgeber je- doch auch in der 8. Novelle des Arz- neimittelgesetzes nicht erfüllt.

Positiv wertet Müller-Oerling- hausen die erweiterten Kompetenzen der Bundesärztekammer – und damit indirekt auch die der Arzneimittel- kommission – bei der Besetzung des Ausschusses für die Verschreibungs- pflicht von Arzneimitteln. Künftig be- nennt die BÄK einen Allgemein-, ei- nen Kinderarzt und einen Internisten für den Ausschuß. Die (niedergelasse- ne) Ärzteschaft habe damit größeren Einfluß darauf, welche Arzneimittel verschreibungspflichtig werden oder bleiben. Diese Frage gewinne in ei- nem zunehmend restriktiven Markt an Bedeutung, da die Industrie unter solchen Bedingungen verstärkt auf Selbstmedikation setze.

Klärungsbedürftig ist nach An- sicht des AkdÄ-Vorsitzenden das Verhältnis der Kommission zum Bun- desausschuß der Ärzte und Kranken- kassen: „Der Bundesausschuß wäre gut beraten, wenn er von der Arznei- mittelkommission nicht nur ökono- misch relevante Beurteilungen erwar- tet. Er sollte auf unsere wissenschaftli- che Kompetenz zurückgreifen.“ HK

Arzneimittelkommission

Therapie-Empfehlungen

werden immer wichtiger

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