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Die efas-Jahrestagung stand unter der Überschrift »Europa in der Krise – Zu- gänge und Ergebnisse der ökonomischen Geschlechterforschung«. Zwei Tage lang diskutierten in der HTW Berlin interna- tionale Referentinnen und Teilnehmer / innen die Auswirkungen der europä- ischen Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Geschlechtergerechtigkeit und erör- terten mögliche gleichstellungspolitische Reaktionen.
Brigitte Young plädierte im ersten Vor- trag »Zentralbanken, Geldpolitik und Gendered Ungleichheiten: Asset Bias« für die Stärkung der makroökonomischen Perspektive: Ungleichheit werde in den Gender Studies und der Feministischen Ökonomie meist als Problem von Ar- beitsmärkten oder Sozial- und Gleichstel- lungspolitik analysiert, die Geldpolitik der Zentralbanken und deren Auswir- kungen auf die Ungleichheit würden je- doch kaum untersucht. Am Beispiel der geldpolitischen Strategien des quantita- tive easing und der durch billiges Geld geförderten Aktienrückkäufe zeigte Young, wie die Geldpolitik mit Vertei- lungseffekten zwischen den Geschlech- tern verbunden ist. Frauen, so die Hypo- these, seien die Verliererinnen der aktuell niedrigen Zinsen, während die hohen Aktienrenditen eher wohlhabenderen (vermutlich männlichen) Personen zugu-
tekämen. Damit sei Geldpolitik auch im- mer Sozialpolitik.
Francesca Bettio plädierte in ihrem Vor- trag »Austerity and Gender Equality Poli- cy: A Clash of Policies?« für eine Tren- nung der Analyse der Gendereffekte der europäischen Finanzkrise einerseits und der Austeritätspolitik andererseits. So habe die relative Geschlechtergerechtig- keit während der Krise auf dem Arbeits- markt insgesamt nicht ab-, sondern sogar zugenommen; da Männer von der Krise stärker betroffen gewesen seien, hätten sich Einkommen und Arbeitslosenrate der Geschlechter angeglichen. Gleichzei- tig, so Bettio, sei europaweit jedoch eine
›Balkanisierung‹ der Geschlechtergerech- tigkeit zu verzeichnen, wobei die Bilanz in Ländern mit starker Austeritätspolitik für Frauen am negativsten ausfalle. Für die Analyse genderbezogener Entwicklun- gen seien daher nicht allgemeine Vorher- nachher-Vergleiche zielführend. Vielmehr müsse systematisch das Maß der Haus- haltskonsolidierung in den einzelnen eu- ropäischen Ländern mit einbezogen wer- den.
Der Vortrag von Camille Logeay wid- mete sich der Geschlechtergerechtigkeit auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Unter dem Titel »Die Wirkung der Krise auf die Geschlechterverhältnisse am deutschen Arbeitsmarkt« konstatierte Logeay, dass
Feministische Studien (© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston) 1 / 16
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Anna Mucha
Tagungsbericht zur 13. efas-Jahrestagung am 19. und 20. November 2015
Europa in der Krise – Zugänge und Ergebnisse der ökonomischen Geschlechterforschung
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die Krise kaum Spuren hinterlassen habe.
Somit gebe es auch keine eindeutige Wir- kung auf die Geschlechterverhältnisse;
Gender Participation Gap, Gender Time Gap und Gender Pay Gap seien weitge- hend stabil. In der anschließenden Dis- kussion wurde dieser Befund den Aus- führungen von Young gegenüber gestellt und die relative Aussagekraft von Ar- beitseinkommen als Indikator für Ge- schlechtergerechtigkeit reflektiert. Mög- liche neutrale bzw. positive Effekte auf dieser Ebene würden unter Umständen durch die Zunahme an Kapitaleinkom- men überlagert, wodurch sich die Un- gleichheit bei den Einkommen verstärke.
Dass die Finanzmarktregulierung gen- derrelevante Auswirkungen hat, zeigte Helene Schuberth in ihrem Vortrag zum
»Einfluss der europäischen Geld- und Fis- kalpolitik auf die Geschlechtergerechtig- keit«. Sie stellte dar, inwiefern im Zuge nicht-konventioneller Maßnahmen der Geldpolitik wie dem quantitative easing stärkere Ungleichheiten in Kauf genom- men werden, deren Abfederung der Fis- kalpolitik überantwortet wird. Schuberth zufolge könne es nicht Aufgabe der Geld- politik sein, unmittelbar in diese Vertei- lungseffekte einzugreifen, da sie hiermit überfordert sei. Als Problem sah sie, dass die erforderlichen fiskalpolitischen Maß- nahmen dann allerdings häufig ausgeblie- ben seien. Es sei zu vermuten, dass eine Geldpolitik, die, um die Finanzkrise ein- zudämmen, die Vermögensbesitzer / in- nen zu Lasten der breiten Bevölkerung schützt, auch die Vermögensungleichheit zwischen Männern und Frauen verschär- fe. Schuberth plädierte dafür, die Vermö- gensverteilung stärker in den Fokus der feministischen Ökonominnen zu rücken.
Es folgte die feierliche Verleihung des efas-Nachwuchsförderpreises. Ausgezeichnet wurden Tina Hundt für ihre Bachelorar- beit zum Thema »Vereinbarkeit von Fa- milie und Dienst in der Bundeswehr« und
Norma Schmitt für ihre Dissertation mit dem Titel »Gender Stereotypes and Indi- vidual Economic Decision-Making«. Die Laudationen hielten Christine Rudolf und Miriam Beblo.
Der Freitag begann mit dem For- schungsforum, in dessen Rahmen vier lau- fende Forschungsprojekte von efas-Mit- gliedern vorgestellt wurden. Claudia Ga- ther und Maria do Mar Castro Varela be- schäftigen sich mit ambulanten privaten Pflegediensten und nehmen dabei insbe- sondere das Spannungsverhältnis zwi- schen Wirtschaftlichkeit und guter Pflege in den Blick. Zur Identifikation betrieb- licher Strategien in der ambulanten Pfle- ge, die gleichzeitig ethisch und wirt- schaftlich sind, führen sie eine Mehrebe- nen-Analyse durch. Marc Gärtner und Monika Huesmann untersuchen flexible Arbeitsmodelle für Führungskräfte. Da- bei nehmen sie verbreitete Arbeitszeitmo- delle wie reduzierte Vollzeit oder Job- sharing in den Fokus, die von Führungs- kräften bisher selten gewählt werden.
Mithilfe von Fokusgruppen-Workshops werden flexibel arbeitende Führungs- kräfte sowie ihr organisatorisches Umfeld zu ihren Erfahrungen befragt. Christine Rudolf und Silke Chorus analysieren im Rahmen der AG »Feministische Meso- / Makroökonomie I: die erweiterte VGR«
Möglichkeiten der zahlenmäßigen Erfas- sung des Volumens der bezahlten und un- bezahlten Arbeit, um daraus die Brutto- wertschöpfung der Care-Ökonomie als Teil der Volkswirtschaftlichen Gesamt- rechnung abzuleiten. Das Projekt GeKo HR von Jochen Geppert und Karin Hilde- brandt zielt darauf ab, Mitgliedern von Hochschulräten Gleichstellungswissen zu vermitteln und sie als Akteur / innen für den gleichstellungsorientierten Wandel an Hochschulen zu gewinnen. Dafür wird relevantes Wissen zielgruppenspezifisch aufbereitet und vermittelt.
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Die Podiumsdiskussion wurde von Heike Jo- ebges moderiert. Im Mittelpunkt stand die Frage nach Empfehlungen für Forschung und Politik, um Gender Equality zu er- reichen. Das erste Statement gab Helene Schuberth ab. Zur ökonomischen Situation von Frauen, so stellte sie fest, gebe es be- reits vielfältige Forschungen, allerdings konzentrierten sich diese meist auf die Ef- fekte für Frauen, kaum aber auf die wirt- schaftspolitischen Rahmenbedingungen, die diese verursachten. Sie plädierte da- für, einen stärkeren Fokus darauf zu le- gen, diese einflussreichen wirtschaftspoli- tischen Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, wie sie mitgestaltet und verändert werden kön- nen. Dorothea Schäfer verwies auf die seit den 1990er Jahren geführte Wachstums- debatte als Ansatz, um Genderthemen stärker in die Makroökonomie einzu- bringen. Aufgrund von Studienergebnis- sen, die besagten, dass das Wachstum eines Landes positiv mit dem Wachstum des Finanzsektors korreliere, hätten viele Länder ihren Finanzsektor gefördert.
Schäfer schlug vor, analog dazu den Gen- der Equality Index zu nutzen und ihn mit Wachstum sowie weiteren landesspezi- fischen makroökonomischen Kennzahlen ins Verhältnis zu setzen und so den Ein- fluss von Gender Equality auf ökono- misches Wachstum zu untersuchen. Bri- gitte Young betonte die fundamentale Ver- änderung der makroökonomischen Rah- menbedingungen in den letzten Jahr- zehnten: Heute herrsche der finanzdomi- nierte Kapitalismus, geprägt durch eine
asymmetrische Verteilung zwischen Ka- pitalbesitzer / innen und Einkommens- bezieher / innen und die Ausrichtung der Unternehmen an kurzfristigen Gewin- nen. In der Spannung zwischen den bei- den Wachstumsmodellen des schulden- finanzierten Konsums und des neomer- kantilistischen Exports plädierte Young dafür, makroökonomische Aspekte in den Blick zu nehmen und deren (re)kon- figurierende Wirkung auf Arbeitsmärkte, Sozialpolitiken und Geschlechterverhält- nisse zu untersuchen. Francesca Bettio stell- te fest, dass es zwar viele Theorie-Praxis- Netzwerke gebe, die sich mit mikroöko- nomischen Themen wie dem Arbeits- markt oder sozialer Sicherheit beschäf- tigten, jedoch kaum welche, die makro- ökonomisch ausgerichtet und in Banken und Finanzmärkte involviert seien; diese Expertise sei für Empfehlungen an die Politik jedoch höchst relevant. Bettio plä- dierte daher für die stärkere Vernetzung solcher Akteur / innen.
Insgesamt war sich das Podium darin einig, dass dringend mehr feministisch- makroökonomische Analysen erarbeitet werden müssten, deren Erkenntnisse in Forschung und Lehre integriert sowie in die Öffentlichkeit vermittelt werden. Da- raus entstand die Idee, einen öffentlich finanzierten Think Tank zu gründen;
dieser solle im Hinblick auf seine Infor- mationsreichweite eine breite Gruppe an- sprechen und Expertise herstellen, die langfristig in die Gesellschaft hineinwir- ke.