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Zur semitischen Epigraphik.
Von
K. BohlottmMn. ')
y.
Metrum und Beim auf einer ägyptisch-aramäischen
Inschrift. *)
Es erklärt sich aus den eigenthümhchen Schwierigkeiten der
semitischen Epigraphik, dass Forscher, deren Verdienste auf diesem
Gebiet allgemein anerkannt' sind, auf Inschriften, die nichts als
trockene Namen enthielten, schwungvolle Poesie zu finden meinten.
Umgekehrt sind auf dem vielbesprochenen Stein von Carpentras
Metrum und Reim unbemerkt geblieben bis auf Joseph Derenbourg,
dessen Scharfsinn wir so manche werthvolle Wahrnehmung ver¬
danken Auch er hat aber von den dort beabsichtigten sechs
Reimen nur zwei erkannt. Und auch sein erster Versuch, das
Metrum zu bestimmen, ist, wie mir scheint, nicht ganz gelungen,
sondem leidet an einigen gezwungenen Annahmen, in Folge deren
es auch geschehen sein dürfte, dass die interessante Entdeckung
nicht die verdiente allgemeine Anerkennung gefunden hat. Hier¬
von überzeugte ich mich auf der letzten Orientalistenversammlung in Tübingen und finde mich dadurch veranlasst, meine Bemerkungen
über den Gegenstand den Fachgelehrten vorzulegen.
Höchst interessant ist doch gewiss der Nachweis von metrischen
und gereimten aramäischen Versen aus der Ptolemäerzeit. In diese
nämlich werden von Aegyptologen und semitischen Paläograpben
aus Gründen, die schwerlich antastbar sind, die bis jetzt bekannt
gewordenen vier Inschriften gesetzt, welche in aramäischer Sprache
und einer eigenthümlich ausgeprägten aramäischen Schriftart ab¬
gefasst sind und sich auf ägyptischen Cultus beziehen. Unter ihnen
1) Vgl. Band XXV S. 149—195.
2) Mitgetheilt auf der Oeneralversammlung zu Wiesbaden am 28. Sep¬
tember 1877. p. B.
3) Journal asiatique. 6<ac aiiiv tome XI p. 277 ff.
188 SchloUmanv, zur semitüchen Epigraphik.
ist die des Steines von Carpentras die wichtigste. Es ist das
Denkmal einer ,Taba Tochter der Tahpi', welche Namen Pr. Lenor¬
mant zuerst befriedigend nach dem Aegyptischen erklärt hat. Die
eingehauenen Bilder zeigen in einer unteren Abtheüung Taba als
Mumie , in einer oberen dieselbe als anbetend vor Osiris. Unter
dem Ganzen steht die vierzeüige Inschrift, die offenbar absichtlich
nach den vier VerszeUen abgesetzt ist. In ihr sind einige letzte
Buchstaben beschädigt: am Ende ist mit Derenbourg ein He zu
ergänzen. Von dem Büde ist ganz oben ein Stück abgebrochen
Die Entzifferung der Inschrift begann mit Barthelemy. Haupt¬
sächlich sind es die Namen Lanci, Kopp, Beer, Gesenius, Deren¬
bourg, die hier den allmähligen Portschritt bezeichnen. Doch war
dieser, wie es zu gehen pflegt, nicht immer ein gradhniger. Mit¬
unter wurde Einzelnes für längere Zeit wieder aufgegeben, was
früher schon richtig erkannt war. Worin ich von Derenbourg ab¬
weiche, werde ich weiterhin darlegen.
Ich gebe zuerst Transscription und Uebersetzung, dann einige
erklärende Bemerkungen, zuletzt eine Besprechung der äusseren
poetischen Porm.
«nb« inoiN ""T NnsMn ■'"nn nna «an naina i
I T..; .. rii: -: tt r-:
:msn nnsN iiJiN ijtnp nn^y «b «iNa tssn^a 2
inp V.? ■'loiN onp ya iin naina inon« on);. 3
1 [nlabis*- T" : imn. : V nT- -Ion vai' " insMS■T : ' nnbct • t iin• <a 4
Uebersetzung.
1. Gesegnet sei Taba, die Tochter der Tahpi,
die Geweihte des Gottes Osiris.
2. Nicht that sie etwas Schlechtes,
nicht sprach sie Verleumdungen wider Jemand, die Reine.
3. Vor Osiris sei gesegnet,
von Osiris empfange Wasser!
4. Beie an vor ihm, du meine Lust,
und unter den Prommen sei in Prieden.
Z. J. Nn:nn. Mit Recht vermuthete Derenbourg hier ein
ägyptisches Wort und erhielt durch de Rouge einen dem voUkommen
entsprechenden Aufschluss. Monh ist ägyptisch = fromm sein,
sich weihen, sich hingeben. Als Substantivum entspricbt monh
auf ägyptischen Denkmälern unter den Beinamen der Ptolemäer
dem griech. tveQyirijg. Daraus büdet sich die aramäische Masculinar- form NtnSJa. Das vorgesetzte n auf unserer Inschrift ist ägyptische
Bezeichnimg des Pemininums. Auf der ägyptisch-aramäiscben Stele
1) J. A. 6. sirie X 513.
2) S. d. Abbildung im Gesen. Mon. Tab. 29 nach Lanci. Das in manchen Stücken weniger genaue Facsimile Barthclemy's s. ebendaselbst Tab. 28.
SchloUmann, »ur temitüchen Epigraphik, 189
des Vatiean, der Grabsehrift eines Mannes, steht neben dessen
Namen genau dieselbe Formel masculinisch, nämhch i^OiN "»T «nsn
«nbN. Damach ist die femininische Form auf unserer InschrM
aramäisch mit AusfaU des kurzen a in dem ägyptischen ta »ri^Kn
zu sprechen, nicht wie Derenbourg schreibt NnjnP. Er sclieini
dabei zu emer Combination mit der semitischen 'N^urzel n:n (vgl.
nnsn) zurückzukehren, an welche die früheren Erklärer unserer
Inschrift dachten. Möghch in der That, dass bei den Aramäem
eine solche Combination stattfand, wie bei den griechisch-ägyptischen
Christen nach Derenbourg's Bemerkung eme Combmation des
ägyptischen monh mit dem griech. fiovaxog = Mönch, was im
Altgriechischen in der entsprechenden Bedeutung „einsam lebend"
nicht nachgewiesen ist.
Z. 2. DSisa. Auch dies Wort hat Derenbourg zuerst richtig
erklärt, indem er es mit dem oyntt (= Dl«, etwas) des Targnm
identifich-t. Früher las man seit Barthfelemy DSI •)» und noch
Gesenius erklärte dies nach seinen Vorgängem = ex ira oder ex
murmuratione. Es leuchtet ein, wie misshch dies ist. — ffi-««3
nimmt noch Derenbourg wie alle seine Vorgänger = o-n mit der
Präposition 3. Er nhnmt die Worte als Lob der Keuschheit ==
nihil cum homine fecit — was sprachhch unmöghch ist. ' Eher
könnte man erklären: nihil contra hominem fecit, wozu das
folgende Glied „neque calumnias in hominem dixit" eine passende
Parallele büden würde. Für diese Erklärang scheint em starkes
Gewicht auf die Wagschale der Umstand zu legen, dass dabei das
ffliN in den beiden parallelen Sätzen genau in gleicher Weise steht.
Indess vermisst man dabei ein Wort im ersten Satze, das dem
iJtnp im zweiten entspricbt. Dies erhält man, wenn man das erste
mit Halövy (Melanges d'fepigrapbie p. 152)') erklärt: Tu n'as com¬
mis rien de maL Dies ist um so mehr vorzuziehen, als die Zu¬
sammenstellung la-Na OTiru = ahquid mah auch im jüdischen Ara¬
mäisch übhch ist. Hierfür verdanke ich einem Freunde zwei
Belege. Bechoroth 51b: rn.ny üVIli = du hast etwas
Schlimmes gethan (Lesart Rasclii's und der Tosephoth). Trg. 2. Kön.
4, 4i: Nina K;"'a Otnu «in «bi entsprechend dem hebr. njfi sibi
TSa sn "^^"l • — 2u Anfang der 2. Hälfte dieses Verses hat man bis jetzt Waw und Kaph gelesen, also "'it'^Di , wobei Gesenins mit
Kopp das Kaph als für Koph stehend nahm "und mit jenem über¬
setzte: et calumnias in quempiam non dixit. Aber ein Kaph ist
nach der genaueren Abzeichnung bei Lanci schwerhch anzunehmen,
vielmehr scheint mir nur ein etwas ungewöhnhch gerathenes p
dazustehen, was man irrig als ai genonunen hat. Der Sinn bleibt
derselbe. — Derenbourg hat hier eiae andere Erklärung wieder-
aufgenonunen, wobei man isnai las und dies gemäss der hebr.
1) Vgl. m. Besprechung dieser Sehrift in der Jen. L. Z. 1873 Art. 396.
1 6 *
190 SchloUmatm, »ur »emitigehen Epigraphik.
Wurzel r;S"i erklärte. Er übersetzt: Nihil secundum hominis
volrmtatem dixit integra und nimmt auch dies als Bezeichnung
der Keuschheit. Aber ein solches nan halten wir im Aramäischen
nicht für möglich. Auch die Verbindung mit dixit secundum
beneplacitum viri passt nicht zu jenem Sinne. Die Ausdrücke
besagen vielmehr deutlich, dass Taba weder etwas Böses gethan
noch geredet habe.
Z. 3. V.'P- n&ch Lanci's Abschrift schon Beer
richtig und erÜärte es aus griechischen Inschriften, nach welchen
dem Verstorbenen gewünscht wird, dass Osiris ihm gebe ro ipv-
XQOV vöeag ') und nach den büdhchen DarsteUungen auf ägyptischen
Denkmälern, die dem entsprechen. Auch Derenbourg findet diese
ihm von Levy brieflich empfohlene Deutung annehmüch, nimmt
aber dennoch üi seinem Texte die von Hamaker nnd Gesenius
fTi]??r'? — '^^Ti-^ jhonorata" auf Derenbourg punctirt nnpii?;,
was eine in keiner Weise zu rechtfertigende Porm ist.
Z. 4. nnbcT ■ t -Irt esto adorans oder s. v. v. adoratrix (sc.^ coram
Osiride). Statt des gewöhnlichen nn^B nehme ich aus metrischem
Grunde (wovon hernach) eine Porm niit erhaltenem i der mittleren
Sylbe an, wie solche in dem Targum der Bomberger Ausgabe
vorkommt z. B. N'n''3S: = sammelnd Buth 2, i« (wofür Buxtorf
«naa hat); sonst müsste man, um drei Sylben zu erhalten, eine
Intensivform nnbc annehn»en, wie sie allen Hauptdialecten gemein¬
sam ist, wie sie aber das Aramäische gerade bei dieser Wurzel
nicht aufweist (vgl. das arab. _'!is mit anderer Bedeutung). —
o
ins»: mit Versetzung der Buchstaben für ini:5»3 nahm schon
Gesenius als Anrede: „Du meine Lust'. Man könnte auch daran
denken, das insns als Object zu nnbc zu fassen : „Wirke beständig
mein Bestes' (nämhch durch deine Pürbitte), welchen Sinn die
Wörter zulassen. Doch müsste man nnbc als st. constr. erwarten.
Auf die Anbetung »vor Osiris weist ja auch die darüber stehende
Abbildung hin.
[n]abT9 iit^in W'^On tiai et inter pios sis pace condonata, beata.
Erst durch das von Derenbourg am Ende der schadhaften Stelle
ergänzte n erhält das Ganze einen passenden Abscbluss. Früher
erklärte man: et. inter pios sis. nbffl = pax! — in jeder Weise
unbefriedigend. — Ich habe mit Gesenius imn gesetzt, was frei¬
lich graphisch nicht so leicht ist wie er meint, weim auch hier in
der Andeutung der beschädigten Bucbstaben (von dem n in nion
an) Lanci das vollkommen Genane hat. Denn alsdann kann man
nur im'? lesen, was aber in dem einzig eine Analogie bietenden
biblischen Aramäisch nur für die hier nicht passende dritte Person
vorkommt, nicht für die zweite. Wül man nicht trotzdem das b
1) Febretti inscriptioois autiquae cap. VI p. 466 C.
1 6 *
SchloUmann, zur aanitischen Epigraphik. 191
hier als ümschreihung für die 2. Person fassen, so muss man em
Versehen Lanci's oder schon des Steinhauers annehmen und iihn
lesen, wie Gresenius in den Bemerkimgen. Dies ist als hebraisirende
d. h. dem Hebräischen analoge Form hinten mit i zn sprechen,
wie auch das obige in]? der gleichen Bildung angehört. In dem
vorausgestellten Texte hei Gesenius ist wohl nur durch ein Ver¬
sehen gedruckt. Dies bat Derenbourg mit ünrecbt aufgenommen.
Denn nach Lanci's Copie, auf die wir bis jetzt allein angewiesen
sind, ist so viel gewiss, dass zwischen nion und im noch ein
Buchstabe sich findet.
Wir gehen nun zur Betrachtung der äusseren dichterischen
Form in unserer Inschrift über.
Die vier Zeilen oder Verse zerfallen in zwei Verspaare, ueren
jedes einem arabischen Beit entspricht. In dem ersten wird von
der Taba m der dritten Person gesprochen, m dem zweiten wird
sie angeredet.
Derenbourg hat nun richtig erkannt, dass die beiden Beit,
also der 2. und 4. Vers mit einem Eeim enden, nämhch nun und
das von ihm hergestellte nUTffi. Aber er hat übersehen, dass auch
die beiden Hälften des ersten Beit den gleichen Eeim haben, näm¬
lich NnbN und ni:n. Die I^ehnform ist also ganz wie in dem bei
den Persem so beliebten Eubä'i = a a b a.
Mein Vorgänger hat femer die richtige Bemerlnmg gemacht,
dass jede Langzeile durch eine Cäsur in der Mitte in zwei He¬
mistichien getheilt wird und dass, was noch Gesenius verkannte,
nicht nur mit jeder Langzeile, sondem ancü mit jedem Hemistich
ein Gedanke abschliesst. Aber es ist ihm entgangen, dass die drei
ersten Hemistichien des zweiten Beit miteinander gereimt sind,
nämUch durch die Worte iin, inp, inS'?:, während in dem
vierten Hemistich mit dem nübiö der'Hauptreim wiederkehrt, der
das zweite Beit mit dem ersten verbindet — ein« Eeimweise,
die besonders in dem volksthümlichen türkischen Scharki be¬
liebt ist.
Der Eegelmässigkeit des Reimes entspricht in unserer Inschrift
die des Metrums. Wir finden nämlich ähnlich wie in der späteren
syrischen Poesie eine Sylbenzählung, die selbstverständlich auch
mit Hebung und Senkung verbunden ist. Dabei ist, wenn wir
unsem Text nach Weise des biblischen und targumistischen Ara¬
mäisch punktiren, nach jener syrischen Analogie das Schwa, sowohl
das einfache als das zusammengesetzte, nicht mitzurechnen. Auch
Derenbourg hat dies richtig als Prinzip aufgestellt. Aber er bleibt
ihm in der Ausführung nicht getreu, sondem erlaubt sich, um
eine gewisse Anzahl von Sylben herauszubringen, aUerlei Gewalt¬
samkeiten. So liest er einmal in Z. 3 und zweimal in Z. 4 ein
zweisylbiges unhaltbares iin statt des einsylbigen iin; in Z. 4
ausserdem ein dreisylbiges Njpn statt des zweisylbigen ' n^pn (denn
im Original steht n, nicht N, als orthographisches Zeichen der
192 Sehlottmann, zur »emitischen Epigraphik.
langen Sylbe). In Z. 3 setzt er die dreisylbige Unform NIJ55173
statt des zweisylbigen «"nisrn (wo übrigens, wie wir saben, "'n'lj' T'ä
zu lesen ist). Dagegen entzieht er dem Namen inoiN in Z. i und
zweimal .in Z. 3 die mittlere Sylbe , indem er sicher unrichtig
inplN punktirt So gelangt er zu der Annahme, dass jedes Hemistich je sieben Sylben habe, die beiden aber, welche den Beim enthalten,
acht. Dies kommt übrigens nach seiner Punktation nicht einmal
heraus, denn das letzte Hemistich, welches den Beim enthält, hat
nach seiner Schreibung nnb» iin Njon neun Sylben.
Wenn wir diese Unzulässigkeiten beseitigen und kein Schwfi,
als Sylbe rechnen, so findet sicb, wie aus der obigen Transscription
zu ersehen ist, dass in jeder Langzeile das erste Hemistich je
sieben, das zweite je acht Sylben zählt. Dabei haben wir uns nur
die Annahme der einzigen ungewöhnlichen Form nnbc in Z. 4
erlaubt, wofür wir aber doch eine Analogie beibrachten. Sie dürfte
auch hier durch die sich aufdrängende Präcision der Form eben
so sicher geboten werden, wie Aehnhches in arabischen Versen,
wo nicht selten die des Metrums unkundigen Abschreiber irrig das
Gewöhnliche an die Stelle des Ungewöhnhchen setzen.
Zur Verdeuthchung des Rhythmus gebe ich schliesslich noch
eine Transscription in lateinischer Schrift:
1 Bricbä T&bä brät Tahpi tnionhä zi Osiri 'läba.
2 Minda'äm b'isch Itt 'abdät karse 'isch lä 'amrät tamms
3 Kdäm Oiiri bricbä hvi min kdäm Osiri majin khi.
4 Hvi phälicbä nim'äti üben hsajjä tehvi schlemä.
Nachschrift
Den Inhalt des Obigen hat mein junger Preund, Hr. Dr.
Frenkel, auf der Orientalistenversammlung in Wiesbaden zum Vor¬
trag und zur Debatte gebracht. Das Manuscript ist hier ganz so,
wie ich es ihm damals übergab, abgedruckt, mit Ausnahme der
Erklärung von ifiiNa in Z. 2, die ich abgeändert habe. Ich schliesse
mich nämlich aus den oben entwickelten Gründen der Auffassung
an, die Hr. Hälfe vy auf jener Versanunlung vertreten hat.
In Betreff desjenigen, was mir von der dortigen Debatte mit¬
getheUt wurde, füge ich hier, anstatt der mir versagt gewesenen
persönlichen Betbeiligung au derselben, einige schriftliche Be¬
merkungen hinzu.
In graphischer Hinsicht wurde meine Lesimg iaip in Z. 2
angegriffen. Aber ich verweise auf das darüber oben Bemerkte
imd auf eine genauere Vergleichung der Zeichnung von Lanci.
Das von mir angenommene p ist von den übrigen p der Inschrift
etwas verschieden. Aber Gleiches gilt, wenn man statt dessen m
liest, in noch höherem Masse von diesen beiden Zeichen. Eine
SchloUmann, eur »emüischen Epigraphik. 193
genaue Vergleichimg des Originals wSre in diesen wie in anderen
Punkten sehr wünschenswerth.
^ In Betracht der Einzelerklärung wurde beanstandet:
1) Das Tip am Ende von Z. 3, weil es kein aramäisches, son¬
dern nur ein hebräisches Wort sei. Aber dabei übersah man, dass
ein Gleiches auch hinsichthch des ©it* gilt, das sich in Z. 2 b
zweifellos findet. Wir haben bier eben einen aramäischen Dialekt
vor uns, der mehr noch als das sogenannte biblische Chaldäisch
Elemente der Sprache Kanaans in sich aufgenommen hat, sei es,
dass derselbe von abtrünnigen Juden, sei es, dass er von anderen
gesprochen wurde, die dem Sprachgebiete Kanaans angehören. —
Die Lesung Tip aber ist vollkommen sicber. Nach Lanci's Zeich¬
nung kann der mittlere Buchstabe nur ein n, und der letzte nur
ein 1 sein. Gegen die Lesung tTipa^ja spricht auch der Zwischen¬
raum zwischen 3 und p.
2) Statt des am Ende von Z. 4 nach D. hergestellten nzbio
forderte man Nn73b«J. Auch bier gilt dasselbe wie in dem vor¬
hergehenden Palie. Man übersah die Analogie von riDila Z. 1
und 3, rtTsn Z. 2, nnbc Z. 3, (nicht NnDiia u. s. w.) Uebrigens
wäre auch für die Lesung «nnbiB oder nnnbiB hinlänglicher Raum
in der Lücke vorhanden.
Was die Annahme von Metrum und Reim anbelangt, so
war ich dabei von vornherein, wie ich das auch gegen Dr. Prenkel
aussprach, auf die Skepsis der Facbgenossen gefasst, die dem Auf¬
lalligen der Erscheinung gegenüber hier sehr berechtigt war. Auch
ich habe es daran nicht fehlen lassen. Die betreffenden Wahr¬
nehmungen drängten sich mir gleich beim ersten Lesen vori Deren¬
bourg's Erklärung der Inschrift auf Ich habe dieselben erst nach
wiederholter Prüfung, nacb Verlauf mehrerer Jahre veröffenthcht.
Um so mehr darf ich in dem vorliegenden Falle auch die Facb¬
genossen um sorgfältige Prüfung dessen bitten, was bei mir selbst
die Skepsis überwunden hat.
Der Reim taucht im A. T. (ähnlich wie auch bei den clas¬
sischen Dichtem) hie und da, z. B. im Lamech-Liede, wie zufällig
auf, aber doch so, dass man nicht umhin kann zu denken, der
hebräische Dichter habe selbst ihn wahrgenommen und nicht un¬
schön gefunden, sondem vielmehr wahrscheinlich an dem Klangspiel
ein Gefallen gebabt. Wenn nun auf der Orientalistenversammlung
die Bemerkung fiel, dass man ähnliche elementare Anfänge des
Reimes auch auf einer alten Inschrift wohl anerkennen würde, nicht
aber eine schon so künstliche Combination wie die - von mir ange¬
nommene, so war das eine aprioristische Wahrscheinlichkeitsrech¬
nung, aber kein Beweis. Durch meine Wahrnehmungen wird, trotz
der Kleinheit des Gegenstandes, ein ganzer Complex von That¬
sachen gesetzt, die sich gegenseitig bestätigen. Es ist nach meiner
Ueberzeugung nicht möglich, diesen ganzen Complex, wenn er
wirklich vorhanden ist, für blosses Spiel des Zufalls zu erklären.
Bd. XXXII. 13
194 ScMoUmatm, mr semititehen Epigraphik.
Man kann das versuchen (vmd ich selbst habe es versucht), aber
es wird sich einem unbefangenen Urtbeil gegenüber nicht aufrecht
erhalten lassen. Widerlegen kann man mich also nur durch den
Nachweis, dass ich mich hinsichtlich jenes Complexes von That¬
sachen, trotz wiederholter Prüfung geirrt habe.
Es handelt sich hierbei um folgende Momente, die ich zu
leicbterer Uebersicbt thesenförmig zusammenstelle.
1) Die Inschrift besteht aus vier Zeilen und acht Halbzeilen. Jede
von jenen bildet einen in sich abgeschlossenen Gedanken, jede von
diesen entweder einen Satz oder doch ein Satzglied, das in sich
abgeschlossen ist.
Hierin ist Hal6vy a. a. 0. mit Unrecht von seinem Vorgänger
Derenbourg abgewichen und durchgängig zu Gesenius zurückgekehrt.
Er zieht nämlich das Hi:n am Ende von Z. 2 zu Z. 3 a: ,6 pieuse,
sois benie par Osiris'. Und eben so verbindet er Z. 3 b vmd 4 a
zu Einem Satze: ,de par Osiris sois honoröe dor6navant(?)" '). Das
Richtige wird demgegenüber gemäss dem Verum index sui et falsi
durch seine Einfachheit einleuchten.
2) Die 8 arixoi fügen sich genau nach dem Gesetz des
hebräischen Vers- und Strophenbaus gedankenmässig zusammen.
Dies wird durch einen Blick auf unsere obige Uebersetzung
klar werden, in welcher die arl^oi abgesetzt sind. Iede Zeile
antbält zwei parallele Glieder, wie ein zweigliedriger masorethischer
Vers. Z. 1 und 2 einerseits, Z. 3 imd 4 andererseits scbliessen
sich ganz nach der häufigen Form der hebräischen Verspaare zu¬
sammen. Es genügt hier als einziges Beispiel den 3. Psalm anzu¬
führen. Er besteht aus zwei Hälftsn von je vier Versen. Jede
Hälfte entspricht in dem Aufbau der ari^oi voUkommen den vier
Zeilen unserer Insebrift, nur dass in V. 8 drei ttTi;(oi statt der
sonstigen zwei stehen. Ich setze die ersten vier Verse hierher:
2. Jehova, wie viel sind meiner Uränger, viele erheben sieh wider mich.
3. Viele sprechen von, meiner Seele:
er hat keine Hülfe bei Gott.
4. Äber du, Jehova, bist ein Schild um mich her, meine Ehre und der meiu Haupt erhöht.
5. Mit meiner Stimme rufe ich zu Jehova, so erhört er mich von seinem heiligen Berge.
Eine gewisse Analogie zu unserer Inschrift tritt zufäUig auch
darin hervor, dass, wie in dieser in Z. 1. 2 von Taba in der
3. Person, in Z. 3. 4 in der 2. Person geredet wird, in V. 4 und
5 wenigstens die Anrede an Jehova durchgängig ist, während in
V. 2 nur die Anrufung an der Spitze steht, dann aber von den
1) Das Kragezeichen zu dorinavant setzt er selbst. Er erklärt so, ich weiss nicht nach welcher Combination , das TISD: . Er liest dabei, wie Ge¬
senius und Derenbourg am Ende von Z. 3 mpJ^M, was, wie oben bemerkt worden, schon graphisch unmöglich ist.
Schlottmann, »ur tenütiichen Epigraphik. 19;')
Feinden in der 3. Person gesprochen wird. Ebenso steht hernach
in V. 6. 7 die erste, in V. 8. 9 die zweite Person.
3) Nach dieser in der gedankenmässigen Construetion des
Ganzen bepündeten Analogie der hebräischen dichterischen Form
ist auch das Vorhandensein eines Rhythmus in unserer Inschrift
als selbstverständlich vorauszusetzen.
Der Verfasser unserer Inschrift bat die in derselben vorlie¬
gende dichterische Form sicher nicht erst selbst erfanden, sondem
er hat an etwas volksthümlich Gegebenes angeknüpft. Alle alte
volkstbümlicbe Poesie war aber ursprünghch mit Musik verbunden
und hatte von daher einen dem musikahschen Takt entsprechenden
Rhythmus. Das Vorhandensein eines solchen neben dem gedanken¬
mässigen Parallelismus hat man auch in der hebräischen Poesie
längst anerkannt, wenn gleich die genaue Bestinunung desselben
ein schwer zu lösendes Problem ist. Es lag zu Tage, dass dabei
nicht die Sylben, sondem nur, ähnlich wie z. B. in der altdeutschen
Poesie, die Hebungen gezählt wurden. So hatte der im Buche
Hiob vorherrschende zweigliedrige Vers sicher, wozu auch eine
alte Tradition stimmt, drei Haupthebungen in jeder Hälfte (vgl.
meinen Commentar zu dem Buche S. 68 f ). Die einschlägige
Untersuchung ist neuerhch von Ley zwar nicht zum Abscbluss
gebracht, aber doch wesenthch gefördert worden. — Man wird
damach zugeben, dass der Schluss der Analogie auf einen irgend¬
wie vorhandenen Bhythmus in unserer Inschrift berechtigt ist.
4) Bei der dadurch erforderten formellen Untersuchung unserer Inschrift stellt sich als zweifellos heraus, dass hier nicht nur die
Hebungen sondem auch die Sylben gezäblt worden md und dass
jede ZeUe in jeder ihrer Hälften vier Hebungen hat, die in der
je zweiten Hälfle mit Sicherheit, in der je ersten mit höchster
Wahrscheinlichkeit zu bestimmen sind.
Meine Zählimg von sieben Sylben in dem je ersten, von acht
in dem je zweiten Hemistich jeder Sylbe wird schwerlich als un¬
richtig oder auch nur als unsicher nachgewiesen werden. Man
müsste zu dem Ende entweder das Prinzip meiner Zählung be¬
streiten, oder darthun, dass die Anwendung desselben eine un¬
richtige oder unsichere sei. Gelingt weder das eine noch das
andere, so steht mein Resultat als zweifellos fest.
Das Prinzip ist das des syrischen Verses. Es ist dort doch
sicher nicht zufällig, sondem es ist aus den Lantverhältnissen des
Aramäischen, welches unter allen semitischen Dialekten am meisten
die ursprünglichen Vokale beseitigt und in Folge dessen die Haupt¬
massen schwerer Sylben unvermittelt neben einander gestellt bat,
mit innerer Nothwendigkeit hervorgegangen. Sind also in unserer
Inschrift die Sylben gezählt, so wird man zur Besthnmung ihrer
Zahl nur jenes Prinzip anwenden können.
Die Anwendung des Prinzips ist in den ersten drei Zeilen
eine vollkommen sichere. Es triflft sich günstig, dass dort kein
13*
196 SchlottiAann, zur temitücken Epigraphih
einziges Wort in, einer anderen Weise punctirt werden kann, durch
welche sich eine andere Sylbenzahl als Resultat ergäbe. Ich glaube
nicht, dass jemand im Emst auf die oben zurückgewiesene Lesung
inp IN statt inp'iN zurückgreifen wird, um sie mir entgegenzuhalten.
Die letztere wird sowohl durch die griechisch-lateinische Aussprache als durch das pbönicische ION bestätigt.
Steht aber für die drei ersten Zeilen eine genaue Sylben¬
zählung fest, so wird man sie auch für die leider verstümmelte
letzte Zeile mit fast mathematischer Sicherheit voraussetzen dürfen.
Mir scheint überdies , dass auch hier factisch der gleiche Versbau
von -mir in einer Weise dargelegt ist, die in ähnhchem FaUe auf
dem Gebiete jeder anderen Literatur als völlig genügend gelten
würde.
Es kommt ein äusserer Umstand zu Hülfe. Die drei ersten
Verszeilen sind nämhch so in den Stein eingebauen, dass die drei
Endbuchstaben ziemhch genau unter einander stehen, obgleich links
noch Raum übrig bleibt. Das Uebrigbleiben eines solcben gleieh¬
mässigen leeren Raumes auf der linken Seite ist überhaupt sonst
auf altsemitischen Inschriften, soriel ich mich erinnere, etwas völlig
Beispielloses. Es erinnert ganz an die Sorgfalt, mit welchfer
arabische, .persische, türkische KalHgraphen ihre Verse so zu
schreiben pflegen , dass die den Reim enthaltenden Endbuchstaben
genaü untereinander stehen. Nur die 4. Zeile unserer Inschrift
macht in dieser Beziehung eine Ausnahme. Und doch hat der
Steinhauer oflFenbar hinter !T>on, um eine Gleichmässigkeit des
Endes mit dem der oberen Zeilen wenigstens annähemd zu er¬
streben, ungleich grössere und weitere Buchstaben gesetzt. Den¬
noch st^t das letzte erkennbare Zeichen, das 0 in Dbffl noch weit
hinter den übrigen Zeilenenden zurück. Es hegt also schon aus
dem kalhgraphischen Grunde die Vermuthung nahe, das.s hinter
obo etwas ausgefallen ist. War dies der Fall, so kann man die
Lücke schlechterdings nicht anders ausfüllen, als indem man mit
Derenbourg irablS liest, oder auch nnnbo, was die Lücke noch
vollständiger ausfüllen würde. Und damit erhalten wir zugleich
in Z. 4b die erforderten acbt Sylben, wenn man, was gewiss das
einzig natürliche, das i vor dem als ü liest.
Nun ist aber Derenbourg auf eben diese Ergänzung ohne
jenes kalligraphische Moment, das er nicht bemerkte, lediglich im
Interesse des Sinnes gerathen, und zwar, wie ich oben gezeigt habe,
mit gutem Gmnde. Aucb Halevy übersetzt a. a. O. : ,et, au
milieu des fidfeles, reste en paix". So kann aber umnöglich iinr
ob© gedeutet werden: es ist dabei vielmehr !inbo oder nmbio
durchaus erforderlich.
So bleibt nur noch die Schwierigkeit des nnbo in Z. 4 a
übrig. Ihre oben gegebene Beseitigung wird man aber, wenn sie
die einzig mögliche ist, vollkommen berechtigt finden, sobald man
Schlottmann, zur semitischen Epigraphik. 1*^1
die Eichtigkeit der Sylbenzählnag in allen anderen Theilen der In¬
schrift zugestanden hat.
Was die Hebungen betrifft, so wird man sie in dem je zweiten
Hemistich nicht anders annehmen können, als ich sie oben gesetzt
habe. Im je zweiten Hemistich wäre vielleicht noch eine andere
Auflfassimg denkbar, nämhch folgende :
Bricbä Taba brat Tähpi
und analog in den andem entsprecbenden Hemisticben. Doch halte
ich dies fär nicht wahrscheinlich.
5) Kann man der Anerkennung eines kunstvollen Metrnms in
der Inschrift sich nicht entziehen, so wird man auch den kunst¬
vollen Reim als beabsichtigt fassen müssen j durch welchen dem
GedankenparaUelismus gemäss sowohl das Ganze, als innerhalb des¬
selben die näher zusammengebiirigen Theile mit einander verbun¬
den werden.
Der Beim -ä verbindet Z. 1 und 2 näher mit einander, beide
aber zugleich, indein er in Z. 4 wiederkehnt, mit der zweiten
Hälfte des Ganzen. Der Beim -1 schhesst Z. '8 und 4 näher zu¬
sammen, bewirkt also für die' zweite Hälfte, für sich genommen,
dasselbe, wie der Reim -ä für Z. 1 und 2.