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Was bringt die erneute Militäroffensive?

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Die Türkei in Syrien

Was bringt die erneute

Militäroffensive? Von Bernhard Trautner und Tina Zintl,

Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

vom 31.01.2018

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Die Türkei in Syrien: Was bringt die erneute Militäroffensive?

Bonn, 31.01.2018. Kaum, dass der sogenannte Islami- sche Staat (IS) im Irak und weitestgehend auch in Syri- en militärisch niedergerungen ist, eskaliert die Türkei den alten Konfliktherd um die Kurden in ihrem unmit- telbaren Grenzgebiet erneut. Dabei waren es die Kur- den, die buchstäblich in letzter Minute den IS nicht nur vor einer weiteren Ausdehnung im Irak gestoppt, son- dern unter Einsatz von Menschenleben niedergekämpft haben – zusammen mit einer internationalen Militär- koalition, die zumeist aus der Luft unterstützte. Die tiefsitzende türkische Angst vor einem „terroristischen“

Kurdenstaat an der Südflanke führte zur aktuellen Bodenoffensive – doch darf bezweifelt werden, ob diese Offensive tatsächlich auf lange Sicht türkische Interessen befördert.

In den kurdischen Gebieten im Irak und in Syrien waren schon vor der Ausbreitung des IS Inseln relativer Stabi- lität im Chaos der Stellvertreterkriege seit der Arabellion (2011) beziehungsweise der US- Intervention im Irak (2003) entstanden. Dort, in den kurdischen Enklaven in Nordsyrien (auch „Rojava“

genannt), wird seit einiger Zeit schon, unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, ein ‚Neuer Gesellschaftsvertrag‘

umgesetzt, der – trotz massiver Schwächen in der Um- setzung – optimistisch stimmen kann. Anders als viele Kurden im Irak, zielt diese Bewegung gerade nicht auf nationale Unabhängigkeit, sondern auf Emanzipation und Inklusion im Rahmen geregelter Dezentralisierung zur innergesellschaftlichen Befriedung ab. Ob ein föde- rales Syrien, basierend auf dem in Rojava ausgehandel- ten Gesellschaftsvertrag, möglich und erstrebenswert ist? Allein den Syrern muss es vorbehalten sein, darüber zu entscheiden! Stattdessen zerbombt der NATO- Partner Türkei, mit russischer Billigung, nicht nur diese Option auf nachhaltige Stabilität, sondern zerstört auch die momentane relative Stabilität und schafft damit neue Fluchtursachen und Vertriebene.

Die aktuelle türkische Militäroffensive birgt nicht nur völkerrechtlichen und sicherheitspolitischen Spreng- stoff, sondern sie schadet auch entwicklungspoliti- schen Überlegungen und dem Wiederaufbau Syriens nach dem Konflikt. Die kurdische Eigeninitiative, einen innergesellschaftlich tragfähigen, weil überkonfessio- nellen und interethnischen Gesellschaftsvertrag auszu- handeln, welcher der Startpunkt für einen künftigen föderalen syrischen Staat sein könnte, wird systema- tisch bestraft. Das entwicklungspolitische Credo, eine Gesellschaft müsse befähigt werden, sich selbst zu helfen, wird hier mit Füßen getreten.

Die aktuelle türkische Flucht nach vorne läuft den län- gerfristigen Interessen der Türkei eher diametral ent- gegen als dass sie einer nachhaltigen Befriedung an der

türkischen Südflanke förderlich wäre. Die – wohl kaum auf dauerhafte Präsenz angelegte – Militäroffensive droht die Türkei weiter von ihren westlichen Partnern zu entfernen, mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die NATO und Syrien, sondern auch für die Türken selbst: Die Aktion reiht sich ein in eine Abfolge von früheren Versuchen der türkischen Regierung, teilweise realen, zumeist aber sich als Gegenreaktion selbst erfül- lenden, Bedrohungsszenarien zu begegnen. Ihnen allen liegt dasselbe überholte Narrativ des kurdischen Terro- rismus zugrunde: Verhandelte Erdogan vor noch nicht allzu langer Zeit mit dem türkischen Kurdenführer und jetzt von ihm wieder als ‚Oberterrorist‘ beschimpften Abdullah Öcalan über eine echte kurdische Autonomie, gelten ihm heute selbst zivile kurdische Parteien, wie die HDP, wieder als Terroristen. Gruppierungen wie die in Nordsyrien dominierende PYD werden nur mehr schlicht als verlängerter Arm der PKK gesehen. Diesem wenig überzeugenden Narrativ liegt die Furcht vor der potentiellen Strahlkraft eines vielleicht sogar erfolgrei- chen kurdischen Modells zugrunde.

Mit diesem Perspektivwechsel versperrt sich Erdogan Optionen, die die Türkei von ihrem Weg in den Paria- Staat abbringen und wieder in die auf Regeln und Ver- einbarungen basierte Staatengemeinschaft zurückfüh- ren könnte: Eine Gemeinschaft, in der Krieg im äußers- ten Fall der Selbstverteidigung eine völkerrechtlich zulässige und legitime Fortsetzung von Politik sein kann. Der wichtigste Schlüssel dazu liegt jedenfalls „zu Hause“ – oder in den Worten des Staatsgründers Ata- türk: "yurtta sulh, cihanda sulh" ("Friede zu Hause, Friede in der Welt“).

In den komplexen, internationalisierten Bürgerkriegen in Syrien oder im Irak wird es mittelfristig darum ge- hen, die Logik von Stellvertreterkriegen zu einer Logik von „Stellvertreterfrieden“ umzukehren. Angesichts der begrenzten Möglichkeiten, die Deutschland (etwa über staatliche Garantien für Handel und Investitio- nen), der EU (über die Assoziierungsverhandlungen) oder den NATO-Partnern (über die Konditionierung von Waffenlieferungen) zur Verfügung stehen, gilt: Es geht darum, die Türkei in ihre regionalpolitische Ver- antwortung zu nehmen. Zusammen mit den anderen Hegemonialmächten Iran, Saudi-Arabien, Katar und den V.A.E muss ein befriedender Einfluss auf ihre jewei- ligen Stellvertreter ausgeübt oder zumindest die Aus- breitung von lokalen Stabilitätskernen nicht behindert werden. Das kurzsichtige Verhalten Erdogans auch zum längerfristigen strategischen Nutzen der Türkei zu beeinflussen und eine weitere Destabilisierung der Region zu verhindern gelingt Deutschland jedenfalls nur gemeinsam mit Partnern.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 31.01.2018

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