Philipps-Universität Marburg Fachbereich Chemie
15133 00885 SE Übungen im Experimentalvortrag für Studierende des Lehramts
Leitung: Herr Prof. U. Koert, Herr Prof. U. Müller, Herr Prof. B. Neumüller, Herr Dr. Ph. Reiß
Sommersemester 2005
Ausarbeitung zum Experimentalvortrag mit dem Thema:
vorgelegt von:
Julia Kranz
Anschrift: Pilgrimstein 26, 35037 Marburg, Tel.: 06421/979880 E-Mail: JuliaKranz@gmx.de
Was tun bei…?
Streifzüge durch den
Körper und die Apotheke
Hinweis:
Dieses Protokoll stammt von der Seite www.chids.de (Chemie in der Schule).
Dort können unterschiedliche Materialien für den Schulunterricht herunter geladen werden, unter anderem hunderte von Experimentalvorträgen so wie der vorliegende:
http://online-media.uni-marburg.de/chemie/chids/veranstaltungen/uebungen_experimentalvortrag.html
Inhaltsverzeichnis
1 Arzneimittel in der Historie: Motivationsphase 1
D1: Apotheken-Schauglas 1
2 In der Rezeptur der Apotheke: Biogene Arzneimittel 5 2.1 Baldrian: Was tun bei…Schlafstörungen und Unruhe? 5 D2: Gewinnung ätherischer Öle aus Baldrianwurzel 5 2.2 Antibiotika: Was tun bei…bakteriellen Erkrankungen? 9
D3: Wirkungsweise von Penicillinen 12
3 In der chemisch-pharmazeutischen Industrie: Synthetische 16 Arzneimittel
3.1 Analgetika: Was tun bei…Schmerzen jeglicher Art? 16
V 1: Synthese von Paracetamol ® 18
V2: Nachweis von Paracetamol ® 20
V 3: Modellversuch zu Drug-Delivery-Systemen 26
3.2 Antazida: Was tun bei…Sodbrennen? 30
V4: Räumt Rennie ® den Magen auf? 31
D4: Wirkungsweise von Alginatpräparaten 35
V 5: Talcid ® und Fruchtsäuren 38
4 Schulrelevanz und Ergebnis 42
4.1 Was kann man also tun…bei Nichtnennung im Lehrplan? 42
5 Literaturangaben
44
1 Arzneimittel in der Historie: Motivationsphase
Gesund sein und bleiben – ein Wunsch, der für die Menschen von je her von ganz besonderer Bedeutung war und ist. Für eine ganze Reihe von Heilpflanzen finden sich Hinweise auf ihre Anwendung schon in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit prägten namhafte Personen das Bild der Medizin: Zu ihnen zählen Theophrastos von Eresos (371-287 v. Chr.), Odo von Meung (11.
Jahrhundert), Avicenna (980-1037), Hildegard von Bingen (1089-1179) oder Paracelsus (1493-1541), um nur eine Auswahl zu nennen [30].
Während von diesen die pharmakologische Wirkung von tierischen, pflanzlichen und mineralischen Produkten auf den menschlichen Organismus erforscht wurde, kam es in der Neuzeit im Zuge der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu ganz erheblichen Veränderungen des Arzneischatzes: Es begann der Siegeszug der organisch-synthetischen Arzneimittel.
Die Apotheken hatten eine Vielzahl von Arzneimitteln im Angebot, für die durch so genannte Apotheken-Schaugläser, die in den Auslagefenstern der Apotheken ausgestellt wurden, Werbung gemacht wurde:
Demonstration 1: Apotheken-Schauglas [24]
Geräte:
Geeignetes Glasgefäß, z.B. schlanke Essig- oder Weinflasche
Chemikalien:
Edukte M
[g/mol]
Smp.
/Sdp.
[°C]
R/S-Sätze und Gefahrensymbole
Verwendete Menge [mL oder g]
Trichlormethan (Chloroform)
119,38 -63 61
R 22-38-40-48/20/22 S 36/37
Xn
100 mL 1,2,3-
Propantriol (Glycerin)
92,09 18 290
S 24/25 100 mL
Sudanrot 7B 379,45 130 R 40
S 22-36/37-45 Xn
1 Sp.
Rizinusöl Fp. S 24/25 100 mL
229
Ethanol 47,07 78 R 11
S 7-16 F
ca. 50 mL
Lebertran --- 100 mL
Methylenblau 319,85 190 R 22 Xn
ca. 1 mL
Methanol 32,04 -98
65 R 11-23/25 S 7-16-24-45 F, T
100 mL Leichtbenzin 20-80 R 11-38-51/53-65-67
S 9-16-23-24-33-61-62 Xn, F, N
100 mL
Versuchsprotokoll:
Einzelne Flüssigkeiten werden zunächst zur besseren Erkennung der Phasengrenzen angefärbt: Chloroform besitzt durch die Extraktion von Chlorophyll aus Gras eine grüne Farbe, Rizinusöl wird mit Sudanrot 7B gefärbt, Lebertran besitzt von Natur aus eine leicht gelbe Farbe und zu Methanol wird Methylenblau zugesetzt.
Diese Färbetechniken und Farbstoffe wurden Ende des 18. Jahrhunderts zum Färben von Tabletten, Tinkturen und Extrakten eingesetzt.
Zudem bereitet man ein Ethanol-Wasser-Gemisch mit einer Dichte von 0,935 g/m 3 , was ca. 48 Vol% Ethanol entspricht.
Anschließend lässt man die Flüssigkeiten vorsichtig in folgender Reihenfolge in das Glasgefäß fließen: Chloroform – Glycerin – Rizinusöl – Ethanol-Wasser-Gemisch – Lebertran – Methanol – Leichtbenzin.
Entsorgung:
Der Inhalt des Glasgefäßes wird neutral in den Behälter für organische Abfälle entsorgt.
Versuchsauswertung:
Die Schichtung der verschiedenfarbigen Flüssigkeiten beruht auf ihrer
unterschiedlichen Dichte: Die Dichte der Verbindungen im Gefäß nimmt
nach oben hin ab, so dass sich immer die Verbindung mit der geringeren
Dichte über der mit der höheren Dichte anordnet:
Name Dichte g/mL
Leichtbenzin ~0.72
Methanol 0.79
Lebertran 0.90
Ethanol-Wasser-Gemisch 0.93
Rizinusöl 0.96
Glycerin 1.26
Chloroform 1.49
Zudem wird ein Vermischen der Flüssigkeiten dadurch verhindert, dass immer abwechselnd eher hydrophile und eher lipophile Verbindungen übereinander geschichtet werden.
Selbstverständlich verwendete man zur Herstellung der Schaugläser pharmazeutisch relevante Substanzen, die zu jener Zeit in den Apotheken abgegeben wurden:
Chloroform wurde 1847 durch Simpson als Narkosemittel eingeführt.
Unter Narkose versteht man die reversible Lähmung von Teilen des ZNS, wobei Bewusstsein, Schmerzempfindung, Abwehrkräfte und Muskelspannung weitgehend ausgeschaltet sind; die lebenswichtigen Zentren aber möglichst unbeeinflusst bleiben. Aufgrund des Verdachts auf Kanzerogenität wird Chloroform heute nicht mehr als Narkosemittel eingesetzt.
Glycerin dient als Lösungsmittel, Weichmacher und Feuchthaltemittel. Es wird zur Bereitung pharmazeutischer Präparate und in der Kosmetik eingesetzt [1].
Rizinusöl ist ein biogener Arzneistoff, der als Abführmittel Verwendung findet. Ethanol bildet die Grundlage vieler Tinkturen und dient als Desinfektionsmittel.
Lebertran ist ein tierisches Arzneimittel, das aus der Leber des Kabeljaus gewonnen wird und wegen seiner mehrfach ungesättigten Omega-3- Fettsäuren und dem relativ hohen Gehalt an Vitamin A und D im 18.
Jahrhundert zur Behandlung von Rachitis eingesetzt wurde.
Methanol und Leichtbenzin sind Beispiele für die enge Verbindung von Pharmakologie und Toxikologie: Methanol wirkt im Gegensatz zu Ethanol als Zell- und Plasmagift; Leichtbenzin kann zur Erzeugung von Rauschzuständen missbraucht werden [2] [5].
Es zeigt sich also anhand der Apotheken-Schaugläser die große Vielfalt und Breite des Gebiets der Pharmazie. Im Folgenden sei daher anhand wichtiger und bekannter Arzneimittel auf die biogenen Arzneimittel und dann vor allem auf verschiedene Gruppen von chemisch synthetisierten Fertigarzneimitteln eingegangen.
2 In der Rezeptur der Apotheke: Biogene Arzneimittel
2.1 Baldrian: Was tun bei…Schlafstörungen und Unruhe?
Nehmen wir uns als Beispiel mal einen Studenten. Geben wir ihm den Namen Rolf. Rolf studiert Chemie auf Lehramt und hat eine wichtige Prüfung vor sich. Er ist ziemlich nervös und weiß schon vorher, dass er bestimmt am Abend zuvor vor Aufregung nicht einschlafen kann.
Was kann er nun tun, um seinen Schlafstörungen und seiner Unruhe zu begegnen?
Häufig kommen getrocknete Pflanzenteile, so genannte Drogen, wie
Baldrianwurzel (Valerianae radix) zum Einsatz. Baldrianwurzel besteht aus
den unterirdischen Organen – Wurzelstock, Wurzeln und Ausläufern – von
Baldrian (Valeriana officinalis). Es handelt sich hierbei um eine zweijährige
Staude, die bis zu zwei Metern hoch wird und ein fleischrosa bis weiße
Blütenkrone besitzt. Die Pflanze ist in Europa und Asien verbreitet.
Demonstration 2: Gewinnung ätherischer Öle aus Baldrianwurzel [20]
Geräte:
Stativmaterial 1 Stativring 2 Doppelmuffen
1 Erlenmeyerkolben (250 mL) 1 Scheidetrichter (250 mL) 1 rundes Filterpapier 1 Tropftrichter (100 mL) 1 Glastrichter
1 Becherglas (600 mL) 1 großes Uhrglas Mörser mit Pistill Watte
Chemikalien:
Edukte M
[g/mol]
Smp.
/Sdp.
[°C]
R/S-Sätze und Gefahrensymbole
Verwendete Menge [mL oder g]
Baldrianwurzel 30 g
Ethanol 47,07
78
R 11 S 7-16 F
ca. 200 mL
Baldrianwurzel enthält 0,5% bis 1,5% ätherische Öle,
die durch Perkolation, ein spezielles Verfahren der
Extraktion isoliert werden können [5]:
Versuchsaufbau:
Versuchsprotokoll:
Die im Mörser zerkleinerte Droge wird zunächst mit dem Lösungsmittel, einem 1:1-Gemisch aus Ethanol und ention. Wasser durchfeuchtet und bleibt etwa zwei Stunden lang mit einem Uhrglas bedeckt stehen.
Anschließend wird die Droge in einen mit einem Wattebausch verschlossenen Perkolator eingefüllt. Die Drogenoberfläche wird mit einem Filterpapier abgedeckt, um ein Aufwirbeln der Pflanzenteile bei der Extraktion zu verhindern. Man lässt den Perkolator 24 Stunden stehen.
Danach lässt man die Flüssigkeit so abfließen, dass etwa zehn Tropfen pro Minute abtropfen. Der Nachfluss der Extraktionsflüssigkeit wird so geregelt, dass die Drogenoberfläche stets mit Lösungsmittel bedeckt bleibt. Die Perkolation ist beendet, wenn die dem einfachen oder doppelten Drogengewicht entsprechende Menge Extraktionsflüssigkeit verbraucht ist und das Abtropfen des Perkolats aufhört.
Man erhält einen rotbraunen intensiv nach Baldrian riechenden ethanolischen Extrakt.
Entsorgung:
Reste des Lösungsmittels werden in den Behälter für organische Abfälle entsorgt. Die Menge des gewonnen Extrakts ist so gering, dass er in den Abguss entsorgt werden kann.
Erlenmeyerkolben (250 mL) mit Extrakt
Scheidetrichter (250 mL) mit Baldrianwurzelsud Tropftrichter (100 mL) mit Ethanol-Wasser-Gemisch
Stativring Doppelmuffen
Filterpapier
Wattebausch
Versuchsauswertung:
Unter Extrakten versteht man allgemein Auszüge aus frischen oder getrockneten pflanzlichen oder tierischen Stoffen, die mit Hilfe eines geeigneten Lösungsmittels gewonnen werden.
Die Perkolation ist eine Kaltextraktion, die auch als ‚Durchseihen’ bezeichnet werden kann.
Welche Inhaltsstoffe enthält nun aber der gewonnene Baldrianextrakt?
Die Zusammensetzung der ätherischen Öle ist je nach Chemotyp der Pflanze unterschiedlich. Das gewonnene ätherische Öl enthält überwiegend verschiedene Esteriridoide mit Epoxidstruktur, die so genannten Valepotriate (Valeriana-epoxy-triester).
Hierbei handelt es sich um labile, nicht flüchtige, lipophile Stoffe.
Vorherrschend sind Valtrat, Isovaltrat und Acevaltrat. Sie unterscheiden sich lediglich in ihren Substituenten R 1 , R 2 und R 3 :
Es handelt sich um bicyclische Monoterpene, die sich vom Iridodial bzw.
dessen Enolhalbacetal ableiten lassen:
Iridodial Halbacetal
O
O H
O R
O O
R
O H
R O
O 2
1 3
CHO
CHO CH 3 H
H C H 3
CH 3 H
H
O
C OH
H 3
Daher erfolgt die Zuordnung zur Gruppe der Esteriridoide. Valeportriate kommen in allen Gattungen der Familie der Baldriangewächse vor.
Neben den Valepotriaten enthält die Droge weitere Bestandteile, die je nach Unterart sehr verschieden sein können. Wesentliche Anteile entfallen auf (-)-Bornylacetat oder Sesquiterpene wie Valerenal, Valeranon oder Valerensäure:
O CH 2 OR
OHC
Baldrinale Sesquiterpene
Der typische Geruch des ätherischen Baldrianöls wird vorwiegend durch das (-)-Bornylisovalerianat und freie Isovaleriansäure bestimmt.
Alle Verbindungen besitzen polare Substituenten, so dass sie durch das polare Lösungsmittel extrahiert werden können
Die Baldrianwurzel wird wegen ihrer sedativen, hypotensiven und antikonvulsiven Wirksamkeit bei psychovegetativen und psychosomatischen Störungen wie z.B. Unruhezuständen, Angst und nervös bedingten Einschlafstörungen verwendet. Eingesetzt werden vorwiegend Baldriantinktur, Baldriantee sowie Extrakte oder Presssäfte der Baldrianwurzel in Fertigarzneimitteln. Auch der Einsatz als Badezusatz ist möglich. Zudem wird Baldrian häufig in Kombinationspräparaten mit anderen sedativ wirkenden Drogen wie Melissenblättern oder Hopfenzapfen vertrieben.
Baldrianpräparate gehören zu den meistverwendeten Phytopharmaka.
Tierversuche deuten darauf hin, dass die sedative Wirkung auf die Wechselwirkung mit Adenosinrezeptoren und/oder auf eine Ausschüttung von γ-Aminobuttersäure sowie eine Hemmung ihrer Rückspeicherung im
CH 3 H
CH 3 R
C
H 3
ZNS zurückzuführen ist. Welche Inhaltsstoffe des Baldrians die Wirkung auslösen, ist noch unklar [2] [5].
2.2 Antibiotika: Was tun bei…bakteriellen Erkrankungen?
Tja, zurück zu unserem Studenten Rolf: Nach der Prüfung ist die Freude bei ihm natürlich groß, dass er sie endlich hinter sich gebracht hat, was auch gebührend gefeiert werden muss…
Doch war es für eine Frühlings-Grill-Party noch recht kühl! So melden sich am nächsten Morgen bei unserem Patienten üble Halsschmerzen. Sein Hausarzt stellt eine Infektion der oberen Atemwege fest, inklusive Rachen- und Mandelentzündung.
Was ist nun bei dieser bakteriellen Erkrankung zu tun? – Der Arzt verschreibt unserem Studenten ein Antibiotikum.
Doch was ist das und wie wirken sie?
Antibiotika sind biogene Stoffe bzw. deren Derivate, die in der Lage sind, die Vermehrung von Mikroorganismen zu verhindern oder diese abzutöten, ohne den Menschen zu schädigen.
Je nach Angriffsort werden verschiedene Gruppen unter den Antibiotika unterschieden: Es kann zur Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese kommen. Dies ist bei Aminoglykosiden und Mikroliden der Fall. Des Weiteren besteht die Möglichkeit der Änderung der Durchlässigkeit der Zytoplasma-Membran, was durch Antimykotika gewährleistet wird. Und schließlich der wohl bekannteste und am besten erforschte Angriffsort: die Bakterienwand, deren Aufbau durch Glykopeptide und beta-Lactame gehemmt wird [1].
Zu den beta-Lactamen zählen die Penicilline, mit deren Wirkungsweise ich mich im Folgenden näher beschäftigen möchte:
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde von mehreren Bakteriologen, wie
z.B. Pasteur und Joubert, die gegenseitige Wachstumshemmung von
Bakterienstämmen beobachtet und als ‚Antibiose’ bezeichnet. 1928 machte
Alexander Fleming die Zufallsentdeckung, dass auf einer vom Schimmelpilz
Penicillinum notatum befallenen Petrischale die darin enthaltene Bakterienkultur im direkten Umfeld des Pilzes nicht wuchs. Es wurde daher vermutet, dass der Pilz einen Stoff ausscheidet (Penicillin genannt), der das Bakterienwachstum hemmt.
Während des Zweiten Weltkriegs konnte der Stoff schließlich isoliert und seine chemische Struktur mittels Röntgenstrukturanalyse aufgeklärt werden.
Heute wird Penicillin von eigens gezüchteten Hochleistungspilzkulturen im industriellen Maßstab produziert [1] [10] [16].
Strukturchemisch zählen die Penicilline zu den beta-Lactam-Antibiotika, da sie sich von einem bizyklischen Ringsystem bestehend aus einem Thiazolidin und eben einem beta-Lactam-Ring, dem Penam, ableiten:
S
N O
H
1 5 7
4
Penam
Biogenetisch entsteht der Bizyklus aus L-Cystein und D-Valin, aus denen 6- Aminopenicillansäure (6-APS) gebildet wird. Diese enthält drei Chiralitätszentren:
H N H 2
N S
CH 3 CH 3
O H
O H
O H
* *
*
6-Aminopenicillansäure 6-APS
Penicilline sind Derivate der 6-APS.
Das erste großtechnisch durch Fermentation dargestellte Penicillin war das
natürlich vorkommende Benzylpenicillin (Penicillin G):
H NH
N S
CH 3 CH 3
O H
O H
O O
Benzylpenicillin
Wie man im Vergleich des Benzylpenicillins mit der 6-APS erkennen kann, unterscheiden sich die Penicilline letztlich nur in ihrem Substituenten an der NH 2 -Gruppe der 6-APS [1].
Der Nachteil der ersten Penicilline war, dass der Lactamring nicht säurestabil ist. Durch chemische Abwandlung gelang es später Penicillin auch oral zu applizieren [1] [14].
Dem an Halsschmerzen leidenden Studenten Rolf könnte also ein Präparat verabreicht worden sein, das als Wirkstoff ein solches Penicillin enthält.
Doch wie wirkt dieses Penicillinum?
Demonstration 3: Wirkungsweise von Penicillinen [12] [15]
Geräte:
1 Magnetrührer
1 Becherglas (100 mL) 1 Glasstab
1 Tropfpipette 1 Glastrichter Filterpapier pH-Papier
2 Petrischalen mit Deckel 1 rechtwinkliges Glasrohr 1 Trockenschrank (T = 34°C) Pinzette
Wattestäbchen
Chemikalien:
Edukte M
[g/mol] R/S-Sätze und
Gefahrensymbole Verwendete Menge [mL oder g]
Pepton (Fleischextrakt) 2 g
Natriumchlorid 58,43 S 24/25 0,5 g
Natriumcarbo-nat 105,99 R 36 S 22-26 Xi
Agar-Agar 1,2 g
Penicillinum (hier
Zithromax ® ) 1 Kapsel
Versuchsprotokoll:
Zur Züchtung von Bakterienkulturen wird zunächst ein Nährboden angesetzt. Dazu werden auf dem Magnetrührer unter Erhitzen 2g Pepton, 0,5 g Natriumchlorid und 1,2 g Agar-Agar in 100 g Leitungswasser unter Rühren gelöst. Danach filtriert man heiß durch ein Faltenfilter und stellt den pH-Wert der klaren Lösung mit Natriumcarbonat-Lösung auf 7,2 ein.
Anschließend wird die Lösung in 2-3 mm Schichtdicke in zwei Petrischalen gegossen und nach dem Abkühlen mit Mundspeichel und durch Anhusten infiziert. Der Speichel wird mit einem rechtwinkligen Glasrohr gleichmäßig auf dem Nährboden verteilt.
In die Mitte des einen Nährbodens legt man nun das mit einer wässrigen Lösung eines Penicillinum (hier Zithromax ® ) getränktes Filterpapier. Die abgedeckte Platte bleibt einige Tage im Dunkeln bei ca. 34°C im Trockenschrank stehen.
Auf dem Nährboden mit dem Antibiotikum bildet sich ein Hemmhof, in dem keine Bakterien gewachsen sind (siehe oben).
Das heißt deren Wachstum wurde durch das Penicillinum gehemmt.
Entsorgung:
Die Nährböden werden in die Feststoffabfälle entsorgt.
Versuchsauswertung:
Man kann also zunächst festhalten, dass Penicilline das Bakterienwachstum hemmen bzw. diese abtöten.
Penicilline hemmen die Biosynthese der bakteriellen Zellwand.
Haupangriffspunkt sind die am Aufbau des Mureins beteiligten Transpeptidasen. Die Antibiotika besitzen strukturelle und räumliche Ähnlichkeit zum Dipeptid D-Alanyl-D-Alanin, einem Strukturelement einer Mureinvorstufe. Daher reagieren sie wie das Dipeptid mit den Transpeptidasen und inaktivieren sie durch Acylierung.
Die Transpeptidase wird durch Ausbildung einer kovalenten Bindung irreversibel blockiert. Für diese Reaktion ist der gespannte beta-Lactam- Ring verantwortlich. Unter Ringöffnung wird die Transpeptidase vom Antibiotikum substituiert:
H NH
N S
CH 3 CH 3
O H
O H
O R
Transpeptidase +
H NH
N H S
CH 3 CH 3
O H
O H
R
O Transpeptidase
Somit wird eine Schließung der Peptidbrücke zwischen den Polysaccharidketten der Zellwand verhindert und die Zellwand hat nicht die nötige Stabilität, um dem osmotischen Druck des Zytoplasmas standzuhalten. Nach Plasmolyse (Loslösung des Protoplasmas von der Zellwand und Zusammenziehung um den Kern durch das Entziehen von Wasser) erfolgt der Zelltod.
Problematisch ist die Resistenz einiger Bakterien gegenüber Penicillinen.
Sie produzieren das Enzym Penicillinase, das den beta-Lactam-Ring
hydrolysiert, bevor er sich an die Transpeptidase binden kann. In solchen
Fällen greift man auf die den Penicillinen verwandten Cephalosphorine zurück [1] [2] [4] [5].
3 In der chemisch-pharmazeutischen Industrie: Synthetische Arzneimittel
3.1 Analgetika: Was tun bei…Schmerzen jeglicher Art?
Neben dem Infekt plagt unseren Studenten Rolf am Morgen nach der Feier natürlich auch ein übler Kater.
Was tut man nun bei Schmerzen jeglicher Art?
Man greift zu den Analgetika. Dabei handelt es sich um Pharmaka, die in therapeutischen Dosen die Schmerzempfindung vermindern oder aufheben, ohne in der üblichen Dosierung narkotisch zu wirken.
Schmerzen haben bei zahlreichen Krankheiten die Funktion eines Warnsystems. Sie treten ferner bei Gewebeschädigungen sowie mechanischen, thermischen, elektrischen oder chemischen Reizen auf.
Dabei kommt es zur Freisetzung von Überträgerstoffen, die eine Reizung von peripheren Schmerzrezeptoren bewirken. Deren Impulse gelangen über Rückenmark und Hypothalamus zum Schmerzzentrum. Die Schmerzrezeptoren sind freie Nervenendigungen in der oberen Hautschicht und den Kapseln der inneren Organe. Als Mediatoren (Überträgerstoffe) für eine Schmerzempfindung dienen zahlreiche Stoffe, insbesondere das Peptid Bradykinin, Prostaglandine und der Neurotransmitter Serotonin [1].
Man unterscheidet nach den Angriffspunkten und ihrer Wirkung zwischen starken und schwachen Analgetika. Zu den starken Analgetika zählen Opiate, Morphine, Codein, Methadon sowie die körpereigenen Enkephaline und Endorphine. Sie wirken zentral.
Im Folgenden werden die schwach, vor allem peripher wirksamen
Analgetika im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Hierzu zählen Pyrazol-,
Anilin- und Salicylsäurederivate. Diese Medikamente sind unter
Markennamen wie Novalgin ® , Paracetamol ® und Aspirin ® im Handel erhältlich.
Die Substanzen dieser Gruppe wirken nicht nur analgetisch (schmerzlindernd), sondern auch antipyretisch (fiebersenkend) und antiphlogistisch (entzündungshemmend) [14].
Die Analgetika werden synthetisch hergestellt.
Als Beispiel für die schwach wirksamen Analgetika sei nun genauer auf die Anilinderivate eingegangen:
1887 kam es zufällig zur Entdeckung der analgetischen und antipyretischen Wirkung von Acetanilid, indem Dr. Hepp, ein Apotheker, seinem Bruder, der eine eventuelle fiebersenkende Wirkung von Naphthalin austesten sollte, versehentlich das ebenfalls weiße Pulver Acetanilid zusandte. Acetanilid gelangte als Antifebrin ® auf den Markt. Schon kurze Zeit später erkannte man, dass Acetanilid in vivo zu toxischem Anilin hydrolysiert wird und setzte es daher ab.
Carl Duisberg kam ein Jahr später auf die Idee, das als Abfallprodukt in der Farbenindustrie anfallende 4-Nitrophenol zur Synthese eines dem Acetanilid verwandten Analgetikums zu nutzen. Die Synthese gelang bei Bayer und das Analgetikum gelangte als Phenacetin ® in den Handel.
Hierdurch wandte sich die Farbenindustrie auch langfristig einem ganz neuen Gebiet zu: der Produktion von Arzneimitteln aus Steinkohleteer [31].
Heute wird statt Phenacetin ® dessen Hauptmetabolit Paracetamol ® verwendet, da er eine geringere methämoglobinbildende Wirkung besitzt.
Paracetamol ® existiert als Substanz wie als Handelsname. Der Wirkstoff ist auch in benuron ® oder Thomapyrin ® N enthalten.
Die Synthese von Paracetamol ® sei nun aufgezeigt:
NH CH
3O
NH CH
3O O C
H
3NH CH
3O O H
Acetanilid Phenacetin Paracetamol
Versuch 1: Synthese von Paracetamol ® [selbst entwickelt]
Geräte:
1 Becherglas (250 mL) 1 Magnetrührer
1 Rührfisch
1 Kontaktthermometer (T= 80°C) 1 Plastikschüssel mit Eis
1 Saugflasche (250 mL) 1 Büchnertrichter
geeignetes Filterpapier 1 Membranpumpe 1 Petrischale 2 Tropfpipetten
1 Spritzflasche mit ention. Wasser
Chemikalien:
Edukte M
[g/mol]
R/S-Sätze und Gefahrensymbole
Verwendete Menge [mL oder g]
4-Hydroxy-anilin (4- Aminophenol)
109,13 R 20/22-40-50/53 S 28.1-36/37-60-61 Xn, N
2,5 g Essigsäurean-hydrid 102,09 R 10-34
S 26-45 C
3 mL
Versuchsprotokoll:
Zur Synthese von Paracetamol werden 2,5 g 4-Hydroxyanilin in ein Becherglas überführt und in ca. 8 mL ention. Wasser suspendiert. Die Suspension erhitzt man nun auf 80 °C und fügt in die erhitzte Suspension 3 mL Essigsäureanhydrid hinzu. Es erfolgt noch keine Niederschlagsbildung und die Lösung besitzt eine leicht braune Farbe. Es ist ein intensiver Essigsäuregeruch wahrnehmbar (Abzug!). Nach kurzem Erhitzen wird die Lösung einige Minuten ins Eisbad gestellt und mit einem Glasstab geimpft.
In der Kälte bildet sich innerhalb von 10-15 Minuten ein feinkristalliner
weißer Niederschlag von Paracetamol ® .
Der Niederschlag wird abgesaugt, mit kaltem ention. Wasser gewaschen und getrocknet. Man erhält ein reinweißes Pulver, das dem einer pulverisierten Paracetamol ® -Tablette gleicht.
Entsorgung:
Das gewonnene Paracetamol ® kann in die Feststoffabfälle entsorgt werden.
Die abgesaugte Reaktionslösung wird neutral in den Behälter für organische Abfälle gegeben.
Versuchsauswertung:
NH 2
O H
+ H C
3 O
O O
CH 3
_ _
C
H 3 O CH 3
N +
O H H O
- + R
_ _ H 3 C N +
R O
H H
+ +
O CH 3
O
- 4-Hydroxyanilin
O H
N CH 3
H
O +
O
H CH 3
O
4-Hydroxyacetanilid Paracetamol
4-Hydroxyanilin wird mit Essigsäureanhydrid zu 4-Hydroxyacetanilid, dem Paracetamol ® , und der am Geruch wahrnehmbaren Essigsäure umgesetzt.
Mechanistisch erfolgt wohl zunächst ein nucleophiler Angriff des freien Elektronenpaares am Stickstoff-Atom der NH 2 -Gruppe des 4-Hydroxyanilins an einem der delta-positiven C-Atome des Essigsäureanhydrids. Es entsteht in einer Gleichgewichtsreaktion eine tetraedrische Zwischenstufe. Hier entsteht nun eine neue Bindung unter Ausbildung einer Carbonyl-Gruppe.
Die Verbindung wird aufgespalten.
Dabei handelt es sich um einen irreversiblen Reaktionsschritt, da sich das
Carboxylat-Ion in einer thermodynamischen Senke befindet. Die
entstehenden Ionen reagieren in einer Säure-Base-Reaktion zu Paracetamol ® und Essigsäure weiter.
Es handelt sich insgesamt um eine Reaktion eines primären Amins mit einem Säureanhydrid über eine tetraedrische Zwischenstufe.
Um zu zeigen, dass tatsächlich Paracetamol ® entstanden ist, wird nun der Nachweis durchgeführt:
Versuch 2: Nachweis von Paracetamol [in Anlehnung an 12]
Geräte:
1 Spatel
1 Bunsenbrenner
1 Reagenzglasklammer
1 schwerschmelzbares Reagenzglas 1 Messzylinder (25 mL)
1 Reagenzglasständer 1 Glasstab
Chemikalien:
Edukte M
[g/mol] R/S-Sätze und
Gefahrensymbole Verwendete Menge [mL oder g]
Salzsäure (c = 0,1 mol/L)
36,45 1 mL
Kaliumdichro-mat 294,19 R 21-25-26-37/38- 41-43-46-49-50/53 S 45-53-60-61 T+, N
1 Sp.
Versuchsprotokoll:
Man erhitzt eine Spatelspitze des gewonnenen Paracetamols ® mit 1 mL Salzsäure (c = 0,1 mol/L) bis zum Sieden, verdünnt anschließend mit 10 mL ention. Wasser und gibt 1 Spatelspitze festes Kaliumdichromat hinzu.
Es tritt eine immer intensiver werdende rubinrote Farbe auf, die sich deutlich
von der Eigenfarbe des Kaliumdichromats unterscheidet.
Entsorgung:
Die Abfälle werden neutral in den Behälter für organische Chemikalien entsorgt. Aufgrund des Einsatzes von Kaliumdichromat ist gründlichst darauf zu achten, dass keine Chemikalien in die Abwässer gelangen.
Versuchsauswertung:
N
O H
CH
3O H
+ H + (aq)
Paracetamol Amid
N
O H
CH
3O
+H
H
+ + O H
H
N
O H
CH
3O H
H
O
+H
+ H N
+O H
CH
3O H
H O H H
+
NH
2O
H +
O
H CH
3O
++ H
4-Hydroxyanilin
NH
2O H
+ +
O
H CH
3O
H + (aq)
Zunächst erfolgt eine Amidhydrolyse durch wässrige Salzsäure. Dabei greift
das freie Elektronenpaar des Sauerstoff-Atoms der Carbonylgruppe des
Paractamols ® am katalytisch wirkenden Proton an. Es bildet sich ein
Oxonium-Ion. An dessen positiv polarisierten C-Atom kann nun im nächsten
Schritt das Sauerstoff-Atom des Wassers nucleophil angreifen. Es kommt
zur Bildung einer tetraedrischen Zwischenstufe. Das freie Elektronenpaar
des Stickstoff-Atoms greift nun am Wasserstoff-Atom des noch
vorgebildeten Wassermoleküls an, wodurch es zur Bildung eines positiv
geladenen Stickstoff-Atoms und einer Hydroxygruppe kommt. Nun entsteht
eine neue Bindung unter Beteiligung des freien Elektronenpaars des
Sauerstoff-Atoms der Hydroxygruppe unter Bildung einer Doppelbindung.
Unter Aufbrechen der N – C-Bindung im Molekül erlangt das Stickstoff-Atom wieder sein Elektronenoktett. Das instabile Oxonium-Ion reagiert nun in einem letzten Schritt unter Freisetzung des Katalysators und Essigsäure weiter. Es entsteht 4-Hydroxyanilin.
Es folgt nun eine erste Redoxreaktion, die folgendermaßen ablaufen könnte [3]:
In der Oxidation greift das freie Elektronenpaar eines 4-Hydroxyanilin- Moleküls nucleophil am positiv polarisierten C-Atom eines anderen 4- Hydroxyanilin-Moleküls an. Diese Angriffsposition ist aufgrund der +M/-I- Effekte der NH 2 - und OH-Gruppe des 4-Hydroxyanilin-Moleküls besonders zur Reaktion begünstigt. Es kommt zur Abgabe von zwei Elektronen.
Im Reduktionsschritt wird Dichromat von der Oxidationsstufe +VI zu Chrom(III)-Ionen reduziert.
Die Gesamtreaktion ist darunter nochmals zusammengefasst.
O H
N H H
+
N
OH
H
H
H 0 N
H
N H
2OH
O H
+II
+ 2 e - + 2 H + (aq)
Cr 2 O 7 2- (aq) + 6 e - + 14 H + (aq) 2 Cr 3+ (aq) + 7 H 2 O
+ VI + III
O H
N H H
+
N
OH
H
H H
+ Cr 2 O 7 2- (aq)
N H
N H
2OH
O H
+ 2 Cr 3+ (aq) + 7 H 2 O
3 3 + 8 H + (aq)
3
Das Reaktionsprodukt dieser ersten Redoxreaktion reagiert nun wahrscheinlich unter weiteren Redox- und Kondensationsreaktionen unter Bildung von rubinroten Phenazin-Derivaten weiter:
N H
N H
2OH
O H
Cr 2 O 7 2- (aq)
NH
2O H
O H
N
N
H
2N
OH
Cr 2 O 7 2- (aq)
N N
O
H N
OH OH
H
Cr 2 O 7 2- (aq) H 2 O
N
O
H O
OH
Cr 2 O 7 2- (aq) NH
2