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Steuerabzüge – ein Geschenk für die Reichen? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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STEUERN

52 Die Volkswirtschaft  8–9 / 2021

Steuerabzüge – ein Geschenk für die Reichen?

Steuerabzüge sind kein verteilungspolitisches Instrument. Dennoch haben sie eine

Verteilungswirkung, die von zwei gegenläufigen Effekten abhängt. Eine wichtige Rolle spielt die Progression des Steuertarifs.  David Staubli

W

as halten Sie von der Idee, jedem Steuerpflichtigen einen Steuerabzug von 5000 Franken zu gewähren?1 Das steuer- bare Einkommen würde damit um 5000 Franken reduziert. Die Antwort auf die Fra- ge ist Ansichtssache. Im September 2020 ist eine Steuervorlage, die unter anderem eine Erhöhung des Kinderabzugs bei der direk- ten Bundessteuer von 6500 auf 10 000 Fran- ken vorsah, mit 63 Prozent Nein-Stimmen in der Volksabstimmung klar gescheitert. Ge- mäss der Voto-Abstimmungsanalyse2 war der wichtigste Ablehnungsgrund, dass die Erhöhung des Abzugs nur den Reichen nüt- ze. Dies aus der Überlegung heraus, dass in einem progressiven Steuersystem vor allem Einkommensstarke davon profitieren.

Aufgrund dieses klaren Verdikts könnte man vermuten, dass auch ein Steuerabzug von 5000 Franken für alle einen schweren Stand haben würde, da man gegen diese Idee dasselbe verteilungspolitische Argument ins Feld führen kann. Eine andere Möglichkeit wäre, die Höhe des freigestellten steuerbaren Einkommens um 5000 Franken zu erhöhen.

Heute sind die ersten 14 500 Franken steuer- frei, damit das Existenzminimum nicht belas- tet wird (Tarif für Alleinstehende). Diesen Be- trag, bei dem die Steuerbelastung einsetzt,

1 Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung von Staubli (2020/2021).

2 Thomas Milic et al. (2020).

Abstract    Steuerabzüge werden häufig als Steuergeschenk für Reiche bezeichnet.

Dies ist etwas gar pauschal. Denn einerseits ist die steuersystematische Rolle von Steuerabzügen nicht in erster Linie verteilungspolitischer Natur, und andererseits ist deren Verteilungswirkung nicht a priori klar. Sie hängt in einem progressiven Steuer- system vielmehr von zwei gegenläufigen Effekten ab: Erstens spart man – absolut be- trachtet – mit zunehmendem Einkommen durch einen Abzug mehr Steuern. Zweitens fällt eine Steuerersparnis mit zunehmendem Einkommen immer weniger ins Gewicht.

Je progressiver der Steuertarif, desto eher überwiegt der erste Effekt. Die Analyse der Verteilungswirkung eines hypothetischen Steuerabzugs von 5000 Franken für alle zeigt, dass bei der direkten Bundessteuer der erste Effekt überwiegt. Die Verteilung der verfügbaren Einkommen wird also über die gesamte Bevölkerung betrachtet et- was ungleicher. Am stärksten würde aber relativ zum Einkommen der gehobene Mit- telstand profitieren.

würde gemäss dem Vorschlag auf 19 500 Franken erhöht. Der gesamte Steuertarif wür- de damit um 5000 Franken verschoben (jede Tarifstufe beginnt bei einem um 5000 Fran- ken höheren Einkommen). Klingt dieser zwei- te Vorschlag sympathischer? Der Haken: Die beiden Vorschläge sind äquivalent. Die Ände- rung der Steuerbelastung ist für die Steuer- pflichtigen bei beiden Reformen dieselbe.

In einer Untersuchung, die jüngst im Archiv für Schweizerisches Steuer- und Ab-

gaberecht (ASA) erschien, habe ich die Rolle von Steuerabzügen und ihre Verteilungswir- kung bei der direkten Bundessteuer analy- siert.3 Die Auswirkung der Mindereinnahmen auf die Ausgabenseite des Staates und damit verbundene Verteilungseffekte (Budgetinzi- denz) wurden ausgeblendet.

Verteilungswirkung: Zwei Effekte

Um die Wirkung einer Erhöhung eines Steuerabzugs auf die Verteilungssituation zu beurteilen, müssen wir folgende zwei gegen- läufige Effekte beachten. Der erste war der Hauptgrund für die Ablehnung der Erhö- hung des Kinderabzugs an der Urne: Mit stei- gendem Einkommen steigt tendenziell der Grenzsteuersatz. Dieser gibt an, welcher An- teil eines zusätzlich verdienten Frankens als Steuer abgeführt werden muss. Die Steuer- entlastung eines Abzugs von 5000 Franken ergibt sich annäherungsweise aus 5000 mul- tipliziert mit dem Grenzsteuersatz. Konkret:

Wenn Ihr Grenzsteuersatz 10 Prozent ist,

3 Staubli (2020/2021).

Abb. 1: Steuerersparnis nach Einkommen (absolut)

0 0

60 000 120 000

180 000 240 000

300 000 360 000

420 000 Einkommen (in Franken)

480 000 540 000

600 000 660 000

720 000 780 000 100

200 300 400 500 600

700 in Franken

BERECHNUNGEN STAUBLI GESTZT AUF GELTENDES RECHT 2021 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Veränderung der Einkommenssteuerbelastung in Franken durch die Einführung eines Abzugs von 5000 Franken. Das auf der horizontalen Achse abgetragene Einkommen entspricht dem Reineinkommen gemäss der Bundessteuerstatistik.

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STEUERN

Die Volkswirtschaft   8–9 / 2021 53 dann sparen Sie rund 500 Franken Steuern,

wenn ein Steuerabzug von 5000 Franken eingeführt wird. Ist Ihr Grenzsteuersatz hin- gegen 5 Prozent, sparen Sie bloss 250 Fran- ken. Somit sinkt die Steuerbelastung – abso- lut betrachtet – stärker bei hohen Einkom- men als bei niedrigen.

Es gibt aber noch einen zweiten Effekt, von dem kaum gesprochen wird: Je höher das Einkommen, desto weniger macht eine gege- bene Steuerersparnis relativ zum Einkommen aus. Konkret: Wenn Sie 500 Franken Steuern sparen, dann fällt das bei einem Einkommen von 50 000 Franken stärker ins Gewicht als bei einem solchen von 1 Million Franken. An- ders gesagt: Im ersten Fall steigt Ihr verfüg- bares Einkommen prozentual stärker an als im zweiten Fall.

Der erste Effekt spricht dafür, dass die Einkommensungleichheit durch die Einfüh- rung eines generellen Steuerabzugs steigt, der zweite, dass die Ungleichheit sinkt. Wel- cher Effekt überwiegt, hängt namentlich vom Steuertarif ab: Je stärker der Grenzsteuersatz mit zunehmendem Einkommen zunimmt, desto eher steigt die Ungleichheit durch den Steuerabzug.

Die Abbildung 1 zeigt die in Franken ge- rechnete Steuerersparnis durch den Ab- zug von 5000 Franken für Alleinstehende in

Abhängigkeit vom Einkommen. Darin wird der erste Effekt deutlich. Die Steuerentlas- tung steigt bis zu einem Einkommen von rund 180 000 Franken an, wo der maxima- le Grenzsteuersatz von 13,2 Prozent erreicht ist. Bei einem Einkommen von rund 760 000 Franken sinkt der Grenzsteuersatz auf den nun erreichten maximalen Durchschnitts- steuersatz von 11,5 Prozent, womit auch die in Franken gerechnete Steuerersparnis sinkt.

Dies widerspiegelt die überschiessende Pro- gression bei der direkten Bundessteuer: Der maximale Durchschnittssteuersatz wird durch einen vorübergehend höheren («über- schiessenden») Grenzsteuersatz erreicht.

Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass eine in Franken gerechnete Veränderung der Steuerbelastung mit zunehmendem Ein- kommen weniger stark ins Gewicht fällt, bil- det die Abbildung 2 (auf S. 54) die Verände- rung der Steuerbelastung relativ zum Ein- kommen ab. Sie zeigt damit die kombinierte Wirkung der zwei Effekte. Der Verlauf lässt sich wie folgt erklären: Bei tiefen Einkom- men ist die prozentuale Ersparnis aufgrund der (sehr) niedrigen Grenzsteuersätze gering.

Danach steigt die Steuerersparnis relativ zum Einkommen an, weil der Effekt der rasch an- steigenden Grenzsteuersätze denjenigen der steigenden Einkommen dominiert.

Die relativ zum Einkommen maximale Steuerreduktion tritt bei Einkommen zwi- schen 84 000 und 145 000 Franken auf. Da- nach nimmt der Wert stetig ab, weil die in Franken gleichbleibende Steuersenkung mit steigendem Einkommen immer weniger ins Gewicht fällt.

Relativ zum Einkommen profitiert also der gehobene Mittelstand am stärksten von einem generellen Steuerabzug. Tiefe bis mitt- lere Einkommen profitieren aufgrund ihrer niedrigen Grenzsteuersätze gar nicht oder nur wenig. Für ganz hohe Einkommen ist die Steuerersparnis relativ betrachtet ebenfalls vernachlässigbar.

Insgesamt nimmt Ungleichheit zu

Wie verändert ein Steuerabzug die Ver- teilung der verfügbaren Einkommen, also der Einkommen nach Abzug der direkten Bundessteuern?4 Dafür analysierte ich die Verteilungswirkung eines Steuerabzugs von 5000 Franken für alle ausgehend von der

4 Die kantonalen Einkommenssteuern ändern sich nicht.

Sie werden hier ausgeblendet.

Wer profitiert am meisten von einem Steuerabzug von 5000 Franken? Zuschauer auf Golfplatz in Crans-Montana VS.

KEYSTONE

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Abb. 2: Steuerersparnis relativ zum Einkommen

David Staubli

Dr. rer. oec., Ökonom, Abteilung Volkswirt- schaft und Steuerstatistik, Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), Bern

Literatur

Milic, Thomas, Feller, Alessandro und Kübler, Daniel (2020). VOTO-Studie zur eidgenössischen Volks- abstimmung vom 27. September 2020. ZDA, FORS:

Aarau/Lausanne/Luzern.

Staubli, David (2020/2021). Die Rolle von Steuer- abzügen: eine steuersystematische Einordnung und Analyse ihrer Verteilungswirkung, ASA 89.

Bundessteuerstatistik, die sämtliche Steu- erpflichtige der Schweiz umfasst.5 Da re- lativ betrachtet sowohl tiefe als auch sehr hohe Einkommen kaum vom Steuerabzug profitieren, ist nicht a priori klar, ob die Ver- teilung insgesamt gleichmässiger oder un- gleichmässiger wird.

Die Analyse der Einkommensverteilung vor und nach Einführung des Steuerabzugs von 5000 Franken zeigt, dass der Anteil des obersten Prozents an den gesamten verfüg- baren Einkommen etwas sinkt. Dies liegt da-

5 Bei Verheirateten wird für die Analyse ein Abzug von 10 000 Franken eingeführt.

ran, dass die Steuerersparnis bei den Einkom- mensstärksten relativ betrachtet kaum ins Gewicht fällt.

Abgesehen von den ganz hohen Einkom- men überwiegt aber bei der progressiven di- rekten Bundessteuer der erste der oben be- schriebenen Effekte, dass mit zunehmendem Einkommen dank dem höheren Grenzsteuer- satz die in Franken gerechnete Steuererspar- nis ansteigt. Dies kommt insbesondere im Gini- Index zum Ausdruck, der durch die Ein- führung des Steuerabzugs etwas ansteigt.

Der Gini-Index ist ein häufig verwendetes Verteilungsmass, das die Ungleichheit über die gesamte Bevölkerung misst.

Abschliessend lässt sich festhalten:

Steuerabzüge bringen spürbare Vorteile für die betreffenden Steuerpflichtigen, wäh- rend die Kosten kaum sichtbar sind. Sie sind wohl auch aus diesem Grund bei Politike- rinnen und Politikern beliebt und entspre- chend häufig Gegenstand von politischen Vorstössen. Umso wichtiger ist es, sich mit der steuersystematischen Rolle von Steuerabzügen und deren Verteilungswir- kung auseinanderzusetzen. Sie als Steuer- geschenk für Reiche zu bezeichnen, greift zu kurz. Bei (stark) progressiven Steuerta- rifen erhöhen Steuerabzüge die Ungleich- heit der verfügbaren Einkommen, bei fla- chen Tarifen – insbesondere auch bei einer Flatrate-Tax – können sie die Ungleichheit auch reduzieren.

0 0 0,05 0,10 0,15 0,20 0,25 0,30 0,35 0,40

0,45 Anteil am Einkommen, in %

60 000 120 000

180 000 240 000

300 000 360 000

420 000 Einkommen (in Franken)

480 000 540 000

600 000

660 000 720 000 780 000

BERECHNUNGEN STAUBLI GESTZT AUF GELTENDES RECHT 2021 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Veränderung der Einkommenssteuerbelastung relativ zum Einkommen durch die Einführung eines gene- rellen Abzugs von 5000 Franken. Das auf der horizontalen Achse abgetragene Einkommen entspricht dem Reineinkommen gemäss der Bundessteuerstatistik.

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