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Der Schweizer Franken als sicherer Hafen? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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52 Die VolkswirtschaftDas Magazin für Wirtschaftspolitik 10-2014

Dossier

Die Staatsschuldenkrise im Euroraum führte zu einer massiven Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro.1 Diese Aufwertungsdynamik liess sich nicht hinreichend durch makroöko- nomische Faktoren wie Zinsdifferenzen, Unterschiede in Inflationsraten oder di- vergierende BIP-Wachstumsraten erklä- ren. Sie führte schliesslich dazu, dass sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) gezwungen sah, unkonventionelle Mass- nahmen wie Devisenmarktinterventionen

durchzuführen. Sie setzte schliesslich am 6. September 2011 einen Mindestkurs ge- genüber dem Euro fest.

Die übliche Erklärung für die in Krisen- zeiten von makroökonomischen Grössen losgelöste Aufwertungsdynamik von Fran- ken-Wechselkursen ist ihre Eigenschaft als

«sicherer Hafen» unter den Weltwährungen.

Eine Anlage mit dieser Eigenschaft gewinnt gerade dann an Wert, wenn sich globale Ri- siken materialisieren. Besonders stark aus- geprägt zeigt sich die Sicherer-Hafen-Eigen- schaft in Krisenzeiten. Zum Beispiel zeigen Ranaldo und Söderlind (2010) anhand von Hochfrequenzdaten, dass Franken-Wech- selkurse bei globalen Krisenereignissen ten- denziell aufwerten.

Wir nutzen neue ökonometrische Me- thoden von Müller und Petalas (2010), um in Regressionen von Wechselkursrenditen auf Risikomasse eventuelle Zeitvariabilität in den Regressionskoeffizienten bestimmen und visualisieren zu können.2 Dadurch kön- nen wir aufzeigen, welche Franken-Wechsel- kurse während welcher Perioden als sicherer

Der Schweizer Franken als sicherer Hafen?

Eine Finanzanlage, die als «sicherer Hafen» charakteri- siert wird, bietet Anlegern eine Absicherung gegenüber glo balen Risiken, weil sie gerade in Krisen zeiten an Wert gewinnt.

Tatsächlich weisen die meisten bilateralen Franken-Wechsel- kurse das Charakteristikum eines sicheren Hafens auf. Dies war beispielsweise gegenüber dem Euro während der globalen Finanzkrise 2007/2008 und während der Staatsschulden- krise im Euroraum der Fall.

Diese Eigenschaft gilt allerdings nicht für alle Franken-Wechsel- kurspaare und variiert zudem

über die Zeit. Die massive Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro führte schliesslich zu unkonventionellen Interventionen der SNB und zur Einführung des Mindestkurses von 1.20 Franken pro Euro im September 2011.

Foto: Keystone

Christian Grisse Senior Economist, Geld- politische Analysen, Schweizerische Natio- nalbank, Zürich

Thomas Nitschka Senior Economist, Geld- politische Analysen, Schweizerische National- bank, Zürich

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Dossier

Hafen angesehen wurden. Mit anderen Worten lässt sich damit die Frage beant- worten, in welchen von Risikoaversion und Unsicherheit geprägten Perioden der Fran- ken relativ an Wert gewann. Unsere Analyse beschränkt sich dabei auf den Zeitraum von Januar 1990 bis August 2011, da seit der Ein- führung des Mindestkurses gegenüber dem Euro Regressionskoeffizienten von Wech- selkursänderungen auf Risikomasse wenig aussagekräftig sind.

Wie stellt man die Eigenschaft des sicheren Hafens fest?

Ein grundsätzliches Problem bei der Analyse der Sensitivität von Wechselkur- sänderungen auf Risikomasse ist die Frage, welche Masse für die Rendite-Risikoüber- legungen von Investoren relevant sind.

Bezogen auf den Devisenmarkt, ist diese Herausforderung besonders gross, denn Standardmasse für die Bewertung von Ak- tien oder Anleihen besitzen nur einen ge- ringen Erklärungsgehalt für Wechselkur- sänderungen bzw. -renditen.3

Wir folgen deshalb Verdelhan (2012), der den Ansatz von Lustig et al. (2011) für die Bewertung von sogenannten Carry Trades4 modifiziert. Er schlägt zwei Risi- kofaktoren vor, welche direkt aus Wech- selkursdaten extrahiert werden. Der erste

Faktor repräsentiert die spezifische Dy- namik des Frankens. Er ist im Prinzip ein Durchschnitt aller Franken-Wechselkur- sänderungen ohne Berücksichtigung des zu erklärenden Währungspaars. Der zweite Risikofaktor soll explizit globales Risiko re- präsentieren. Ein solcher Faktor lässt sich mithilfe von statistischen Methoden – wie der Hauptkomponentenanalyse – direkt aus Wechselkursen bestimmen. Allerdings ist diese Vorgehensweise wenig intuitiv, sodass wir uns bei der Auswahl eines glo- balen Risikofaktors auf Rey (2013) beziehen und Änderungen im VIX-Index5 als globa- les Risikomass benutzen. Rey (2013) zeigt, dass der VIX stark korreliert ist mit glo- balen, zyklischen Schwankungen in Kapi- talflüssen und Kreditwachstum. Steigt der VIX, so signalisiert dies höhere Unsicher- heit und Risikoaversion.6

In der empirischen Analyse regressieren wir Franken-Wechselkursrenditen (Ände- rungen im Wechselkurs) auf diese beiden Risikofaktoren. Die Eigenschaft als sicherer Hafen sollte sich in den Regressionskoeffizi- enten gegenüber den Änderungen des VIX widerspiegeln. Ist dieser Koeffizient nega- tiv, so wertete sich der Schweizer Franken gegenüber der anderen Währung auf, wenn Unsicherheit und Risikoaversion anstiegen.

Der Schweizer Franken gewann also in die- ser Situation an Wert, was seine Eigenschaft als sicherer Hafen reflektiert. Ist der Koeffi- zient dagegen positiv, so verlor der Franken gegenüber der anderen Währung an Wert.

Er ist dann gegenüber dieser Währung kein sicherer Hafen.

Wann und gegenüber welchen Währungen?

Unsere Analyse geht in zwei Schritten vor. Zuerst ermitteln wir die durchschnitt- liche Sensitivität verschiedener Fran- ken-Wechselkurse gegenüber Änderungen im VIX. Dieser erste Schritt zeigt auf, ge- genüber welchen Währungen der Schwei- zer Franken im Allgemeinen ein sicherer Hafen ist. In einem zweiten Schritt wenden wir die Methode von Müller und Petalas (2010) an, um zu analysieren, ob diese Sen- sitivitäten im Zeitverlauf variieren. Falls dem so ist, können wir ermitteln, in wel- chen Perioden und in welchem Ausmass dies geschah. Dieser zweite Schritt dient dazu, die Zeiträume zu ermitteln, in denen die Eigenschaft eines sicheren Hafens be- sonders ausgeprägt war.

Der erste Analyseschritt zeigt, dass die Sensitivität von Schweizer-Franken-Wech- selkursen auf Änderungen im VIX in unse- rem Stichprobenzeitraum im Allgemeinen

Quelle: Grisse, Nitschka / Die Volkswirtschaft Grafik 1

Effekt eines Anstiegs um 1% des VIX-Index auf monatliche nominale Veränderungen des Schweizer Frankens gegenüber verschiedenen Währungen

–0.3 –0.2 –0.1 0 0.1

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 –0.3

–0.2 –0.1 0 0.1 0.2 0.3

In %

In %

AUD EUR NZD

JPY USD

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Dossier

relativ klein ist. So führt eine Änderung des VIX um 1% im Schnitt zu einer Wechsel- kursänderung zwischen 0,02% und 0,03%.

Im untersuchten Zeitraum wertete der Franken bei einem ansteigenden VIX ge- genüber Währungen wie dem australischen Dollar und dem südafrikanischen Rand, aber auch gegenüber dem Euro auf. Im Ge- gensatz dazu verlor der Franken an Wert gegenüber dem japanischen Yen und dem US-Dollar, wenn Unsicherheit und Risikoa- version – gemessen am VIX – stiegen.

Diese durchschnittlichen Sensitivitäten geben einen ersten Eindruck vom Zusam- menhang zwischen Wechselkursrenditen und VIX-Änderungen. Sie sind aber nur be- dingt geeignet, die Eigenschaft als sicherer Hafen zu analysieren. So muss zum Beispiel die negative Sensitivität des Franken-Wech- selkurses gegenüber dem australischen Dol- lar auf Änderungen des VIX nicht zwingend ein Zeichen für den Franken als sicherer Hafen sein. Sie könnte auch einen typischen Carry Trade widerspiegeln, in dem sich Anleger in Schweizer Franken verschulden (und so das im Allgemeinen relativ tiefe Zinsniveau ausnutzen) und gleichzeitig bei- spielsweise in deutlich höher verzinste An- lagen in australischen Dollar investieren.

Gesteigerte Sensitivität des Frankens während der Finanzkrise

Deswegen untersuchen wir im zweiten Analyseschritt, ob die Regressionskoeffi- zienten gegenüber dem VIX im Zeitverlauf variieren. Grafik 1 zeigt deutlich, dass in der globalen Finanzkrise 2007–2009 die Sen- sitivität des Frankens gegenüber anderen Währungen wesentlich stärker war, als die durchschnittlichen Werte vermuten lassen.

Die Sensitivität ist zwischen drei- und fünf- mal höher.

Die Grafik verdeutlicht ebenso, dass der Franken während der globalen Finanzkrise und der Staatsverschuldungskrise im Euro- raum gegenüber dem Euro Eigenschaften eines sicheren Hafens aufwies. Allerdings ist auch ersichtlich, dass ein Ansteigen des VIX zu einer noch stärkeren allgemeinen Aufwertung des US-Dollars oder des Yens während der globalen Finanzkrise führte.

Die Koeffizienten für die entsprechenden Franken-Wechselkurse sind positiv. Da der US-Dollar die internationale Reservewäh- rung darstellt und während der Finanz- krise viele international tätige Banken auf US-Dollar-Liquidität angewiesen waren, ist diese Beobachtung nicht erstaunlich. Sie verdeutlicht aber, dass die Eigenschaft als sicherer Hafen nuanciert betrachtet werden muss, weil sie im Zeitverlauf schwanken

kann. Die Entwicklung der Sensitivität des Frankens gegenüber dem Yen ist dafür ein gutes Beispiel. Im Zuge der Asienkrise 1997/1998 stieg der VIX. Der negative Re- gressionskoeffizient zeigt, dass der Anstieg des VIX zur Aufwertung des Frankens ge- genüber dem Yen führte, was natürlich darauf zurückzuführen ist, dass Japan von der Asienkrise direkt betroffen war. Dage- gen sehen wir das umgekehrte Vorzeichen während der globalen Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise im Euroraum.

Auch andere Währungen dienen als sichere Häfen

Zusammengefasst zeigt unsere Analyse, dass der Franken gegenüber vielen Wäh- rungen die Eigenschaft eines sicheren Ha- fens aufweist: Er gewinnt an relativem Wert, wenn Risikoaversion und Unsicherheit stei- gen. Allerdings beobachten wir auch, dass diese Eigenschaft bei den Wechselkursen der grossen Währungsräume wie dem Yen oder dem US-Dollar noch stärker ausge-

prägt ist.

K M U:  In n o v a tI ve q U el le f ü r H Ig H t ec H

5. November 2014 Kursaal Bern

www.synergy-schweiz.ch

fruitcake.ch

1 In den drei Jahren vor der Einführung des Mindest- kurses gegenüber dem Euro wertete der Schweizer Franken um ca. 40% gegenüber dem Euro auf.

2 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Ergebnis- sen in Grisse und Nitschka (2013).

3 Burnside et al. (2011).

4 Ein typischer Carry Trade beinhaltet den Kauf von Währungen in Ländern mit hohem Zinsniveau, der durch Kreditaufnahme in einem Land mit niedrigem Zinsniveau finanziert wird.

5 VIX ist die Abkürzung für einen Index, der aus Opti- onen die erwartete Schwankungsbreite des US-ame- rikanischen Aktienindex S&P 500 (implizite Volatili- tät) über 30 Tage berechnet. Er wird von der Chica- goer Terminbörse (CBOE) veröffentlicht.

6 Lustig et al. (2011) zeigen, dass ihr Mass für globa- les Risiko auf dem Devisenmarkt deutlich und posi- tiv mit Änderungen des VIX korreliert ist.

Kasten 1

Literatur

– Müller, U.K., Petalas, P. (2010):

Efficient Estimation of the Parameter Path in Unstable Time Series Models.

Review of Economic Studies 77, S. 1508–1539.

– Grisse, C., Nitschka, T. (2013):

On Financial Risk and the Safe Haven Characteristics of Swiss Franc Exchange Rates. SNB Working Paper 2013-4.

– Ranaldo, A., Söderlind, P. (2010):

Safe Haven Currencies. Review of Finance 14, S. 385–407.

– Verdelhan, A. (2012): The Share of Systematic Risk in Bilateral Exchange Rates. Working Paper MIT Sloan &

NBER.

– Lustig, H., Roussanov, N., Verdelhan, A. (2011): Common Risk Factors in Currency Markets. Review of Financial Studies 24, S. 3731–3777.

– Rey, H. (2013): Dilemma Not Trilemma: The Global Financial Cycle and Monetary Policy Independence.

Paper presented at Jackson Hole Symposium (August 2013).

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Referenzen

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