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Miscellen zum Koran.
Von Siegmund Fraenkel.
1. Die Seele während des Schlafes.
Sure 6, 60: „Und er (Allah) ist es, der Euch in jeder Nacht
aufnimmt (^Lsjjj), kundig dessen, was Ihr am Tage gethan habt;
dann entsendet er Euch wieder am Morgen , damit eine bestimmte
Lebenszeit vollendet werde. Darauf kehrt Ihr zu ihm zurück und
dann meldet er Euch, was Ihr gethan habt".
Pür den ersten Teil dieses Verses giebt Baidäwi die folgende
Erklärung: „Er lässt Euch in der Nacht schlafen und bewacht Euch
dabei. Der Ausdruck ist hier vom Tode auf den Schlaf über¬
tragen, weil Beiden das Aufhören der Wahrnehmung und Urteils¬
kraft gemeinsam ist" u. s. w.
Diese Erklärung ist indessen nicht völlig zutreffend; vielmehr
ist der Ausdruck durch eine andere Koranstelle zu erläutern.
Sure 39, 43 heisst es: „Allah nimmt die Seelen auf (jjjj
(j*>.ij^!) zur Zeit ihres Todes, und die noch nicht gestorben ist,
während des Schlafes; die, für die er den Tod bestimmt hat, hält
er fest ; die andere aber sendet er wieder zurück bis zu einer be¬
stimmten Prist".
Die Vorstellung also, die diesen beiden Versen zu Grunde liegt,
ist, dass die Seele des Menschen sich während des Schlafes bei
Gott befindet.
Da die Parallele von Scblaf und Tod auch dem unbefangenen
Denken nabe genug liegt, so ist es sehr wohl denkbar, das Muhammed diese Idee selbständig aus den ihm übermittelten jüdisch-christlichen
Anschauungen o vom Leben der Seele nach dem Tode entwickelt hat.
Er kann sie aber auch jüdischen Kreisen entlehnt haben. Denn
Beräch. 5" s wird als Nachtgebet für einen Gelehrten , der sich
noch am späten Abend mit dem Gesetze beschäftigt hat, der Psalm¬
vers 31, 6: „In deine Hand gebe ich meinen Geist in Verwahrung"
vorgeschrieben. Darnach findet sich in einem jüdischen Morgen -
gebete aus nicht genau bestimmbarer Zeit: „Ich danke Dir ....
72 Fraenkel, MüceUen zum Koran.
dass Du mir meine Seele wiedergegeben hast".'). Dieselbe An¬
schauung gilt auch in einem späthebräischen Gedichte für den
neunten Ab , in dem es heisst : ,In jener Nacht nahm Gott das
Depositum der Geister nicht an (bap Nb nbiba ia mmin inpE)^).
— (Dass der Ausdruck npD und pipD in den hebräischen Stellen dem
arabischen ^j^" (= 'l'ö)i4jP) ,ein anvertrautes Gut annehmen"
genau entspricht, ist natürlich kein Beweis für die Entlehnung.)
Eine ähnliche Vorstellung scheint aber auch einem Verse des
Jac. von Sarug in seinem Gedichte über die schlafenden Jüng¬
linge von Ephesus zu Grunde zu liegen, wo es heisst: „Gott nahm
ihre Geister, (ührte sie in den Himmel hinauf und liess die Wäcbter
zui-ück, um ihre Glieder zu bewachen' (Guidi, Sette dormienti
p. 19 V. 60. 61). Allerdings handelt es sich hier um einen todes- ähnlichen Schlaf, aber jedenfalls sind die Seelen der Jünglinge noch
vor ihrem Tode bei Gott. Da Muhammed auch diese Geschichte
kannte , so wäre es immerhin auch denkbar , dass diese Idee vom
Aufenthalte der Seele bei Gott sich aus ihr herschreibt.
Eine sichere Entscheidung darüber wird sich, wie bei so vielen
anderen grossen und kleinen Problemen der Koranforschung, wohl
überhaupt nicht fällen lassen.
Sure 6, 74 heisst es: „Als Abraham zu seinem Vaier Azar
sprach". Dieser Name ist bisher noch nicht befriedigend gedeutet
worden •,^) denn er lässt sich natürlich weder von n'in ableiten,
noch findet sich irgendwo dafür eine andere Namensform, die als
Original für gelten könnte. Wenn wir aber berücksichtigen,
dass in des Propheten Gedächtnisse die Namen der Bibel recht wirr
durcheinander gingen (Nöldeke, Orient. Skizzen 33), so liegt es
am Nächsten, anzunehmen, dass binter eben nicht mn, sondern
eine andere Persönlicbkeit sich verbirgt, die mit Abraham in naher
Beziehung steht. Dann ergiebt sich ungesucht als Original -ity^bN,
Abrahams treuer Knecht. Der Ausfall der ersten Laute ist wohl durch
den Anklang an den arabischen Artikel zu erklären. Zur ungenauen
Wiedergabe des Hauchlautes in aramäischem Munde vgl. Nöldeke,
Mand. Gramm. S. 59 ff. Zur Wiedergabe des Segol durch ä vgl. auch
die Transskription der Syrer z. B. (Op. Nest. 85, 14) für jbs
und darnach arab. jJLs (Ar. Premdw. 19). (Auch in der Liste
der medinischen Juden bei Ibn Isbäk (352, 6) findet sich ein ^^Lt
ebda. (lin. 7) ein ^jl , die aber wohl in'bN {-Aä^ccQO?} wiedergeben).
1) 'Abodat Israel (ed. Baer) 2, 10.
2) Klagelied aip7:n n-'a -amn ■ty gegen Eude.
3) Eine Zusammenstellung der bisherigen Deutungen giebt Pautz, Muham¬
meds Lehre von der Olfenbarung 241 Anm. 1.
Fraenkel, Miscellen zum Koran. 73
3. Der Sämirt.
In Muhammeds Darstellung der Geschichte des goldenen Kalbes
(Sure 20) ist vor Allem der Sämiri, der das Götzenbild giesst,
eme rätselhafte , in anderen Quellen nicht mehr nachweisbare Per¬
sönlichkeit. Dass hier keine Verwechselung mit dem btl730 vor¬
liegen kann, an die Geiger gedacht hat, wird schon durch die ihm
auferlegte Strafe deutlich. Damach muss der Sämiri ein Mensch
sein, der diese schwere Schuld auf sich geladen hat.
Nun ist aber bei genauerer Betrachtung dieser ganzen Er¬
zählung deatlich, dass sie nicht von Muhammed erfunden sein kann;
er muss sie also entlehnt haben und zwar, wie man mit einiger
Sicherheit annehmen kann , einem jüdischen Midrasch. Dieser ist
uns zwar nicht erhalten , aber er lässt sich meines Erachtens nach
dem Koran wenigstens rekonstruieren.
Zu Grunde liegt, wie es scheint, die Tendenz, die Schuld der
Israeliten an der schweren Sünde des Götzendienstes etwas herab¬
zumindern. Dies geschah dadurch , dass man — wie so oft gegen
alle Chronologie — zum Urheber des Abfalles einen Samaritaner
machte. Bei dem zwischen Juden und Samaritanern herrschenden
Hasse wäre dies ohne Weiteres erklärlich ; ihre besondere Pointe
erhält aber diese Erzählung dadurch, dass so der Kälberdienst von
Sömrön (Hosea 8, 5) gewissermaassen in jene Vorzeit projiciert
wurde. Darnach würden wir also in dem (^ysL<, wie es ja auch
eigentlich sprachlich am Nächsten liegt, wirklich einen Samari¬
taner zu sehen haben. —
4. Der Zauber der Fussspur.
Der Sämiri, von Moses über sein Werk befragt, antwortet:
,Ich sah, was sie nicht sahen, nahm eine Handvoll von der Fuss¬
spur des Boten und streute sie aus' (Sure 20,96). Unter dem
Boten ist gewiss mit den muhammedanischen Exegeten, die hier
wie in der Darstellung der Alexandersage noch authentische Er¬
läuterungen Muhammeds oder der Genossen benutzten, der Engel
Gabriel zu verstehen, der mit seinem Rosse den Propheten in die
Lüfte entführt. Die Pussspur kann sich auf den Engel oder auf
sein Thier beziehen. — Der Glaube an ihre zauberische Verwendung
aber lässt sich , was in diesem Zusammenhange anscheinend noch
nicht bemerkt ist, aus dem Altertume vielfach belegen, Pür das
klassische Altertum vgl. Philologus Bd. XLVIH, S. 467; für das
indische Hillebrandt, Ritual litterat. S. 173; für die christliche Zeit Epiphanius, h. 53. 1. Vgl. dazu noch«Sanhedrin 67'' 15 .jene Frau, die eilte, um den Staub unter dem Pusse des Rabbi Hanlnä (zu zauberischen
Zwecken) wegzunehmen'. (Auch die Verehrung der Pussspur von
Heiligen — Revue archcol. Mai Juin 1893, Bd. XXI, p. 367 —
hängt wohl damit zusammen.)
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Eine arabische Pharmakopie des XIII. Jahrhunderts
von abu '1-Muna und die Quellen derselben.
Von Horitz Steinsehneider.
Abu 'l-Muna'^) üm abi Na'sr ibn 'Haffats al-Kuhin^)
(= Kohen), oder al-Haruni (Abkömmling Ahrons), al-Attär (der
Apotheker) , al-Israili in Kairo ; über dessen Persönlichkeit ist
trotz der Popularität seiner Schrift Nichts bekannt. Nach einer
kürzeren oder längeren Überschrift derselben*) ist sie im Jahre
658 H. (begann 18. Dez. 1259) „verfasst für seinen Sohn"; an einen
solchen richtet er in Kapitel 1 moralische Anweisungen, welche wohl
auch durch den Missbrauch der Heilmittel zu Vergiftungen veran¬
lasst sind; doch ist das und das Schlusskapitel vielleicht nur eine
Piktion.
Der vollständige Titel (Vorrede) ist: moii ItOlb« aNnjo
■jNiysbN (Grebrauch oder Praxis der Apotheke und Norm der Vor¬
trefflichen?), gedruckt Kairo 1287 und 1301 H. (1870, 12 und
171 enggedruckte Seiten zu 33 Zeilen — mir allein zugänglich
— und 1883). Von MSS. sind mir bekannt: Bodl. 585, II, 171;
Br. Mus. Suppl. 801, 802, Karsch. 10 (Add. V, 248), Cambr. 1123;
Florenz Med. 230, Gotha 2005—7, Hamburg 129, München 833,
Paris Slane 2993—96, Petersburg 232«, Institut (Rosen) 182 Fragm.,
in Konstantinopel (H. Kh. VII, 66 n. 983, p. 160 n. 1761, p. 248
n. 946, p. 289 n. 1471, p. 433 n. 1523, p. 561 n. 996), Algier 1756, Khedive VI, 44 = Dsil Pihrist 31, also ungeftlhr 30 mss.; mein ms. 35
in hebräischen Lettern von Kapitel 18—24 defekt, bietet viele Weg¬
lassungen und Umstellungen ; s. unten. — Eine angebliche hebräische
Übersetzung: bsTi npas (bni: nach Hobel. 3, 6), ms. Esc. 23, B V
(Wf I, p. 15 n. 33 nach Bart. III, n. 543 c nach einem Catal. ms.)
und angeblich ms. Oppenheimer (vielleicht konfundiert mit Machir ?
vgl. ms. Bodl. Nb. 2382^)«) beruht wahrscheinlich auf Irrtum.
Die Zahl der mss., die Ehrentitel, welche dem Verfasser im
Druck und in mss. beigelegt werden, der Gebrauch, den noch Abd
al-Razzak (Kaschaf 1748, s. Leclerc's französische Übersetzung 1874,
p. 380) von dem Buche macht, rechtfertigen den ausführlichen
Artikel Leclerc's (II, 215—17), welcher das Werk als eines der