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Gibt es bayerische Märchen?

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Gibt es bayerische Märchen?

I

m Rahmen des Internationalen Kongresses der Erzählfor- scherin Budapest (1989) hielt der W ü r z b u r g e r Volkskundler E r i c h W i m m e r einen V o r t r a g mit dem Titel »Märchen aus B a y e r n « , auf den wir an dieser Stelle hinweisen wollen, weil er an ein Problem r ü h r t , für das die M ä r c h e n f o r s c h u n g bisher noch keine plausible Antwort gefunden hat. Nicht mehr als eine Handvoll Sammlungen von V o l k s e r z ä h l u n g e n konnte W i m m e r a u f s p ü r e n , in denen bayerische M ä r c h e n enthalten sind. Verein- zelte Beispiele fand er unter den »Predigtmärlein« des Barocks, so bei A b r a h a m a Sancta C l a r a (1644-1709) den » D o k t o r Allwissend« oder bei Andreas Strobl, dem Pfarrherrn von Buchbach bei M ü h l d o r f (1641-1706), ein M ä r c h e n vom Wett- lauf des Freiers mit der schnellfüßigen Prinzessin, eine Geschichte vom Schmied, der T o d und Teufel überlistet, und eine vom » G e v a t t e r T o d « . U n t e r den Predigten des aus M ü n - chen g e b ü r t i g e n Franziskaners L e o Wolff (1640-1708) befindet sich ein O s t e r m ä r l e i n vom »tapferen Schneiderlein«. Trotz der g r o ß e n Z a h l von barocken P r e d i g t m ä r l e i n bilden solche Funde allerdings sehr viel mehr die Ausnahme als die Regel. Ähnliches gilt für die g r o ß e n M ä r c h e n s a m m l u n g e n des 19. Jahrhunderts, wenn man aus der Masse der Belege solche bayerischer Herkunft herauszulesen sucht. L u d w i g Bechstein (1801-60) gab 14 von seinen etwa 150 stark literarisierten M ä r c h e n den Herkunfts- nachweis » F r a n k e n « , wobei man darunter speziell das nördliche Unterfranken, die R h ö n g e g e n d , verstehen m u ß , für welches Gebiet Bechstein auch eine Sagensammlung veröffentlicht hat.

D i e B r ü d e r G r i m m nahmen in ihre » K i n d e r - und H a u s m ä r c h e n « sogar nur zwei E r z ä h l u n g e n »aus B a i e r n « auf, nämlich » D a s T o t e n h e m d c h e n « ( K H M 109) bereits in der ersten Auflage, zweiter B a n d , von 1815, und dazu » D a s H i r t e n b ü b l e i n « ( K H M

152) in der zweiten Auflage von 1819.

Nicht viel besser sieht es aus, wenn man sich die regionalen Sammlungen von V o l k s e r z ä h l u n g e n ansieht, die nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreich erschienen sind. Einer Unmenge von Sagen steht eine verschwindend geringe Zahl von M ä r c h e n - belegen g e g e n ü b e r . Z w e i M ä r c h e n aus Bayerisch-Schwaben fand W i m m e r in der Sammlung » D e u t s c h e V o l k s m ä r c h e n aus S c h w a b e n « (1852) von Ernst M e i e r (1813-66), ebenfalls zwei

Belege (aus der Oberpfalz) lassen sich im zweiten B a n d von Friedrich Panzers (1794-1854) »Bayerischen Sagen und B r ä u - che« (1855) nachweisen. Einzig unter den E r z ä h l u n g e n , die Franz Xaver Schönwerth (1810-1886) in den 50er und 60er Jahren i n der Oberpfalz gesammelt hat, befindet sich eine g r ö ß e r e A n z a h l von M ä r c h e n . Diese wurden allerdings zum größten T e i l erst in unserem Jahrhundert aus dem N a c h l a ß Schönwerths veröffentlicht, so daß nicht verwundert, wenn noch 1903 der damals in W ü r z b u r g als Privatdozent wirkende Robert Petsch in den Mitteilungsblättern des W ü r z b u r g e r »Vereins für bayerische Volkskunde und Mundartforschung« die Situation folgendermaßen zusammenfaßte: »Die Sammlungen unseres Vereins bergen eine fast u n ü b e r s e h b a r e Fülle kostbarer Auf- zeichnungen von Volks- und Kinderliedern, Sagen und R ä t s e l n , [. . .] aber das schönste und reifste Erzeugnis der Volksdich- tung, das M ä r c h e n , ist nur ü b e r a u s dürftig vertreten.« Petsch rief sodann zum »erneuten Nachforschen« auf, um diesem offen- sichtlichen Mangel abzuhelfen, und tatsächlich konnte 1914 K a r l Spiegel im Auftrag des Vereins 35 »Märchen aus Bayern«

veröffentlichen. Sie stammen etwa zu zwei Dritteln aus Franken.

zu einem Drittel aus der Oberpfalz und dem Bayerischen W a l d . Im Spessart sammelte der als Sagensammler und -herausgeber bekannte Valentin Pfeifer das Material für seine 1920 erschiene- nen »Spessart-Märchen«, denen bald zwei weitere B ä n d c h e n folgten. Insgesamt 34 Geschichten sind hier zusammengestellt, die teilweise stark zur Sage hin tendieren, obwohl sie allgemein bekannte Märchenstoffe wiedergeben, im dritten Band handelt es sich durchweg um Schwankmärchen. »Die Geschichten sind im Spessart v e r o r t e t « , so Wimmer, »vielfach mit direkten Ortsangaben, immer aber die früheren L e b e n s u m s t ä n d e des Waldgebirges widerspiegelnd. H a u p t t r ä g e r der Handlungen sind Holzhacker, Förster, Besenbinder, Köhler.« In der Ober- pfalz wiederum zeichnete Ulrich Benzel in den 50er und frühen 60er Jahren dieses Jahrhunderts zahlreiche E r z ä h l u n g e n auf, darunter auch 14 Zauber- und S c h w a n k m ä r c h e n , 7 T i e r m ä r c h e n und 5 L ü g e n m ä r c h e n . Weitere M ä r c h e n aus mündlicher Ü b e r - lieferung ließ er 1978 - ins Hochdeutsche übertragen - nach- folgen.

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iermit ist, von einzelnen Streubelegen und mehr oder weniger originellen Neubearbeitungen und Dialekt- ü b e r t r a g u n g e n einmal abgesehen, der Bestand an Mär- chen aus Bayern auch schon aufgezählt. Im Vergleich zu anderen deutschen Landschaften wirkt dieses Ergebnis erstaunlich mager, es wird zum T e i l schon durch einzelne M ä r c h e n s a m m - lungen aus anderen Gebieten weit übertroffen. Dieses B i l d verdeutlicht sich noch, wenn man sich die einzelnen Belege genauer anschaut. E i n großer Teil der E r z ä h l u n g e n m ü ß t e wieder aus der Aufzählung gestrichen werden, wenn man es mit der Gattungszuordnung etwas genauer n ä h m e , als es die frühe- ren Sammler getan haben. So verweist Wimmer mit Recht darauf, d a ß es sich zum Beispiel beim » T o t e n h e m d c h e n « der Grimms um eine Sage handelt, und um Sagen und Legenden handelt es sich auch in einer ganzen Reihe anderer Fälle.

Ähnlich problematisch wie die gattungsmäßige Einordnung ist aber auch die regionale Verortung der betreffenden Erzählun- gen. Einerseits sind zum Teil die Herkunftsnachweise »aus Baiern« sehr unbestimmt, andererseits b e s c h r ä n k e n sich die Belege mit verbürgter Herkunft zum ü b e r w i e g e n d e n Teil auf Franken und die Oberpfalz, während auffällt, d a ß besonders aus ODerbayern so gut wie gar keine Märchen genannt werden kennen. Wie ist das zu e r k l ä r e n ? Erich Wimmer gab in seinem Vortrag zu bedenken, d a ß Altbayern - das Gebiet des alten Herzogtums - auch im Bereich des Volksliedes als balladenarm gilt, w ä h r e n d für Franken eine reiche Balladenüberlieferung dokumentiert ist. Neuerdings, so Wimmer, deute aber einiges darauf hin, d a ß es sich hierbei lediglich um Dokumentations- lücken handelt. Gibt es also keine Aufzeichnungen altbayeri- scher M ä r c h e n , weil niemand nach ihnen gefragt hat? Bekannt- lich findet man ja nur, was man sucht, und die Überlieferungen sind nicht zufällig dort am dichtesten bezeugt, wo systematisch nach ihnen geforscht wurde. Für diese Sicht spricht auch die Beobachtung, d a ß für die rundum an Bayern angrenzenden Gebiete, von Hessen und W ü r t t e m b e r g ü b e r Tirol bis nach Böhmen in unterschiedlicher Dichte Märchenaufzeichnungen vorhanden sind.

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an kann Erich Wimmer jedoch entgegenhalten, daß sich in der Forschung immer mehr die Auffassung durchsetzt, d a ß die Gattung »Märchen«, wie sie nach den Erzählungen der B r ü d e r G r i m m definiert wurde, zum guten T e l ein Produkt bürgerlicher Lesekultur des späten 18. und des

19. Jahrhunderts darstellt. M a n m ü ß t e also auch aus der Beobachtung der » M ä r c h e n a r m u t « Altbayerns Rückschlüsse

auf eben diese Lesekultur ziehen und nach den Rahmenbedin- gungen dafür fragen, d a ß in dieser Region ganz offensichtlich Stoffe, die in anderen Gebieten in die E r z ä h l t r a d i t i o n eingingen, nicht in gleichem M a ß e und vor allem nicht in gleicher F o r m aufgenommen wurden. D i e oft gestellte Frage nach der land- schaftlichen Gebundenheit von V o l k s e r z ä h l u n g e n w ä r e damit unter anderen P r ä m i s s e n neu zu stellen.

D . D . / S . W .

Literatur:

Bechstein. Ludwig: Der Sagenschatz des Frankenlandes. Würzburg 1842.

Bechstein, Ludwig: Sämtliche M ä r c h e n . Hg. von Walter Scherf. München 1965.

Benzel. Ulrich: Volkserzählungen aus dem nördlichen B ö h m e r w a l d . Marburg 1957 (= Schriften des Volkskunde-Archivs Marburg, Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung 5).

Benzel, Ulrich: Volkserzählungen aus dem oberpfälzisch-böhmischen Grenzge- biet. Münster 1965 (= Märchen deutscher Landschaften 6).

Benzel. Ulrich: Märchen. Legenden und Sagen aus der Oberpfalz. 2 Bde.

Kallmünz 1978.

Brüder Grimm: Kinder- und H a u s m ä r c h e n . Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen. Hg. von Heinz R ö l l c k e . 3 Bde. Stuttgart 1980.

Haller. Reinhard: Baamlange Sogmandl. V o l k s m ä r c h e n aus dem Bayerischen Wald. Grafenau 1984.

Kapfhammer. Günter/Stark, Ingrid: Märchen aus Bayern. Augsburger Reader zu volkskundlichen Lehrveranstaltungen. Augsburg 1987.

L a ß l e b e n . Johann Baptist: Die Rübenprinzessin und andere Märchen von Franz Xaver Schönwerth. Nacherzählt von Oberlehrer J . B . L a ß l e b e n . Kallmünz 1922.

Meier. Ernst: Deutsche V o l k s m ä r c h e n aus Schwaben. Aus dem Munde des Volkes gesammelt. Stuttgart 1852. Neudruck: Hildesheim - New York 1971.

Moser-Rath. Elfriede: Quellen zur V o l k s e r z ä h l u n g des 17. und 18. Jahrhunderts.

In: Bayer. Jahrbuch für Volkskunde 1957. S. 129-143.

Moser-Rath, Elfriede: Predigtmärlein der Barockzeit. Berlin 1964. Panzer.

Friedrich: Bayerische Sagen und B r ä u c h e . B e i t r a g zur deutschen Mythologie. Bd.

2. München 1855. Neuausgabe von Panzers »Bayerische Sagen und B r ä u c h e « . Hg.

von Will-Erich Peuckert. G ö t t i n g e n 1954 und 1956. Pfeifer. Valentin: Spessart- Märchen. 3 Bde. Aschaffenburg 1920. Stark vermehrt als: Märchen und andere Geschichten aus dem Erzählschatz der Mutter. Aschaffenburg 1952.

Röhrich. Roland: Das S c h ö n w e r t h - L e s e b u c h . Regensburg 1981.

Schönwerth. Franz Xaver: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen. 3 Bde. Augsburg 1857-59.

Spiegel. Karl (Hg): Märchen aus Bayern. In: Blätter zur Bayerischen Volkskunde 3, Würzburg 1914, S. 1-45.

Wimmer, Erich: Balladensammlung und -forschungin Franken und die Frage nach Balladen-Oikotypen und Volksliedlandschaften. In: Ballades et chansons folkloristques. Actes de la IS' Session de la commision pour l'etudc de la poesic de tradition orale (Kommision für Volksdichtung) de la S I E . F . sous la direction de Conrad Laforte. Quebec 1989, S. 101-105.

Winkler. Karl (Hg.): Oberpfälzische Sagen, Legenden, Märchen und Schwanke aus dem Nachlaß Fanz Xaver von S c h ö n w e r t h s . Kallmünz 1935.

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