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Die Notwendigkeit der Aufwertung autochthoner Sprachen in den Ländem um die Sahel-Zone Afrikas wurde bereits un Jahr 1966 erkannt

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ein oder mehrere Schriftsysteme?

Von Mohamed Tilmatine, Berlin

Das Berberische wird in mehreren Ländem im Norden und Süden der Sahel-Zone

gesprochen. Dazu zählen Algerien, Marokko, Tunesien, Niger, Mali, Burkina-Faso,

Mauretanien, Libyen und Ägypten. Die Anzahl der berberophonen Bevölkerung wird auf

über 18 Mio. geschätzt. Doch die Stellung dieser Sprache variiert stark von Land zu

Land. Geschichte, ethnische Zusammensetzung, Ideologie, soziales Gefüge, politisches und wirtschaftliches Gewicht der jeweiligen berberischen Gemeinschaften sind einige Faktoren, die die Behandlung und den Status des Berberischen bestimmen.

Mali und Niger sind die einzigen Länder, in denen das Berberische den Status einer nationalen Sprache hat, wobei das Französische weiterhin die Stellimg einer offiziellen

Sprache genießt. Die Lage der dort lebenden berberophonen Tuareg bleibt dennoch

unerfreulich.

Die Notwendigkeit der Aufwertung autochthoner Sprachen in den Ländem um die

Sahel-Zone Afrikas wurde bereits un Jahr 1966 erkannt. Damals hatten Experten in emer

von der UNESCO einbemfenen Tagung an der Erstellung und Vereinheidichung der

Umschrift bestimmter nationaler Sprachen Westafrikas, darunter auch der Sprache der

Tuareg, des Tamaschek,' gearbeitet.

Dieser sehr positiven Initiative folgten leider nicht die entsprechenden Maßnahmen, so daß bisherige Initiativen sich meistens auf bestimmte Versuche beschränkten, etwa die Alphabetisierung der Erwachsenen, einige Pilotprojekte und sehr bescheidene Publikatio¬

nen.

Im Gegensatz zu den beiden genannten Ländem beteiligen sich die Staaten Nord¬

afrikas - wenn es um das Berberische geht - nicht an der Subventionienmg oder gar der

Finanzierung von Alphabetisienmgs- und/oder Sprachentwicklungsprogrammen. Im

Gegenteil, die nordafrikanischen Länder definieren sich verfassungsmäßig ausschließlich als "arabo-islamisch", so daß ihre seit der Unabhängigkeit praktizierte Politik darauf

zielt, mit allen Mitteln die Arabisierung Nordafrikas zu erreichen. Dabei wird das

Berberische aus allen Bereichen des öffentiichen Lebens ausgeschlossen. Initiativen zur

Sprachentwicklung und/oder Sprachplanung kommen daher ausschließlich aus der

' Vgl. dazu: Reunion Intemationale sur l'hamionisation des Notations et Transcriptions des Ecritures et Alphabets des Kel Tamasheq - Rapport general, Bamako 4-9 Juin 1984. Hrsgg. v. Ministere de l'Education Nationale, Direction Nationale de l'Alphabetisation Fonctionnelle et de la Linguistique Appliquee/ Agence de Cooperation Culturelle et Technique.

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privaten Sphäre einzelner militanter Berber, die im Kontext der herrschenden Sprach¬

politik häufig als Bedrohung fur die "Einheit des Landes" behandelt werden und nicht selten verfolgt werden.

Dennoch wird im größten Teil der Berberophonie - bisher jedenfalls - kein bewaff¬

neter Widerstand gegen die zentralen Regierungen geführt.

Eine Ausnahme bildet jedoch der tiefe imd komplexe Konflikt zwischen den Tuareg und den Zentralregierungen in Mali und Niger. Dort tobt seit Jahren ein "vergessener"

Krieg, der laut Berichten intemationaler Menscheiu-echtsorganisationen bereits zahlrei¬

che Tote gefordert hat und somit den Graben zwischen den Gegnem immer tiefer

aushebt.'

Trotz aller Unterschiede zwischen den Ländem mit berberophonen Bevölkerungen bleibt das Berberische überall eine vomehmlich durch die Mündlichkeit geprägte Spra¬

che. Ihre Sprecher, die oft eine Minderheit in der Gesamtbevölkerung darstellen, erleben diese Situation als Unterdrückung oder zumindest als Margmalisierung ihrer Sprache und Kulmr.

Der Ausschluß dieser Sprache und Kultur aus allen Bereichen des öffentiichen Lebens hat die Entstehung eines berberischen Bewußtseins und einer identitären Bewegung begünstigt, mit dem Ziel, die berberische Kultur als wichtige Komponente der nationalen Identität in den jeweiligen Ländem zu rehabilitieren und Berberisch als nationale und offizielle Sprache durchzusetzen.

Hierbei muß freilich nuanciert werden. Die Lage m Libyen ist anders als in Marokko, und der Kampf der Tuareg ist kaum vergleichbar mit dem Aufbegehren der algerischen Kabylen.

Sprache und Identität

Viele Faktoren erschweren erheblich die Bemühungen um die Entwicklung des Berberi¬

schen. Es ist zunächst die Tatsache, daß diese Sprache keine Staatsnation hinter sich hat, die genug politische Handlungsfähigkeit hätte, um entsprechende Sprachplanungsmaß- nahmen zu ergreifen.

Die große geographische Ausdehnung berberophoner Gebiete, ihre Zersplitterung in

eine bestimmte Anzahl von Varianten, die keine Kontakte zueinander pflegen, erschwe¬

ren die Herausbildung emer dorrananten Form des Berberischen, die von einer Mehrheh der Berber verstanden werden könnte.'

Ein weiteres Element ist ein bisher in der Geschichte fehlendes Bewußtsein der

eigenen Sprache und Kultur. Zahlreiche Kolonisatoren haben Nordafrika erobert. Punier, Römer, Wandalen, Byzantiner, Araber, Osmanen oder Franzosen haben ihren jeweiligen

' Vgl. z.B. Amnesty International: Mali, Conflit ethnique et massacres de civils. Septembre 1994.

' Anders ist es in einigen afrikanischen Sprachen, wie es der Fall ist für die Dogon-Sprachen; vgl. dazu G. Galtier: La standardisation de la langue Dogon. In: Bulletin des Stüdes Africaines de l'INALCO

10/ 19-20(1993), S. 197-220.

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Einfluß auf die einheimische Sprache und Kultur ausgeübt. Ohne ihre Kulttu und Sprache ganz aufzugeben, haben jedoch die Berber in keiner Phase ihrer bisherigen Geschichte ein ethnisches, linguistisches oder gar historisches Bewußtsein ihrer Einheit so weit entwickehi können, daß sie emen nationalen Staat mit Masirisch (Berberisch) als Staatssprache und der Masirität (Berberität) als tragender Säule seiner Kulturpolitik hätten aufbauen können. "Le berbere persiste et ne resiste pas" - der Berber verharrt, aber leistet kernen Widerstand" schreibt diesbezüglich der bekannteste berberische Schriftstel¬

ler und Wissenschaftler MOULOUD Mammeri^ Alles deutet also daraufhin, daß die

Notwendigkeit der Entwicklung und Verschriftung ihrer Sprache wohl nicht empfunden wurde.

Erst Ende des 19. Jh.s erscheinen erste Zeichen eines wirklichen Bewußtseins in der Kabylei. Eine tiefe Verankerung in breiten Teilen der Bevölkerung erfolgt insbesondere nach dem berühmten "Berberfrühling" von 1980*.

Die Entwicklung eines berberischen Selbstbewußtseins weitete sich fortan aus, um den Protest und die Forderung nach der eigenen Identität auch in den sonstigen periphe¬

ren berberophonen Gebieten zu verbreiten.

Die Sprache als Träger dieses kulturellen Bewußtseins hat dabei immer eine zentrale

Rolle gespielt. Die Notwendigkeit ihrer Verbreitimg, Entwicklung, Kodifizierung und

Standardisierung war der noch entstehenden berberischen Kulturbewegung von Anfang

an bewußt. "Nur der Übergang zur Schriftliehkeit kann die Fixierung und Permanenz einer Zivilisation gewährleisten", heißt es in ihrem Gründungsdokument, "daher muß

diesem Prozeß ein bevorzugter Platz eingeräumt werden. Dafür ist es notwendig, die

Schriftlichkeit zu verbreiten und ihr die weiteste soziale Verbreitung zu sichern".' Es ist daher rücht überraschend, daß die Aktivisten der berberischen Kulturbewegung die Aufwertung des Berberischen durch seine Einfiihrung in das Schulsystem erreichen

wollen. Diese Forderung ist es, die zu einem Boykott von über neun Monaten (Sept.

1994 - Mai 1995) des gesamten Bildungssytems in der Kabylei geführt hatte, der erst mit der Gründung eines "Hohen Kommissariats für die Amazighität (Haut Commissariat ä l'Amazighite)" und der - zumindest formalen - Anerkennung der Masirität (Berberität) als wichtige Komponente der nationalen Identität beendet wurde.*

< M. Mammeri: La societe berbere. In: Aguedal, Rabat, 5 et 6 (1938) et Nr. 1 (1939).

' IJber M. Mammeri (1917-1989) vgl. die Sondernummer der von ihm gegründeten Zeitschrift AWAL - Cahiers d'Etudes Berberes (1990).

' Vgl. dazu den ausführlichen Bericht von Chaker, R.: Journal des evenements de Kabylie (mars-avril 1980). In: Les temps modemes 432-433 (1982), S. 383-438.

' Mouvement Culturel Berbere: Dossier culturel. Rapport de synthese du seminaire de Yacouren (1.-31.

August 1980). 1980 (imveröffentlicht); und Rapport de synthese du deuxieme seminaire de Tizi-Ouzou (16.-24. Juli 1989). In: Le pays, Nr. 18 (1991), 31.8 - 6. 09. 1991, Abschnitt: "Developpement de la production culturelle et artistique", Punkt a-1.

« Dekret vom 28. Mai 1995. Zum Gebrauch des Terminus Amazigh vgl. M. TILMATINE: Zum Begriffs¬

paar Berber/Amazigh: Ein Beitrag zur terminologischen Vereinheitlichung und Klärung eines nichtlexi- kalisierten Begriffs. In: Muttersprache 1 (1995), S. 18-23.

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Während L. Galand in dieser Bewegung vor allem die "Affirmation einer Identität, den Widerstand gegen einen gewissen Arabismus", ja sogar leicht ironisch eine "Klage vor der Geschichte wegen Marginalisienmg" sieht, erkennt S. Chaker vor allem drei

Hauptachsen in den Fordenmgen der berberischen Kulturbewegimg in der Kabylei: den

Willen zum Modemismus, den Panberberismus tmd vor allem als wichtigstes Element

den Übergang zur Schriftlichkeit.'

Dieses dritte Ziel ist durch die historische Bewußtwerdimg begründet, die Schriftlich¬

keit als ein zeitlich dauerhaftes Festigungsmittel eines kulturellen Gedächmisses zu

betrachten, das durch die Modemität bedroht wird. Eine Bedrohung, die heute immer

größere Maße annimmt, da die Erhaltungsstmkturen dieser Sprache und Kultur von den

induzierten soziokulturellen Wandlungen und, allgemeiner, von den Forderungen der

"Modemität" zerstört werden.

In der neueren Zeit wurde der Übergang zur Schriftliehkeit auch durch die Notwen¬

digkeit beschleunigt, sich gegen den extremen Dmck der zahlreichen Arabisierungs- kampagnen zu schützen. "Jeder Algerier, der es ablehnt sich zu arabisieren, wird sich in seinem eigenen Land fremd flihlen", behauptete diesbezüglich im Jahr 1974 ein rangho¬

her algerischer Politiker in einem Interview in der algerischen Parteizeitung El Moudja- hid.'" Diese Lage spitzte sich mit der Entwicklung einer islamistischen Opposition noch

weiter zu, verursachte hingegen ebenfalls eine Verstärkung und Radikalisierung be¬

stimmter Kreise irmerhalb der Berberbewegung, die - im Falle einer Machtübemahme durch Islamisten - offen von Autonomie reden."

Vor diesem Hintergrund sind die seit einigen Jahren in einigen Ländem zu verzeich¬

nenden Bemühungen um Verschriftung des Berberischen zu sehen, deren Erfolg jedoch

bisher nur bedingt als erfolgreich zu betrachten ist.

Mindestens drei, voneinander völlig verschiedene Schriftsysteme werden je nach

Land, Gebiet und Kultureinfluß angewandt: ein arabisches, ein berberisches - das

sogenaimte Tifinagh-Alphabet - und schließlich ein lateinisches System."

Die arabische Schrift

Es gibt in Marokko eine alte Tradition in der Notierung des Berberischen in arabischer

' L. Galand: Les langues berberes. In: La reforme des langues. Histoire et avenir. Hrsgg. v. I. FODOR und Cl. HAGfeOE.. Hamburg 1989, Bd. 4, S. 343; S. CHAKER: Domaine berbere: vers une (ou des) ortho- graphe(s)? In: Liaisons-HESO 21-22 (1992), S. 95-111, S. 97; sowie DERS.: Constantes et mutations dans l'affirmation identitaire berbere. In: Revue de l'Occident Musulman et Mediterraneen 44/2 (1987), S, 13-33.

'° Abdelhamid Hadjar, zitiert im Dossier Culturel ... (Anm.7), S. 73.

" M. Tilmatine: Gegen FIS und FLN. Algerische Berber im Kampf um Demokratie. In: Blätter des Intemationalen Zentrums Dritte Welt (IZ3W) 202 (1994), S. 4-7.

Die Verschriftung des Berberischen im Hebräischen ist äußerst selten. Vgl. aber dazu P. Galand- PeRNET/ H. Zafrani: Une version berbere de la Haggadah de Pesah: texte de Tinrhir du Todrha (Maroc). 2 vol. Paris 1970. (Supplement aux GLECS).

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Schrift. Es handelt sich hierbei vor allem um religiöse oder religionsbezogene Texte, die z.B. in der hagiographischen Literamr erhalten sind. Die ältesten von ihnen werden auf das 16. Jh. datiert. Ein kritisches Inventar der in der südberberischen Taschelhit-Variante

existierenden Handschriften wurde bereits in den Jahren 1972 und 1973 von Frau

Galand-Pernet erstellt.

Die Handschriften sind mit Hilfe des arabischen Schriftsystems bzw. nach den Regeln

des damals im Maghreb geläufigen Arabischen verfaßt, wobei einige Diakritika hin¬

zugefügt wurden, um spezifisch berberische Laute notieren zu können. Die Texte sind meist vollvokalisiert, um das Lesen zu erleichtem.

Diese Schrift, die sich, so Galand, "bemerkenswert für die Phonologie der schilhi- schen Dialekte eignete", wurde relativ früh benutzt. Dennoch hat es, so Chaker,

"merkwürdigerweise [...] nicht zu einer tatsächlichen Aneignung des arabischen Al¬

phabets geführt"'", um, wie es etwa in anderen Ländem (Persien, Pakistan usw.) der Fall war, die eigene Sprache zu notieren. Eine mögliche Antwort darauf liefert Boulifa bereits im Jahr 1905, der nach einer Reise nach Marokko feststellt, daß die marok¬

kanischen Handschriften - von denen er einige nach Algier mitgebracht hatte - "im allgemeinen nur religiöse Themen behandehi". Der Autor bedauert, daß die "Berber nicht

in ihrer Muttersprache neuere Themen behandeln und entwickeln, die z.B. ihre Ge¬

schichte oder ihre Sitten betreffen". Er betont femer, daß es ihm, trotz seiner Bemühun¬

gen, nicht gelungen sei, Schriften dieser Art zu finden, und vermutet daher, daß die

arabische Schrift der Verbreitung des islamischen Kultiugutes unter den Berbem

diente.'* Inzwischen keimen wir natürlich einige Ausnahmen, wie etwa die sechzehn Handelsbriefe in der schilhischen Sprache, die vom französischen Konsul J. D. DELA¬

PORTE in Mogador erworben und übersetzt wurden."" Dennoch bleibt diese treffende

Bemerkung des Kabylen Boulifa richtig. Eine Auffassung, die auch von modemeren

Gelehrten geteilt wird, wie etwa von B. H. Stricker, der anmerkt, daß die Texte der

berberischen Handschriften "von der Religion handeln und in einer einfachen Sprache verfasst sind, damit sie ohne Schwierigkeit von der ländlichen Bevölkemng verstanden wird, die zwar den Islam praktiziert, jedoch oft unfähig ist, das Arabische zu verstehen, geschweige denn zu lesen oder zu schreiben"".

Die heutigen berberophonen Autoren haben allerdings das alte Notierungssystem dieser Handschriften nicht beibehalten. Neuere arabische Umschriftsysteme wurden von

" P. Galand-Pernet: Notes sur les manuscrits ä poemes chleuhs de la bibliotheque Generale de Rabat.

In: JA 260 (1972), S. 299-316, und dies.: Notes sur les manuscrits ä poemes chleuhs du fonds berbere de la Bibliotheque Nationale de Paris. In: REI 41/2 (1973), S. 283-296.

" Chaker: op. cit (Domaine berbere... Anm. 9), S. 105.

" BOULIFA, M. Said: Manuscrits berberes du Maroc. In: JA 6 (1905), S. 333-362, hier S. 337 und 353.

Hervorhebung von mir.

" Galand-Pernet: op. cit. (Notes sur les manuscrits... 1973, Anm. 13), S. 285.

" Muhammad al-AwzalI: L 'ocean des pleurs. Ed. par B. H. Stricker. Leyde: E.J. Brill 1960, S. X.

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einigen berberischen Kultlirvereinen erarbeitet," wobei Erneuerungen unter dem Einfluß der lateinischen Sprachen eingefulirt wurden. Probleme sind u. a. die phonetische Reali¬

sierung einiger im arabischen Phonembestand nicht vorhandener Laute, die Darstellung des Schwa oder der Vokalquanhtät. Da letztere im Nord-Berberischen nicht distinktiv ist, greifen einige auf das leichter zu druckende arabische tamdid-Zeichen zurück, um die Vokale zu notieren:

> Ij (bä); bi ^ > (bi); bu .-i > ^ (bu)

Die Emphase wird wie im lateinischen System mit einem Punkt unter dem Buch¬

staben realisiert. Ungewöhnlich ist es vor allem in Fällen, wo der arabische Buchstabe bereits mit einem Punkt versehen ist, etwa /z/ / j /, der zusätzlich einen Punkt unter dem Buchstaben erhält: [ j ].

Ähnlich wird die Spiranhsierung der Okklusiva mit einem Strich unter dem jeweiligen Buchstaben notiert. Ungünstig ist die Methode schon deswegen, weil dieser Strich mit

dem Vokalzeichen kasra [ ] verwechselt werden kaim. Zusätzliche Unordnung schafft

die Tatsache, daß manche Autoren den Strich unter dem Buchstaben als Zeichen der

Emphase benutzen, so etwa in einem neulich erschienenen Gedichtband in der mzabiti- schen Berbervariante (Abb. 2 b).

Während die Konsonantenlänge, wie schon in alten Zeiten, durchgehend mit der

arabischen sedda nodert wird, bleibt das Problem der Segmentierung viel schwieriger zu lösen. Auch da greifen diese modemen Systeme z.B. auf ein Hilfsmittel zurück, das im

Arabischen nicht üblich ist: den Einsatz des Bindestriches, um z.B. Substantiva von

bestimmten Präpositionen oder Partikeln zu trennen:

ddix s-tamezgida >»i - ^ "ich bin in die Moschee gegangen",

adar n-urgaz jl^jjl - o jl-^f "der Fuß des Mannes" usw.

Da dieser Gebrauch bei weitem nicht normalisiert ist, gelten diese Regeln nur für eine bestimmte Zeit und fiir einen besfimmten Kreis, so daß jeder Autor mehr oder weniger nach eigenen Regeln schreibt.

Obwohl die verschiedenen Varianten der arabischen Nofierungssysteme sich kaum

durchsetzen konnten, verlangen besfimmte Kreise in Marokko - auch unter den mi¬

litanten Berbem - eine Entscheidung zugunsten des arabischen Systems, weil die

Arabisierung so weit fortgeschritten sei, daß die Mehrheit der Bevölkerung nun in der arabischen Lektüre geübt sei. Eine arabische Umschrift des Berberischen Avürde daher größere Teile der Berber erreichen.

Der Einsatz der arabischen Schrift wird femer auch damit "gerechtfertigt", daß eine Notterung des Berberischen mit lateinischen Buchstaben - so der marokkanische Philo-

" Etwa das System der AMREC (Associarion Marocaine de Recherche et d'Echange Culturel), das im Jahre 1967 enstand. Eine Kopie der Transkriptionsregeln wurde mir freundhcherweise von Herm A. Bounfour (Paris/INALCO) zur Verfügung gestelh.

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soph HiMMiCH - das "Berberische vom Arabischen, sprich vom Islam, abnabeln würde".

Der Autor geht noch weiter und lehnt das lateinische System ab, weil "die Berber Himyariten, also Araber," wären."

Für manche Eiferer des Islam wie den Algerier Sayh al-BaSir al-IbrähImI, ehemaliger Generalsekretär der Ulema imd Imam der großen Moschee von Algier, ist die arabische

Sprache insofem unentbehrlich, daß die Gebete damit beginnen und enden - inna as-

salawät bihä tabda'u wa-tuhtam. Für ihn sei die arabische Sprache nicht nur die Sprache einer Religion, sondem auch selbst eine Religion geworden - al-luga al-^arabiyya asbahat lugatu dinin wa-dinan ma'an -, und er verieidigt aus diesem Grund bewußt die

"untergeordnete Stellung" des Berberischen und die faktische Überlegenheit der arabisch-islamischen Kultur:

"Durch das Arabische haben die Berber das gelemt, was sie vorher nicht wußten [...]", schreibt der Imam. "Durch ihren Vorsprung gegenüber dem Berberischen verwandehe die arabische Sprache [...] ohne jeglichen Zwang die berberische Seele in eine arabische [...].

Der arabische Missionar hat diesem Land den Islam und seine Gerechtigkeit, die arabische Sprache und ihre Wissenschaft gebracht [...]. Die Wissenschaft des Islam hat dazu gefuhrt, daß die berberische Sprache sich der arabischen unterworfen hat. Es war die Unterwer¬

fung des Schülers unter seinen Lehrer und nicht die des Sklaven unter seinen Herrn."'"

Die Schrift des Arabischen als sakraler Sprache der Offenbarung müßte infolgedessen als Notationssystem durchgesetzt werden. Die Religion setzt die Auswahl des arabischen Systems durch, so wie das Arabische eine unvergängliche Verbindung mit der Religion bildet. Daß eine Verschriftung des Berberischen mit arabischen Buchstaben - bisher - kaum der Darstellung einer berberischen oder gar einer regionalen Spezifität diente, katm

daher vor diesem Hintergrund kaum überraschen. Diese Auffassung müßte jedoch im

Hinblick auf die neueren Entwicklungen - insbesondere in Marokko - relativiert werden, wo vor allem in assoziativen Kreisen, aber auch in der literarischen Produktion durchaus

militante Stimmen in arabischer Schrift zum Ausdmck kommen, um eine Anerkennung

des Berberischen zu fordem.

Die Tifinagh-Schrift

Der Terminus tifinagh ist von seiner Struktur her eine Pluralform und bezeichnet in der Sprache der Tuareg "den oder die Buchstaben der tuaregspezifischen Schrift"." Die

" In der marokkanischen Zeitung al-Bayan vom 29. April 1995.

^ Cheikh Al-BaCHIR al-Ibrahimi: Les Berberes et l 'islam. In: El-Bassair 41 (1948). Mit diesem Text beantwortete der Sayh Forderungen von Berberophonen, die eine Gleichstellung ihrer Sprache mit dem Arabischen in den Medien und in der damaligen Nationalversammlung forderten. Interessant ist, daß offenbar nur die "Verwandlung der berberischen Seele in eine arabische" als Entwicklung betrachtet wird, denn ansonsten gih für Cheikh Taleb A. Ibrahimi, den ehemaligen Kulüirminister, der von ihm bekannte Spmch, daß "un peuple qui change de langue, change d'äme".

Mohammed AGHALI-Zakara/ J. DroiN: Recherches sur les Tifinagh. Elements graphiques. In:

GLECS 18-23 (1973-1979), S. 245-272.

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verbreitetste etymologische Erklärung ist, daß dieser Terminus wahrscheinlich eine entlehnte Form des griechischen Adjektivs phoinikos darstelle imd soviel wie "die punischen" bedeute/'

Die Frage des Ursprungs des libyschen Alphabets beschäftigt seit geraumer Zeit die Linguisten. Vor allem die Entdeckung des Tuareg- Alphabets Mitte des 19. Jh.s öffnete

den Weg für die verschiedensten Thesen. In einem Aufsatz über den Urspnmg des

libyschen Alphabets erwähnt Enno Littmann'^ einige dieser Hypothesen. So wurden

Verbindungen zu den Hieroglyphen (DE Saulcy), zu den sabäischen und äthiopischen

Alphabeten (Blau) vermutet. Andere wie der britische Reisende Hardings King

betonten gar einen "griechischen" Ursprung der Tifinagh-Schrift. Littmann selbst vertrat die Ansicht, das libysche sei mit den südarabischen Alphabeten verwandt, näm¬

lich mit dem safaischen und dem thamudischen, während Halevy die Verwandtschaft des Tuareg-Alphabets mit dem phönizischen zu beweisen versuchte.

Diese letzte Hypothese, obwohl sie inzwischen in der Fachwelt allgemein angenom¬

men wird, bleibt jedoch unsicher, da ein Vergleich der beiden Alphabete (des phöni¬

zischen und des libysch-berberischen) nicht auf eine direkte Verwandtschaft schließen lassen kann. Daher wird eher die Hypothese einer Parallelentwicklung bevorzugt.'''

Die ersten Belege des libyschen Alphabets gehen auf das 6. .Ih. zurück.'* Die areale

Ausweitung dieser Schrift deckt das gesamte berberophone Gebiet ab. Ihr Gebrauch

beschränkt sich meistens auf symbolische Funktionen. 80% der bekannten Inschriften sind Epitaphien oder magisch-religiöser Art." Ähnliches gilt auch für die Tifinagh, die z.B. viel für die Beschriftung persönlicher Objekte, die Übermittlung kurzer Nachrichten

usw., aber kaum für längere Korpora - etwa zur Aufzeichnung literarischer Texte -

gebraucht werden. Die ersten längeren Texte wurden von europäischen Wissenschaftlem oder Missionaren transkribiert.

Das Tifinagh-Alphabet ist eine Konsonantenschrift, notiert aber nicht die konsonanti¬

sche Spannung, weder durch Verdoppelung noch durch den Zusatz eines diakritischen

Zeichens. Das Alphabet kennt nur einen Vokalbuchstaben: den Punkt -(.)-, der den

Vokal a im Auslaut notiert. Er kann nicht im Anlaut oder in einer mittleren Position

auftauchen. Eme Ausnahme bilden hierbei die marabutischen Kel-Antessar-Tuareg, die

- so P. DE Coninck und L. Galand - arabische Vokalzeichen oberhalb oder unterhalb

" K. G. Prasse: Manuel de grammaire touaregue. Vol. I-III. Copenhague 1972, S. 149.

" E. Littmann: L 'origine de l 'aiphabet libyen. In: JA lOeme serie, 4 (1904), S. 423-440.

" J. Friedrich: Geschichte der Schrift. Heidelberg 1966, zitiert nach PRASSE: op. cit. (Anm. 22) S. 146.

" G. Camps: Recherches sur les plus anciennes inscriptions libyques de l'Afrique du Nord et du Sahara.

In: Bulletin archeologique du Comite des travaux historiques et scientifiques (CHTS) 10-11 (1978), S. 143-166, hier S. 151.

" Über 1300 antike Inschriften wurden bereits ediert. Die beiden wichtigsten Sammelbände der libyschen Inschriften stammen von J. B. Chabot: Recued des inscriptions Libyques. Paris 1940, und von L. Galand: Inscriptions libyques. In: Inscriptions antiques du Maroc. Paris: Centre National de Recherche Scientifique (CNRS) 1966.

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des Tifinagh-Zeichens benutzen.''

Zur Zeit sind mehrere Alphabete im Umlauf mit - je nach regionaler Variante und

Quelle - zwischen 22 imd 29 Buchstaben. Der Wert einzelner Buchstaben kann dement¬

sprechend variieren. Das Tifinagh-Alphabet keimt sogenaimte tifinagh eqqaanen,

tifinagh ertaayen oder tifinagh o saaghnen}^ Es smd Verbindungen von zwei Konsonan¬

ten, die auch "bi-consoimes" oder "Ligaturen" genannt werden.

Die Tifinagh-Schrift als Symbolträger der berberischen Identität

Unter dem Druck einer übermächtigen von der arabischen Schriftsprache getragenen arabisch-islamischen Kultur entwickelten die Berber immer gewisse Minderwertigkeits¬

komplexe gegenüber ihrer eigenen Sprache und Kultur.

Vor diesem Hintergrund kommt der Tifinagh-Schrift als berberischem Alphabet par

excellence eine wichtige symbolische Funktion und eine hohe politische Bedeutung zu.

Dies erkannte die 1967 von kabylischen Immigranten in Paris gegründete Academie

Berbere und erstellte eine aktualisierte Version des Tifinagh-Alphabets, das sich schnell

zunächst in den kabylischen Emigrationskreisen, dann auch in Algerien, Marokko und

später in ganz Nordafrika verbreitete. Diese sogenannten "Neo-Tifinagh" sind in wissen¬

schaftlicher Hinsicht sehr umstritten. Es handelt sich dabei um eine phonetische Um¬

schrift des Kabylischen, die z.B. auch nicht-distinktive Merkmale wie die Spirantisierung notiert. Dennoch ist ihr Erfolg vor allem unter der berberischen Jugend sehr groß. Es schafft bei ihnen das Gefühl daß das "Berberische" eben wie die anderen "großen"

Sprachen auch seine eigene "Schriftsprache" hat. Damit läßt sich ihre Sprache und Kultur von den in Nordafrika dominanten Schriftkulturen wie der französischen und der arabischen ganz eindeutig abgrenzen, ohne den Verdacht zu schüren. Trojanisches Pferd der arabischen oder französischen Kultur zu sein.

Schließlich bieten die Tifinagh in panberberischer Hinsicht und im Gegensatz zu der lateinischen und arabischen Schrift den Vorteil, daß sie als gesamtberberisches Kultur¬

erbe betrachtet werden und daher eine integrative Rolle spielen können.

Die lateinische Schrift

Historisch gesehen hat die französische Schulpolitik - obwohl sie von begrenzter Trag¬

weite war" - die Herausbildung einer lokalen "Elite" in der Kabylei geforderi. Ausge-

'' P. DE Coninck/ L. Galand: Un essai des Kel Antessar pour ameliorer l'ecriture touaregue. In:

GLECS 8 (24.2.1960), S. 78-83.

^' Nach Mohammed Aghali-Zakara: Les lettres et les chiffres. Ecrire en berbere. In: A la croisee des etudes Libyco-berberes. Melanges offerts ä Paulette Galand-Pernet et Lionel Galand. Paris 1994, S. 141-155. G. Alojaly (Lexique Touareg-Francais. Copenhague 1980) gibt fur ertey "sich mischen, assoziieren, verbinden, sich einigen" und für asegh "verbinden, Paarung für Tiere". Siehe auch Prasse:

op. cit (Anm. 22), S. 145-151.

^ Ch.-R. Ageron: La France a-t-elle eu une politique kabyle? In: Revue historique 223 (1960), S. 309- 352, hier S. 348.

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bildet an der französischen Schule und in der Konfrontation mit anderen Schriftsprachen

wie dem Französischen oder dem Arabischen, begannen bereits am Ende des 19. Jh.s

einige kabylische Grundschullehrer sich für ihre eigene Sprache und Kultiu zu inter¬

essieren.^" Sie sammelten Dokumente und Informationsmaterial, verfaßten literarische,

historische und ethno-historische Werke über die Kabylei und andere berberische

Gebiete. Mit diesen ersten Verschriftungsversuchen des Berberischen entwickelten sie

sich zu Vorläufem einer identitären Bewegung und eröffneten - zumindest in der

Kabylei - eine Tradition der Verschriftung des Berberischen in lateinischen Buchstaben, die sich bis heute erhalten hat. Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß dieses Phänomen spezifisch für die Kabylei zu sein scheint, da wir es in dieser Form nirgendwo sonst in den berberischen Gebieten Nordafrikas kennen.

Sehr wichtige Vorarbeit leisteten dann ftir die spätere Verbreitung dieser Schrift berühmte Linguisten wie A. Basset und die Veröffentlichungen des Fichier de Doeumen¬

tation Berbere der "Weißen Väter" (1947-1977). Der eigentiiche Durchbmch kam aber

erst nach der Unabhängigkeit des Landes mit Mouloud Mammeri und seinen Schülem,

die die Verbreitung und Verankerung der lateinischen Umschrift - zunächst in der

Kabylei und später in den übrigen Gebieten der Berberophonie - entscheidend prägten.

Es ist unbestreitbar, daß die Auswahl eines graphischen Systems nicht nur technisch begründet ist. Eine Entscheidung zugunsten des lateinischen Systems wird von vielen Berbem als Befreiung von einer Vormundschaft empfunden, die sie für die Negierung und Unterdrückung ihrer Sprache und Kultur verantwortlich machen. Dieses Gefühl wud in den letzten Jahren stets bestärkt durch eine Haltung, die darin besteht, die "Richtigkeit und Legitimität" der berberischen Forderungen zwar anzuerkeimen, unter der Bedingung jedoch, daß die Verschriftung dieser Sprache in arabisch erfolge.

Daß Gegner der Anwendung lateinischer Buchstaben das lateinische System als

"französisch", sprich "kolonial", darstellen, ist aus historischen Gründen leicht nachvoll¬

ziehbar, da sie auf die sogenannte "Berberpolitik" Frankreichs verweist. Der ehemaligen Kolonialmacht wird vorgeworfen, eine "Teile-und-herrsche-Politik" betrieben und dafiir

"Araber" gegen "Berber" aufgehetzt zu haben."

Die neuere Geschichte der Bemühungen um Verschriftung des Berberischen ist eng

mit der Entstehung einer berberischen Identitätsbewegimg und der Entwicklung eines

panberberistischen Selbstbevmßtseins verknüpft. Um diesem Einheitsdrang einer noch

nicht existierenden berberischen Nation - der tamazgha - gerecht zu werden, mußte ein Umschriftsystem erarbeitet werden, das die intra- und interdialektalen Divergenzen zwischen den verschiedenen Sprachvarianten überschreitet.

" Etwa Said u Amar Boulifa, Cid Kaoui, Mohand Said Lechani. Vgl. zu diesem Thema S. Chaker:

Dossier sur les precurseurs. In: Revue de l'Occident Musuhnan et Mediterraneen 44 (1987), S. 97-115.

" Zu der "Berberpolitik" vgl, z.B. LAFUENTE, G.: Dossier marocain sur le Dahir berbere de 1930. In Revue de l'Occident Musuhnan et Mediterraneen 38/2 (1984), S. 83-116. Siehe auch S. Hachi: Note sur la "politique berbere de la France". In: Tafsut - revue libre du mouvement culturel berbere. Serie speciale: Etudes et debats 1 (1983), S. 28-32.

(11)

Phonetische oder Phonologische Umschrift?

Unter den wichtigsten Regeln, die diesem System zugrunde lagen, ist die Entscheidung

zu neimen, einen Laut mit einem Buchstaben zu notieren. Damit distanzierte man sich

von der alten Praxis, die auch Digraphe für Laute benutzte, die etwa im Französischen nicht existieren, zum Beispiel fiir die stimmlosen und stimmhaften frikativen Velare l\l (kh) und lyl (gh), oder (sh) für den präpalatalen stimmlosen Frikativ, der im neueren System /§/ notiert wird.

Nicht distinktive regionale phonetische Realisierungen wie etwa die Spirantisierung

der Okklusiva in den nordberberischen Dialekten werden auch nicht notiert: tamurt

(Taschelhit); tamurt (kabylisch), hamurt (Shawi) "Land" wird immer tamurt notiert.

Obwohl ein relativ breiter Konsens auf diesem Gebiet herrscht, werden diese Regeln

nicht immer strikt eingehalten. Dies ist oft auf einen Mangel an Koordinierung und

Kommunikation bzw. das Fehlen einer anerkannten normativen Struktur zurückzuführen.

Manchmal liegt es an einfachen technischen Problemen, die es etwas umständlich

machen, beispielsweise Buchstaben mit Diakritika zu erstellen.

In der Praxis sind grundsätzlich zwei Haupttendenzen erkennbar: eine "spontane"

Notierung phonetischen Typus', die oft von den "Laien" an der Basis geübt wird, und eine "analytische" Notierung, eher (morpho-)phonologischen Typus', die oft von Akade¬

mikem und diversen "Praktikem" - mit einer mehr oder wemger guten berberologischen Ausbildung - gebraucht wird."

Das wohl größte Problem ist dabei die Frage der Segmentierung bzw. der Darstellung

der Morphemgrenzen. Muß ein Bindestrich zwischen den Lexemen und ihren Affixen

bzw. zwischen den Verben und ihren sogenannten "Satelliten" verwendet werden oder nicht?

An dieser Frage scheiden sich die Geister, denn das Berberische verfügt über eine

große Anzahl von kleinen - oft monophonematischen - grammatischen Einheiten

unterschiedlicher Kategorien, etwa Präpositionen, Personalpronomen, Partikeln usw., die mit dem zugehörigen Substantiv oder Verbum em Syntagma bilden können. Das Beispiel

"bring es ihm!" kann in den drei Varianten notieri werden:

a) mit Bindestrich: awi-yas-t-in > "bring es ihm!" + Orientiemngspartikel n

b) ohne Bindestrich, aber mit Leerstellen: awi yas t in

c) ohne Bindestrich, gebunden: awiyastin

Da die c)-Variante, die etwa im arabischen Umschriftsystem noch gebraucht wird, in der lateimschen Notierung nicht mehr aktuell ist, bleibt die Entscheidung zwischen den zwei anderen Varianten offen.^^

" Chaker: op. cit. (Domaine berbere... Anm. 9), S. 102.

" Dazu S. Chaker: Propositions pour une notation usuelle (kabyle). In: Bulletin des Emdes Africaines de l'INALCO 3 (1982), S. 33-47, sowie M. Tilmatine: L 'usage du trait d'union dans un hebdomadaire kabyle. In: Actes de la table ronde intemationale: Phonologie et notation usuelle dans le domaine berbere. Centre de Recherche Berbere/INALCO - Paris (26-27 avr. 1993). In: Etudes et Doeuments

(12)

Ähnlich problematisch ist die Suche nach Lösungen fur die Notierung der vielen phonetischen Ässimilationen, die sich ebenfalls an den Morphemgrenzen ereignen:

Das Beispiel "Es ist eine Frau/Älte" wird [ffamyrt] realisiert. Für den Linguisten sind

die Grenzen der Morpheme sofort erkennbar. Er kann die syntaktische Struktiu des

Syntagmas sofort rekonstruieren: d tamyart, denn er weiß, daß die Sequenz Id tl in [//]

assimiliert wird. Dies kann aber nicht immer von einem normalen Sprecher erwartet

werden, daher die Frage, ob die Assimilation notiert wird oder ob darauf zugunsten der Rekonstruktion der syntaktischen Struktur des Syntagmas verzichtet wird.

Das Problem der Assimilationen und des Bindestrichs gehören zu den wichtigsten Hürden, die die lateinische Umschrift noch nehmen muß, bevor sie eine Optimierung ihrer Möglichkeiten erreicht. Dies ist noch nicht der Fall, denn in der Praxis gibt es auch hier kein einheitliches Verhalten. Dennoch - verglichen mit den Problemen, in die die beiden anderen Schriftsysteme verstrickt sind, weist die lateinische Umschrift einen

großen Vorsprung auf, da sie im Gegensatz zu dem Tifinagh-Alphabet oder zur arabi¬

schen Umschrift auf eine hundertjährige und kontinuierliche Praxis in der Notierung von längeren Textcorpora zurückblicken kann. Daß die mzwischen relative Stabilisierung der lateinischen Schrift in der Kabylei offenbar einen unumkehrbaren Stand erreicht hat, zeigt sich vor allem daran, daß alle kabylischen Romane, Zeitungen, Theaterstücke, Drehbücher und sonstigen Publikationen in lateinischer Schrift erschienen sind.

Anders hingegen ist die Lage in den übrigen berberophonen Gebieten. Besonders in

Marokko, wo die politischen Gegebenheiten bisher für das Arabische sprechen, bleibt der Gebrauch des arabischen Schriftsystems noch relativ stark verbreitet, auch wenn parallel

dazu eine immer klarere Tendenz zu beobachten ist, in lateinischen Buchstaben zu

schreiben. Dies gilt insbesondere für die universitären und intellektuellen Kreise, aber auch für Vereinsaktivitäten und diverse Publikationen. Eine klare Entscheidung für das eine oder andere System ist also dort nicht erkeimbar. Vielmehr deutet alles daraufhin, daß sich die parallele Verwendung der drei Schriftsysteme noch lange halten könnte, so lange, bis sich em System - qualitativ oder mit politischer Gewah - durchsetzt.

Die folgenden Tabellen versuchen ein annäherndes Bild über den Gebrauch der ver¬

schiedenen Schriftsysteme und ihre areale Verbreitung in Nordafrika zu geben. Sie sollen jedoch nur Richtwerte darstellen und als Orientierungshilfe fungieren. Sie beruhen nicht

auf einer quantitativen Bearbeitung der Materialien, sondem auf dem mir und dem

Cenü-e de Recherche Berbere/FNALCO verfügbaren publizierten Material.

Berberes 11 (1994), S. 77-90.

(13)

Tab. 1: Verbreitung der graphischen Systeme

Zeichenerläuterung: + = verbreitet o = weniger verbreitet - = kaum verbreitet

Marokko Algerien Niger Mali

Tifinagh

Verbreitung + + + +

Homogenität 0 0 0 0

Orthographie - - 0 0

Modemisienmg - - 0 0

Arabisch

Verbreitung + - - -

Homogenität 0 - - -

Orthographie 0 - - -

Modemisierung - - - -

Lateinisch

Verbreitung o + + +

Homogenität 0 0 + +

Orthographie 0 + + +

Modemisiemng 0 + 0 0

(14)

Tab. 2: Literarische Produktion

Marokko Algerien Niger Mali

Tifinagh

Printmedien - - 0 0

Liter. Prod. - - 0 0

Übersetzungen - - - -

Fachliteratur - - - -

Päd.-didakt. Literatur - - - -

Arabisch

Printmedien 0 - - -

Liter. Prod. 0 0 - -

Übersetzungen - - - -

Fachliteratur - - - -

Päd.-didakt. Literatur - - - -

Lateinisch

Printmedien -t- + -1- -1-

Liter. Prod. 4- + -1- +

Übersetzungen 0 + 0 0

Fachliteratur 0 + - -

Päd.-didakt. Literatur 0 + -1- -1-

Tab. 3: Kombinierte Umschriftsysteme

Marokko Algerien Niger Mali

Lateinisch - Arabisch -1- - - -

Lateinisch - Tifinagh -1- 0 0 0

Tifinagh - Arabisch - - - -

(15)

Abb. 1) Lateinische Umschrift

1 a) Auszug aus einem rifischen Gedichtband (Lwalid Mimun: Zi redjar n-tmuart_ rar rura ujema /Reikend naar het licht / Izran irifiyen (trad. p. R. Otten), Utrecht: Izaouran 1994.- 73 S. (Reeks Berberpoezie. 3.)

IDURAR N-ARRIF

ijlurar n-arrif i dihan ibedden islurar n-ssif i dihan isedden

idennad tuya din ca n.yewdan qedden

maca ntiara qa din ca imedran hedmen

imedran n-tmaddiwin di Iqicciwin yemyen

maca qa yemyen din x-csa n-taryast cahden

laryast eeabd Icrim ttaryast irifeyyen

xzart yar idurar-in xzarl a imezzyanen nhara yeqqim din ralar n.weyraden ratar ceebd Icrim d-ratar n.yemjahden

1 b) Auszug aus einem kabylischen Handbuch für Bautechnik von A. Abdennour: Lebni d Imuhal huyaz (Batiment et Travaux Publics). Alger: Asalu 1990.

UDEM 35

TAMAWT :

Ijaäbuben n-waman ilaq ad derman azal n Imitra ddaw wakal akken ur ten i^^awec} ara wegria.

(16)

Abb. 2) Die arabische Umschrift

In den beiden folgenden Fällen wird der stimmhafte postpalatale Okklusivlaut /g/ einmal mit dem arabi¬

schen qäf( j ) und einmal mit dem/tä/( ) wiedergegeben, wobei drei Punkte oberhalb bzw. unterhalb des jeweiligen Buchstabens hinzugefügt wurden ('5 )•

2 a) Auszug aus einer berberischen Handschrift (schilhische Variante) des berühmten Dichters Muhammad al-Awzafi (ed. B. H. Stricker)

1^1^^^!^^,«;^;^^^^

44%^i|i;^viiL:4 -

2 b) Deckblatt eines mzabitischen Gedichtbandes von A. H. Fekhkhar: Imettawen izeggwayen

„Rote Tränen". Ghardaia [o.J., 1993/94?]

(17)

Abb. 3) Tifinagh

3 a) In diesem Brief drückt eine Tuareg-Frau ihre Zustimmung zu einem Heiratsantrag aus (M. Cohen:

La grande invention de l'ecriture et son evolution. Paris 1958, Tafel 40. Der Text liest sich von links nach rechts.

3 b) Die drei Umschriftsysteme als Lesehilfe. Die Emphase wird im arabischen System mit einem Punkt und in der Tifinagh-Schrift mit einem Söich unter dem Buchstaben dargestellt ( A. H. Fekhkhar:/me towen izeggwayen „Rote Tränen". Ghardaia [o.J., 1993/94?])

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(18)

Some Remarks on the IASAR/423 Manuscript

By Stanislaw Pilaszewicz, Warsaw

The manuscript mentioned in the title of this paper is an example of quite substantial

amount of Hausa writings dealing with the question of hands' position during the

prayer. It has been preserved in the Arabic Collection of the Institute of African

Studies, University of Ghana. Although it has an accession number IASAR/423, no

traces of its description in a provisional card catalogue could be found. It is a 17 pages'

pentastich poem composed by a certain Umam which condemns the practice of cross¬

ing arms during the obligatory Mushm prayer and describes some quarrels which

resulted in riots in the town of Kano and its vicinity.

To pray or not to pray with arms crossed

The practice of crossing arms while praying could be noticed among three types of the Nigerian Mushms. One such group is composed of adherents of the Sanüsiyya brother¬

hood who pray with arms crossed over their chests.' The other one comprises followers of the Mahdiyya, whereas the third one is known as Community of Grace^ or Reformed

Tijaniyya.' During the emirship of Muhammadu Sanusi (1953-1963) there was a

widespread confusion in northem Nigeria over the difference between Mahdiyya and

Reformed Tijaniyya, as both communities were seen in different places to pray with

arms crossed. Since the battle of Burmi in 1903, the colonial authorities had suspected

a close link between those two brotherhoods. Such attitude was wholly unfounded as

the relationship between them had been always strained, especially since Mahdiyya

started to loose membership to the Tijäniyya\ SaMd b. Hayatu who was related to the

Sokoto dynasty, a well-known follower of the Sudanese Mahdi and leader of Mah¬

diyya, severely contested the Tijänis' practice of crossing arms in his major work Sahih

al-khabar. He addressed the Sultan of Sokoto in such way:

"What the members of the Tijaniyya brotherhood have caused regarding praying with

' B. G. Froelich: Us musulmans d'Afrique Noire. Paris 1962, p. 255 ff ; B. G. MARTIN: Muslim Brotherhoods in Nineteenth Century Africa. Cambridge 1976, p. 99-108.

- M. HISKETT: The 'Community of Grace' and its Opponents, the 'Rejecters': A Debate about Theology and Mysticism in Muslim West Africa with Special Reference to its Hausa Expression. In: African Language Studies 17 (1980), p. 99-140.

' J. N. Paden: Religion arui Political Culture in Kano. Berkeley-Los Angeles-London 1973.

Ubid.p. 179.

' Honest news. Khartoum 1957.

Referenzen

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