PTOLEMAIOS UND ZENTRALASIEN
Von Helmut Humbach, Mainz
Um einen Gesamtüberblick über die acht Bücher der .Geographie' des
Ptolemaios zu gewinnen, muß man auch heute noch auf die nunmehr schon
125 Jahre alte Ausgabe von C. F. A. Nobbe (1843) zurückgreifen. Es ist
klar, daß sie den Anforderungen moderner Textkritik nicht genügen kann.
Das gilt auch für die Ausgabe von F. G. Wilberg (1845), die sich auf die
ersten sechs Bücher beschränkt. Die um 40 Jahre jüngere und sehr viel
breiter angelegte Ausgabe von C. Mülleb (1883) ist nm bis zum Ende des
fünften Buches gediehen. L. Renou (1924) edierte schheßlich noch die
ersten vier Kapitel des siebenten Buches, die DarsteUung von Indien, Sinai
und Taprobane, mit welcher Ptolemaios die Beschreibung der Länder ab¬
schheßt. Für das sechste Buch waren wir jedoch bisher immer noch auf
Nobbe und Wilberg angewiesen. Diesem Zustand ist nunmehr wenigstens
teilweise abgeholfen.
Mein Schüler Italo Ronca hat kürzhch eine neue Edition der zweiten
Hälfte des sechsten Buches veranstaltet. (, Ostiran und Zentralasien bei
Ptolemaios', Diss. Mainz 1968.) Es handelt sich dabei um die Kapitel 9 bis
21, welche den asiatischen Pinakes (, Kartentafeln') VII bis IX des Ptole¬
maios entsprechen. Sie umfassen die Landschaften Hyrkania, Margiana,
Baktriana, Sogdiana, Sakai, Skythien diesseits des Imaos, Skythien jenseits
des Imaos, Serike, Areia, Paropamisadai, Drangiana, Araohosia, Gedrosia.
Im Vergleich zu Renous Edition des siebenten Buches hat Ronca einen
methodischen Fortschritt erzielt. Bei der Beurteilung der geographischen
Verhältnisse hat er sich nicht auf das Kartenbild der handschrifthch über¬
heferten Ptolemaios-Karten verlassen. Wie insbesondere J. Fischeb ge¬
zeigt hat, führt nämhch die Kartenüberheferung keineswegs in die Antike
zurück und geht überdies eigene, von der Textüberlieferung unabhängige
Wege. Vielmehr hat Ronca die Karten nach den Anweisungen des Ptole¬
maios neu rekonstruiert. Dabei konnte er zugleich in Umkehrung des Ver¬
fahrens die Rekonstruktion ihrerseits wieder zu textkritischen Erwägungen verwenden, denn unter den verschiedenen Varianten einer Positionsangabe sind natürhch nur diejenigen von Belang, welche den Kompositionsprinzi¬
pien entsprechen, nach denen Ptolemaios seine Angaben anordnet.
Im ganzen kann also kein Zweifel daran bestehen, daß nunmehr mit
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RoNCAs Edition erstmals eine zuverlässige Basis für weitere Forschung er¬
reicht ist. Deren Hauptaufgaben sind m. E. weitere Textkritik, sprachhche
Analyse des Namenmaterials, Vergleich mit den mittelalterhchen QueUen
zur Geographie Zentralasiens, geographische Identifikation, QueUenkritik
und Rekonstruktion der den geographischen und ethnographischen Angaben
zugrunde liegenden Itinerare.
Über einige Probleme des westhchen Zentralasien, insbesondere über die
ptolemäische Hydrographie dieses Gebietes, werde ich andernorts referieren.
Deshalb scheint es mir angebracht, hier das östhche Zentralasien mit einigen
Hinweisen in den Vordergrund zu stellen.
Ein textkritisches Problem ergibt sich mit dem Namen der Tibeter in
6,16,5, der in unsere wissenschaftliche Literatur als Baurat eingegangen ist.
Ronca hat verdienstvollerweise festgesteUt, daß die Handschriften nur
Baüxai (vZCRW), Baeirai. (X), Baxai (AVOU) und Baxat (reU.) bieten. In
den Text setzt er nun aber Barat, und das scheint mir irrig zu sein, ünter
den überheferten Lesungen ist ohne Zweifel Bairai die richtigere. Sie lag
nämhch bereits Ammianus Marcellinus vor, der in seinem Ptolemaios-
Exzerpt 23,6,66 den Namen slsBaetae gibt. Baüxat ist eine Konjektur Wil¬
bergs. Wegen skr. Bhautta- ,Tibeter' und auch wegen des Flußnamens
Ba>IiTi,(To? 6,16,3 hegt die Annahme nahe, daß sie materieU richtig ist. Andrer¬
seits ist jedoch die Möghchkeit nicht auszuschheßen, daß der alte Fehler
bereits in des Ptolemaios Handexemplar seiner , Geographie' gestanden hat.
Linguistische Aspekte ergeben sich, wenn man den Namen der nach
6,14,6 nördhch von den Au!^axia Öpr) lebenden SL^uysi; als Interpretatio Graeca für *2;t^ux£?, etwa nach homerisch SiJ^uye? ,zu zweien angeschirrte
(Pferde)' erklärt. Man kann dann annehmen, daß die Elemente AüJ^ax und
SiJ^ux einer Sptache entstammen, in der die Suffixe und !^ux nach der
Farbe des vorausgehenden Vokals alternierten, üm eine indogermanische
Sprache dürfte es sich da kaum handeln. Andrerseits scheint es, daß wir im
Namen der 'Atjfiipaia öpY) 6,16,2, an den sich der Stadt- und Landesname
'AtjfxipaEoc 6,16,5.6 anschließt, die Indogermanen auf ihrem Weg durch das
Tarimbecken nach dem Osten verfolgen können. Die Annahme liegt nämlich
nahe, daß im Element 'Acrfxip eine sogdische Lehnform aus dem indischen
Sumeru versteckt ist. In sogdische Schrift umgesetzt wäre das *'smyr, was
als Variante des mehrfach bezeugten smyrjsm'yr durchaus erwartet werden
könnte.
Zum Teüe quellenkritischer Art scheint mir die Frage der Lokahsation
von Sera Metropolis zu sein, wo für Ptolemaios 1,17,5 die Terra Incognita
beginnt. Nach 1,11,7 muß man annehmen, daß die Stadt den östhchsten
Punkt des für den makedonischen Kaufmann Maes Titianus angefertigten
Itinerars der dmch Chinesisch-Turkestan führenden Seidenstraße darstellt.
Deshalb ist man heute im aUgemeinen der Ansicht von A. Heeemann, daß
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die Sera Metropolis des Maes identisch mit Liang-Chou (= Wu-Wei) ist.
Nun liegt aber Liang-Chou gut 7 Längengrade östlich und nur gut 2 Längen¬
grade südhch von Tun-Huang, welch letzteres bei Ptolemaios dmch ©poava
(sogd. Srw'n) repräsentiert ist. Das ist bemerkenswert, denn bei Ptolemaios
ist das Verhältnis zwischen Längen- und Breitengraden in etwa umgekehrt.
Hier liegt Sera Metropolis nur gut 2 Längengrade östhch, dafür aber fast
9 Breitengrade südlich von Tun-Huang/0poava, nordösthch der Nordostecke
von Indien jenseits des Ganges. Wer also von Tun-Hang nach Sera Metro¬
polis reisen wollte, der mußte in Wirklichkeit in annähernd östhcher Rich¬
tung, nach den Positionsangaben des Ptolemaios jedoch in annähernd süd¬
licher Richtung ziehen. Dieser Widerspruch ist sicher nicht anders zu er¬
klären denn als Produkt der Verwechslung von Angaben zweier verschiede¬
ner Itinerare, in denen mit dem Namen Sera Metropolis zwei verschiedene
Städte bezeichnet waren. Das eine Sera ist das von Ptolemaios in seinem
ersten Buche beschriebene Sera des Maes, das man über Chinesisch-Turke¬
stan erreichte. Dasjenige Sera aber, dessen Positionen Ptolemaios im sech¬
sten Buche gibt, muß eine Stadt sein, zu der man auf dem alten Landwoge
von Indien nach China gelangte. Es liegt am Ottorokoras-Gebirge, was für
indische Orientierung spricht. Ich vermute, daß mit ihm eine Stadt am
oberen Yang-Tzu-Kiang gemeint ist.
A. Beethelot hat damit gerechnet, daß Tibet dem Ptolemaios ganz un¬
bekannt geblieben sei, während A. Heeemann sich recht unsicher darüber
war, inwieweit dem Ptolemaios genauere Informationen über Tibet zur
Verfügung gestanden haben können. Neben dem schon erwähnten Namen
der BaiTai (*BaÜTai) ist bei weiteren Diskussionen vor allem der Name der
Stadt 'Opocrava 6,16,8 zu beachten. 'Opocrava muß, wenn man die Angaben
über den Pluß Bautisos 6,16,3 vergleicht, nahe an dessen westlichen Arm
angesetzt worden sein, welchen man schon lange dem Oberlaufe des dem
Ptolemaios sonst unbekannten Brahmaputra gleichsetzt. Der Name
'Opocrava kann nichts anderes sein als der Vorläufer des Namens ""dLL-jf
*Ursäng, den V. Minoesky ausdJÜU/Hudüd al 'Alam § 11,23 und ausiüUjl
Tärikh-i Rashidi p. 48.130 erschlossen hat. Im letztgenannten Text wnd
*Ursäng als Name für Lhasa gebraucht. Der Schluß liegt also nahe, daß
wir im ptolemäischen 'Opoaava einen alten Namen von Lhasa oder der
Region von Lhasa vor uns haben, oder auch den Namen einer örthchkeit,
deren Tradition Lhasa später einmal übernommen hat.
AÜTORENVERZEICHNIS; DER SEKTIONEN 4, 5, 6 UND 9
'Abd at-Tauwäb, R. 697
Ahmed, M. D. 595
Ambros, A. A. 689
Anschütz, H. 483
Bachmann, P. 623
Bäss, P. 368
Brands, H.-W. 742
Brock, S. P. 458
Davids, A. J. M. 375 Degen, E. 511 Degen, R. 701 Deppe, K. 436 Doerfer, G. 719
Eletr, M. R. 673
Ende, W. 650
Falaturi, A. 604
Hage, W. 517
Hana,fG.-G. 660 Harb, P. 380
Haussig, H. W. 772
Hein, H. 567 Heinz, W. 535 Heissig, W. 754 Hesse, O. 450 Höfner, M. 707
Humbach, H. 783
Jastrow, O. 683
Khoury, R. G. 557
Krüger, P. 463 Kunitzsoh, P. 667
Lecomte, G. 562 Lettinga, J. P. 531 Lilienfeld, F. v. 418
Macomber, W. 473
Matuz, J. 574 Mehlhose, R. 443 Mönard, J. E. 385 Missir, L. A. 468 MüUer, C. D. G. 404 MüUer, H. 611
Paret, R. 680 Poucha, P. 726, 738
Quecke, H. 392
Segert, S. 714 Steppat, F. 631
Strothmann, W. 363, 526
Wiessner, G. 411
Zaidi, M. H. 546