• Keine Ergebnisse gefunden

SWR2 Musikstunde DEUTSCHE SCHULE UND ITALIENISCHE LEICHTIGKEIT Otto Nicolai, 4. Folge Donnerstag, 10. Februar Uhr Karl Dietrich Gräwe

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "SWR2 Musikstunde DEUTSCHE SCHULE UND ITALIENISCHE LEICHTIGKEIT Otto Nicolai, 4. Folge Donnerstag, 10. Februar Uhr Karl Dietrich Gräwe"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

__________________________________________________________________________

(2)

SWR2 • Musikstunde

DEUTSCHE SCHULE UND ITALIENISCHE LEICHTIGKEIT Otto Nicolai, 4. Folge

Donnerstag, 10. Februar 2011. 9.05 – 10.00 Uhr Karl Dietrich Gräwe

Otto Nicolai war ein fleißiger Lebenskünstler, in dem doppelten Sinn, dass er die Kunst des Lernens, des Lehrens und des Komponierens mit gleicher Hingabe betrieb wie die

Wahrnehmung der Genüsse, die ihm die Lebensbahn entgegen trug. Der Antrieb zur Kreativität und Produktivität, so scheint es, war bei ihm ebenso stark ausgeprägt wie der Erlebnishunger. Vergleiche mit der Vitalität seines Idols Mozart sind mit Blick auf die Beweglichkeit beider Biographien nicht von der Hand zu weisen. Nicolai erkannte allerdings auch den Unterschied, der beide Naturen trennte. „Bei mir“, so stellte er – auch nicht ohne Selbstwertgefühl - fest, „ist Komponieren das Produkt intellektueller Anstrengung, nicht der Intuition, die alles schon im voraus weiß“. Das mag eine Erklärung sein, warum Nicolai nicht jede Partitur unbedingt als das unwiderrufliche Endstadium eines Schaffensprozesses mit Anspruch auf Ewigkeitswert verstand.

In Berlin hatte er 1832 eine Messe in D-dur geschrieben, noch unter dem Einfluss seiner Lehrer Bernhard Klein und Carl Friedrich Zelter. 13 Jahre später in Wien erinnerte er sich dieses frühen Gesellenstücks, es war ihm nach neuem Erfahrungsstand eine Bearbeitung wert.

„Ich hatte die Instrumentierung durchaus geändert und mehrere Stücke ganz neu komponiert“, so Otto Nicolai. Und täuscht der Eindruck nicht, hat die Wiener Luft ihm diesmal den Geist Franz Schuberts zugetragen, der ihm die Feder führte. Die Messe fand in Wien so freundliche Aufnahme, dass sie gleich ein zweites Mal aufgeführt wurde.

Musik 1 5’41“

Die Messe in D-Dur von Otto Nicolai, entstanden und zum ersten Mal aufgeführt 1832 in Berlin und 13 Jahre später für Wien bearbeitet. Das Gloria sangen die Solisten Annika Sophie Ritlewski, Vanessa Barkowski, Volker Arndt und Tobias Berndt, beteiligt waren außerdem der Staats- und Domchor und die Kammersymphonie Berlin unter der Leitung von Kai-Uwe Jirka. Anlass dieses von Deutschlandradio Kultur im Berliner Dom aufgezeichneten Konzerts war der 200. Geburtstag des Komponisten am 9. Juni 2010.

Gern fasste Nicolai das Komponieren als einen Entwicklungsfluss auf, der offen bleibt für neue Erfahrungen – als ein Work in progress. Er brachte die Geduld und Flexibilität auf, Werke, die ihm wichtig waren, einer Revision zu unterziehen, einer veränderten Sachlage, öffentlichen Erwartungshaltung oder auch Mode anzupassen. Als ihm in Wien das Warten auf einen neuen Opernauftrag zu lange dauerte, unterzog er die Oper Il Proscritto, die bei der Premiere an der Mailänder Scala eine vernichtende Niederlage erlitten hatte, einer

gründlichen Bearbeitung, feilte an jedem einzelnen Takt und schrieb die Musik zur Hälfte neu. Das Ergebnis war eine deutsche Oper, die unter dem Titel Die Heimkehr des Verbannten zur Karnevalszeit 1844 im Wiener Kärntnertortheater herauskam. Zur Komposition einer deutschen Oper hatte ihn die Direktion sogar ausdrücklich verpflichtet. Ein Bühnenwerk in diesem Genre war jetzt Nicolais vordringliches Anliegen, und mit dem Beifall, den Die Heimkehr des Verbannten in der Kaiserstadt erntete, war er durchaus zufrieden. Trotzdem hielt er auch seinen italienischen Errungenschaften die Treue, allein schon, um den

Bedürfnissen seiner Lieblingssänger entgegenzukommen. Zu ihnen gehörte die gefeierte und von Nicolai gern beschäftigte Sopranistin Jenny Lutzer, der er die Variations brillantes, die Brillant-Variationen über Lieblingsmotive aus der Oper La Sonnambula von Bellini in die Kehle schrieb und auch widmete, Für Gesangsstimme und Horn mit Begleitung des

(3)

Pianoforte war dieses Stück gedacht, aber für das Solo wurde auch die Verwendung des Violoncello oder der Klarinette zur Wahl gestellt. Gleichgültig bei welcher Alternative, jeder

- 2 - Otto Nicolai, 4. Folge

Virtuose hat reichlich Gelegenheit, mit seinen Künsten zu brillieren, zumal in den Variationen über die Schlussarie der Amina, die hier auch nach ihrem heilsamen Erwachen

nachtwandlerische Akrobatik unter Beweis stellen muss.

Musik 2 7’57“

Das waren der langsame Mittelsatz und das Finale der Brillant-Variationen op. 26 über ein Thema aus Bellinis Oper La Sonnambula, von Nicolai alternativ einem Sopran, einem Violoncello oder einer Klarinette gewidmet. Im vorliegenden Fall fiel die Wahl auf die Klarinette von Johannes Pieper unter Mitwirkung der Philharmonie Südwestfalen und des Dirigenten David Stern.

Als Nicolai für die Spielzeit 1837-38 zum ersten Mal nach Wien ging, war Conradin Kreutzer Erster Kapellmeister des Theaters am Kärtnertor, dessen Spielplan vorrangig die Interessen der italienischen Oper bediente. Kein Wunder, Pächter waren die Italiener Merelli und

Balochini. Kreutzer, in der Nähe von Messkirch - im heutigen Baden-Württemberg – geboren, war dreißig Jahre älter als Nicolai, der ihm jetzt als 2. Kapellmeister nachgeordnet war. Er hatte von Kindesbeinen an eine gründliche musikalische Ausbildung genossen, war als Universal-Musiker dem rundum sattelfesten Kollegen Nicolai durchaus gewachsen, spielte Klavier, Orgel, Violine, Oboe, ganz vorzüglich auch die Klarinette und hatte außerdem Unterricht im Gesang und in Musiktheorie genossen. Es heißt, er habe noch Haydn

vorgespielt, und der soll ihm anerkennend auf die Schulter geklopft haben: „So geschickt, und noch so jung! Ich war in Ihren Jahren noch nicht so weit.“ Zu Haydns weithin gerühmten Tugenden gehört allerdings auch die Bescheidenheit. Der in Wien wirkende Salieri hatte Kreutzer für die Oper begeistert, Das Nachtlager in Granada, 1834 am Kärtnertor

uraufgeführt, wurde und blieb seine prominenteste Arbeit für das Theater. Seinem Naturell nach war Kreutzer ein unsteter Wandervogel, den es von Ort zu Ort zog. Vielleicht fühlte Nicolai sich zu stark an seinen Vater erinnert, vielleicht entdeckte er an seinem älteren Vorgesetzten zu viele eigene Züge – die Harmonie zweier komplementärer Größen zeigte jedenfalls bald Risse, und nach einem Jahr fanden die beiden kein Auskommen mehr.

Kreutzer starb im selben Jahr wie Nicolai, 1849 in Riga, aber er hatte eine Generation länger zu leben. Wohin es ihn in seiner Ruhelosigkeit auch immer zog, seiner ständigen Begleiterin, der Klarinette, hielt er die Treue.

Musik 3 10’01“

Um 1835 entstand in Wien das Quintett für Fortepiano, Flöte, Klarinette, Viola und

Violoncello von Conradin Kreutzer. Den 1. Satz, Allegro maestoso, spielte das Consortium Classicum, mit dem Klarinettisten Dieter Klöcker, der hier quasi die Rolle des

klarinettenkundigen Komponisten übernimmt. In seinen Kompositionen spielt Kreutzer die lyrische Empfindsamkeit aus, für die sein hektischer Lebensrhythmus ihm keine Zeit lassen wollte. Diesen Impulsen angemessener ist das Lied Die Post, das Gedicht von Wilhelm Müller, das Franz Schubert im Zyklus von der Winterreise auch seinem Lied zugrunde legte.

Musik 4 2’11“

Die Post, das Lied auf Verse von Wilhelm Müller, vor allem bekannt aus Schuberts Winterreise und hier in der Vertonung von Conradin Kreutzer, vorgetragen vom Tenor

Christian Elsner zur Klavierbegleitung von Eugen Wangler. Beide Komponisten ahmen in der

(4)

Klavierbegleitung die Dreiklangsbrechungen des Posthorns nach, bei Schubert hat der Frohsinn allerdings die tieferen Brüche.

- 3 - Otto Nicolai, 4. Folge

Kreutzer blieb bis 1840 in Wien und begleitete dann seine Tochter Cäcilie, eine Sängerin, auf ihrer Konzerttournee. Otto Nicolai hatte noch einmal ein zweijähriges Intermezzo in Italien eingelegt und kehrte 1841 an das Kärntnertortheater zurück. Die Absicht, der deutschen Oper gegen die Übermacht des italienischen Repertoires zum Durchbruch zu verhelfen und selbst mit einem Zeichen setzenden Beispiel voranzugehen, verfolgte er beharrlich und machte in Wien erste Anfänge, eine Musikkomödie nach Shakespeare zu konzipieren. Am Ende wurde ein Meisterwerk daraus, zugleich ein Schwanengesang, der in Berlin zum ersten Mal

angestimmt würde: Die lustigen Weiber von Windsor. Im allzu zögerlichen Wien musste er sich bescheiden, allein mit der Neufassung der Heimkehr des Verbannten die Rückbesinnung auf ein Opernpotential zu begünstigen, das sich seiner Heimatsprache bediente. Dafür schuf er im Konzertwesen ein Lebenswerk von einer Tragweite, die in alle Gegenwart und Zukunft reicht. Gemeinsam mit einem Gleichgesinnten, dem Konzertmeister des Hofopernorchesters, Georg Helmesberger, scharte er genügend qualifizierte Musiker um sich, um eine beispiellose Initiative einzuleiten: 1844 rief er die „Philharmonischen Konzerte“ ins Leben, läutete damit die Geburtsstunde der Wiener Philharmoniker ein und begründete eine künstlerische Praxis von Weltgeltung.

Als der drei Jahre jüngere Richard Wagner sich dafür einsetzte, die Gebeine des in London verstorbenen Carl Maria von Weber, des Abgottes aller romantischen und fortschrittlichen Komponisten, nach Deutschland zu überführen, rief Nicolai zu einem Spendenfonds auf und trug dazu bei, dass der Komponist des Freischütz in heimatlicher Erde seine letzte Ruhestätte fand. Kein musikalisches Bewusstsein kam zu jener Zeit und noch lange danach ohne die Eingebungen von Carl Maria von Weber aus, weder ein Kreutzer, Nicolai oder Wagner noch ein Berlioz. Nicolai bezeugte das bereits mit einem kleinen Zeichen, mit den Variationen op.

19 über ein Wiegenlied von Weber, für Sopran und Streichquartett.

Musik 5 5’29“

Variationen über das Wiegenlied „Schlaf, Herzenssöhnchen“ von Carl Maria von Weber, das op. 19 von Otto Nicolai. In einer historischen Aufnahme von 1942 sang Erna Berger, begleitet vom Robert-Schulz-Quartett. Die Form des klavierbegleiteten Liedes zu erweitern und einen kleinen Schritt näher Richtung Kammermusik oder gar Oper oder Kantate anzusiedeln, war eine Vorliebe von Nicolai. Auch der Sänger, der der Entfernten Geliebten ein Ständchen bringt, ruft ein kleines Ensemble zu Hilfe, ein Klavierquartett.

Musik 6 5’24“

An die Entfernte, op. 16 Nr. 3, ein Lied von Otto Nicolai, das sich sowohl der

Klavierbegleitung als auch eines verkleinerten Streichquartetts versichert. Peter Anders war hier mit den Worten des Liebenden betraut, und einträchtig unterstützten der Pianist und Mitglieder des Kniestädt-Quartetts seine Werbung, wieder in einer historischen Aufnahme von 1942.

(5)

Eine Festouvertüre für Orchester, über Luthers Choral Ein feste Burg ist unser Gott hatte Nicolai bereits 1836 in Italien komponiert, um sie in Macerata in den „Marken“ vorzustellen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und exklusiv zu Ehren der „banda municipale“, der örtlichen Stadtkapelle. Bei seinem ein Jahr älteren Freund Franz Liszt muss dieses Werk später einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Liszt kam 1846 nach Wien zurück, wo er sieben Jahre lang nicht mehr gewesen war, und die Bindung der beiden Musiker lebte freudig

- 4 - Otto Nicolai, 4. Folge

wieder auf. Im 12. der von Nicolai initiierten Philharmonischen Konzerte wirkte Liszt

bereitwillig mit, in der eher bescheidenen Rolle des Klavierbegleiters, als er dem Tenor Josef Erl beim Vortrag von Beethovens Liedzyklus An die ferne Geliebte assistierte. Und dann natürlich in Wien noch weitere Auftritte hatte. Nicolai widmete ihm fingergerecht seine Drei Etüden für das Piano, und Liszt bewahrte das Andenken an den Freund hörbar über dessen Tod hinaus. Er bearbeitete die Festouvertüre über Luthers Choral für die Orgel oder, alternativ, für das Pedalklavier und veröffentlichte die Transkription im Jahr 1851. Wir blenden uns ein in den Schluss der Orgelversion.

Musik 7 4’02“

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Mannes und betont: „Auch Män- ner dürfen beispielsweise Ge- fühle zeigen und müssen nicht immer lautstark den Macho ge- ben.“ Bestimmte veraltete Vor- stellungen über Männer

Ist zur Sicherung der Sonderstellung des Menschen die von Hartmann vertretene Ablehnung einer allgemeinen Teleologie wirklich unvermeidlich? Wohl werden durch eine

Und damit sind wir am Ende unserer Musikstundenreihe „Das Lied als Spiegel seiner Zeit“ angekommen – Einzelheiten zu den Autoren und der Übersetzung finden Sie in den

„Die schöne Müllerin“. Als der Komponist Ludwig Berger zu der Truppe stößt, bekommt er gleich den Auftrag, die Gedichte zu vertonen.. 8 Mark Padmore und Graham

In den letzten beiden Jahren mussten wir wegen der Pandemie häufiger angekündigte Termine kurzfristig verschieben, auch hier danke ich für das Verständnis.. Die Gemeindebriefe

In dem zunächst gegebenen Allgemeinen werden mithin Teile, Merkmale unterschieden und zu dem Besonderen qua Ding zusammengefasst, das seinerseits eine Ganzheit vieler

Alle wollten zur Krönung des neuen Königs nach Reims fahren, wo ja traditionell Frankreichs Könige gekrönt wurden, und nachdem sich seit ihrer Ankunft schon diverse

Johann Georg Jacobi warb 1779 sogar bei Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Wieland und Goethe erfolgreich für eine Widerstandsfront gegen Nicolai, Fichte ließ