^
GRÖDDECK
D£R
MENSCH
ALS
SYMBOL
«
E
L
-/
/"(^
^ ^^h>wl\>*'GEORG GRODDECK
DER MENSCH
ALS SYMBOL
DER MENSCH
ALS SYMBOL
Unmaßgebliche Meinungen über Sprache und Kunst
VON
GEORG GRODDECK
Mit 14 Bildtafeln im Anhang
19
3 3INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER
VERLAG GESELLSCHAFT
M.B.H.WIEN
ALLE HECHTE
BESONDERS DIE
DER
ÜBERSETZUNGVORBEHALTEN
COPYRIGHT 1933 BY
INTERNATIONALERPSYCHOANALYTISCHER VERLAG,
WIEN
INTERNATIONAL PSYCHOANALYTIC UNIVERSITY
DIEPSYCHOANALYTISCHEHOCHSCHULE IN BERLIN
PRINTED IN
GERMANY
DRUCK DER
SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI IN LEIPZIGIn den zehn Jahren, die seit
meinen
letzten Mitteilungen überdie Arheitshypothese
vom Es
desMenschen
verstrichen sind, hat sich nichts ereignet,was mich
veranlassen könnte, diese vielfach erprobte Betrachtungsart aufzugeben oder etwasWesentliches daran zu ändern.Die
Behauptung, daß
alles Menschlichevon
diesem in unauf- klärbares Geheimnis gehülltenWesen
abhängig ist, halte ich auf- recht,und
ebenso bleibe ich dabei,daß niemand
in die Tiefen desEs
hineinschauen kann.Dagegen kann
ich einigesvon
jenenFormen
desEs
erzählen, die bisherwenig
besprochenworden
sind. Ich halte es auch für not-wendig
zu betonen,daß
eine dieserFormen
das Ich ist.Wie
ich mir das denke,habe
ich indem „Buch vom Es"
soweit mitgeteilt, als ich es konnte.Eioe andere
Form
des Es, die mir zugänglicher ist,möchte
ich als das Zwiefache desEs
bezeichnen: Alles Menschliche läßt sich als zugleich männlich-weiblichund
kindlich-mannbar betrachten.Etwas
Weiteres ist die Erfahrung,daß
dasEs
sich ebenso selb- ständigund
ebenso gegenseitig abhängig indem Leben
desGeeamt- menschen
wie inden
Teilen dieses lebendenMenschen
offenbart, oderum
es anders auszudrücken:Es
hatden
Anschein, als ob zwischendem Ganzen
desMenschen und
der ZeUe odernoch
klei-neren
Wesen, dem Gewebe, dem
einzelnenOrgan
oder Körperteil ein ähnliches Verhältnis bestände, wie es inden
BegriffenMakro- kosmos und Mikrokosmos
in früheren Zeiten für das Allund den
Teil
angenommen
wurde.I
Schließlich ist das Symbolische, das alle menschlichen Lebens- beziehungen begleitet,
Form
des Es.Zu dem
Versuch, dieseFormen
desEs
zu betrachten, hat mich, abgesehenvon dem Zwang
des Tageslebensund
des Berufs, eine etwas einseitigeund
eigensinnige Beschäftigung mitWerken
der bildendenKunst imd
mit der Sprache geführt.Daß
injedem
einzelnenMenschen
Männlich-weiblichund
Kindlich-mannbar
enthalten ist,kann ohne
weiteres daraus geschlossen werden,daß
derMensch
ausMann und Weib
entsteht,und
daß, soweit wir das bisherhaben
nachweisen können,wohl
eine Mischung, aber nicht eine gegenseitige Auflösung dieser Beetandteile statt- findet.Daß
er, so erwachsen er seinmag,
in allen grundlegenden Lebensfunktionen, in Sterbenund
Entstehen der ZeUen, inAtmen,
Schlafen, Sichregen, Sichnähren usw. kindlich bleibt, ist gleichfalls sinnfällig.
Von dem Symbol
wirdim
folgenden so viel gesprochen werden,daß
ich fast selbstannehmen
könnte,meine Bemühungen
in diesem Aufsatz gälten nur der Schilderung dieser Esform.
Die Tatsache,
daß
derMensch
männlich-weiblichund
kindlich-mannbar
istund daß
erim Symbol
lebt,können
vdr benutzen wie ein farbiges Glas,um
das Menschenleben zu betrachten. Freilich bringt uns eine solche Betrachtung derWahrheit
ebensowenignahe
wie dasSehen
durch ein rotes oder gelbes Glas,im
Gegenteil, wir wissen hei solchem Versuchvon
vornherein,daß
wir durch Be- nutzen der farbigen Glasscherbe derWelt
falscheFarben
geben,und
so ist esdem
Verfasser dieser Mitteilungen auch bekannt,daß
er mit seinem Verfahren die Buntheit der
Welt
eintönig färbt.Es
ist aber nicht bloß mutwillige Spielerei, so an menschliche
Probleme
heranzugehen, sondern dies Verfahren scheint so weit zurückzu- reichen wie die Überlieferung menschlicher Vergangenheit.Die erste Folge der Weltbetrachtung durch solches
Medium
istMißtrauen gegen die Realität. Vermutlich gibt es Reales; aber wir
kommen
niemals inBerührung
damit.Unser Es
ändert das un- bekannteX
des Realen, es wirkt aufdie Dingeund macht
ausdem
Realen Wirkliches.
Werk und
Sache sind nicht dasselbe.Das
Menschliche arbeitet nicht miteinem
„Realitätsprinzip", sondernmit dem
Wirklichkeitsprinzip.Wenn man
das in Betracht zieht.verschwindetder Gegensatz
von
Ichund
Es,esentsteht eineMensch- welt, in der das Ich nur eine Funktion desEs
ist. Diese wirklicheWelt
desMenschen
zerfallt beidem
Versuch, Reales zu hegreifen.Wir werden von dem
verdrängendenWirken
des Menschlichenund
unsrer vermenschlichtenUmwelt
(Erziehung usw.) in das Phantasieren über das Reale hineingezwungen. Zunächsthaben
wir nicht mitDingen
zu tun, sondern mit Symbolen.Man
hat sich bisher wenigdarum gekümmert,
wie derNeugeborene
dieUmwelt
kennenlernt,
was
ervon
ihr denkt.Wenn
ichmir
überlege,was
ich
im
Mutterleib erfahrenhaben mag, komme
ich zudem
Schluß,daß
ich damals alles,was
zu meinerWelt
gehörte, für Bestandteil meines eigenen Selbst gehaltenhabe
: Selbstund Umwelt
des Selbstwaren
dasselbe. Vielleicht wird diese symbolischeDenkart
durchdie Geburt ein
wenig
umgeändert;nach dem
Verhalten der Säug-linge in ihrer ersten Lebenszeit
muß
ich aberannehmen, daß
dasKind
in der Hauptlemzeit des Lebens,inden
ersten Stunden,Tagen und Wochen
im. wesentHchennoch
symbolisch denkt: ein Löffelist für das
Kind
nicht ein Löffel, sondern eineHand,
eineTür
nicht eine Tür, sondern einMund,
ein Bett nicht ein Bett, sondern ein Mutterschoß usw.Von
diesen ersten Vorstellungen, die in primitiven Kulturen wenig verändert beibehalten werden,kommen
unserBewußtes und Unbewußtes
nie ganz los: bisan
das Lebensende bleibt menschliche Erkenntnisdem Symbol
verfallen.Mögen
wirnoch
so gelehrt sein, es hilft uns nichts: ein Fenster bleibt für uns Auge, eineHöhle
Mutter, ein Pfahl Vater.Auch den Menschen und
seine Teile betrachten wir symbolisch, wie wir es alsKinder
taten.Wir wußten
einmal aus Erfahrung,daß
derKopf
in sich zugleich Ganzesund
Teil ist, selbständigund
abhängig,
daß
derMensch Symbol
des Kopfesund
derKopf Symbol
desMenschen
ist.Symbol
bezeichnet nicht die Ähnlichkeit zweier Dinge, sondernim Symbol werden
zwei Dingezusammengeworfen,
sie sind dasselbe. Weil wir symbolisch
denken und
empfinden, kurz in jeder Beziehungan
dasSymbol
alsan
etwaszum
Menschlichen Gehörigesgebunden
sind, ist es möglich, alles Menschenlebensym-
bolisch zu betrachten.
Daß
derMensch
zwiegescUeclitigist, nieMann,
nie Weib, sondernimmer Weibmann, Mannweib, daß
er nie Kind, nie Erwachsenerist, sondern
immer Kindmann, Mannkind, haben
alle Zeiten inDenken und Tun,
inMythus und
Alltagslebenzum Ausdruck
ge- bracht; es ist nicht erst die christliche Kunst, die denMenschen im Symbol von Weib und Knabe,
>Madonna und
Christus dar-stellt. Die Antike gab der Aphrodite
den
Eros zur Seite,Venus und Amor
sindnoch
jetzt,wo
sie längst zu Schatten dessen ge-worden
sind,was
sie einmal waren, eine Einheit, einSymbol
des Menschen.InderVillaBorghese zu
Rom hängt
einweltbekanntesGemälde von Lukas
Cranach, eine Venus, die allen Betrachtern unvergeßlich ist (Taf.1).Der Grund
dafürist dasGleichnis.Das
Zwiegeschlechtige,wie es sich indem Zusammenfügen
desWeibes und Knaben
offenbart—
zugleich zeigt sich darin das Kindlich-Mannbare
—
ist durchden
m.ännHchenBaumstamm und
die weiblichen Spalten in derRinde
verstärkt.
Der Baum
hatsymboUsch
beide Geschlechterund
Alter;der
Baum,
die Eiche;Wurzel und
Frucht sind Kind,Stamm und
AstMann, Rinde und Krone Weib.
Bei
dem Wort
Frucht—
fructus ventris tui—
ist dies ohne weiteres klar.Wurzel kommt von Würz,
das Pflanze,Kraut
be- deutet, ist ursprünglichwurzwala
(wala=
Stab); dasw
ist wie inRönaer-Römware,
Bürger-Burgware verschwunden. InWurzel
istalso die
MännUchkeit
des Kindes betont. Stab (wala) ist mitsanskrit sthapaiverwandt
: stehenmachen, was dann
zu Ständerund
schwe- disch stond für das Steifsein desGhedes
führt.Es
sei gleich hier darauf hingewiesen,daß
alsSymbol
desMenschen
derKnabe
oder das mannliche Glied gebraucht werden, niemals dasMädchen;
das Symbolischescheint fürden
BegriffMensch
das Aufrechte, Stehende, Aufrichtige, Selbständige zu bevorzugen.Außerdem
istim Knaben und im
Geschlechtsglied das Zwiegeschlechtund
das Kindlich-Mannbare
indem
Verhältnis Eichel-Vorhaut und
Steifheitund
Schlaffheit sichtbar,
während beim Mädchen
alles Geheimnis ist.Endlich ist
Wurzel stammverwandt
mit Rüssel;was dem
primi- tivenDenken
Rüssel ist, zeigt jedesKind beim
Anblick des Ele- fanten.Das
Männlich-Symbolische inBaum und
Äst zeigt sich in der Gewohnheit, beideWörter
in derBedeutung
des aufgerichteten GKedes zu gebrauchen. Ferner ist„Stammbaum"
zu erwähnen, worin sich die Idee derurmännüchen Abstammung
ausspricht.Von Etymologen
wirdStamm
mit derWurzel
stha (stehen)zusammen-
gebracht;
im
Griechischen heißt derWeinhrug
stamnos (orajuvog), der Behälter, ausdem
derWein
des Lebens inden
Becher (das'Weib)
gegossen wird, istihm
besonders männlich.Ast
zeigt seineBedeutung
indem Verbum
„asten" (das Feld tragbarmachen);
es erinnert an
den
Fluch, mitdem Adam
ausdem
Paradies getrieben wird,an
dasSymbol
der Sage, der dasWeib
fruchtbarer Acker.der
Mann
pflügenderBauer
war.Krone
(Kranz) ist als entschieden weiblichesSymbol
allgemein bekannt, das aufreizendümschheßende
drückt sich darinaus.
Rinde
istverwandt
mitRand,
englisch rim (Ende, Schluß), dieRinde
liältden Stamm
in derUmarmung,
sie schützt ihn mütter- lichund
umschlingt ihn zärtlich. Fachgelehrte verknüpfen rim mitdem
gotischen rimi (Ruhe). Sowürde
indem Wort Rinde
das weibUcheWesen
als Leidenschaften beruhigend,beendend
Hegen.Im
Griechischen heißtRuhe
eroe (e^w?;) (eigentlich „Angriff mit darauf eintretenderErmüdung,
Ruhe"). DieVermutung, daß
eroestammverwandt
mit Eros{egmg)ist,liegtnahe
; Erosist
den
Griechen der ZwiUingsbruder des Todes—
derPhaUus
stirbt durchden
Lie- besakt— und
derTod
istRuhe.
Das Unbewußte
der Kunst, dasden
Doppelsinndes
Symbols
dadurch besonders hervorhebt,daß
esden Kopf
des stehendenKnaben
bis an die eine Spalte derStammborke
reichen läßtund
seinen Blick auf
den Schoß
desWeibes
gerichtet hat, fügtdem
Gleichnis
noch
einMotiv
hinzu, dasdem
Bilde eine schier un- ergründliche Tiefe gibt:um
dieHüften
derVenus
ist,den Schoß
verhüllendund
zeigend, der Schleier geschlungen, das uralteSymbol
der Jungfräidichkeit
und
des Jungfrauentodes in der Empfängnis.Das
Weibliche, das göttUch Liebendeim
Weibe, dieVenus
Uraniaißt
immer
jungfräuKch.Wer
anerkennt,daß
es,unabhängig von
der Verkörperung in der einzelnen Frau, einEwig
-Weibliches gibt, weiß,daß
diesesEwig
-Weibliche,unabhängig von
allen körper-"^
liehen Vorgängen, trotz Liebeshandlung
und
G«bärens unveränder-j
lieh jungfräulich bleibt.
Der
Christusmythua sagt dasselbe: indem
f.;bekannten
Liedevon dem
Reis, das einerWurzel
zart entsprang,heißt es:
„Es
fiel einHimmelstaue
In eine Jungfrau fein,Es
-war keine bessere Fraue, :Das macht
ihr Kindelein. >Ob
sie schon hat geboren, ; rBlieb sie
doch
Jungfrau rein." ;iDas
tägbcbeLeben
lehrt dasselbe; jedeFrau
wird,wenn
ihre Liebes- erregung irgendwie biszum
höchsten gesteigert wird,von neuem
^
Jungfrau: ihre Öffnung zieht sich
dann
wieder, trotz häufiger Ge- j burten, sozusammen, daß
das Eindringen des Gliedes wie bei der |^Entjungferung als zunächst schmerzhaft
empfunden
wird, jaeme
Blutung entsprechenddem
Zerreißen des Jungfernhäutchens tritt nicht selten ein. Cranach hat, wie Botticelli in seinem Frühlings- bUde, dieses tiefeWiesen
in seinBÜd aufgenommen,
seineVenus
ist schwanger.
Daß
eine Darstellung der Liebesgöttin vollSymbolik
ist,nimmt
nicht wunder.
Aber
der große Künstlerkann auch DarsteUungen von
Tagesereignissen nicht anders geben als mitunbewußter
Be- nutzung des Symbols.Man
betrachte beispielsweiseRembrandts
„Anatomie
des Dr.Tulp" im Haag
(Taf. 2). Angeblich ist es ein Gruppenporträtvon
acht Medizinern, indem
die Figur des Dr.Tulp
besonders hervorgehobenist.Es
sind aber gar nicht acht Menschen, sondern neun,und
gerade der neunte, der Tote,empföngt
das volle Licht des Bildes.Der
Tote ist also dieHauptperson
geworden.entweder weil
Rembrandt
es so beabsichtigt hat oder weil ihn seinUnbewußtes
dazugezwungen
hat.Neun
ist die Zahl der Voll-endung; irgendwie wird sich der
Gedanke
der Vollendung indem
Bilde durchgesetzt haben,
und
die Vollendungmuß
mitdem
totenKörper zusammenhängen. Neun
ist aberauch
die Zahl derSchwan-
gerschaft,
und neun
ist dreimal drei.Das Unbewußte
pflegt beineun
Personen die Dreiteilung zu erzwingen, drei ist die mächtigsteZaU,
die heilige Drei. Sie symbolisiert in erster Linie dieMänn-
lichkeit, die volle Potenz in der Vereinigung des Gliedes mit den beiden
Hoden,
weiterhin das Männlich-Weiblich-Kindliche. Be- trachtetman
das Bild auf die Gruppierung der Drei hin, so ge-hören zu der stehenden
und
alleinhandelnden
Figur desTulp
die beiden weit vorgebeugten Figuren; sie sindam
sichtbarstenan
derHandlung
beteiligt. Hinter diesen ist eine andre dreifaltige Gruppe:nur einer der
Männer
ist ganz bei der Sache, der zweite unterbricht seine Lektüre, beginnt also sich für die Sektion zuerwärmen,
ein dritter ganzim
Hintergrundnimmt an
derHandlung
nicht viel teil.Die dritte
Gruppe
ist indem Leichnam von
derHandlung
getrennt,die ergänzenden Figuren jenseits des Bildmittelpunkts, der Leiche,
widmen dem Vorgang
keine Aufmerksamkeit, ja der eine blickt ausdem
Bilde heraus, ihn geht die Sektion nichts an.Vollkommen
teilnahmlos aber ist der Tote,
und doch
dreht sichum ün
alles.Geht man
bei der Betrachtung des Bildesvon
derNeuuzahl
aus, so wird ausdem
genrehaften Gruppenporträt ein Schicksalsgemälde des Männlichen, eine Darstellim^g der Entstehung, desHandelns und
des Sterbens des Mannes.Mann,
wirklicherMann
ist dermänn-
liche
Mensch
nur solange, als er seine männliche Potenz besitztund
gebraucht; er entsteht
—
dasWort
„entsteht'* ist mitVorbedacht
gebraucht—
aus der Erregung, er stirbt in der Liebeshandlung,die der Erregung folgt, folgt solche
Handlung
nicht, so stirbt ernicht, sondern schrumpft nur
zum Knaben zusammen.
Das
Bild zeigt, alsSymbol
gesehen, die einzelnen Schicksals- stadien desmänuUchen
Mannes. In der Hintergrundsgruppe be- ginnt die Erregung: die Begierde des Erzeugens ist indem
einenAugenzeugen
(testis, testiculus) lebhaft, seineErregung
ergreiftnoch
nichtden
andern, aber dasMembrum
verwandelt sich inden
Phallus.
Der Mann,
der das veranschaulicht, unterbricht sein Lesen;Lesen ist, symbolisch aufgefaßt, Phantasie über das Weibliche.
—
Die zweite
Gruppe
zeigt beide testes in höchsterSpannung und
den stehendenMann
(Ständer) in voller Aktion.Er
ist der einzige, der einenHut
trägtund
seinKragen
ist halb offen, beidesSymbole
der Vereinigimg mitdem
Weibe.—
Die dritteGruppe
stellt die unmittelbare Folge desAkts
dar, nicht als Erschlaffung des Phal-lus, sondern als
Tod;
erschlafft ist die Begierde der Zeugen.Daß
der
Tod am Weibe
stattfand, erzählt dieWunde am
linken,am
Herzens-Liebesarm,
und
die Tatsache,daß
die Finger trotz desZerrens
an dem Beugemuskel
unbeweglich bleiben, beweist äugen- ^'-Äl scheinlicb den Tod. Die Geschlechtsteile sind durch ein kreuzweisgelegtes
Tuch
verhüllt: derbeschämende
Zustand desUnvermögens
ist
dem BUck
entzogen.Auch
derDaumen
der rechtenHand,
der >;so deutlich den Phallus versinnbildlicht, ist nicht zu sehen. Beides '.'^
entspricht
dem
Verhalten des männlichen Menschen, dervon den
*3Mächten
desEs
gez'wungen wird, entweder sichdem
Bewußtsein\
seiner vernichteten
Mannheit
durch Schlaf zu entziehen oder diesen S;Verlust wenigstens vor
dem
weiblichenMenschen
zu verstecken.— ^
Das
Schimpfwort „Schlappschwanz", das inden
letzten Jahren * salonfähiggeworden
ist, beweist, wie groß dieSchande
solchen ,' Todes ist. Die Kunstgeschichte erzählt,daß
der Tote ein Erhängterwar.
Mag
dasnun wahr
sein oder nicht— wenn
es nichtwahr
ist,beweist die Sage die symbolische Kraft des
Unbewußten —
dieTatsache des Samenergusses bei
dem Erhängen
verstärktmeine Annahme, daß
hinter derHandlung
des anatomischen Unterrichts das Geheimnisvon Zeugen und
Sterben,von
Liebeund Tod
steckt.Ich
möchte
schon hier daraufaufmerksam machen, daß
Ge- staltungund
Gebrauchsgewohnbeiten desDaumens, auch
seineErkrankungen
oder Verletzungenvon
der Symholkraft desEs
beeinflußt sein können, ebenso wie irgendwelche
Wunden
ihre Entstehung,Form,
Heilungsmöglichfceit vielfachvon
derSymbolik
des Weihlichen oder Zwiegeschlechtigen erhalten.Um
in dieNähe
desEs
zukommen, kann man
auch einen andernWeg
einschlagen,den Weg
über die Sprache.Er
kreuzt sich viel- fach mitdem
der Kunstbetrachtung, gehtzuweüen
parallel, ja streckenweise ist er derselbe.Auch
hierzeigtam
besten das Beispiel,was
ich meine.Schon
in der Schule fiel es mir auf,daß Homer, wenn
ervon dem Dunkel
der Zukunft spricht, dieWendung
gebraucht: theonen gunasi keitai ('&s(üv ev yovvaoi xeaai). Es wird
unserm Den- ken
entsprechend übersetzt:„Das
liegtim
Schöße der Götter."Aber gony
(yovv) ist nicht Schoß, sondern das Knie. Die wört-A,
VA
I]
I
liehe Übersetzung lautet also:
„Es
liegt inden Knieen
der Götter."Die
moderne Wendung, daß
dieZukunft
indem
Schöße der Götterliegt, ist ohne weiteres verständlich:
Zukunft und
Leibesfrucht sind dasselbe.Der
Gedanke,daß
der Grieche mit seinerRede von den Knieen
vielleicht auchZukunft und Kind
gleichsetzte, ist mir zuerst aus der Erfahrungam
Krankenbettegekommen.
Bei der analytischenBehandlung von
Kniegelenksentzündungen stieß ichimmer
wieder auf die Tatsache,daß
derKranke
in seinen Mit- teilungen ausdem Unbewußten
die Anschwellung des Kniegelenksals ein
Symbol
der Schwangerschaft auffaßte.Damals war
mir dieSymbolik
der Organe nochwenig
bekannt, aber hieund da gaben Kranke
die Erklärung,daß man den
Oberschenkelknochenals
Mann,
die beiden Unterschenkelknochen als "Weibund
die Knie- scheibe alsKind
auffassen könnte.Lange
Zeithabe
ich solche Aus- sagen für Gefälhgkeit gegenüber meiner Sucht,Symbole
zu finden, gehalten.Dann
ivurde mir aber gelegentlich eia andrerGedanke
entgegengebracht.
Kranke
erzählten mir,daß
sie das gestreckte Bein für einSymbol
der phallischenErregung
hielten,daß
in der Streckung die Vereinigungvon Mann und Weib
dargestellt sei,während
die davor hegende Kniescheibe, wie alles,was
vorn liegt,die Zukunft, das zukünftige
Kind
sei.Danach wäre
dasKnie Sym-
bol des Männlich- Weiblichen
und
des Kindlich-Mannbaren. In derBeugung
des Knies, ganz besondersim
Knien, sahen diese Leutedie Erschlaffung, die
beim Manne nach
der Geschlechtsvereinigungeintritt, eine
Annahme,
die inden
Schwierigkeiten vielerMenschen beim Knien
eine Art Bestätigung findet. Eines Tages stieß ichbeim
Durchblättern eines griechischen Lexikons auf dieRedewendungen
hypolyein {vnolveiv)und
blaptein ta gunata tinos {ßlaTneiv xa yovvaxa Tivog).Das
eine bedeutet töten, das andre erschlaffenmachen. Das Lexikon
setzt hinzu,daß dem Homer
dieKniee
alsHauptsitz der Körperkraft galten; es liegt nahe,
anzimehmen, daß
für
Homer
dieTatsache des Stehens mit Hilfe derKniee bestimmend
wirkte,
da
ja das Stehen des Phallus überall als Zeichen derMannes-
kraft gut. Setzt
man
statt desWorts
Kraft Stärke, so ist die Ver-mutung
nicht ganz unsinnig,daß dem
Griechenund wohl
auchdem Unbewußten
desmodernen
symbolempfindlichenKranken
das gestreckte
Knie Symbol
der männlichen Potenz, des starren Phalluswar
oder ist;denn
Stärke hängtzusammen
mit starr.Der
griechischeAusdruck
hypolyein ta gunata (dieKnie
lösen) für töten führtdann
zu der allbekannten Gleichung des Sterbensund
Liebens beiden
Griechen zurück; ich erwähnte sie gelegentlich derRembrandtschen
Anatomie.Das Knien
wäredann
einAus-
druck für dasUnvermögen
desMannes nach
vollzogenem Ge- schlechtsakt (blaptein=
erschlaffen machen).Für
diese Dinge findet sich in der lateinischen Sprache die Be- stätigung.Das Knie
heißtim
Lateinischen genu; hängtman daran
ein 8, so wird es genus,
was
unmittelbar zudem
Begriff der Fort-pflanzung, zu
dem
mäoulich-weiblichen, kindlich-mannbaren All- menschlichen führt.Von
diesemPunkte
aus hatman
eine erschütternde Aussicht.Die
Etymologen behaupten
allerdings, genuund
gcnus hätten nichts miteinander zu tun; aber bei einer Wissenschaft, die so mitVermutungen
arbeitet wie die Etymologie, brauchtman
nicht alleszu glauben,
was
gesagt -wird,zumal wenn
sich herausstellt,daß
in andernZusammenhängen zwar
nicht gcnusund
genu, dafür aber Knie, kennen, können, König, Kunst,Kind und Kinn
auf einund
dieselbe
Wurzel
zurückgeführt werden.Ehe
mir nicht bewiesen wird,daß genu und
genus nicht miteinanderzusammenhängen,
bleibe ich auf
Grund
desSymbols
dabei,daß
sie sprachlich ver-wandt
sind*).Um
sich indem
Labyrinth derWortverbindungen
zurechtzu-finden, fasse
man den
vielgeschichtetenund
wandelbarenStamm
•) Der Zufall hat mir nach Ahechluß meiner Arbeit einen Aufsatz des Heidel- berger Forschers Hermann GUntert in die HändegCBpielt, der ebenfallB, wennauch auf anderm Wege, unter Anlehnung an Geechlechtsdinge die VeiwandtBcbaft von gony und gigaeBtbai mit ihren Folgerungen feststellt; er erwähnt bei dieser Ge- legenheit das homerische theon en gunasi keitai. Ich empfinde diese Übereinstim-
mung freudig und dankbar, besonders, weil esnachweisbar ausgeschlossenist, daß
einer von uns denGedanken des andern gekannt hat. Günterts Arbeit (erschienen in „Wörter und Sachen", Band 8) ist 1928 veröffentlichtworden; meine ersteMit- teilung überdieWörter gony und gigucstbai, gignoskeinusw.ist 1926 in einerpri- vaten Zeitschrift „Die Arche" gedruckt worden. Güntert kann diese Zeitschrift nicht gekannt haben.
,,kaii, ken, kun", zu
dem
sichdann
nocli ausmir
nicttbekannten Gründen „gen"
hinzugesellt.Man muß kühn
dabei verfahren {aberkühn
leitet sich auchvon dem
fruchtbarenStamme
kan,ken,
kun
her). Angeblich enthält dieseWunderwurzel
die Be- deutung „gebären" in sich.— Von
dieserWurzel
kan, ken,kun
wird das Sanskrit-Wort janu = Knie
abgeleitet. Andrerseits sollvon
einer skrt.Wurzel
jan=
zeugen aus janus=
Geburt, Janas=
Geschlecht, jantu= Kind
zuunserm
Ariadnefaden kan, ken, kun, gen gehören.Aber
januund
janushaben nach Meinung
der Gelehrten ebensowenig miteinander zu tun wiegenu und
genusim
Lateinischen.
Was
sollman nun
tun?Das
beste wird sein,man
stellt dieAussagen
derEtymologen nach
eigenemGutdünken zusammen, ohne
sichum
die Privat-meinung
des Lexikographen zukümmern. Um den Vorwurf
allzu großer Phantasiesprünge einigermaßen zu entkräften, stelle ich einen Satz aus Kluges„Etymologischem Wörterbuch"
voran, dersich in
dem
Abschnitt über dasWort
„können** findet:„Die
weiteVerzweigung
dereugverwandten
idg.Wz.
gen,gno
»erkennen*, jwissen* ist allgemein anerkannt."Hält
man
sichan
diese Verwandtschaft, so ordnen sichum den
Begriff
„Knie"
inden
verschiedenen indogermanischen Sprachenin erstaunlicher Weise große Lebensgebiete.
Im
Griechischen gehören zudem Wort gouy
{yovv)= Knie
gignoskein (ytyvatoHEtv)=
erkennenund
gignesthai {yiyvEa-&ai)—
werden, entstehen, geboren, erzeugtwerden
mit ihrenAb-
leitungen.
Was
das bedeutet, ergibt sich,wenn man
bedenkt,daß
dasWort
Gnosis oder Gnostiker (also ein gut Teil aller Philo- sophieund
Religion) dadurch ebenso mitdem
angeblich körper-hchen Knie zusammengebracht
wird wie dasWort
Genesis=
Ent- stehung oderGenos =
Geschlecht. Weiter gehört in diese Ver-bindung
genys {yevvg)= Kinn und
genaiaskein (yevaiaoxftv)=
einen Bartbekommen, mannbar
werden.Im
Lateinischen gruppieren sich ähnlich, ja vielfach gleichum
das
Wort
genu=
Knie: cognoscere=
erkennen, nasci=
geboren werden, genus=
Geschlecht.Ein
besonderes Gebiet gerät dort mit in das Lawinenfeld, die Wissenschaftvon den Zähnen:
dentesgenuini
=
Backenzähne.Es
wird sich später zeigen, wie nahe ver-wandt
dasZahnen
mit Erzeugungs-und
Geburtsvorgängen auch in derWelt
derSymbole
istund
damit auchim
organischenLeben
des Menschen,inseinem Sein
und
Werden.Wer
alle diese Beziehun- gen gewissenhaft durcharbeiten wollte,müßte
wohl einige Gene- rationeu lang lebenund
wirken.Im
Englischen gehört knee=
Kniezusammen
mit toknow
=
kennen, wissen, knowledge—
Kenntnis, natiou, native, gentry, gentleman, chin usw.Im
Deutschen findetman
ringsum
dasWort
Knie: kennen, können, König, Kinn, Kind, Kujideund
so fort.In diesen kurzen Mitteilungen, die nur eine Art Einleitung zu weiteren Aufsätzen sein sollen,
möchte
ich nur auf einiges auf-merksam
machen,was
für den Arzt erwägenswert ist. Ich habe vorhin behauptet, daß KniegelenfcsleidenunterUmständen
das Zwie- geschlechtswesen des Menschen, seine Kind-Mannbarkeit, Zeugungs- Schwangerschafts-und
Geburtsvorgängeim Symbol
organischer Er-krankung
darstellen,und
habemich
dabei auf Mitteilungen ausdem Unbewußten
meiner Patienten berufen.Das Nachsuchen
in indo- germanischen Sprachen scheint mir zu beweisen,daß
solchSymbol
bei der Entstehung der Sprachen mitgewirkt hat;
daß
dasSymbol noch
jetzt wirkt, halte ich, abgesehenvon
meinen persönlichen Erfahrungen in derBehandlung
Kranker mit Hilfe symbolischer Gleichungen, auch deshalb für wahrscheinlich, weil dieMacht
desWorts
in allen Lebensbeziehungen nochimmer
die gleiche ist wie vor Jahrtausenden. In einer Reihevon
Sprachen klingt die Be-nennung
des Gelenks zwischen Ober-und
Unterschenkel fast gleich wie in längst gestorbenen Sprachenund
dieRedewendung, daß
derMann
dasWeib
erkennt, ist unsrer Zeit noch ebenso verständlich wie den Verfassern des Alten Testaments.Daß
ich dasWort König
trotz einigerBedenken
inZusammen- hang
mit Knie gebrachthabe—
unterBenutzung
des vielgestaltigen ken, kau,kun
(kuni heißtim
Gotischen vornehmes Geschlecht)—
erleichtert mir die Mitteilung,
daß
Kniekranke nicht seltenim Un- bewußten von
Phantasien über königlicheAbstammung
beeinflußtsind. Ich bin auch geneigt, die lateinische Bezeichnung rex für
König
auf dasmännliche Lebensprinzip des Äufrechtsteliens zurück- zuführen.Eine
Vermutung,
die ich zurällig nicht in eigener ärztlicher Er- fahrung habe prüfen können, ist,daß
die gonorrhoischen Knie- geleokserkrankungen eng mit der Begattungssymbolik des Gelenks verbunden sindund daß
eineBehandlung
darauf Rücksichtnehmen
sollte.
Schließlich erwähne ich,
daß
diemoderne
Wissenschaft die alte fruchtbare Wurzel indem Ausdruck „Gen"
zuneuem Leben
ge- bracht hat.Gen umfaßt
in der Vererbungslehre so viel,daß
es sich in seinemWert dem
alten Genesisan
die Seite stellen läßt. Ichwill nicht behaupten, daß die Brücke zwischen
dem
homerischen theon en gunasi keitaiund
der Vererbungslehre fest ist.Aber
wie tropische Schlinggewächse Flüssevon
Kilometerbreiteund mehr
überbrücken, so
mag
es auch hier sein. DieWege zum Es
sind wunderlich.Wenn man
sich einmal auf Etymologie eingelassen hat,merkt
man
erst, wie schwer es ist, üLerden Menschen
zu schreiben.Man
denkt,
wer
weiß wie weitgekommen
zu sein,wenn man
sichdavon
überzeugt bat,daß
derMensch
zwei Geschlechterund
zwei Lebens-alter hat. Aussprechen läßt sich solche
Überzeugung
leicht; abersie sieb so zu eigen
machen, daß man danach
lebenkann und daß
man danach Kranke
behandelnmuß,
ist nicht leicht.Für den
Deutschen geht esnoch
eher, sich beidem Worte Mensch
jenach
Belieben einenMann,
einWeih
oder einKind
vorzustellen.Aber
wiemacht
es der Engländer, fürden
derMensch man
ist, derFranzose, der Italiener mit
homme, uomo
?Haben
sie eine Neigung, ein menschlicbeeWesen
so lange für einenMann
zu halten, bis sie es alsWeib (woman —
wifman,femme —
femina=
die Säugende)„erkennen"?
Im
Griechischen ißtMensch
anthropos (av&QCOTiog), dasWort
wird mitmaskulinem
Artikel für beide Geschlechter gebraucht.„He
an- thropos ()5 av&QCOTiogy''ist die Hure, ähnlichwie das jetzige Deutsch, übrigens erst seit kurzer Zeit, „das Mensch'* sagt,wenn
eine an- rüchigeFrau
bezeichnetwerden
soll;noch
vor zwei Jahrhundertenwar
jedeFrau
das Mensch,und
der Franzose sprichtnoch immer
unbefangen
von ma
chose,wenn
ervon
seinemWeibe
erzählt. Dieerste Silbe geht auf die fruchtbare
Wurzel men, man — meinen
zurück,von
der bald dieRede
sein wird; die Sachverständigen sagen, anthropos sei eineZusammensetzung von
menthere (fiev-{hjQYj)
=
Stirnund
ops (cüv)=
sehen.Meine
eigneVermutung, daß
die beiden letzten Silben aus der
Wurzel
thor (i?op) (thoros, '&OQog=: männlicher, menschlicher
Samen)
gebildet sind, gründet sichnur
auf die Tatsache,
daß
sich dasWort
throsko {&Q(oax(o)=
springen, bespringen, befruchten, aus derWurzel
thor herleitet.Ein besonderes Verfahren hat die dänische Sprache befolgt,
dem Dänen
ist derMensch
eine Sache—
etmenneske —
, einNeutrum, während
derSchwede
sogar so weit geht,dem Menschen
als Lebe-wesen
einen weiblichen Charakter zu geben,människa
ist beiihm
nicht ein„han"
(er), sondern eine „hon*' (sie). Die beiden nordi- schenWörter
zeigen schon in ihrem Klang,daß auch
für die ger-manischen
Sprachen derMann Symbol
des menschlichen Lebe- wesens ist.Das
deutscheMensch
ist ein Substantiv gewordenes Adjektiv, lautet ursprünglich „männisch", alsoMann.
In gewisser Beziehung ist es erklärlich,
warum
gerade derMann
als Vertreter des Menschlichen gebraucht wird: wir sind sehende
Wesen,
in großer Entfernungnun
entscheidet dieBewegung
des gesehenen Gegenstandes, ob es sichum
einLebewesen
handelt oder nicht,und
die aufrechte Haltung,ob
es einMengch
ist oder ein Tier; erst in der Nähe, eigenthchan
der Kleidung siehtman den
Geschlechtsunterschied, ja völlig sicher wirdman
oft erst durch dieerkennende
Umarmung. — Was
sich aufrichtet, aufrecht steht, sich aufrecht bewegt, ist durch dasSymbol männisch
bezeichnet,und
das
Symbol
entscheidet so fürden Mann. „Mann" nun stammt von
derWurzel „men",
diedenken
bedeuten soll.Danach wäre Mensch
—
wenigstens der männlicheMensch —
dasdenkende
Lebewesen:der zwiegeschlechtige
Organismus im
Besitz beider Lebensalter, begabt mit der Fähigkeit zu denken.Plötzlich stehen wir vor der Grundlage unsrer heutigen Kultur,
all unsrer Philosophie, Wissenschaft, Religion, Lebensauffassung
und
Lebensführung: derMensch
denkt, er allein denkt, kein andresWesen
tut es; die Zweifel,ob
nicht auch Tiere, Pflanzen, jawo-
möglichAtome,
lone, Elektrone denken, oder die andern,ob
dasDenken
nichtdazu da
ist,um
jedesErkennen
zu verhindern,haben
keineBedeutung
inunserm
Lehen; wir spielen mit diesen Zweifeln, sonst nichts.Trotzdem, die Zweifel sind da, verstärken sich
immer
mehr,von
allen Lebensgebieten aus erheben sich
Bedenken
gegen die Tyrannei des Denkens.Und
dakommt
es uns Mystikern zu Paß,wenn
dieEtymologen
erzählen:Denken
ist„machen, daß
etwas scheint", esbeschäftigt sichnicht mitdem
"Wahren,sondernwillwahr
scheinen lassen,was
gut dünkt.Es
handelt sich fürmich
nichtdarum,
etwas gegen dasDenken zu
sagen.Niemand
ist so blind zu verkennen,was
derMensch dem Denken
schuldet.Aber
welch eine Weisheit des Sprach-Un- bewußten, schon vor Jahrtausenden das Einseitige, Absichtliche, völlig Subjektive,Dogmatische
dieser Funktion desMenschen
fest- gelegt zuhaben
! Die Sprache ist ehrlich geblieben, sie gibt zu ver- stehen,daß
uns dasDenken
zu belügen sucht, wir abermachen
unsim Gebrauch
der Sprache selbst zu Unehrlichen,wenn
wir dasDenken
rein nennen. Ich freue mich,daß
dasWort Mensch
nichts mitDenken
zu tun hat, sondern mit Meinen;Meinen kann auch
der ehrliche Mensch,im Denken
hegt das überzeugenwollen, dasHaschen nach
Vorteil.Und
es istwohl kaum noch
ein Zweifel daran: wirEuropäer haben genug
gedacht, wir solltenzum Meinen
zurückkehren.Mitunter hat die
Kunst
versucht,den denkenden Menschen
dar- zustellen;gemeinsam
ist diesen absichthchen Darstellungen dieMühe,
die dasDenken nach
Ansicht derKunst
bereitet. Meistwerden Denker
sitzend abgebildet,zusammengekrümmt und
offen-bar dringend
damit
beschäftigt, etwas aus sich herauszupressen.Damit man
nicht aufden Gedanken kommt,
es handle sichum
einenganz
andern aUtäghchen mitunter recht schwerenVorgang
des Hervorbringens, sondernum
eine Arbeit des Schädels, legtman
den Kopf
mitdem
Kinn, als ob er schwer sei, in die Stütze derHand.
Dieselbe Gewißheit,daß
nicht eine Tätigkeit iuden Regionen
desBauches
vorgeführtwerden
soll, ergibt sich daraus,daß
dieBeine übereinander geschlagen sind: die in Betracht
kommende
Öffnung ist verschlossen. Die
Kunst
hält ebenso wie die Sprache dasDenken
für etwas gewollt Einseitiges; es ist nicht ein Strebennach
Wahrheit, sondern derWunsch,
etwasGedachtem den
Schein derWahrheit
zu geben.In Florenz ist ein Bildwerk des Michelangelo zu sehen, das der
Voltsmund
ilpensiero (der Gedanke) genannthat;esist dieGrabmal-
figur des jüngeren Lorenzo di Medici.
Wir
sind gewöhnt, pensaremit
denken
zu übersetzen, aber icb bezweifle,daß
ein Deutseberdieses
Denkmal
mitdem Wort
„derGedanke"
bezeichnet hätte.Lorenzo sitzt freilich auch, er stützt sein
Kinn mit
derHand,
aber jedeSpur
des Krampfhaften, mitdem
die heutigeKunst den Denker
auszustatten pflegt, fehlt; pensare (von pendere) schließt dasAb-
sichtliche des
Denkakts
aus, es ist einErwägen,
derKopf
wird eher festgehalten als gestützt, das Pendeln,Wackeln
soll verhütet werden.Das Denken
wird jetzt überall, nichtnur
beiden
germanischen Rassen, betrieben, es gehört zudem
gewohnheitsmäßigen Sich- vordrängen desWorts und
Begriffs Ich, wie es sich sprachlich schon darin ausdrückt,daß
uns dieVerb-Endung
nichtmehr
zur Personal- bezeichnung genügt,daß
wir das „Ich,Du, Er"
hinzufügen. Als ob das Ich nichtan
sich mächtig genug wäre,im Guten und
Bösen,als ob der
Mensch
dadurch größer würde,daß
er dieWelt
inNatur und Mensch
einteilt; er bleibt doch nur ein Stück Natur. Je heftiger unserWunsch
ist, eineWelt
außerhalbvon
uns exakt zu erforschen,um
60 tieferwerden
wir in die Knechtschaft des Ichs geraten.Soviel ich weiß, kannte
weder
der Griechenoch
derRömer
dasDenken. Der
griechischeAusdruck
lautet unteranderem
noeo(voeco)
= wahrnehmen,
erkennen,Wurzel
sncuo=
winken. DieLateiner
haben
dasWort
cogitare=
co-agitare=
zusammen-trei-ben
(agere). Also in beiden Sprachen ist etwas andres gemeint als inunserm Wort
denken.Auch
die neueren romanischen Sprachenhaben
ihrenWörtern
penser, pensare dieBedeutung denken
unter- schieben müssen,was
nicht ganz gelungen zu sein scheint.Das
englische to think ist eine
Mischform
ausden
beiden altenWörtern denken und
dünken. Die alteBedeutung von Denken —
den Schein erwecken—
hat sich beiuns
indem Wort Dünkel
lebenskräftig erhalten.Wenn man
ein Beispiel der doppelten Leistungen des Verdrängens geben will, so ist dasWort denken
brauchbar:Denken
ist das Ver- drängen der andernWahrheit —
vielleicht ausDünkel
; dieses Ver- drängen hatuns
zu Wissenshöhen geführt, wie siewohl
kein andres Zeitalter gehabt hat, es hat uns aber der andern Wahrheit,dem
Weg und dem
Lichtund
derWahrheit
entfremdet, hatzum
großenTeil die spezifisch europäischen Leiden herbeigeführt, die in gefähr- licher
Weise
unser stolzes europäischesWesen
zu zerstören drohen.Unser
Gehirn ist nicht durch vielesSuchen nach Wahrheit
über- arbeitet, sondern durchden
Versuch, das Primitive, Zwiegeschlech- tige,Mannbar-Kindhche,
Meinende, Menschliche inuns
zugunsten des Realen, Objektiven zu vernichten.Da
derMensch
nicht aus seinerHaut
heraus kann, mißlang die Vernichtung,und
nur eineVerdrängung kam
zustande, bei der das Verdrängte zu Gift ge-worden
ist.— Man kann
dasan
tausend verschiedenenFormen
menschlicher Krankheiten nachweisen,
am
leichtesten beiMen-
schen, die
an Kopfschmerzen
leiden: die beiden häufigsten Er- scheinungen, das Gefühl des Zerplatzens des Schädelsund
das Ge- fühl desDrucks
aufden
Schädel sindnach meinen
Erfahrungen zu urteilenSymbole
desKampfs
gegen die Geburt der primitivenWahrheit im
Innern des Schädels oder gegen die Befruchtung des wahrheitsempfänglichen Schädelsvon
außen.Und
die Unterleibler, die den halbenTag
mit der quälenden Sorge zubringen:Werde
ich Stuhlganghaben? War
die Entleerunggenügend
in Menge,Form und
Farbe? Oder:Wird
mir,was
ich aßund
trank,bekommen
oder drohen
mir
Durchfallund Bauchschmerzen?
Oder:Wird
die Periode rechtzeitigkommen,
wird sie zu stark sein oder zu schwach, zu dunkel oder zu hell? sie alle denken, wollen etwas scheinen lassen,damit
das andreWahre
in derVerdrängung
bleiben kann.Wer
sähe es nicht täglich, wie einer plötzlich in der Unterhaltungden Kopf
stützt, weil er zu schwer wird oder wackelt, wieein andrer die Beine übereinander schlägt, weil er viel zu verbergen hatund
wenigstens der hintern Körperöffnung sicher sein will;
mag
derBauch dann
knurrend sprechen, seinKnurren
ist unverständlich,kaum jemand
weiß,daß Knurren
auch Sprechen ist.Der Mensch
heißt nicht Mensch, weil er denkt, sondern weil ermeint;
weÜ
er ehrlich meint, ein Ich zu sein, weil er ehrUch mitallen Fasern seines
Wesens
meint, selbständig derNatur
gegen- überzustehen, ein richtigerMann
mit der Potenz der Erektionund
des Befruchteus, mit
dem
Glauben,Herr
derNatur
zu sein.Der Mensch
hat Meinungen, das ist die Sache. DieWurzel von Mensch
ist
„men —
meinen".„Mein
ist die Welt,mein
dasWerk, mein
die Tat", ist es nicht herrlich,
daß
derMensch
so empfindet, so meint, so spricht?Auf dem Glauhen an
das Ich ruht dieMenschen-
weit,
und meinen kann
nur der, der an sein Ich glaubt, der zu sagen wagt, das istmeine Meinung; denn auch
das Besitzwort„mein"
bringe ich auf die
Wurzel men
zurück, allerdingsohne dazu von
der Sprachforschung autorisiert zu sein.Wenige Wurzeln
sindeinem
phantastischenOhr
so gefälligund
nachgiebig wie die
Wurzel men — man. Da
ist gleich das viel-gebrauchte
und
vieldeutige lateinischeWort mens
(gr. menos, fZEvog, got.muns)
mit allen seinen in der Wissenschaft so nützlichenAb-
leitungen, z. B. mental, dementia, über deren
Bedeutungen
sichniemand mehr den Kopf
zerbricht. Die Engländerhaben
sich dar- aus das rätselhafte, wenigstens fürden
Ausländer rätselhafte,Wort mind
gebildetund
damit das Geheimnis der Begriffe Seele—
Geistnoch
schwererzugänghch
gemacht, die Griechen (mimnesko, fufj,-vrjaxo})
und
Lateiner (reminiscere) lassen Gedächtnis, Erinnerung daraus wachsen,was
die Skandinavier indem Wort Minne noch
beutigen Tages tun.Man
bedenke, welche Rolle die Lehrevom
Ge- dächtnis des Organischen in der Wissenschaft spielt.Wir
Deut- schenhaben
dieseBedeutung
fallen gelassen, aber dafür das ganze unendliche Gebiet keuscher Liebevon Mann und Weib
hinzugefügt,während
der Holländernoch
einStück
der Geschlechtlichkeit mit hineingezogen hat.Gegen den
Versuch, dieWörter
gemein— mean
— communis
damitzusammenzubringen,
sträubt sich dieEtymo-
logie
mit
Recht, wie es scheint.Gar
die Silbemein-falsch, lügnerisch (Meineid)von
derWurzel men-man
abzuleitenwäre
ein Vergehen.Aber
wie ist es mitdem
griechischen menis (firjvig)=
Zorn?Der
Zorn war
der Antike nicht ohne weiteres Zeichen des Unverstandes, dasWort thymos
{'&vfzog)—
wir übersetzen es gar nicht so schlecht mitGemüt —
beweist das.Es
istverwandt
mitlat.fumus — Rauch.
In