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Archiv "Depression und Lebensqualität bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose: Besondere Motivation" (21.11.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 47⏐⏐21. November 2008 825

M E D I Z I N

Unzulässige Vereinfachung

Die Autoren kommen zu einer überraschenden Schluss- folgerung: „Die Lebensqualität der ALS-Patienten un- terscheidet sich nicht wesentlich von gesunden Kon- trollpersonen …“. Diese Aussage steht in einem deutli- chen Widerspruch zu meiner täglichen Erfahrung bei der Begleitung von ALS-Patienten. Die Betroffenen sind zunächst fassungslos und verzweifelt über die Un- erreichbarkeit ihres Lebensplans und die Prognose ei- ner tödlichen Erkrankung. Auch im weiteren Verlauf der fortschreitenden Erkrankung gehören Trauer, Angst und Erschöpfung zum Erleben der Patienten und ihrer Familien. Die Beobachtung einer „normalen“ Lebens- qualität innerhalb der Studie provoziert die Frage, ob die verfügbaren neuropsychologischen Methoden ge- eignet sind, die wesentlichen Implikationen der ALS abzubilden.

Verschiedene methodische Limitationen bestimmen die vorliegende Studie. Die Anzahl der Patienten ist mit 39 Probanden gering. Lediglich vier Patienten er- hielten eine invasive Beatmung. Nur zwei Patienten befanden sich in einem Zustand der vollständigen Im- mobilisierung. Die Studie erfasst damit überwiegend Patienten in einem mittleren Krankheitsverlauf. Die Schlussfolgerung der Autoren über eine hinreichende Lebensqualität in allen ALS-Stadien ist daher nicht ge- rechtfertigt.

Die Bewertung der Studienergebnisse erscheint zu weitreichend. Die Autoren schlussfolgern, dass bei ei- ner „exzellenten Palliativversorgung“ der Patienten- wille einer Therapiebegrenzung an Relevanz verliert.

Unsere Untersuchungen bei der elektiven Beendigung der Beatmungstherapie widersprechen dieser abstrak- ten und vereinfachten Interpretation (1). Der Patienten- wille eines Therapieabbruchs kann auch bei optimaler medizinischer und sozialer Versorgungsstruktur entste- hen. Er ist mit dem subjektiven Erleben des schwerwie- genden Autonomieverlustes assoziiert und kann durch konkrete biografische Umstände verursacht sein. Die begründete Entscheidung eines Patienten für eine The- rapiebegrenzung sollte nicht durch eine Überinterpreta- tion der diskutierten Studie infrage gestellt oder stig- matisiert werden. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0825a

LITERATUR

1. Meyer T, Dullinger JS, Münch C et al.: Elektive Beendigung der Beat- mungstherapie bei der Amyotrophen Lateralsklerose. Nervenarzt 2008; 79: 684–90.

Prof. Dr. med. Thomas Meyer Charité – Universitätsmedizin Berlin Neurologische Klinik

Ambulanz für ALS und andere Motoneuronenerkrankungen Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

E-Mail: thomas.meyer@charite.de

Besondere Motivation

Die publizierten Daten bestätigen meine Erfahrung, dass viele Menschen mit schwersten körperlichen Einschrän- kungen ihr Leben als vollwertig empfinden und häufig gelingend gestalten. Während meiner ärztlichen Tätig- keit habe ich von ihnen viel darüber lernen können, was wirkliches Leben ausmacht. Es gibt aber auch die zu- tiefst verzweifelten Schwerstkranken, an denen ich nicht selten gescheitert bin und die mich gelehrt haben, Be- scheidenheit einzuüben und Ohnmacht auszuhalten. Wer von ihnen zu den einen oder anderen gehörte, hing weni- ger von Art oder Schwere der Erkrankung ab, als viel- mehr vom sozialen Netz, der Haltung zum zurückliegen- den und zukünftigen Leben oder von persönlichen Wert- vorstellungen. Dass eine umfassende Aufklärung über Krankheitsverlauf, therapeutische Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten sowie eine ganzheitliche Betreuung Ängste nehmen und Lebensqualität verbessern kann, wissen wir aus Palliativmedizin und Hospizarbeit.

Der Hinweis auf fehlende Repräsentativität und ge- ringe Untersuchungszahlen stellt einige der Schlussfol- gerungen infrage. Offensichtlich hat es sich bei den Un- tersuchten um besonders motivierte Patienten (Bereit- schaft zur Studienbeteiligung, Bindung an die ALS- Ambulanzen) gehandelt, die Nutznießer jener umfas- senden Zuwendung waren, die im Fazit der Arbeit emp- fohlen wird. Leider fehlen Hinweise auf Alter, soziales Netz oder Lebensphilosophie der Untersuchten. Als un- seriös empfinde ich die Schlussfolgerung, dass „eine befriedigende Lebensqualität… in jedem Stadium der ALS möglich ist“. Diese Aussage bezieht auch invasiv beatmete Patienten mit ein. Es wird zudem suggeriert, dass gute Information die Bereitschaft zu therapeuti- schen Maßnahmen „wie invasive Beatmung…“ er- höhen könnte. Bei den verschwindend geringen Zahlen invasiv Beatmeter (n = 4) geht mir das zu weit. Deshalb erscheint mir auch eine Instrumentalisierung der Er- gebnisse im Streit um die Reichweite von Patientenver- fügungen (wie in der Presse geschehen) nicht ange- bracht. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0825b Dr. med. Jürgen Bickhardt

Uhlandstraße 19 85435 Ending

Schlusswort

Wir haben aus unseren Daten geschlossen, dass eine in- dividuelle Sichtweise der Lage des Behinderten wich- tig ist, und dass ein einfacher Schluss vom Grad der zu dem Beitrag

Depression und Lebensqualität bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose

von Dr. rer. nat. Dorothée Lulé, Dipl. Psych. Sonja Häcker, Prof. Dr. med.

Albert C. Ludolph, Prof. Dr. phil. Niels Birbaumer, PD Dr. rer. nat. Andrea Kübler in Heft 23/2008

DISKUSSION

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826 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 47⏐⏐21. November 2008

M E D I Z I N

Behinderung auf Lebensqualität und Affektlage nicht möglich ist. Insofern begrüßen wir die Hinweise auf an- dere Schicksale, die nicht von unserer statistisch unter- mauerten Diskussion erfasst werden können. Jeder, der sich mit der ALS befasst hat, weiß, dass es diese Pati- enten gibt und sie den Respekt und die Fürsorge verdie- nen, die Herr Dr. Bickhardt und Herr Prof. Meyer zu- recht einfordern. Auf der Grundlage der internationalen Literatur und der Ergebnisse unserer Arbeitsgruppe auch an anderen Stichproben von ALS-Patienten (1–4) gehen wir aber davon aus, dass die Lebensqualität auch in den Spätstadien der Erkrankung und unter Beatmung statistisch kaum von der gesunden Population ab- weicht. Dass es klinisch hin und wieder Gegenbeispie- le gibt, liegt an der Natur quantitativer Methoden. Die Erfahrung Einzelner ist kein wissenschaftliches Krite- rium. Gerade deshalb wird aber mit den begrüßenswer- ten Bemerkungen von Dr. Bickhardt und Prof. Meyer unsere Schlussfolgerung unterstrichen, dass auch ein individueller Behinderter ein Recht auf depressive, selbstaggressive und euphorische Phasen hat; sie soll- ten nach medizinischen und klinisch-psychologischen Maßstäben behandelt und nicht nur als schicksalhaft hingenommen werden.

Hier könnte noch ein weiteres Argument, das wir und andere immer wieder finden, von Bedeutung sein:

Es findet sich bei uns und bei anderen immer wieder das Phänomen, dass Außen- und Innensicht in signifi- kanter Weise voneinander abweichen. Der – auch schwer – Behinderte schätzt seine Lebensqualität deut- lich besser ein als der gesunde Beobachter diejenige des Patienten einschätzt (4, 2).

Unsere Arbeit hat Limitationen, wie wir selbst wis- sen und erwähnt haben (Bindung der Patienten an eine hochspezialisierte Ambulanz, Bereitschaft der Patien- ten zur Teilnahme an der Studie) und zukünftige Unter-

suchungen (die wir derzeit – auch im Vergleich zu der Situation in den Niederlanden – durchführen) müssen diese Lücken abdecken. Die Kritik an den Fallzahlen sehen wir als verständlich an; immerhin aber suchen statistische Methoden den Nachteil geringer Fallzahlen zu überwinden, und auf diesen Methoden basieren un- sere Schlussfolgerungen.

Wir hoffen mit diesem Beitrag eine Diskussion zur Lebensqualität von ALS-Patienten, aber auch anderen behinderten Bevölkerungsgruppen, mit angestoßen zu haben. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0826

LITERATUR

1. Birbaumer N, Cohen L: Brain-Computer-Interfaces (BCI): Communi- cation and Restoration of Movement in Paralysis. The Journal of Phy- siology 2007; 579: 621–36.

2. Kübler A, Winter S, Kaiser J, Birbaumer N, Hautzinger M: Ein Fragebogen zur Messung von Depression bei degenerativen neurologischen Erkrankungen (amyotrophe Lateralsklerose). Zeit- schrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie 2005; 34:

19–26.

3. Kubler A, Winter S, Ludolph AC, Hautzinger M, Birbaumer N:

Severity of depressive symptoms and quality of life in patients with amyotrophic lateral sclerosis. Neurorehabil Neural Repair 2005; 19:

182–93.

4. Trail M, Nelson ND, Van JN, Appel SH, Lai EC: A study comparing pa- tients with amyotrophic lateral sclerosis and their caregivers on mea- sures of quality of life, depression, and their attitudes toward treat- ment options. J Neurol Sci 2003; 209: 79–85.

Prof. Dr. med. Albert C. Ludolph

Neurologische Klinik der Universität Ulm im RKU Oberer Eselsberg 45

89081 Ulm

E-Mail: albert.ludolph@rku.de

Interessenkonflikt

Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Edi- tors besteht.

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