I 046/2008 ERZ 4. Juni 2008 ERZ C Interpellation
0988 Sommer, Melchnau (EVP)
Weitere Unterschriften: 0 Eingereicht am: 07.02.2008
Ist das Verfahren für die Sekundarschulübertritte Ende 6. Schuljahr noch befriedigend?
In Übertrittsgesprächen von Lehrkräften mit den Eltern wird entschieden, ob eine Schülerin, ein Schüler nach der 6. Klasse die Real-, Sekundarschule oder die spez. Sek. besuchen wird.
In letzter Zeit versuchen offenbar immer mehr Eltern, ihre Kinder entgegen der Empfehlung der Lehrkräfte in die Sek. oder spez. Sek. zu zwängen. Die Folgen sind: Niveauabsenkung in den Realklassen, Sekundarschulen und auch in den Gymnasien.
Weitere Folge: Lehrkräfte machen den Spagat im Spannungsfeld von Förderung und Selektion. Wertvolle Energie geht verloren, Frustration macht sich breit.
Die Regierung wird gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
1. Haben Rekurse gegen Entscheide von Lehrkräften / Schulkommissionen gegen die Übertrittsentscheide zugenommen? Wie viele sind es durchschnittlich pro Jahr?
2. Wie viele Schülerinnen und Schüler müssen pro Jahr von den Sekundarschulen an die Realschulen zurückgeschickt werden? Wie viele repetieren an den Sekundarschulen das 7. Schuljahr?
3. Gibt es eine Möglichkeit im Rahmen von BIVOS für strittige Fälle wieder eine
„Sekprüfung“ einzuführen? Könnte dann auf die Einigungsgespräche verzichtet werden (Prüfung an Stelle von Einigungsgespräch)?
Antwort des Regierungsrates
Der Regierungsrat misst dem Übertrittsverfahren eine hohe Bedeutung zu. Die Überprüfung des Übertrittsverfahrens wurde von der Erziehungsdirektion im Zusammenhang mit der Umsetzung der überwiesenen Motion Hostettler, Zollbrück, (SVP, M 049/2006), bereits aufgenommen. Unter anderem erteilte sie der Pädagogischen Hochschule Bern den Auftrag, das Übertrittsverfahren generell im Hinblick auf die Förderung von mathematisch-naturwissenschaftlich begabten Kindern, sowie auf die Genderfrage (überdurchschnittlich hoher Anteil an Mädchen in der Sekundarschule und im Gymnasium) zu evaluieren. Bemängelt werden auch die hohe Belastung der Lehrpersonen und der Leistungsdruck während der langen Beobachtungsphase (5.
Schuljahr bis Mitte 7. Schuljahr).
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Gleichzeitig wurden verwaltungsintern verschiedene Varianten zur Objektivierung und Verkürzung des Verfahrens sowie zur Entlastung der Situation von Lehrpersonen im Spannungsfeld von Förderung und Selektion ausgearbeitet. Diese Varianten werden nun mit Sozialpartnern, Schulleitungen und Elternorganisationen diskutiert.
Damit eine optimale Koordination mit den bevorstehenden Änderungen im Bildungsbereich durch die Umsetzung des HarmoS-Konkordats und der damit einhergehenden Totalrevision des Volksschulgesetzes erfolgen kann, soll eine mögliche Anpassung des Verfahrens nicht vor 2012 geschehen.
Damit einher geht weiterhin der Grundsatz, im Volksschulbereich die Änderungen möglichst gering zu halten und damit Ruhe ins System zu bringen.
Zu Frage 1:
Die Rekurse gegen Übertrittsentscheide der Schulkommission gelangen auf dem ordentlichen Verfahrensweg an die Schulinspektorate. Gemäss der untenstehenden Tabelle kann von einer Zunahme der Rekurse seit 2005 gesprochen werden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, ob diese Zunahme einer normalen Schwankung entspricht oder andere Gründe hat. Setzt man die Anzahl Rekurse in Bezug zur Zahl der gefällten Entscheide pro Jahr bzw. zur Anzahl der betroffenen Schülerinnen und Schüler des sechsten Schuljahres (rund 10'000 Kinder), so ergibt sich ein Prozentsatz von 0.2 bis 0.4% aller betroffenen Eltern, die einen Entscheid anfechten.
Rekurse gegen Übertrittsentscheide der Schulkommissionen im Kanton Bern
2003 2004 2005 2006 2007
Total Rekurse 37 27 20 28 37
In % der Schülerschaft
des 6. SJ 0.4% 0.3% 0.2% 0.3% 0.4%
Zu Frage 2:
Zur Zahl der Schülerinnen und Schüler, welche pro Jahr von einer Sekundarklasse in eine Realklasse wechseln müssen, gibt die folgende Tabelle Auskunft. Insgesamt sind es 114 Kinder (0.6 Prozent) von insgesamt 19’771 Schülerinnen und Schüler. Ob diese Wechsel auf einen falschen Übertrittsentscheid zurückzuführen sind, oder ob andere Gründe wie z.B. Entwicklungsprobleme der Grund sind, ist nicht festzustellen. Wichtig ist auch die Aussage, dass fast 99 % der Schülerinnen und Schüler keinen Wechsel des Schultyps erleben.
Niveauwechsel Sekundarstufe I
Wechsel Sek ->
Real
Kein Wechsel Wechsel Real ->
Sek
TOTAL
Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl %
TOTAL Schülerinnen und
Schüler 114 0.6% 19’519 98.7% 138 0.7% 19’771 100.0%
Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, welche das siebte Schuljahr in den Sekundarklassen wiederholen, oder durch eine Repetition des 7. Schuljahres auf das Sekundar- bzw. spez. Sek. Niveau wechseln, beträgt 237 Kinder, das sind rund 2.3%. Hier wird die vom Gesetzgeber gewünschte Durchlässigkeit spürbar, die es Kindern, die etwas
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später den „Knopf öffnen“ ermöglicht, auch nach erfolgtem Übertrittsverfahren noch in den höheren Schultyp zu wechseln.
Zu Frage 3:
Im Rahmen von BIVOS gibt es keine Möglichkeit, wieder eine „Sekprüfung“ einzuführen.
Die Teilnahme an den Testverfahren im Projekt BIVOS ist freiwillig und betrifft vorerst nur das 8. und das 9. Schuljahr. Im Zusammenhang mit den Bildungsstandards, welche durch die Harmonisierung der Volksschule (HarmoS-Konkordat) entstehen, werden im 6.
Schuljahr Kompetenzmessungen durchgeführt. Diese werden jedoch kaum für einen Übertrittsentscheid beigezogen, da sie nicht flächendeckend vorgesehen sind.
Der Regierungsrat anerkennt die belastende Situation für Lehrpersonen bei Einigungsgesprächen. Für die Überarbeitung des Verfahrens sollen jedoch auch die anderen bereits erwähnten unbefriedigenden Aspekte des Verfahrens - wie die Dauer und der fehlende Objektivierungsaspekt - verbessert werden. In diesem Sinne wird im Projekt
„Optimierung der Sekundarstufe I“ die Möglichkeit einer Prüfung, bei Uneinigkeit zwischen Lehrperson und Eltern über die Zuteilung des Kindes, diskutiert. Daneben sind jedoch, wie bereits eingangs erwähnt, auch andere Optionen möglich.
An den Grossen Rat