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Archiv "Psychosomatik aus der Sicht des Theologen" (08.04.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Kein Geringerer als der Atomphysi- ker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg hat auf die Ergän- zungsfunktion von Naturwissen- schaft und Religion hingewiesen:

„Obwohl ich... von der Unangreif- barkeit der naturwissenschaftli- chen Wahrheit in ihrem Bereich überzeugt bin, so ist es mir doch nie möglich gewesen, den Inhalt des religiösen Denkens einfach als Teil einer überwundenen Bewußt- seinsstufe der Menschheit abzutun, als einen Teil, auf den wir in Zu- kunft zu verzichten hätten. So bin ich im Lauf meines Lebens immer wieder gezwungen worden, über das Verhältnis dieser beiden geisti- gen Welten nachzudenken; denn an der Wirklichkeit dessen, auf das sie hindeuten, habe ich nie zwei- feln können" (aus der Rede vor der Katholischen Akademie in Bayern bei der Entgegennahme des Roma- no-Guardini-Preises am 23. März 1973 in München). Im Anschluß an diese Gedanken Heisenbergs und im Sinne echter „Partnerschaft"

von Medizin und Theologie seien im folgenden zum Thema „Psy- chosomatik" einige Gedanken aus der Sicht des Theologen ausge- führt.

Auf vielen Seiten berichten die Evangelien von den Krankenheilun- gen Jesu Christi. Diese Heilungs- wunder sind Zeichen und Machter- weise Gottes, zugleich aber auch Zeugnisse und Machterweise des Glaubens an ihn. Jesus wurde zum Arzt der Krankheiten und Gebre- chen der Menschen, um sich als Retter ihres ganzen Lebens glaub- haft zu machen. Jesus bringt den Anfang der Vollendung des Men- schen. Es geht ihm darum, die eschatologische Wende zu verhei-

ßen. Jesus läßt deshalb gerade auch durch die Krankenheilungen den endgültigen Zustand der Voll- endung von Zeit zu Zeit aufleuch- ten. Die Überwindung der Krank- heiten ist ein Teil der Befreiung des Menschen von der Knecht- schaft des Bösen. Das äußere Kranksein ist für Jesus Zeichen des inneren Gebrechens, die äuße- re Heilung ist Sinnbild der inneren, übernatürlichen Heilung. Bevor Je- sus den Leib des Kranken gesund macht, heilt er dessen Seele. Er sagt: „Deine Sünden sind dir ver- geben" (Mt 9,2). Der Kranke ist für Jesus nicht nur ein kranker Körper, sondern Mensch aus Leib und See- le. Die Sorge Jesu um den Kranken gehört deshalb dem „ganzheitli- chen" Menschen, seiner leiblich- seelischen Einheit.

Diese von Jesus und von der Schrift bezeugte Einheit des Men- schen aus Leib und Seele lehrte und verteidigte die Kirche (Konzil von Vienne 1312, DS 900) gegen- über allen dualistischen Tendenzen innerhalb und außerhalb ihrer Ge- meinschaft. Aus der Seinseinheit von Leib und Seele folgt die durch- gängige Wirkeinheit alles leibli- chen und seelisch-geistigen Ge- schehens sowie die wechselseitige Beeinflussung von Leib und Seele, so daß jede Tätigkeit des Men- schen ein Handeln des ganzen Menschen ist. Diese substantielle Einheit zwischen Seele und Leib umfaßt sehr viel mehr als eine blo- ße funktionelle Beziehung beider zueinander.

Die Kirche weiß um das Faktum der psychosomatischen Wechsel- wirkungen. Sie hat, sei es als Gan- zes, sei es in einigen charismatisch

Wechselbeziehungen zwi- schen ärztlichem und prie- sterlichem Handeln sind Ge- genstand dieses Artikels ei- nes (katholischen) Theolo- gen. Der Autor weist einmal auf die Ergänzungsfunktion hin, die Religion gegenüber der Medizin hat. Er steckt an- dererseits aber auch für den Theologen Grenzen ab, um so der Gefahr zu begegnen, daß Theologen den Medizi- nern „ins Handwerk pfu- schen". Der Artikel geht auf eine Predigt zurück, die vor Teilnehmern des Sommer- Kongresses 1975 in Grado gehalten worden ist. Dieser lief unter dem beziehungsrei- chen Grundthema: „Das Leib-Seele-Problem in der ärztlichen Praxis". Der Pre- digttext wurde vom Autor auf Wunsch der Redaktion über- arbeitet.

Begabten, sehr vieles von dem, was heute zur Psychotherapie und zur psychosomatischen Medizin gehört, implizit und unsystematisch praktiziert, zu Zeiten, die eine wis- senschaftlich fundierte Psychothe- rapie noch nicht kannten. Es kann hier nur angedeutet werden, welch ungeheurer Schatz an Wissen und Erfahrung u. a. niedergelegt ist in den aszetisch-mystischen Schrif- ten.

Der geläuterte Geist, das gereinig- te Herz, der gnadenerfüllte Sinn ist Quelle der Hilfe auch für den Leib.

Alle Ordnung im seelisch-geistigen Bereich des Menschen fördert zu- gleich die Ordnung seines Bios, alle Unordnung seiner Seele be- droht zugleich seinen Leib. Diese Tatsache, die auch durch die ärztli- che Erfahrung Bestätigung findet, gewinnt an Tiefe auf dem Hinter- grund der Krankenheilungen Jesu, die verbunden sind mit der Mah- nung: „Geh hin in Frieden, aber sündige fortan nicht mehr!" (Joh 5,14). Man darf diese Mahnung Jesu sicher auch deuten als Hin-

Psychosomatik

aus der Sicht des Theologen

Karl Heinz Braun

1038 Heft 15 vom 8. April 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen Psychosomatik aus theologischer Sicht

weis darauf, daß die Krankheit ihre Ursache in der Sünde hat; daß Krankheit und Sünde miteinander in Verbindung stehen, wie auch körperlich-seelische Heilung und transzendentes Heil einen engen Zusammenhang aufweisen. Die Krankheit ist als Unordnung durch die erste Sünde der Menschen in die Welt gekommen, und sie bildet fortan eine Erscheinungsform der Sünde in der Welt. Der Mensch verspürt so auch im körperlichen Bereich, daß er sich durch die Sünde von Gott, dem Quell des Le- bens, getrennt hat. Carl Gustav Jung findet — das sei in diesem Zusammenhang kurz eingeblendet

— bei der Erforschung des kollek- tiven Unbewußten seiner Kranken die Erinnerung an eine Verirrung am Urbeginn der Menschheit. Eine Tatsache, welche die Aussage der Theologie unterstreicht, daß das Heils- und Unheilsgeschehen eines Menschen letztlich in die große Heils- und Unheilsgeschichte der Menschheit einmündet, von der die Heilige Schrift handelt.

Kein grundsätzlicher Kausal- zusammenhang Sünde—Krankheit Krankheit ist in jedem Fall Folge der Ursünde, sie kann aber in ein- zelnen Fällen auch Folge der per- sönlichen Sünde eines Menschen sein. Aber nicht jede Krankheit wurzelt in der individuellen Schuld gerade dieses kranken Menschen.

Denn im Kranksein trägt der Mensch die Schuld der Stammel- tern und Vorfahren und nicht sel- ten auch die Schuld seiner Umge- bung, die ihm die materiellen und geistig-seelischen Voraussetzun- gen zum Gesundsein verweigert.

Jesus lehnt darum einen notwendi- gen unmittelbaren und in jedem Fall gültigen Kausalzusammenhang zwischen persönlicher Sünde und Krankheit ab. „Weder er noch sei- ne Eltern haben gesündigt, son- dern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden", sagt Jesus bei der Heilung eines Blinden (Joh 9,3). Das Kreuz der Krankheit ist auch unter Heiligen und Frommen als Prüfung in Glaube, Hoffnung

und Liebe errichtet — als Geheim- nis, das über die Ordnungen des Nur-Rationalen und Nur-Biologi- schen hinausreicht und sich inner- weltlicher Aufhellung entzieht.

Unbeschadet dieser Wahrheit, wel- che die Vielschichtigkeit des Pro- blems der Krankheit andeutet und auch verbietet, in psychosomati- schen Störungen den Prototyp der Erkrankungen des Natur- und Gei- steswesens Mensch zu sehen (vgl.

F. Büchner, Vom geistigen Standort der modernen Medizin, Freiburg 1957), lassen sich Gesundheit und Krankheit aber durchaus auch — wie einige Krankenheilungen Jesu zeigen — in Beziehung setzen zur geistig-seelischen Ordnung eines Menschen. Jesus sieht in bestimm- ten Einzelfällen einen Zusammen- hang zwischen Krankheit und indi- vidueller Schuld (vgl. Mk 2,5; Joh 5,14). Wann aber beim einzelnen Kranken das eine nur — nämlich Krankheit als Folge der Ursünde — und wann auch das andere — nämlich Krankheit als Folge der Ursünde und persönlicher Fehlhal- tung — zutrifft, ist im konkreten Fall nicht ohne weiteres offenkun- dig. Oft mag es wohl so sein, daß die Krankheit von beidem etwas an sich trägt, daß beides — nämlich Ursünde und persönliche Schuld

— zu einem unübersehbaren Ge- strüpp verflochten ist — zu einem Gestrüpp, angesichts dessen die Mahnung Jesu an die Geheilten:

„Geh hin und sündige fortan nicht mehr" im Falle psychosomatischer Erkrankungen auch so gedeutet werden darf: Geh hin und gib dei- nen Widerstand gegen Gottes- und Nächstenliebe auf! Gib deinen Pro- test gegen Gott auf! Gib deine Zer- strittenheit mit dir selbst, mit dei- nen Mitmenschen, mit deiner Um- welt auf! Mit einem Wort: Gib deine Ichverstrickung auf!

Hier ist ein Punkt, wo sich Glaube, Theologie mit dem trifft, was die Erfahrung der psychosomatischen Medizin bestätigt. Nämlich: Neuro- tische und psychosomatische Krankheiten beruhen im letzten zu- meist auf einer — für den betref- fenden allerdings nicht unmittelbar

einsichtigen — Ichverstrickung.

Der kranke Körper als Ausdrucks- organ abgeschobener seelischer Konflikte zeigt, daß das Leben des Kranken nicht bedingungslos unter der Herrschaft Gottes steht, daß der Kranke vielmehr um sich selbst kreist, sich in sich selbst verstrickt hat. Infolge des gestörten Grund- verhältnisses zwischen Geschöpf und Schöpfer fällt der Mensch so auch aus der bergenden und tra- genden Ordnung Gottes heraus. Er fällt hinein in die „Unordnung" und Disharmonie, und lebt sein ver- krampftes Eigenleben zu seinem eigenen Elend. So ist jede Sünde letztlich auch ein Angriff auf die Gesundheit.

Die Heilung des in seiner Ordnung und Harmonie gestörten Men- schengeschlechtes erwartet der Christ in der Fülle erst in der kom- menden Weltzeit. Aber es gehört zum Glauben und zur Weisheit der Kirche, daß „jetzt" schon die ge- heiligte und geläuterte Geistseele in dem von Gott gesetzten Maß auch dem Leib zur Hilfe wird. Alle christlichen Jahrhunderte wußten, daß der Glaube Heilkraft hat, weil und insofern er den ganzen Men- schen erfaßt, weil und insofern der Glaube heilungsfördernde und hei- lende Zustände bewirkt — Zustän- de also, die sich, angefangen vom Bereich einfachster psychosomati- scher Mechanismen, bis in die Tie- fenschichten der Person, wo der Glaube seinen eigentlichen Ort hat, erstrecken. Es muß wohl nicht be- tont werden, daß diese Feststellung keineswegs unkritische Ersetzung oder Reduzierung der Glaubens- wahrheiten durch bzw. auf psycho- logische Inhalte bedeutet. Denn bei aller psychologischen Erklärbar- keit behalten diese vom Glauben initiierten seelischen Geschehnisse und ihre Auswirkung auf den Kran- ken eine letzte Unableitbarkeit.

Diese wurzelt in der Individualität des je konkreten Menschen und in seinem einzigartigen persönlichen Angesprochensein von Gott. Wir stehen hier vor Gegebenheiten, die auch die ausgeklügeltste Psycholo- gie nicht adäquat erfassen und ein- deutig steuern kann. Eben dies be-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 8. April 1976 1039

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Psychosomatik aus theologischer Sicht

rechtigt den Glaubenden, sein Heil- werden auch als Gnade Gottes zu verstehen und manchmal sogar als Wunder.

Glaube hat

auch eine therapeutische Funktion Man braucht sich nicht nur auf die in der Heiligen Schrift bezeugten Krankenheilungen zu berufen, um zu sehen, daß der Glaube auch eine therapeutische Funktion aus- übt. Carl Gustav Jung und viele an- dere Therapeuten haben auf die religiöse Wurzel vieler Fehlformen hingewiesen. Sie haben festge- stellt, daß die Heilung merklich be- günstigt und beschleunigt wurde von dem Zeitpunkt an, wo man die die Wirksamkeit der religiösen Funktion hemmenden Hindernis- se im Kranken beseitigt hat. Jung greift zur letzten Erklärung der Neurosen immer wieder auf die na- turhaft starke religiöse Anlage des Menschen zurück, deren Vernach- lässigung sich irgendwo rächen muß. Die Erfahrung unserer Tage bestätigt in zunehmendem Maß die Angemessenheit einer Aussage Jungs: „Es scheint mir, als ob par- allel mit dem Niedergang des reli- giösen Lebens die Neurosen sich beträchtlich vermehrt haben"

(nach Anima 5/1950, S. 25).

Wenn wir hier von religiösem Le- ben sprechen, so ist damit die starkä, schöpferische Religion ge- meint. Sie vermag die neurotisie- renden Faktoren des Lebens zu be- schwichtigen und diese umzuset- zen in sozial hochwertige Energi- en. Sie kann die Seele wahrhaft befreien und erheben, während niedere Weisen der Religion, pseu- doreligiöse Ersatzformen, das Ge- genteil bewirken. Dies trifft zu, wenn zum Beispiel eine pseudo- heroische Einstellung oder sadi- stisch-masochistische Verliebtheit in Leid und Krankheit nicht als Ver- sagensformen entlarvt, sondern mit religiösen Motiven verbrämt wer- den.

Der mit der religiösen Fehlhaltung verbundene Sinnverlust des Le-

bens führt vermutlich, wie Viktor Frankl nachgewiesen hat, weit häu- figer zu Erkrankungen, als selbst die Betroffenen annehmen. Vieler Menschen Krankheit ist heute die Angst — „Angst ohne Namen" als Ausdruck der Hilflosigkeit gegen- über der zunehmenden Verände- rung der gesamten Lebensumstän- de und dem prometheischen tech- nischen Fortschritt. Der Kranke braucht darum über allen vorläufi- gen Beistand hinaus jene Hilfe, die seinem ganzen Leben wieder Heil, Sinn und Vertrauen gibt, jene

„Macht", die ihn mit Gott, seinem Ursprung und Ziel, versöhnt. Diese Macht aber ist der Glaube — der Glaube, der die Erfahrungsmög- lichkeiten der Vernunft und des Ra- tionalen übersteigt und die letzte Seinsgewißheit, das „Urvertrauen"

schenken, wiedererwecken, bestä- tigen oder vertiefen kann.

Hier zeigt sich, wie Viktor Frankl einmal bemerkt, daß „die Religion ... unvergleichlich viel beitragen kann zur Erhaltung des seelischen Gleichgewichts; so, daß sie dem Menschen eine geistige Veranke- rung und Geborgenheit bietet, die er anderswo schlechterdings nir- gends zu finden vermöchte..."

(Viktor Frankl, Psychotherapie für jedermann, Freiburg/Brsg. 1971, S.

162).

Bemerkenswert ist in diesem Zu- sammenhang die Feststellung ei- nes Altmeisters der Theologie:

„Wir wissen zwar, daß auch Heilige krank sein können und daß sogar der Prozeß des Heiligwerdens ge- sundheitsgefährdend sein kann, so wie jede radikale geistig-personale Leistung die harmlose vitale Unver- sehrtheit des Menschen bedroht.

Aber dort, wo der Glaubende der völlig Glaubende ist,... verliert die Krankheit, wenn sie bleibt, den Charakter der ausweglosen Sinnlo- sigkeit, und es ist die beste Vor- aussetzung gegeben, sie zu über- winden" (Karl Rahner, in: Schriften zur Theologie, Einsiedeln 1964, Bd.

V, S. 523) — sie zu überwinden auch im Sinne einer medizinischen Heilung.

Wechselbeziehungen Arzt—Seelsorger

Glaube und Gesundheit — dies darf zusammenfassend festgestellt werden — stehen nicht selten in enger Beziehung zueinander. Im Problemkreis dieser lebendigen Wechselbeziehung begegnen sich Arzt und Seelsorger, Kirche und psychosomatische Medizin. Sicher hat Karl Jaspers mit seiner allge- meinen und zeitkritischen Feststel- lung recht, wenn er sagt: „Den Arzt und den Seelsorger zu verwech- seln ist Ergebnis der Glaubenslo- sigkeit" (Studium Generale 1953, S.

443). Aber zwischen Arzt und Seel- sorger gibt es von jeher viele Kom- munikationen und Übergänge. Erst eine rein naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin des vergan- genen Jahrhunderts hat die Ver- bundenheit zwischen dem imma- nenten und dem transzendenten Bereich der Heilung in Frage ge- stellt und aufgehoben. Eine Über- windung dieser kurzsichtigen Tren- nung bahnte sich in unserem Jahr- hundert an durch das Aufblühen der Tiefenpsychologie mit ihren Er- kenntnissen von den psychosoma- tischen Wechselwirkungen. Der Zu- sammenhang zwischen Materiell- Organischem einerseits und Psy- chischem, Geistig-Transzendentem andererseits ist wieder aktuell. Hier vor allem kann das zwischen Medi- zin und Theologie zu beider Scha- den unterbrochene Gespräch über den Menschen weitergeführt wer- den. Dabei gälte es, den Zusam- menhang von Seelsorge und mo- derner medizinischer Therapie neu zu verstehen.

Leider gibt es — mit Ausnahme der USA und Frankreich — noch nicht viele permanente Institutio- nen, in denen eine Zusammenar- beit zwischen Therapeuten und Medizinern einerseits sowie Theo- logen und Seelsorgern anderer- seits kontinuierlich geleistet wird.

In Deutschland stehen wir mit ver- gleichbaren Bestrebungen erst am Anfang. Abgesehen von den an ei- nigen Orten praktizierten Fallbe- sprechungen im Team von Ärzten und Seelsorgern wären hier u. a. zu

1040 Heft 15 vom 8. April 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Psychosomatik aus theologischer Sicht

nennen die sogenannte klinische Seelsorgeausbildung (sie ent- spricht der amerikanischen Seel- sorgebewegung Clinical Pastoral Education: vgl. Evangelische Aka- demie in Hessen und Nassau, Heft 98, Frankfurt 1972), Balintgruppen mit Theologen im Sigmund-Freud- Institut in Frankfurt/M. (vgl. Her- mann Argelander, Konkrete Seel- sorge, Kreuz Verlag Stuttgart 1975).

Erst jüngst wurde wieder — auf der 20. Konferenz der „Arbeitsge- meinschaft der evangelischen Krankenhauspfarrer in Bayern" in Hohenbrunn in diesem Sommer — betont, wie wichtig die Zusammen- arbeit von Arzt und Seelsorger am Krankenbett ist. In dem anzustre- benden „Teamwork" von Ärzten, Schwestern und Sozialarbeitern dürfe auch der Seelsorger nicht fehlen. Ansätze hierfür seien be- reits in einigen Kliniken gemacht worden, so in den Universitätsklini- ken von Heidelberg oder in der Ab- teilung für innere Medizin in Ulm.

Die in den Vereinigten Staaten ar- beitende Ärztin Elisabeth Kübler- Ross, die durch ihr Buch „Inter- views mit Sterbenden" Aufsehen erregte, schreibt, der Geistliche

„sollte ein unentbehrliches Mit- glied in jeder Arbeitsgruppe sein, die sich um die totale Betreuung der Patienten kümmert. Wir haben ihn nicht nur für den konfessionel- len Bereich hinzugezogen, sondern als unentbehrlichen Mitarbeiter un- seres interdisziplinären Teams, und zwar mit sehr befriedigenden Ergebnissen".

Grenzen des Seelsorgers

Im gemeinsamen Bemühen um die ganzheitliche Heilung muß der Seelsorger als Partner des Arztes freilich auch die Grenzen seiner Aufgabe und seiner Wirkmöglich- keiten kennen. Er wird bei schwie- rigen Fällen nicht meinen, nach Art eines „Minipsychotherapeuten" al- lein mit religiösen Motiven und Forderungen die Krankheit behe- ben zu können. Die Klage, daß hier oft noch durch unerleuchteten

Seelsorgeeifer gefehlt und die Ge- duld und Verständnisbereitschaft des Arztes bisweilen über die Ma- ßen strapaziert wird, kann nicht verschwiegen werden. Darum sei eindeutig betont:

Die Seelsorge darf „nicht in Kon- kurrenz zu dem funktionellen Ab- lauf des Therapieprogramms ste- hen ... Es geht nicht darum, daß Gott vielleicht doch das noch kann, was der beste Therapeut und Ope- rateur in diesem Krankenhaus nicht mehr schafft, sondern es geht um die Botschaft von dem Gott, der durch dick und dünn mit uns hindurchgeht, durch hell und dun- kel, durch Erfolg und Mißerfolg, der uns führt zur Gesundung und auch durch den Tod hindurch" (Jo- sef Mayer-Scheu, Das seelsorgli- che Gespräch mit Kranken, in: Le- bendige Seelsorge 3/4-1975, S.

179). Im Mittelpunkt der Seelsorge steht das überzeitliche Heil. Die ei- gentliche Funktion des Kranken- seelsorgers ist darum nicht die ei- nes Therapeuten, auch wenn er vertritt, daß Heilung und Heil, The- rapie und Seelsorge zusammenge- hören (vgl. ebd. S. 177).

Das Bemühen der Kirche um eine sach- und zeitgerechte Kranken- seelsorge darf nicht an den FQh- lern einzelner Seelsorger gemes- sen werden, sondern an dem ern- sten Willen vieler Geistlicher und der Pastoraltheologen, die sich in zunehmendem Maß um die Voraus- setzungen für eine fruchtbare Zu- sammenarbeit mit den Ärzten be- mühen.

Die Kirche dankt dem Arzt, dessen Beruf in der Gegenwart körperlich und geistig viel anstrengender ge- worden ist, als er es je in der Ver- gangenheit war. Der christliche Arzt wird in seinem Dienst am Kranken nicht zuletzt sich auch darum mühen, die Harmonie des menschlichen Organismus und die Geöffnetheit der Geistseele zum göttlichen Du wiederherzustellen und zu behüten, weil er den Men- schen auf dem Weg zu Gott weiß, weil er, wie der Freiburger Patholo- ge Franz Büchner einmal sagte,

„täglich in seinem Umgang mit den Kranken, Sterbenden und Toten ...

zu der demütigsten Aussage über den Menschen" kommt. „In seinem Suchen nach Antwort auf die Frage ,Was ist der Mensch?' hört er man- ches gewichtige und erhellende Wort von den Geisteswissenschaft- lern, besonders von den Deutern der Dichtung und von den Philoso- phen. Aber am Ende sagt ihm die Theologie das seiner eigenen Er- fahrung Nächste, nämlich, daß der Mensch von seinen naturhaften Voraussetzungen her nicht restlos zu begreifen ist und daß der Mensch nur zu sich selbst gelangt, wenn in ihm die Hülle des Natur- haften aufgebrochen wird" (Franz Büchner, Vom geistigen Standort der modernen Medizin, Freiburg, 1957, S. 104).

Anschrift des Verfassers:

Dr. Karl Heinz Braun Domkapitular

Äußeres Pfaffengäßchen 8900 Augsburg

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 8. April 1976 1041

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