granten, sondern auch auf viele andere Anwohner des Mittelmeerbereichs zutrifft, seien sie nun Migranten, Asy- lanten oder Flüchtlinge.
Über die Problemlage für die Behandlung in Praxis und Krankenhaus hinaus gibt es eine weitere, nämlich den Be- reich der sozialrechtlichen Begutachtung.
Die statistischen Angaben z. B. hinsichtlich höherem Krankenstand türkischer Ar- beitnehmerinnen oder die höhere Herzinfarktrate bei Männern sollen in ihrer Wer- tigkeit keinesfalls bestritten werden. Andererseits sieht man aber als Gutachter sehr häufig eine „Medikalisierung von Sozialkonflikten“, wobei kulturspezifische Probleme innerhalb der Familienstruk- tur über die medizinischen Versorgungssysteme „abge- wickelt“ werden, wobei ei- gentlich hier eine soziale Be- ratung im weitesten Sinne am Platz wäre. Es ist dann schwer bis unmöglich zu ver- mitteln, dass die zunehmend
chronifizierenden funktionel- len Störungen in der Beurtei- lung des Leistungsvermögens nicht denselben Stellenwert haben wie im subjektiven Er- leben des Betroffenen und seiner Umgebung. Die oft- mals extrem häufigen (und ebenso frustranen wie teu- ren) Untersuchungen ein- schließlich invasiver Diagno- stik tragen, trotz bester Ab- sicht, zu einer iatrogenen Fi- xierung bei. Damit soll kei- nesfalls behauptet werden, dass dies nur für türkische Patientinnen und Patienten gilt. Es scheint mir bedenk- lich, dass in zunehmendem Umfang für soziokulturelle Besonderheiten dieser Be- völkerungsgruppe psychiatri- sche Diagnosen bemüht wer- den. Ein solches Vorgehen führt dann zu der eingangs genannten Medikalisierung von Problemlagen, die ei- gentlich außerhalb medizini- scher Kompetenz und Zu- ständigkeit liegen.
Dr. med. F. Katzenmeier, Gärtnerstraße 12 a, 86153 Augsburg
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A1864 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003
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irgo Supercluster heißt die dritte und neueste CD des United Women’s Orchestra, die in Koproduktion mit dem Westdeutschen Rund- funk im November 2002 er- schienen ist. Pate für den Titel der CD stand der riesige Galaxiehaufen gleichen Na- mens, dessen Ausmaße so un- vorstellbar sind, dass sich die Milchstraße darin wie ein mi- kroskopisch kleines Stäub- chen ausnimmt. Dieser musi-kalische Wurf ist ohne Zwei- fel der Beginn der unbe- Mannten Raumfahrt im Kos- mos europäischer Big-Band- Tradition, denn das 1992 ge- gründete Orchester besteht ausschließlich aus Frauen und vereint unter der Leitung der Kölnerin Christina Fuchs und der in Arnhem/Niederlande lebenden Engländerin Hazel Leach eine Elite internatio- naler Musikerinnen aus Deutschland, Großbritanni- en, den USA und den Nieder-
landen zu einem spekta- kulären Klangkörper. Sämtli- che Kompositionen stammen aus der Feder der beiden Bandleaderinnen und sind dem Orchester auf den Leib geschrieben, was sich in dem hervorragenden Zusammen- klang der Formation nieder- schlägt. Obgleich beide Kom- ponistinnen recht unter- schiedlichen musikalischen Traditionen verbunden sind, verschmilzt die Musik trotz der stilistischen Vielfalt zu einem großen, homogenen Ganzen. Musikalische Ge- gensätze werden fruchtbar gemacht, das Spektrum be- wegt sich im Spannungsfeld zwischen einem zeitgenös- sisch aufgefassten Swing in der Tradition der Duke El- lington Band über das Spiel mit Rhythmen und Free Jazz
mit Anklängen neuer Musik bis hin zu einer von Kenny Wheeler inspirierten Klang- welt. Stets bleibt der Sound ebenso transparent wie span- nungsreich, durchwürzt mit hervorragenden Soli von großem Erzählreichtum. Be- merkenswert ist neben der Gastsolistin Ingrid Jensen (Trompete und Flügelhorn) auch die Sängerin Céline Ru- dolph, die sich auf den schlich- ten instrumentalen Umgang mit der Stimme ebenso ver- steht wie auf die Interpretati- on poetischer Balladen.
Am Ende der farbenrei- chen akustischen Reise steht eines fest: Diese Klangwelt ist eine Scheibe, und sie swingt doch. Ein galaktisches Ver- gnügen. Elke Bartholomäus
Psychische Krankheiten
Zu dem Leserbrief „Widerspruch“
von Dr. med. Telse Zimmermann in Heft 23/2003:
Widerspruch rechtens
Frau Zimmermann, Sie ha- ben ganz Recht mit Ihrem Widerspruch. Die Begrün- dung, die Frau Bodemar als Leiterin der TK-Landesver- tretung für die Zunahme von Depressionen angibt, wider- spricht den wissenschaftli- chen Erkenntnissen. Ihre Le- bensbeobachtungen entspre- chen im Gegensatz dazu den bekannten Suizidstatistiken.
Im Krieg und in realen Ge- fahrenmomenten, nehmen Depression und Selbstmord- raten deutlich ab.
Die Erklärung für die zuneh- mende Anzahl von diagnosti- zierten Depressionen in der heutigen Zeit ist vielmehr im Konzept des „learned help- lessness“ des Psychologen Martin Seligman zu finden.
Fehlende Möglichkeiten die persönliche Lebenssituation zu beeinflussen, führt zu pas- sivem Verhalten. Die inaktive Einstellung wird auch in Si- tuationen beibehalten, in der Lebensumstände verändern- des Verhalten möglich wäre.
Betroffene Menschen zeigen alle Zeichen einer Depressi- on. Auch wenn die von Ihnen beschriebene Gefangen- schaft und Kriegs- sowie Nachkriegszeiten, scheinbar voller äußerer Einschränkun- gen bestanden, so haben Sie sehr anschaulich beschrie- ben, wie Eigeninitiative auch in den kleinsten Dinge die seelische Gesundheit bewah- ren helfen. Mangelnde An- reize und fehlende Förde- rung der Eigeninitiative zur Überwindung von äußeren Schwierigkeiten „trainieren Hilflosigkeit“ an und führen zu den Symptomen der De- pression. Entsprechen diese Überlegungen auch Ihren Erklärungen?
David Wilchfort, MD,
Ziegelhofstraße 7 a, 81247 München
CD-Kritik
Per Sphärenklang durch die Galaxis Mit dem United Wo- men’s Orchestra unter- wegs im Supercluster
Informationen:
United Women’s Orchestra: Virgo Supercluster. Jazzhausmusik, CD, JHM 123, Köln, 2002. 64:54 Minuten.
www.unitedwomensorchestra.com Vertrieb: www.jazzhausmusik.de
Das United Women’s Orchestra Foto: UWO