Wilhelm Wessel
1904
Geboren in Iserlohn
1924
Zweimonatiger Aufenthalt am Bauhaus in Weimar bei Kandinsky
1924-1927
Reisen durch Kleinasien, Palästina, Nubien, Ägypten und Griechenland
1927-1929
Studium der vorderasiatischen und frühchristlichen Kunst in Berlin; gleichzeitig Studium an der Kunst
hochschule in Charlottenburg
1930
Lehrtätigkeit an der Kunst- und Gewerbeschule Dort
mund; dann Wiederaufnahme des Studiums in Berlin
1931-1939
Lehrtätigkeit an verschiedenen Höheren Schulen
1934
Heirat mit der Malerin Irmgart Zumloh
1939-1945
Militärdienst; nach dem Krieg als freier Maler tätig
1954
Initiator/Teilnehmer der Ausstellung Duitse kunst na 1945 im Stedelijk Museum, Amsterdam
1955
Initiator/Teilnehmer der Ausstellung Peintures et sculp- tures non figuratives en Allemagne d'aujourd'hui im Cercle Volney, Paris
1957
Teilnahme an den Ausstellungen aktiv-abstrakt. Neue Malerei in Deutschland in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München und couleur vivante - lebendige färbe im Städtischen Museum Wiesbaden
1957/58
Teilnahme an der Ausstellung Eine neue Richtung in der Malerei in der Städtischen Kunsthalle Mannheim
1958
Teilnahme an der XXIX. Biennale in Venedig
1971
Gestorben in Iserlohn
Literatur:
Wilhelm Wessel - Bilder 1954-1971, Iserlohn o. J.
Wilhelm Wessel. Bilder 1954-1971, Ausst.-Kat.
Städtische Kunsthalle Mannheim 1977
Wilhelm Wessel. Ausst.-Kat. der Galerie Hachmeister und Schnake, Münster 1982
»Aus dem Westen«. Abstrakte Kunst nach 1945 - verbunden mit dem Ruhrgebiet, Ausst.-Kat. Galerie Heimeshoff - Jochen Krüper, Essen 1994/95
Gemeinsam mit Rolf Cavael, Werner Gilles, K. 0. Götz, Hans Platschek, Johanna Schütz- Wolff, Emil Schumacher, K. R. H.Sonder
borg, Fred Thieler und Heinz Trökes vertrat Wilhelm Wessel die zeitgenössische Malerei der Bundesrepublik 1958 auf der XXIX.
Biennale in Venedig. In programmatischer Weise stellte Biennale-Kommissar Eberhard Hanfstaengl den Werken dieser Künstler eine umfangreiche Sonderschau mit Wer
ken Kandinskys voran, um dessen Bedeu
tung als Inspirationsquelle für das Informel zu veranschaulichen. Parallel war im Zentral
pavillon eine Retrospektive eines anderen Pioniers des Informel zu sehen: Wols. Hanf
staengl bezog sich in der Konzeption des deutschen Beitrags und in der Auswahl der Exponate explizit auf E L. Bayerthal alias Friedrich Bayl, der im Vorjahr in München die Ausstellung aktiv-abstrakt. Neue Male
rei in Deutschland organisiert und darin erstmals Kandinsky, Wols und Hartung als wichtige Impulsgeber des Informel heraus
gestellt hatte. Zu dieser Zeit galt Kandinsky traditionell als Nestor des Blauen Reiters, nun trat eine neue Sichtweise auf sein Werk hinzu.
Bereits als 20jähriger hatte Wilhelm Wessel Kandinsky kennengelernt, während seines kurzen Aufenthaltes am Weimarer Bauhaus 1924. Doch erst 30 Jahre später, 1953/54, fand er selbst den Weg von der gegen
ständlichen Malerei zur Abstraktion. Bis dahin war für den aus dem westfälischen Iserlohn stammenden, weitgereisten Maler das Vorbild seiner Lehrer Cesar Klein und Karl Hofer maßgeblich gewesen.
Relikt in Weiß, ein Bild aus dem Jahr 1957 und auf den beiden oben erwähnten Aus
stellungen in München und Venedig prä
sentiert, zeigt Wessel auf dem Höhepunkt seiner informellen Phase: Das auf den ersten Blick ganz von der Farbe Weiß domi
nierte Werk entfaltet bei näherer Betrach
tung ein reiches Formen- und Farbenspiel.
Weißer Kunstharz bedeckt fast die gesamte Oberfläche und gibt nur an wenigen Stel
len den Blick auf darunterliegende Farb- schichten aus Rot-, Gelb-, Ocker- und Grau
tönen frei (möglicherweise handelt es sich bei der Untermalung um ein älteres Werk, ein »Relikt« aus dem Atelier). Auf dem Kunstharz liegt eine weitere Schicht: Wessel hat verschiedene Partien der Oberfläche mit Sand bedeckt, diesen mit Weiß über
zogen und dann lange Furchen hineinge
ritzt. Der mehrschichtige Bildaufbau und die nuancenreiche Farbigkeit verleihen dem
Bild eine beeindruckende räumliche Wir
kung. Assoziationen an Naturerscheinun
gen stellen sich ein, Erinnerungen an Eis
kristalle, Eisblumen, schneeverwehte Landschaften. Wessel war ein sensibler und aufmerksamer Beobachter alltäglicher Phänomene, er war für stoffliche Reize unterschiedlicher Materialien äußerst emp
fänglich und unterwarf sie - in seiner Ima
gination ebenso wie auf der Leinwand - umgehend der künstlerischen Metamor
phose. So notierte der Künstler einmal:
»Erdkrumen, Wasserrinnsale, überhäufte Aschenbecher sind mir wichtiger als Gebirge und Küstenstreifen geworden. Sie sind Stoff, Farbe und Form (und mehr als das). Vogelspuren im Schnee, verwitterte Kalksteine, skelettiertes Holz sind erregende Fundstücke, Stimulanzien. Und hiermit beginnt es. Auf der Leinwand ist dann die Erdkrume Krume und mehr als Krume. Und das Mehr entscheidet.«
In Relikt in Weiß manifestiert sich ein Um
gang mit Farbmaterie und kunstfrem
dem Material (Sand), welcher unter den informellen Künstlern am ehesten Emil Schumacher - der im benachbarten Hagen lebende Maler war mit Wilhelm Wessel und seiner Frau Irmgart Wessel-Zumloh gut bekannt - oder Karl Fred Dahmen ver
wandt sein dürfte. Zugleich deutet das Bild auf Wessels »helle Bilder« (ab 1959) vor
aus. Zeitgleich zu ZERO konzentrierte sich Wilhelm Wessel in dieser Serie auf die Farbe Weiß, um in den Schriftbildern und Schriftcollagen ab Anfang der 60er Jahre das Informel endgültig zu überwinden und neue Horizonte für seine Kunst zu er
schließen.
C.Z.
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Originalveröffentlichung in: Zuschlag, Christoph (Hrsg.): Brennpunkt Informel : Quellen, Strömungen, Reaktionen;
[Ausstellung Brennpunkt Informel des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg...], Köln 1998, S. 130