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Archiv "Bundestagswahl 2009: Linke wollen „exklusiven Klub“ der Privatversicherten auflösen" (24.08.2009)

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A 1646 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 34–35

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24. August 2009

E

igentlich wollte er sich ein Jahr berufliche Auszeit gön- nen. Den Campingbus, mit dem es auf Europareise gehen sollte, hat er schon gekauft. Doch dann kam alles ganz anders. Der langjährige Thü- ringer Landesvorsitzende des Deut- schen Gewerkschaftsbundes und Verwaltungsratsvorsitzende der AOK Thüringen, Frank Spieth, zog im September 2005 als parteiloser Ab- geordneter in den Bundestag ein. Er wollte gegen „neoliberale Gesund- heitspolitik“ angehen, sagte der ge- bürtige Wetzlarer damals im Inter- view mit dem Deutschen Ärzteblatt.

In Zeiten einer Großen Koalition sind die Möglichkeiten eines Oppo- sitionspolitikers freilich begrenzt.

Dennoch konnte sich Spieth als ge- sundheitspolitischer Sprecher der

„Linksfraktion“ einen Namen als Experte auf seinem Gebiet machen.

Davon profitiert seine Fraktion.

Denn was die Gesundheitspolitik angeht, haben sich die Linken längst als Teil des Berliner Politikbetriebs etabliert. Fast genüsslich legte Spieth in den vergangenen vier Jah- ren mit einer Vielzahl parlamentari- scher Anfragen an die Regierung die Finger in die Wunde. Mal ging es um die Evaluationsergebnisse von Projekten der integrierten Versor- gung, mal um den Nutzen von Hausarztverträgen – mitunter, sagt er, seien sogar Unionsabgeordnete

dankbar gewesen, dass er noch ein- mal nachgehakt habe.

Hart geht die Linkspartei in ih- rem Programm für die Bundestags- wahl mit der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre ins Gericht. Da- bei deckt sich ihre Lagebeschrei- bung in vielen Punkten auch mit Kritik, die seit Jahren von Ärzten und anderen Leistungserbringern vorgebracht wird. „Die Umstruktu- rierungen im Gesundheitssystem zielten seit den 90er-Jahren darauf ab, es vermehrt privaten Anbietern und den Kapitalmärkten zu öffnen, an den Wettbewerbsinteressen der Wirtschaft auszurichten und Um- verteilung zulasten der gesetzlich Krankenversicherten zu betreiben“,

konstatieren die Linken in ihrem Programm. Und weiter: „Die Versi- cherten werden zusätzlich belastet, die Unternehmen entlastet. Der fi- nanzielle Druck auf Ärztinnen und Ärzte und Krankenhäuser bleibt be- stehen, und damit die Unsicherheit bei den Patientinnen und Patienten, ob sie die medizinisch notwendige Versorgung erhalten.“

Diese Einschätzung der Verhält- nisse dürften viele Ärztinnen und Ärzte teilen, nicht jedoch das Alter- nativkonzept der Linken für die künftige Gesundheitsversorgung.

Dieses läuft auf die Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) hinaus, über die viele nie- dergelassene Ärzte einen Gutteil ih- rer Einnahmen bestreiten.

Doch was will die Linkspartei genau? Wie SPD und Bündnis 90/Die Grünen fordern auch die Linken die Einführung einer Bür- gerversicherung. Einen entspre- chenden Antrag hatte die Fraktion im Mai dieses Jahres erfolglos in den Bundestag eingebracht. Kon- kret will die Linkspartei die gesetz- liche Krankenversicherung (GKV) sowie die Pflegekassen so um - gestalten, dass alle Berufsgruppen und Einkommensarten in die Finanzierung einbezogen werden.

Die Beitragsbemessungsgrenze soll deutlich angehoben und perspekti- visch aufgehoben werden. Bei den Beiträgen aus dem Erwerbseinkom- men sollen die Arbeitgeber wieder die Hälfte der Beiträge zahlen.

Damit unterscheidet sich das Konzept von den Vorstellungen von SPD und Grünen. Zumindest die SPD will die Beitragsbemessungs- grenze erhalten. „In diesem Fall würden sich die Kassenbeiträge ei- nes gutverdienenden Facharbeiters nur auf seinen Facharbeiterlohn be-

„Das Problem ist nicht der Gesundheitsfonds an sich, sondern dessen unsoli- darische Finanzierung.“

Frank Spieth ist seit 2005 Mitglied des Bundestages und dort gesund- heitspolitischer Sprecher der Links- fraktion.

BUNDESTAGSWAHL 2009

Linke wollen „exklusiven Klub“

der Privatversicherten auflösen

Frank Spieth, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, warnt vor ungezü- geltem Wettbewerb und streitet für den Erhalt der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Fotos: Svea Pietschmann

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Heft 34–35

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24. August 2009 ziehen, auch wenn er weitere Ein-

künfte hat. Dafür würde bei den Ge- ringverdienern auch das Zusatzein- kommen bis zur Beitragsbemes- sungsgrenze herangezogen werden.

Das ist ungerecht“, sagt Spieth.

Gravierender noch sind die Un- terschiede zwischen den Bürgerver- sicherungskonzepten in Bezug auf die Zukunft der privaten Kranken- versicherung. Zwar wird der SPD immer wieder vorgeworfen, sie stre- be angesichts der von ihr geforder- ten Einbeziehung der PKV in den morbiditätsorientierten Risikostruk- turausgleich das Ende der Privatas- sekuranzen in ihrer jetzigen Form an. Doch wollen zumindest nach of- fizieller Lesart sowohl SPD als auch Grüne das bisherige Nebeneinander von GKV und PKV erhalten. An- ders die Linken: Fast jeder zehnte Bürger sei privat versichert, rechnet Spieth vor. Die Versicherungsunter- nehmen pickten sich für ihren „ex- klusiven Klub“ die Rosinen heraus.

Wer jung, gutverdienend und ge- sund sei, bekomme günstige Tarife.

„Damit wollen wir Schluss machen.

Private Krankenversicherungen wä- ren in unserem System reine Zusatz- versicherungen für Chefarztbehand- lung oder Einzelzimmerbelegung und als Vollversicherung abge- schafft“, stellt Spieth klar.

Bei vielen Wählern könnten die Linken mit diesen Plänen punkten.

So kommt eine repräsentative Um- frage des Finanz- und Vermögens- beraters MLP unter knapp 2 000 Bundesbürgern zu dem Ergebnis, dass eine relative Mehrheit der Be- völkerung von 49 Prozent sowie 54 Prozent der gesetzlich Versicherten dafür ist, alle Berufstätigen in die GKV einzubeziehen.

Gegen den Strom schwimmen die Linken hingegen mit ihrer Hal- tung zum umstrittenen Gesund- heitsfonds. „Es gab in meiner Frak- tion wie auch bei FDP und Grünen den Reflex, den Fonds per se nie- derzumachen“, berichtet Spieth.

Dies wäre aber Unsinn gewesen.

Der Fonds sei notwendig, um eine Bürgerversicherung einzuführen.

„Das Problem ist nicht der Gesund- heitsfonds an sich, sondern dessen unsolidarische Finanzierung.“ Der Linksfraktionspolitiker sieht Wett-

bewerb im Gesundheitswesen grundsätzlich kritisch: „Zu meinen, der Wettbewerb müsste über allem stehen, ist absoluter Quatsch.“ In ihrem Programm fordern die Lin- ken denn auch, „die Privatisierung von Kliniken und medizinischen Versorgungszentren“ zu stoppen.

Auch sollen „Effektivität und Qua- lität nicht der Wirtschaftlichkeit“

untergeordnet werden.

Von Staatsmedizin hält Spieth je- doch auch nichts. Er verweist auf ein Konzept der Arbeitsgruppe

„Gesundheit“ seiner Fraktion.

Demnach sollen Ärzte, Kassen, Pa- tienten und Versicherte in regiona- len Gesundheitskonferenzen auf Basis einer Gesundheitsberichter- stattung über Gesundheitsziele- und maßnahmen entscheiden. Hierfür soll nach Meinung der Linken ein

regionales Gesundheitsbudget zur Verfügung stehen.

Spieth setzt auch sonst auf die Kompetenzen der Akteure im Ge- sundheitswesen. Mittlerweile ge- hört der altgediente Selbstverwalter in Diskussionsrunden mit Gesund- heitspolitikern der anderen Parteien zu den entschiedensten Verteidigern des Systems der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Die ärztli- chen Körperschaften stünden im Moment mit dem Rücken zur Wand, weil viele Ärzte der Meinung seien, sie könnten durch Selektivverträge mehr für sich erwirtschaften. „Da- mit setzen sie die Existenz der ärzt-

lichen Selbstverwaltung und der Kollektivverträge aufs Spiel. Viele Ärzte werden bald sehen, dass sie damit schlechter fahren.“

Ein Dorn im Auge ist ihm der auf Betreiben der CSU neugefasste Pa- ragraf 73 b SGB V, der dem Deut- schen Hausärzteverband faktisch ein Verhandlungsmonopol mit den Kassen für den Abschluss von Hausarztverträgen einräumt. „Der Deutsche Hausärzteverband ist eine private Vereinigung, die ausschließ- lich ein Interesse daran hat, ihre Mitglieder zu vertreten und sonst nichts. Der Verband trägt keine Ver- antwortung für die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung.“

Mit ursächlich für die schwierige Lage der KVen sind nach Auffas- sung des Gesundheitspolitikers auch Ungerechtigkeiten bei der Ho- norarverteilung. „Warum streicht ein Radiologe so viel mehr ein, als ein Hausarzt?“, fragt er. Ein Radio- loge sollte für seine höheren Praxis- kosten mehr Geld erhalten. „Aber selbst wenn man die Praxiskosten abzieht, bekommt ein Radiologe aktuell das Doppelte von dem, was ein Hausarzt verdient.“ Es müssten Angleichungen vorgenommen wer- den, damit junge Ärzte bereit seien, hausärztlich tätig zu werden.

Als Alternative schlägt Spieth ein denkbar simples Konzept mit Einheitshonoraren ergänzt durch ei- ne leistungsbezogene Zusatzvergü- tung vor. Demnach soll die Gesamt- vergütung durch die Anzahl der Ärzte geteilt werden. Dadurch stün- den für jeden Arzt etwa 10 000 Eu- ro zur Verfügung. Davon würden die Ärzte 7 000 Euro als festes Ho- norar erhalten und bis zu 3 000 Eu- ro erfolgsorientiert.

Schwer vorstellbar, dass Spieths Vorstellungen in nächster Zeit Rea- lität werden könnten. Trotzdem – wenn es nach ihm ginge, würde er gerne weitere vier Jahre für seine Ideen streiten. „Ich habe Blut ge- leckt“, sagt er mit Blick auf die ver- gangene Legislaturperiode. Entge- gen seinen ursprünglichen Plänen kandidiert er erneut für den Bun- destag. „Werde ich gewählt, wird die Campingtour noch einmal ver- schoben“, sagt er. ■ Samir Rabbata

„Zu meinen, der Wettbewerb müsste über allem stehen, ist absoluter Quatsch.“

P O L I T I K

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