DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DER KOMMENTAR
3
n den Parteien wächst die Nei- gung, das beitragsbezogene Rentensystem durch eine Grundsicherung in Höhe der So- zialhilfe zu ergänzen. Für eine Art Mindestrente hat sich die SPD in ihrem Entwurf für ein neues so- zialpolitisches Grundsatzpro- gramm ausgesprochen. Eine Auf- stockung niedriger Renten auf das Niveau der Sozialhilfe — etwa 800 DM für Alleinstehende und 1200 DM für Verheiratete — wird aber auch von einflußreichen Politikern der Koalition, wie dem Berliner Sozialsenator Ulf Fink (CDU) und der Bundestagsabgeordneten Irm- gard Adam-Schwaetzer (FDP), be- fürwortet. Die Pläne der SPD grei- fen allerdings wesentlich weiter, da in die Grundsicherung nicht nur die Rentner und deren Hinter- bliebene, sondern auch die Ar- beitslosen einbezogen werden sollen. Durch diese aus Steuergel- dern zu finanzierenden Zuschläge zur Rente und zum Arbeitslosen- geld soll die Inanspruchnahme der Sozialhilfe überflüssig werden.Fink spricht davon, die „ver- schämte Armut" beseitigen zu wollen. Viele Rentner scheuten sich, Sozialhilfe zu beantragen, auf die sie einen Rechtsanspruch hätten. Allen Überlegungen ge- meinsam ist die Absicht, auf diese neue Leistung andere Einkommen und Vermögen anzurechnen. Eine solche Ergänzung des Rentensy- stems müßte das Versicherungs- prinzip weiter aushöhlen. Die vor- gesehene Einkommens- und Ver- mögensanrechnung bei der Be- messung der Grundsicherung in jedem Einzelfall würde die Ren- tenversicherung und die Arbeitslo- senversicherung mit einem kaum zu bewältigenden bürokratischen Aufwand belasten; die Versiche- rungsträger würden zu Sozialäm- tern umfunktioniert, ohne die So- zialhilfe überflüssig zu machen.
Das hat auch Arbeitsminister Blüm veranlaßt, sich entschieden gegen jede Art von Grundrente oder Min- destrente auszusprechen.
Der von der SPD vorgelegte Plan für die Einführung einer Grundsi- cherung unterscheidet sich we-
Grundsicherung, Grundrente,
Mindestrente
Vorschläge aus den Parteien:
Der Programmentwurf der SPD
sentlich von den Vorschlägen der CDU-Politiker Biedenkopf und Miegel sowie der Grünen für ein allgemeines, aus Steuermitteln zu finanzierendes Grundrentensy- stem. Biedenkopf und die Grünen plädieren für die Einheitsrente an alle Bürger, und zwar unabhängig von deren sozialer Lage. Aller- dings gibt es auch zwischen Bie- denkopf/Miegel und den Grünen wichtige Unterschiede, die sich nicht nur auf die Höhe der Grund- rente beziehen. Die Grünen möch- ten die Grundrente durch eine um- lagefinanzierte Zusatzrente ergän- zen, während Biedenkopf auf die private Kapitalbildung setzt. Die Pläne für eine Grundsicherung müssen im Zusammenhang mit dem Gesamtkonzept für die So- zialversicherung gesehen werden.
Neben den Vorschlägen für die Krankenversicherung, über die in der letzten Ausgabe berichtet wur- de, sind vor allem folgende Forde- rungen der SPD von Bedeutung:
Alterssicherung: Die Bundesan- stalt für Arbeit soll verpflichtet werden, für die Arbeitslosen wie- der den vollen Rentenbeitrag zu zahlen. In der Rentenanpassungs- formel soll das demographische Risiko berücksichtigt werden;
werden Beitragserhöhungen be- schlossen, so mindert sich auch der Rentenanpassungssatz. Der Beitragssatz soll nach dem Fi- nanzbedarf festgelegt werden. In der Rentenversicherung würde damit die ausgabenorientierte Ein- nahmepolitik gelten. Beitragser- höhungen sollen auch zu einer Er-
höhung des Bundeszuschusses führen. Alle Selbständigen sollen in die Versicherungspflicht einbe- zogen werden. Eine Doppelversi- cherung in der gesetzlichen Ren- tenversicherung und den beruf- ständischen Versorgungswerken soll ausgeschlossen werden, ein Vorschlag, der den Versorgungs- werken auf längere Sicht die Grundlage entziehen müßte. Die Grundsicherung soll auch auf die- ses privat finanzierte System über- tragen werden. Für die Beamten wird der Vorschlag gemacht, schrittweise die Beitragszahlung einzuführen, verbunden mit einem sozialen Ausgleich für die unteren Besoldungsgruppen.
Wertschöpfungsbeitrag: Der Ar- beitgeberbeitrag zur Sozialversi- cherung soll durch eine Abgabe auf die Bruttowertschöpfung der Betriebe ersetzt werden. Die Bei- tragsbelastung würde sich also
nicht nur nach den gezahlten Löh- nen richten, sondern auch die ka- pitalbezogenen Komponenten der Wertschöpfung erfassen. Die Ab- gabe wäre auch von den Selbstän- digen zu entrichten. Daneben ha- ben die Selbständigen allerdings an die Sozialversicherung nur ei- nen einkommensbezogenen Bei- trag in Höhe des Arbeitnehmeran- teils abzuführen. Mit dem Wert- schöpfungsbeitrag würde also der Arbeitgeberanteil abgegolten.
Sicherung bei Invalidität: Die ge- setzliche Unfallversicherung soll zu einer allgemeinen, obligatori- schen Invaliditätsversicherung für die gesamte Bevölkerung erwei- tert werden. Arbeitnehmer und Selbständige werden darin bei- tragspflichtig versichert; alle Nichterwerbstätigen, wie Haus- frauen und Kinder, sind beitrags- frei versichert. Die Gewährung von Leistungen wird nicht mehr davon abhängig gemacht, was für die In- validität ursächlich ist. Die Unfall- ursache bleibt allerdings für die Höhe der Rentenleistungen maß- geblich. Berufsunfälle werden nach heutigem Recht entschädigt.
Berufs- und Erwerbsunfähigkeits- renten, denen eine Beitragslei- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 12 vom 19. März 1986 (27) 779
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
SPD: Renten DIE GLOSSE
stung zugrunde liegt, richten sich nach dem heutigen Rentenrecht.
Alle anderen Unfallrenten entspre- chen der Höhe der vorgesehenen Grundsicherung, die nach den Vorstellungen der SPD heute min- destens 900 bis 1000 DM monat- lich für den Alleinstehenden betra- gen müßte. Die private Kraftfahr- zeug-Haftpflichtversicherung für Personenschäden soll nach den Vorstellungen der SPD in diese neue Sicherungseinrichtung ein- gebracht werden. Ein Teil der Mi- neralölsteuer soll dafür an die In- validenversicherung abgeführt werden.
Pflegefall: Die SPD tritt auch dafür ein, daß Risiko des Pflegefalles über eine allgemeine und eigen- ständige Pflichtversicherung aller Bürger abzusichern. Als Alternati- ve wird ein Bundespflegegesetz angesehen.
Behinderte: Für alle Behinderten soll ein einheitliches Leistungs- recht geschaffen werden. Eine einheitliche Organisation soll für die gesamte medizinische, beruf- liche und soziale Rehabilitation zuständig werden.
Die SPD sagt, daß dieses Pro- gramm, für dessen Verwirklichung zehn bis 20 Jahre angesetzt wer- den, nicht zu Mehrbelastungen führen werde. Dem Programm- Entwurf sind aber keine Finanzbe- rechnungen beigefügt worden, was darauf schließen läßt, daß die Partei- und Sozialstrategen entwe- der keine konkreten Vorstellungen über die finanziellen Konsequen- zen ihres Programms haben oder diese verschweigen wollen. Es heißt nur, daß der umfangreiche Katalog der vorgesehenen Lei- stungsverbesserungen durch Um- schichtungen im Abgaben- und Leistungssystem zu finanzieren sei. Über die notwendigen Um- schichtungen wird aber nichts ge- sagt. Das läßt darauf schließen, daß die SPD die Umverteilung der Einkommen weiter verschärfen will. Die Programm-Utopie der SPD zielt also auf Nivellierung und auf die nächsten Wahlen. wst
PR für Ärzte
Nach der ärztlichen Berufsord- nung ist jegliche Werbung und An- preisung untersagt. Für Praxis- schilder, Briefköpfe und Visiten- karten gibt es genaue Vorschrif- ten. Was macht der Arzt, der be- kannt werden will? Natürlich keine Werbung, das ist unfein! Er macht PR. — Der Unterschied? Werbung ist, wenn man selbst klappert, PR, wenn andere für einen klappern.
Gleichschritt
Also, zu den sprachlichen Glanz- leistungen gehörte der alte „Rei- bert" (die Heeresdienstvorschrift vergangener Zeiten, zackzack ge- kürzt: HDV), gewiß nicht. Aber die Abfolge von „Ankündigungs-"
und „Ausführungs-Kommando"
konnte wohl auch der Dümmste verstehen: „Liiiiied — aus!"; „Ab- teiluuuuung — halt!"
Heute heißt das „verbale Stimuli", und diese „bestehen aus kurzen, aber klaren Kommandos (Aktions- kommando), die durch ruhige ver- bale Information (Präparations- kommando) vorbereitet werden."
So etwas hat eben der alte Reibert noch nicht gewußt, zum Beispiel, daß diese „verbalen Stimuli" zu-
Wie läuft das? Nun, der marketing- bewußte Arzt stellt zunächst mal Kontakt zum Lokalreporter her.
Natürlich behutsam und mit psy- chologischem Einfühlungsvermö- gen. Dann inszeniert er PR-trächti- ge Aktionen, die der örtlichen Zei- tung rechtzeitig „gesteckt" wer- den.
Wenn Dr. X. etwa einen prominen- ten Mitbürger behandelt und die- ser sich lobend in der Presse äu- ßert, so kann ihm kaum einer. Das gleiche gilt, wenn Dr. X. am füh- renden Geschäft einkauft und das Lokalblatt unter „ganz privat" dar- über berichtet.
Bald liest jeder: Dr. X. gibt eine Kindergartenspende da, unter- stützt dort die Aktion Sorgenkind, besucht hier mit dem Bürgermei- ster das Heimatmuseum ...
Folge: Presse gut, Kollegen sauer.
Und man bleibt unangreifbar. Na- türlich kann nicht jeder gleich ein Star werden, den Fernsehen und überregionale Presse mal um- schwärmen. Doch hat man's tat- sächlich so weit gebracht, dann kann man öffentlich jeden Mist von sich geben, wie erst kürzlich wieder geschehen ... UM
sammen mit den „taktilen" und den „visuellen Stimuli" die „exte- rozeptiven Reize" bilden. Das Ge- genteil davon sind die „proprio- zeptiven Reize". Und die spielen bei der „Propriozeptiven Neuro- muskulären Fazilitation" eine Rol- le, ebenso wie Stretchreflexe, Ti- ming und Mitinnervation (over- flow). Diese PNF ist eine „kranken- gymnastische Ganzbehandlung auf neuro-physiologischer Grund- lage" (wie in einer der vielen allge- meinmedizinischen Zeitschriften dargestellt wird).
„Es sollte keine Mühe gescheut werden, dem Patienten Ursache und Folgen seiner Beschwerden zu erklären", heißt es da. — Nanu?
Überhaupt kein Fremdwort? Wie soll denn der Patient dann begrei- fen, um was es geht? gb 780 (28) Heft 12 vom 19. März 1986 83. Jahrgang Ausgabe A