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Archiv "Auftrag des Arztes angesichts der Unausweichlichkeit des Todes" (23.02.1989)

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Auftrag des Arztes angesichts

der Unausweichlichkeit des Todes

In

einer Zeit, die den Tod weitgehend verdrängt und in die Kran- kenhäuser verlegt, ist der Arzt fast täglich mit dem Tod konfron- tiert. Die nachfolgenden Überlegungen wollen Gelegenheit ge- ben, das ärztliche Handeln angesichts des Todes unter Berück- sichtigung einer christlichen Grundeinstellung zu reflektieren.

HEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

W

as der Tod wirklich ist, läßt sich nicht beschrei- ben und definieren. Der Tod ist dem Menschen fremd und gilt ihm, trotz aller Versu- che, ihn zu verharmlosen, als Feind.

Der Tod läßt sich immer nur als der Tod des anderen erfahren. Zwar kann man bei einem anderen Men- schen den Tod feststellen, es ist aber nicht möglich, etwas darüber auszu- sagen, was ihn nach dem Tod erwar- tet.

Das Gezeichnetsein des Lebens vom Tod kann beim Menschen Angst hervorrufen, die Angst der Be- drohung, die Angst, in das Nichts ge- stoßen zu werden. Er kann für einen Menschen aber auch das endgültige Ereignis, die Voll-endung seines Le- bens sein. Der Tod ist dann der Übergang vom Vor-läufigen zum End-gültigen. Er ist aber nicht nur das Ende des Lebens, sondern auch der Beginn von etwas Neuem. Denn es gibt ohne Sterben kein neues Le- ben. Diese Gesetzmäßigkeit können wir täglich in der Natur, im Tierreich und beim Menschen beobachten.

Tod und Arzt in der Kunst

In der Kunst versuchte man, den Arzt und den Tod zu ironisieren, so zum Beispiel im Mittelalter durch den Totentanz. Tanzend wollte man dem Tod begegnen oder ihm entge- hen. Eine interessante Übersicht über „Der Arzt und der Tod" brach- te 1972 der Chirurg Werner Block heraus. Sein Buch zeigt Bilder, in de- nen der Arzt als Opfer, als der Un- terlegene des Todes dargestellt wird.

Häufig wurden neben dem Tod noch diagnostische Hilfsmittel des Arztes, wie Uringlas, Klystier zum Reinigen der Körpersäfte, Stethoskop, Rönt- gengerät und anderes abgebildet.

Diese Bilder sollten nach Ansicht von Block nicht als Gruselkabinett oder Abschreckung dienen, sondern durch die künstlerische Symbolik mahnen, das Leben als wertvolles Gut zu betrachten.

In der Bibel werden verschiede- ne Formen des Todes erwähnt. Von Abraham wird gesagt, daß er, alt und

lebensatt, vermutlich eines natür- lichen Todes starb (1. Mose 25, 8).

Daneben werden Menschen ge- nannt, die sich selbst töteten; das be- kannteste Beispiel ist Judas, der sich erhängte (Matth. 27, 5); es wird auch von Mord und Totschlag berichtet.

„Kain schlug seinen Bruder Abel tot" (1. Mose 4, 8).

Einzelheiten, Details, was nach dem Tod kommt, werden in der Bi- bel nicht aufgeführt. Es wird nur dar- über berichtet, daß mit dem Tod das Leben des Menschen nicht aufhört.

An zahlreichen Stellen im Neuen Testament wird dies mit Begriffen wie „Ewiges Leben", „Ewigkeit",

„Paradies", „Abrahams Schoß",

„Hütte Gottes", „Neue Stadt Jerusa- lem" umschrieben. Auf die interes- sierende Frage, wie man sich das ewige Leben vorzustellen habe, wel- che Aufgaben und Pflichten man darin erfüllen muß, wie es abläuft, gibt die Bibel keine Antwort. Dies ist ein Geheimnis.

Im Johannesevangelium (Joh. 8, 51) verspricht Christus dem Men- schen, der sich an seine Aussagen hält und sein Wort befolgt, „daß er den Tod in Ewigkeit nicht sehen wer- de". Der Glaube an Christus, das Vertrauen auf seine Zusage kann Menschen einen Weg eröffnen, auf dem sie die Angst vor dem Tod über- winden können. Durch den Glauben an Christi Tod und Auferstehung brauchen sie den Tod nicht mehr zu fürchten, wie auch immer er ihnen begegnet, sei es plötzlich durch Ver- kehrsunfall oder Herzinfarkt, sei

es

allmählich durch langsames Verlö- schen infolge Altwerdens oder einer chronischen Krankheit.

Einer der wichtigsten medizini- schen Fortschritte der letzten Jahr- zehnte ist die Entwicklung der An- ästhesie und damit verbunden die Möglichkeit der Reanimation. Die Reanimation und die Umkehrbar- keit des Todes eröffneten eine Viel- zahl von neuen Behandlungsmög- lichkeiten, wie zum Beispiel Herz- operationen oder Organtransplanta- tionen.

Die Reanimation und die Trans- plantation von Organen machten es notwendig, den Begriff des Todes neu zu definieren. So unterscheidet man verschiedene Todesarten. Wir kennen den reversiblen Tod oder Partialtod; dieser Tod ist umkehrbar oder mit dem Leben vereinbar, wenn nur ein Teil eines paarigen Organes ausfällt. Tritt ein akuter Herzstill- stand auf, so kann er durch extra- oder intrathorakale Herzmassage unter Umständen wieder beseitigt werden.

Im Gegensatz dazu ist der irre- versible Tod oder totale Tod zu nen- nen. Dieser entspricht der herkömm- lichen Definition des Todes und ist durch die typischen klinischen To- deszeichen gekennzeichnet.

Als eine Sonderform gilt der Hirntod, der als ein Partialtod aufzu- fassen ist, da unabhängig davon die übrigen Organe funktionstüchig am Leben bleiben können. Dieser Tod ist dann erwiesen, wenn unter ande- rem Reflexlosigkeit, lichtstarre Pu- pillen und Null-Linie im EEG vor- handen sind. Die Feststellung des

Hirntodes ist in der Bundesrepublik

Deutschland die Voraussetzung für die Entnahme von Organen zur Transplantation.

Dt. Ärztebl. 86, Heft 8, 23. Februar 1989 (29) A-447

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Auftrag des Arztes

Viele Krankheiten führen ohne ärztlichen Eingriff innerhalb kurzer Zeit zum Tode. Durch die Behand- lung wird der Tod nicht aufgehoben, sondern der Zeitpunkt des Todes verschoben. Man denke an die ange- borenen Darmatresien. Ohne Ope- ration und Beseitigung der Atresie sind diese Neugeborenen nur für we- nige Tage lebensfähig. Wird die Fehlanlage aber operiert, so kann sich das Kind normal entwickeln und leben wie andere gesunde Kinder auch. Beispiele ließen sich aus allen Gebieten der Medizin anführen.

Der Arzt ist verpflichtet, sich über die neuesten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten durch theoretische Fortbildung stän- dig zu informieren, um sie im Be- darfsfall entsprechend einzusetzen oder zu empfehlen. Dabei sollte er auch die Begrenzungen der medizi- nischen Möglichkeiten richtig ein- schätzen. Manche Chirurgen emp- finden es als Niederlage ihres thera- peutischen Einsatzes, wenn ein Pa- tient trotz intensiver Bemühungen stirbt.

Vier Krankheitsgruppen, in de- nen der Arzt mit allen Hilfsmitteln die Not der Patienten nicht mehr entscheidend wenden kann, fordern die Ars medicinae besonders heraus:

Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, daß die Zahl der akuten Krankheiten ab- und die der chroni- schen zunimmt Wohlstand, Alko- hol-, Nikotin- und Medikamenten- abusus sind mögliche Gründe dafür.

Auch die sogenannten Iatrogenosen werden vermehrt beobachtet; das sind Erkrankungen, die während oder nach einer ärztlich indizierten Behandlung als Begleiterscheinung auftreten beziehungsweise zurück- bleiben. Ich erinnere an die vielen Strahlenschäden nach Bestrahlung eines benignen oder maligen Tu- mors. Ein Chronischkranker benö- tigt viel Geduld, Zeit und Anteilnah- me des Arztes. Dabei geht es dem Patienten oft nicht um eine Pille oder Spritze; vielmehr möchte der

Patient vom Arzt begleitet werden oder auch nur Trost und Zuspruch gesagt bekommen

Der Krebs ist die Pest unseres Jahrhunderts. Der Gedanke an Krebs erfüllt viele Menschen mit quälendem Angstgefühl. Krebs ist aber nicht gleich Krebs. Diese Tatsa- che muß der Arzt dem Patienten im Gespräch erläutern, eine schwierige und zeitaufwendige Aufgabe. Es gibt Organkrebse, die sich kurativ beseiti- gen lassen, der Patient ist dann von seiner Krankheit geheilt. Ein Bei- spiel ist das Rektumcarcinom im Sta- dium Duke A oder B. Andere Or- gankrebse, wie der Bronchialkrebs, lassen sich durch keine Therapie entscheidend beeinflussen.

Welch eine Polypragmasie wird gerade bei Krebspatienten getrie- ben! Welch eine physische und psy- chische Belastung der Patienten mit der Cytostase! Welche Sinnlosigkeit der sogenannten palliativen Strah- lentherapie! Cui bono — wem nützt es? Oft ist die Therapie nur Aus- druck der Hilflosigkeit des behan- delnden Arztes. Gelegentlich emp- fände es der Patient als große Hilfe, wenn er gesagt bekäme, daß medizi- nisch nichts mehr zu machen ist.

Alte Menschen, Sterbende

Alte Menschen sind meist multi- morbid. Als behandelnder Arzt ist man geneigt, bei alten Menschen die pathologischen Befunde möglichst zu korrigieren, zum Beispiel eine ab- solute Arrhythmie medikamentös wieder zu regularisieren, einen er- höhten Harnstoff- und Kreatinin- wert durch forcierte Diurese zu nor- malisieren u. a. mehr. Nicht selten kommt es dann zu einem schnellen Tod ohne plausiblen Grund. Die Be- treuung alter Menschen erfordert große ärztliche Erfahrung. Denn alte Menschen benötigen weniger eine umfangreiche medizinische Diagno- stik und Therapie als vielmehr Zeit und Geduld des Arztes. Die ärztliche Aufgabe besteht vor allem darin, das, was den alten Patienten quält oder belästigt, zu behandeln. Oft führen allein physikalische Maßnah- men zu dem gewünschten Erfolg.

Gerade bei alten Menschen hilft we- niges viel.

Das Sterben wurde in den letzten Jahren aus den Familien in Kranken- häuser und Altenheime verlagert.

Fremde Personen, Ärzte, Schwestern und Pfleger müssen einen sterbenden Patienten, den sie vorher nicht gese- hen oder gekannt haben, bis zum Tod begleiten. Der Sterbende ist auf die Hilfe eines anderen Menschen ange- wiesen. Er erwartet sie vor allem von dem behandelnden Arzt. Im Ange- sicht des unmittelbaren Todes sollte der Arzt die Beschwerden behandeln, die im Vordergrund stehen. Meist handelt es sich um Schmerzen, Schlaf- losigkeit oder Angstgefühl. Leider sind diese Symptome mit Medika- menten oft schwer zu beeinflussen.

Wichtiger als die medikamentö- se Therapie ist es, daß der Arzt dem Sterbenden das Bewußtsein gibt, ihn in der letzten Phase des Lebens zu begleiten. Gerade das Nichtstun, aber Ansprechbarsein, das Abwi- schen des Schweißes von der Stirn, das Anfassen der Hand oder das Reichen eines Schluckes Tee sind praktische Hilfen, die der Arzt dem Sterbenden am Ende seines Lebens noch geben kann.

Der Auftrag des Arztes in der unmittelbaren Konfrontation mit dem Tod läßt sich nicht in ethischen Normen festlegen oder gar durch Gesetze vorschreiben.

Unsere christlichen Väter baten Gott um Bewahrung vor einem Her- ausgerissenwerden aus dem Leben, vor einem „jähen Tod", vor einem Tod, der eine bewußte Erfahrung des Sterbens verhindert. Heute wün- schen sich die meisten Menschen ei- nen schnellen, schmerzlosen Tod, ei- nen Tod, der nicht ins Bewußtsein tritt. Dem Arzt sollte es ein Anliegen sein, seinem Patienten einen bewuß- ten Abschied zu ermöglichen. Er darf durch die Therapie nicht verhin- dern, daß der Patient Einsicht über sein vergangenes Leben gewinnen, eventuell Schuld bekennen oder den Segen Gottes empfangen kann.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Kurt Lennert Leiter der Chirurgischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses 42 Oberhausen, Virchowstr. 20

I Chronisch Kranke

A-448 (30) Dt. Ärztebl. 86, Heft 8, 23. Februar 1989

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