• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Akute lymphoblastische Leukämie im Kindesalter: Morphe und Funktion des Gehirns nach Behandlungsende" (27.11.1998)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Akute lymphoblastische Leukämie im Kindesalter: Morphe und Funktion des Gehirns nach Behandlungsende" (27.11.1998)"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ur Behandlung von Krebser- krankungen bei Kindern und Jugendlichen wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten inter- disziplinäre Therapiestudien in der Gesellschaft für Pädiatrische Onko- logie und Hämatologie (GPOH) und deren Vorläufergesellschaften ent- wickelt und multizentrisch einge- setzt. Mit diesen erfolgreichen Be- handlungsstrategien können heute

etwa 75 Prozent aller Erkrankten ge- heilt werden.

In Deutschland leben zur Zeit über 25 000 von einer Krebserkran- kung geheilte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (3). Unter den päd- iatrisch-onkologischen Erkrankungen bildet die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) mit zirka 30 Prozent und einer Inzidenz von 3,7/100 000 der unter 15jährigen die größte Gruppe (Grafik 1). Heute erreichen mit den deutschen Behandlungsprotokollen fast 80 Prozent der ALL-Patienten ei- ne anhaltende erste Vollremission.

Dieses Konzept schließt auch eine präventive Behandlung des Zentral- nervensystems (ZNS) ein, um dort ok- kulte Leukämiezellen zu vernichten.

Die ZNS-Prophylaxe besteht in der Kombination einer Schädelbestrah- lung mit der Gabe von intrathekalen oder systemischen Chemotherapeu- tika, vor allem Methotrexat (MTX), oder nur in der intrathekalen und systemischen Gabe von Chemothera- peutika. Seit dem Einsatz der ZNS-

Prophylaxe wurde die Häufigkeit von ZNS-Rezidiven erheblich gesenkt. In der sich stetig vergrößernden Gruppe von Geheilten stellten sich die Fragen nach der Lebensqualität, nach Spät- folgen der Therapie und nicht zu- letzt nach einer Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung und der so- zialen Integration als Folge der ZNS- Prophylaxe und der Gesamtbehand- lung (4).

Wir nutzten mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe die Möglich- keit, eine Gruppe von geheilten Pati- enten aus den standardisierten und randomisierten Therapieprotokollen ALL-BFM 81/83 und COALL 82 mit einem weitgefächerten Untersu- chungsspektrum nachzuuntersuchen.

Zirka zwei Drittel unserer Probanden erhielten in den randomisierten The- rapiestudien eine Schädelbestrahlung mit 12 bis 18 Gy und intrathekale und

Akute lymphoblastische Leukämie im Kindesalter

Morphe und Funktion des Gehirns

nach Behandlungsende*

Thorsten Langer1 Walter J. Huk2 Holger Hertzberg1 Michael A. Überall3 Walburga Meier4 Rudolf Korinthenberg5 Jörn D. Beck1

Die präventive ZNS-Behandlung von Patienten mit aku- ter lymphoblastischer Leukämie (ALL) im Kindesalter kann morphologische und neuropsychologische Verände- rungen auslösen. Sie sind nach einer Schädelbestrahlung mit 12 bis 18 Gy und intrathekalen Methotrexat-(MTX-) Gaben mit oder ohne systemische MTX-Infusionen aus- geprägter als nach einer ausschließlich MTX-basierten ZNS-Prophylaxe. Die morphologischen Veränderungen können mit neurophysiologischen und psychometrischen

Einschränkungen vor allem in den Bereichen Konzentration, Aufmerk-

samkeit und Merkfähigkeit einhergehen. Die Probanden mit einer Mikrozephalie gehörten der RT-Gruppe an.

Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten werden in bei- den Behandlungsgruppen in vergleichbarer Häufigkeit beobachtet.

Schlüsselwörter: ALL-Behandlung im Kindesalter, ZNS- Prophylaxe, ALL-Langzeitüberlebende, ZNS-Spätfolgen

ZUSAMMENFASSUNG

Morphological and Neuropsychological Impairment after Treat- ment of Acute Lymphoblastic Leukemia (ALL) in Childhood The preventive treatment of the central nervous system in childhood ALL may induce morphological and neuro- psychological impairments. These are more pronounced after treatment with prophylactic cranial irradiation (12 to 18 Gy) and intrathecal methotrexate with or without systemic methotrexate than after treatment with intra-

thecal and systemic methotrexate alone. The morphological impairments can be associated

with neurophysiological and psychometric deficits in con- centration, attention, and memory. Patients with micro- cephaly had been irradiated. Obesity and behaviour problems were observed in both treatment groups.

Key words: ALL-therapy in childhood, CNS-prophylaxis, ALL-long-term survivors, CNS late effects

SUMMARY

Z

1 Abteilung für Immunologie und Onkologie (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Rascher), Klinik für Kinder und Jugendliche, Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

2 Abteilung für Neuroradiologie (Direktor:

Prof. Dr. med. Rudolf Fahlbusch), Kopfklini- kum, Friedrich-Alexander-Universität Erlan- gen-Nürnberg

3 Abteilung für Neuropädiatrie (Direktor:

Prof. Dr. med. Wolfgang Rascher), Klinik für Kinder und Jugendliche, Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg

4 Praxis für Psychosomatik, Marburg

5 Abteilung für Neuropädiatrie (Direktor:

Prof. Dr. med. Rudolf Korinthenberg), Kinder- klinik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

* Eine multizentrische Querschnittsuntersu- chung der Arbeitsgemeinschaft Spätfolgen in der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)

(2)

systemische MTX-Gaben. Bei einem Drittel wurde systemisches und in- trathekales MTX ohne Schädelbe- strahlung zur ZNS-Prophylaxe einge- setzt. In den Therapiestudien wurde empfohlen, die Schädelbestrahlung mit einer täglichen Einzeldosis von 2 Gy durchzuführen. Morphe und Funktion des Gehirns beider Gruppen wurden mit CT oder einem NMR und mit Methoden der Neurophysiologie, Neurologie und Psychometrie unter- sucht. Verhaltensauffälligkeiten wur- den mit der Child Behavior Checklist (CBCL) und einem standardisierten Elternfragebogen erfaßt.

Methoden

In unsere deutsch- österreichische Multicenter- studie wurden zwischen 1992 und 1994 Probanden aus elf Kliniken (Textkasten) aufgenommen, deren Be- handlung zwischen 1981 und 1986 nach den ALL-BFM- 81/83- oder COALL-82-The- rapieprotokollen durchge- führt wurde. Sie waren Stan- dard-/Niedrig- oder Mittel- risikopatienten.

Nach Berücksichtigung weiterer Ein- und Aus- schlußkriterien (15) ging ei- ne Stichprobe von 118 Pro- banden, die alle neurora- diologisch untersucht waren, in die Auswertung ein. In den genannten standardisierten Therapieprotokol- len wurde eine vergleichbare Chemo- therapie durchgeführt (17, 29, 32). In beiden Behandlungsplänen gab es Patientengruppen mit und ohne Schädelbestrahlung. Je nach Thera- piezweig und Alter differierten die kumulative intrathekale MTX-Dosis zwischen 36 und 156 mg (Mittelwert:

81 mg) und die Bestrahlungsdosis zwischen 12 und 18 Gy. Es wurde eine Einzelbestrahlungsdosis zwischen 1,0 und 3,6 Gy verwendet. In Abhängig- keit von der ZNS-Prophylaxe unter- schieden wir zwei Gruppen:

Methotrexat-(MTX-)Gruppe (n = 39): systemisches MTX (2 000 mg/m2 Körperober- fläche kumulativ) und in- trathekales MTX (58–132 mg kumulativ, im Mittel 81 mg).

Radiotherapie - (RT-) Grup- pe (n = 79): Schädelbestrah- lung (12–18 Gy) und syste- misches MTX (2 000 mg/m2 Körperoberfläche kumula- tiv) und/oder intrathekales MTX (36–156 mg kumulativ, im Mittel 81 mg).

Das Programm der Nachuntersuchung umfaßte folgende Methoden: Anam- nese. Körperliche Untersu- chung, einschließlich auxo- logische Messung (Körper- höhe [n = 103], Kör- pergewicht [n = 103], Kopf- umfang [n = 105]). Neurolo-

gie: Touwen-Schema (n = 113) (35).

Neurophysiologie: Elektroenzepha- lographie (EEG) (n = 110), visuell evozierte Potentiale (VEP) (n = 62), kognitive ereigniskorrelierte Poten-

tiale (ERP) (n = 13) (bei 13 Proban- den nur in Erlangen durchgeführt).

Neuroradiologie: kraniale Computer- (n = 49) und/oder Kernspintomogra- phie (n = 78). Neuropsychologie:

Knochen- tumore Sonstige Keimzell- tumore Leukämien

Hirntumore

Lymphome

Neuroblastome Weichteilsarkome Nierentumore 17,1 %

35,2 %

4,1 % 5,1 % 5,2 % 6,6 % 6,8 % 7,8 % 12,0 % Deutschland:

pro Jahr ~1700 Neuerkrankungen

Verteilung der Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland nach den Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz, Jahresbericht des Deutschen Kinderkrebsregisters, 1996.

Abbildung 1a: Innere Hirnatrophie. Erweiterung vor allem des rechten Seitenventrikels mit Ausziehung des rechten Hinterhorns. Die ZNS-Prophylaxe wurde mit systemischem und intrathekalem Methotrexat vor einer Schädelbestrahlung mit 18 Gy durchgeführt.

Abbildung 1b: Intrazerebrale Verkalkung. Intrazere- brale Verkalkung links frontal sowie rechts parietal als Folge der ZNS-Prophylaxe mit intrathekaler Me- thotrexatapplikation während und nach der Schädel- bestrahlung mit 18 Gy.

p=

0,001

n.s. n.s.

35 30 25 20 15 10 5 0

n.s.

%

Äußere

Atrophie Innere

Atrophie Leuken-

zephalopathie Verkal- kung NMR/CCT Befunde

8/39 24/79

9/39 24/79

1/39 20/79

4/31

0/18 MTX-Gruppe RT-Gruppe Grafik 2

NMR/CCT-Befunde. Die kernspin-/computertomographischen ZNS- Befunde „äußere Hirnatrophie“, „innere Hirnatrophie“, „Leuk- enzephalopathie“ und „Verkalkung“ sind für die MTX-Gruppe und die RT-Gruppe prozentual aufgetragen. Der p-Wert gibt die mit Hilfe eines Chi-Quadrat-Testes berechnete Wahrscheinlichkeit an.

n. s. = nicht signifikant.

Grafik 1

(3)

Hamburg - Wechsler - Intelligenztests für Kinder und Erwachsene (HA- WIK/E–R) (n =114), Culture Fair Test (CFT) (n = 115), Aufmerksam- keits-/Belastungstest d2 (Test d2) (n = 115), Recurring Figures Test (RFT) (n = 114) und Child Behavior Check- list (CBCL) (n = 100), Standardisier- ter Elternfragebogen (n = 115).

Für die auxologische Bewertung wurden Körperhöhe, Körpergewicht und Kopfumfang gemessen und mit den altersentsprechenden Normwer-

ten nach Prader (25) verglichen. Die neurophysiologische Auswertung er- folgte nach den Richtlinien der Deut- schen EEG-Gesellschaft und des Ar- beitskreises für pädiatrische und kli- nische Elektroenzephalographie. In der kranialen Computertomographie (CCT) oder Kernspintomographie (NMR) wurden als pathologisch be- wertet: Eine Veränderung der weißen (im Sinne einer Leukenzephalopa- thie) oder grauen Substanz, eine inne-

re oder äußere Hirnatrophie (im Sin- ne einer Erweiterung der Liquorräu- me) oder eine Verkalkung (Verkal- kungen nur im CCT erkennbar).

Die Intelligenztests (HAWIK/

E–R und CFT) sind derart normiert, daß der Mittelwert (MW) bei 100 und die Standardabweichung (SD) bei 15 IQ-Punkten liegen. Aus Untertests der Wechsler-Skalen wurde der Kauf- man-Faktor „Freedom from Distrac- tibility“ (FD) errechnet (MW = 100, SD = 15). Der Faktor FD ergänzt den

Verbal- und den Handlungsteil der Wechsler-Skalen, er erfaßt Aufmerk- samkeit, Konzentrations- und Merk- fähigkeit und wird als Korrelat der ko- gnitiven Verarbeitungskapazität dis- kutiert (18, 30). Der Culture Fair Test (CFT) ist ein kulturunabhängiger In- telligenztest. Mit dem Aufmerksam- keits-/Belastungstest d2 wurde die Konzentrations- und Aufmerksam- keitsfähigkeit, mit dem Recurring Fi- gures Test die visuelle Merkfähigkeit

erfaßt (MW = 50 Prozent). Verhaltens- auffälligkeiten wurden sowohl durch die Child Behavior Checklist (CBCL) diagnostiziert als auch über standardi- siert erhobene Elternangaben doku- mentiert. Die Auswertung der CBCL erfolgte nach Remschmidt und Wal- ter, 1990 (28), und nach Beck und Mitarbeitern, 1993 (2). Die Angaben zu Verhaltensauffälligkeiten in dem standardisierten Elternfragebogen er- faßten folgende Zeitpunkte: eine re- trospektive Beurteilung der Zeit vor

der Erkrankung (t1) und eine Beur- teilung des Verhaltens nach Abschluß der Therapie (t2). Alle Untersuchun- gen wurden dezentral von Mitarbei- tern der beteiligten Kliniken durchge- führt und in der Neuroradiologie, der Neurologie, der Neurophysiologie und der Neuropsychologie zentral ausgewertet. Die Auswertungen wur- den ohne Kenntnis der Behandlungs- modalitäten und unabhängig vonein-

ander durchgeführt.

Tabelle 1

Demographische, klinische und therapeutische Daten der Probanden

Gesamt MTX-Gruppe RT-Gruppe p

Demographische Daten

Anzahl 118 39 79

Alter bei Diagnose (Jahre) 5,8 ⫾4,1 6,7 ⫾4,6 5,3 ⫾3,8 0,1

Alter bei Untersuchung (Jahre) 14,7 ⫾4,4 15,6 ⫾4,9 14,3 ⫾4,1 0,13

Posttherapeutisches Intervall (Jahre) 7,2 ⫾1,8 7,1 ⫾1,7 7,2 ⫾1,8 0,63

männlich/weiblich 58/60 19/20 39/40 0,95

Klinische Daten

Risikofaktor* 0,95 ⫾0,37 0,66 ⫾0,23 1,10 ⫾0,34 < 0,001

Therapiemodalitäten

Radiotherapie (%) – 100

Gesamtdosis (Gy) – 16,9 ⫾2,7

Einzeldosis (Gy) – 1,8 ⫾0,5

Energie (MV) – 3,4 ⫾2,3

Kumulatives ITMTX** (mg) 80,6 ⫾21,3 80,6 ⫾16,8 80,6 ⫾23,4 0,99

Anzahl der ITMTX-Applikationen 6 – 8 6 – 8 6 – 8

Kumulatives SMHDMTX*** 1 × 500, 78 × 2 000 39 × 2 000 1 × 500, 39 × 2 000 (mg/m2)

Anzahl der

SMHDMTX-Applikationen 0–4 4 0–4

Therapiezweige

81/SR-A (n = 28)

BFM-Therapiezweige (Jahr/Zweig) 81/SR-B (n = 16)

83/SR-H 1/2 (n = 23) 83/SR-L 1/2 (n = 22) 81/MR (n = 10)

83/MR (n = 18)

COALL-Therapiezweig (Jahr/Zweig) 82/LR (n = 1)

* Risikofaktor als Index der Leukämiezellmasse wird folgendermaßen berechnet: 0,2 × log (periphere Blasten/µl + 1) + 0,06 × Lebergröße unter dem Rippenbogen [cm] + 0,04 × Milzgröße unter dem Rippenbogen [cm].

** ITMTX: intrathekales Methotrexat

*** SMHDMTX: systemisches mittel-hochdosiertes Methotrexat

(4)

Patienten

In den demographischen Daten waren die MTX- und RT-Gruppe ver- gleichbar (Tabelle 1). In den klinischen Daten bei Diagnosestellung zeigten die Probanden der RT-Gruppe einen höheren Risikofaktor (errechnet aus der initialen Blastenzahl, Leber- und Milzgröße) als die der MTX-Gruppe.

Probanden der MTX-Gruppe waren Standardrisikopatienten, die der RT- Gruppe Standard- und Mittelrisikopa- tienten in den damaligen Therapie- zweigen. Nach einer Datenanalyse der ALL-BFM- und COALL-Studienlei- tungen (Schrappe, 1997, Janka-Schaub, 1996; beide persönliche Mitteilung) wurden für die Gesamtstudiengruppen die in Tabelle 2benannten Rezidivraten mit ZNS-Beteiligung in den einzelnen Behandlungszweigen beobachtet.

Somit resultierte für die Patien- ten der BFM-Studiengruppe mit einer

medikamentösen ZNS-Prophylaxe ei- ne Rezidivrate mit ZNS-Beteiligung von 11,9 Prozent und für die der COALL-Studiengruppe von 12,1 Pro- zent. Patienten der BFM-Studiengrup- pe, die eine prophylaktische Schä- delbestrahlung erhielten, zeigten eine Rezidivrate mit ZNS-Beteiligung von 6,7 Prozent.

Statistische Methoden

Häufigkeiten pathologischer Be- funde in den beiden Behandlungs- gruppen wurden mit Hilfe des Chi- Quadrat-Tests verglichen. Nach Prü- fung von Normalverteilung und Vari- anzgleichheit wurde für kontinuierli-

che Variablen der t-Test für unver- bundene Stichproben verwendet. Die Risikofaktoren für pathologische Be- funde wurden multivariat mit Hilfe logistischer Regressionen überprüft.

Das Signifikanzniveau für statistische Tests wurde auf fünf Prozent (zweisei- tig) festgelegt.

Ergebnisse

ZNS-Morphologie

Einen pathologischen NMR/CCT- Befund zeigten 58 Prozent (46/79) der Probanden der RT-Gruppe. Proban- den der MTX-Gruppe wiesen in 39 Prozent (15/39) morphologische Hirn- veränderungen auf. Eine äußere Hirn- atrophie fanden wir in der RT-Gruppe in 30 Prozent (24/79), in der MTX- Gruppe in 20 Prozent (8/39). Der Un- terschied war statistisch nicht signifi-

kant. Eine innere Hirnatrophie lag in 30 Prozent (24/79) respektive 23 Pro- zent (9/39) vor (nicht signifikant) (Ab- bildung 1a, Grafik 2). Eine zerebrale Verkalkung, die nur mit Hilfe eines CT erfaßt werden kann, wurde nur in der RT-Gruppe bei 4 von 31 Patienten ge- funden (13 Prozent) (Abbildung 1b, Grafik 2).

Eine Leukenzephalopathie wur- de bei 21 Probanden gefunden, bei 20 Probanden der RT-Gruppe (25 Pro- zent), jedoch nur bei einem Proban- den der MTX-Gruppe (3 Prozent) (p < 0,001) (Grafik 2). Probanden mit Leukenzephalopathie unter- schieden sich nicht hinsichtlich de- mographischer Merkmale von Pro- banden ohne diese Veränderung,

wiesen aber eine signifikant höhere initiale Leukämiezellmasse auf, die durch den Risikofaktor erfaßt wurde (Tabelle 1). In einer multiplen logisti- schen Regression blieb der signifi- kante Therapieeinfluß der RT-Grup- pe erhalten, während der Einfluß der initialen Leukämiezellmasse ver- schwand.

Neurophysiologie

Im EEG fanden wir zwischen der MTX-Gruppe und der RT-Gruppe kei- ne signifikanten Befundunterschiede.

Dagegen lagen in der quantitativen EEG-Analyse bei Probanden der RT- Gruppe signifikant deutlichere patho- logische Veränderungen vor als in der MTX-Gruppe. Ausschließlich die Pro- banden der RT-Gruppe zeigten eine signifikante Verlängerung der P300- Latenz in der ERP-Analyse, die bei 13 Erlanger Probanden durchgeführt

wurde. Probanden mit den neuro- radiologischen Zeichen einer Leuk- enzephalopathie zeigten signifikante Verlängerungen der P100-Latenz und ein 6,1fach erhöhtes relatives Risiko, VEP-Veränderungen zu entwickeln.

Auxologie

Probanden beider Gruppen wa- ren übergewichtig: jeweils etwa 40 Prozent hatten ein Körpergewicht oberhalb der 97. Perzentilen (RT- Gruppe: 26/68, MTX-Gruppe: 15/35).

In der RT-Gruppe waren 7,4 Prozent (5/68) der Probanden mikrozephal (< 3. Perzentile). In der MTX-Gruppe gab es keinen Probanden mit einer

Mikrozephalie.

Tabelle 2

Therapiestudienzweige Anzahl der Therapiestudienzweige Anzahl der

der MTX-Gruppe Rezidive mit der RT-Gruppe Rezidive mit

ZNS-Beteiligung ZNS-Beteiligung

(Angaben in Prozent) (Angaben in Prozent)

BFM 81 SR-B (n = 178) 25 (14,1) BFM 81 SR-A (18 Gy) (n = 184) 6 (3,3) BFM 83 SR-L1 (n = 104) 14 (13,5) BFM 81 MR (18 Gy) (n = 204) 19 (9,3) BFM 83 SR-L2 (n = 95) 6 ( 6,3) BFM 83 SR-H1 (12 Gy) (n = 86) 4 (4,7) COALL 82 LR (n = 66) 8 (12,1) BFM 83 SR-H2 (18 Gy) (n = 105) 3 (2,9) BFM 83 (18 Gy) MR (n = 230) 22 (9,7)

(5)

Neuropsychologie

Probanden der Radiotherapie- (RT-)Gruppe erzielten schlechtere Testresultate in den Intelligenztestun- gen der Hamburg-Wechsler-Skalen und des Culture Fair Test (CFT), im Test d2 und im Recurring Figure Test (RFT) als die der MTX-Gruppe. So erreichten 17 Prozent (13/76) der Probanden der RT-Gruppe einen un- terdurchschnittlichen Gesamt-IQ (IQ

< 85). In der MTX-Gruppe wurde die- ser niedrige Wert nur bei 5 Prozent (2/38) gemessen. Mittelwertvergleiche zwischen den beiden Gruppen zeigten signifikante Unterschiede im Gesamt- IQ (p = 0,01), Verbal-IQ (p = 0,01) und Handlungs-IQ (p = 0,02), aber vor al- lem im Kaufman-Faktor „Freedom for Distractibility“ (FD) (p = 0,005) (Tabelle 3). Der Risikofaktor zur Be- stimmung der Leukämiezellmasse wurde in einer multiplen Regression

analysiert, erwies sich aber als nicht signifikant für das Vorliegen eines er- niedrigten Gesamt-IQ- und eines ver- minderten FD-Wertes. Signifikant war nur die Therapiemodalität der RT- Gruppe mit der Schädelbestrahlung und der MTX-Applikation. Besonders deutlich erschien der Zusammenhang zwischen den Probanden mit einem niedrigen Mittelwert im Faktor FD (FD < 85) und dem gleichzeitigen Vor- liegen der morphologischen Verände- rung Leukenzephalopathie (p < 0,01).

Die vier Probanden mit Verkalkungen hatten statistisch signifikante Defizite im Test d2 und im RFT (p < 0,001).

Verhaltensauffälligkeiten wur- den in unserem Probandenkollektiv mit Hilfe der CBCL in 30 Prozent al-

ler Fälle diagnostiziert. In der Nor- malbevölkerung liegt diese Zahl bei 10 bis 20 Prozent. Die von den Eltern am häufigsten genannten kritischen Punkte waren: Konzentrationsstörun- gen, Zwangsgedanken, Übergewicht, Hauterkrankungen und Allergien.

Nach den im Methodenteil beschrie- benen Auswertungsverfahren ist das Ausmaß an psychischer und psycho- somatischer Belastung weder alters-, geschlechts- noch therapieabhängig.

Eine detaillierte Analyse der CBCL mit Hilfe von Syndromskalen wird noch durchgeführt. In dem standardi- sierten Elternfragebogen berichteten die Eltern über eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten zwischen dem Zeitpunkt vor der Erkrankung t1 und nach dem Abschluß der Thera- pie t2. Dabei gab es keinen Unter- schied zwischen den Angaben von Eltern der Kinder in der RT- versus der MTX-Gruppe. Insgesamt wurden

19 Mädchen und acht Jungen von ihren Eltern am Zeitpunkt t2 in der Hinsicht als auffällig beschrieben, daß auf ein internalisierendes Verhalten geschlossen werden konnte. Dies be- stand aus Angst, psychosomatischen Beschwerden und depressiver Ver- stimmung. Bei acht Mädchen und 24 Jungen lagen am Zeitpunkt t2 ein ex- ternalisierendes Verhalten mit Ag- gression und motorischer Unruhe vor.

Neurologie

Beide Behandlungsgruppen wa- ren im Teilbereich Haltung beein- trächtigt. Defizite in den Teilberei- chen Feinmotorik und Koordination traten signifikant häufiger in der RT-

Gruppe auf als in der MTX-Gruppe (p = 0,02 resp. p = 0,04). Diese Defizi- te waren in den ersten fünf Jahren nach Therapieende manifest, mit größer werdendem Abstand zum Therapieende verbesserten sich diese Störungen.

Gesamtergebnis

Bei den Probanden der RT-Grup- pe fanden wir mit einer neuroradiolo- gischen Untersuchung ausgeprägte Strukturveränderungen: vor allem gehörten 20 der 21 Probanden mit Hinweisen auf eine Leukenzepha- lopathie zu der RT-Gruppe. Auch die neurophysiologischen Veränderun- gen waren deutlicher als in der MTX- Gruppe. In den psychometrischen Untersuchungen erzielten die Pro- banden der MTX-Gruppe bessere Resultate als die in der RT-Gruppe.

Eine große Gruppe der Probanden in beiden Behandlungsarmen war über- gewichtig. Mikrozephale fanden wir nur in der RT-Gruppe. Mit den Me- thoden eines standardisierten Eltern- fragebogens und der Child Behavior Checklist konnten wir keine Unter- schiede der psychosomatischen Bela- stung zwischen Probanden der RT- und MTX-Gruppe nachweisen.

Diskussion

In unserer Untersuchung zeigten die Probanden mit einer präventiven Schädelbestrahlung und MTX-Gaben häufiger morphologische ZNS-Verän- derungen (15), deutlichere pathologi- sche Befunde im quantitativen EEG und in den evozierten Potentialen (37, 38, 39), ausgeprägtere Störungen der Feinmotorik und Koordination und niedrigere psychometrische Testergeb- nisse als die Probanden der MTX- Gruppe. Die ZNS-Prophylaxe kann ei- ne Leukenzephalopathie oder eine mi- neralisierende Mikroangiopathie aus- lösen. Das Korrelat einer Leuk- enzephalopathie ist eine Myelinde- generation, die neuroradiologisch als periventrikuläre Dichteveränderung oder Erweiterung der inneren respek- tive äußeren Liquorräume erfaßt wird.

Die mineralisierende Mikroangiopa- thie betrifft vor allem die Basalgangli- en und den zerebralen Cortex. Neuro- Tabelle 3

Testergebnisse des Hamburg-Wechsler Intelligenztestes

HAWIK-R/HAWIE-R* MTX-Gruppe p RT-Gruppe

n = 38 n = 76

Gesamt-IQ 109,9 ⫾14,9 0,01 101,5 ⫾15,9

Verbal-IQ 111,3 ⫾16,3 0,01 103,4 ⫾15,2

Handlungs-IQ 106,6 ⫾14,8 0,02 99,0 ⫾15,9

Freedom from Districtability 105,5 ⫾12,6 0,005 97,8 ⫾13,8 Hamburg-Wechsler-Intelligenztests für Kinder und Erwachsene in überarbeiteter Form

(6)

radiologisch wird sie als Verkalkung mit Hilfe der Computertomographie diagnostiziert. Histologisch findet man eine Ablagerung von Kalzium in den kleinen Blutgefäßen mit einer partiel- len Okklusion des Lumens (26, 27).

Unser Probandenkollektiv der RT-Gruppe erhielt eine präventive Schädelbestrahlung von 12 bis 18 Gy und eine mittlere kumulative intra- thekale MTX-Dosis von 81 mg mit oder ohne systemischem MTX. Trotz der niedrigen Strahlendosis und MTX-Gesamtmenge zeigte sie in ei- ner vergleichbaren Häufigkeit mor- phologische ZNS-Veränderungen wie die Patientengruppe von Peylan-Ra- mu und Mitarbeitern. Diese berichte- ten über 32 ALL-Patienten in anhal-

tender Vollremission, die eine präven- tive Schädelbestrahlung von 24 Gy, systemisches MTX und intrathekales MTX (420 mg/m2kumulativ) oder an- stelle des intrathekalen MTX in- trathekales Cytosin-Arabinosid (240 mg/m2 kumulativ) erhalten hatten.

Diese Patienten wurden mit Hilfe der kranialen Computertomographie 19 bis 67 Monate nach Beginn der ZNS- Prophylaxe untersucht. 53 Prozent dieser Probanden zeigten einen pa- thologischen CT-Befund. Zeichen der Leukenzephalophatie (n = 5) wurden nur bei den Probanden beschrieben, die neben der Schädelbestrahlung in- trathekales und systemisches MTX erhielten, nicht aber eine Kombinati- on aus Bestrahlung und intratheka-

lem Cytosin-Arabinosid und systemi- schem MTX (24).

Von vielen Arbeitsgruppen wer- den signifikante, neuroradiologisch faßbare ZNS-Veränderungen bei den geheilten ALL-Patienten nachgewie- sen, deren ZNS-Prophylaxe neben MTX-Gaben eine Schädelbestrahlung vorsah (6, 8, 13, 24, 36). Allerdings wer- den nach einer ZNS-Prophylaxe mit sy- stemischem und intrathekalem MTX alleine auch morphologische ZNS-Ver- änderungen beschrieben (23). Bei 21 Probanden fanden wir Zeichen einer Leukenzephalopathie. Mit Hilfe einer multiplen logistischen Regressionsana- lyse konnte nur die Schädelbestrahlung mit den MTX-Gaben als schädigender Faktor identifiziert werden. Weitere

Kofaktoren für eine derartige Schädi- gung sind bisher nicht bekannt, denk- bar wären jedoch Infektionen während der Behandlung.

Initiale neuroradiologische Un- tersuchungen vor der ALL-Behand- lung haben wir in unserer Studie nicht durchgeführt. Gutjahr und Mitarbei- ter (12) konnten zeigen, daß vor der präventiven Schädelbestrahlung in 10 von 30 Fällen pathologische compu- tertomographische Befunde vorlagen.

Diesen Befund wollen wir in einer jetzt begonnenen prospektiven Studie überprüfen.

Über eine Metaanalyse von 31 neuropsychologischen ALL-Spätfol- genstudien bei geheilten Kindern be- richteten Cousens und Mitarbeiter,

1988 (8). Eine Gruppe von Proban- den, die eine präventive Schädelbe- strahlung in Kombination mit MTX- Gaben erhielt, zeigte einen um 10 Punkte niedrigeren IQ-Wert im Ver- gleich zu einer Kontrollgruppe, deren Schädel nicht bestrahlt wurde (100 versus 110). Die Autoren betonten, daß der Durchschnitt einer Kontroll- gruppe von Schulkindern in den USA einen mittleren IQ-Wert von 110 er- reicht. Deshalb sei der Normalwert von 100 bei den Patienten mit Schä- delbestrahlung im Vergleich dazu als unterdurchschnittlich anzusehen (8).

Dieses Ergebnis bestätigen auch an- dere Arbeitsgruppen (9, 10, 34). Jun- ge Kinder zum Zeitpunkt der Schä- delbestrahlung zeigen ausgeprägtere

Einschränkungen als ältere (22). Dar- über hinaus wird über progressive Verschlechterungen nach Ende der Behandlung berichtet (16). Die be- schriebenen intellektuellen und ko- gnitiven Defizite können abhängig von der applizierten Dosis der Schä- delbestrahlung in Kombination mit MTX-Gaben sein. So berichten Moore und Mitarbeiter über einen um zehn Prozent niedrigeren Intelligenzquoti- enten nach einer Schädelbestrahlung mit 24 Gy im Vergleich zu 18 Gy (21).

Brouwers und Mitarbeiter unter- suchten geheilte ALL-Patienten und fanden durch eine kombinierte Radio- und Chemotherapie induzierte Verkal- kungen von den Basalganglien bis in den Frontallappen. Diese Verkalkun- An der Erstellung dieses Manuskriptes beteiligte Kollegen:

Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Peter Martus6, Dr. med. Karin Berger-Jones7, Prof. Dr. med. Günter Henze8, Dipl.-Psych. Dr. phil. Michael Kusch 9, Prof. Dr. med.

Udo Bode9, Dr. med. Gisela Janßen10, Dipl.-Psych. Ulrike Winkler von Mohrenfels1, Dr. med. Roland Dopfer11, Prof. Dr. med. Fritz Lampert12, Dr. med.

Herwig Lackner13, Dr. med. Dietlind Fuchs14, Prof. Dr. med. Christine Bender-Götze15, Dipl.-Psych. Sigrid Kochendörfer16, Dipl.-Psych. Dr. rer. nat.

Holger Ottensmeier17

6 Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation, Universität Erlangen-Nürnberg

7 Pädiatrie IV mit Schwerpunkt Neurologie, Universitätsklinikum Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Kinderheilkunde und Kinderchirurgie, Humboldt-Universität Berlin

8 Pädiatrie II mit Schwerpunkt Onkologie/Hämatologie, Universitätsklinikum Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Kinderheilkunde und Kinderchirurgie, Humboldt-Universität Berlin

9 Abteilung für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Kinderklinik, Universität Bonn

10 Abteilung für Hämatologie und Onkologie, Kinderklinik, Universität Düsseldorf

11 Nachsorgeklinik Tannheim, Furtwangen

12 Abteilung für Allgemeine Pädiatrie, Hämatologie und Onkologie, Kinderklinik, Universität Gießen

13 Abteilung für Hämatologie/Onkologie, Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Universität Graz

14 Abteilung für Hämatologie/Onkologie und Immunologie, Kinderklinik, Universität Jena

15 Kinderpoliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität, LMU München

16 Abteilung Kinderheilkunde I mit Poliklinik (Allg. Pädiatrie und Onkologie), Kinderklinik, Universität Tübingen

17 Kinderklinik der Universität Würzburg

(7)

gen korrelierten mit Aufmerksam- keits- und Antriebsstörungen sowie leichterer Ablenkbarkeit (7). Leuk- enzephalopathien führen nach Flet- cher und Copeland zu Leistungsmin- derungen in nonverbalen Aufgaben- stellungen, vor allem in geschwindig- keitsabhängigen Aufgaben (speed- Komponente), in der nonverbalen Merkfähigkeit, in der Aufmerksam- keit und im Rechnen (9). Leukenze- phalopathien können sowohl durch die Radiotherapie in Kombination mit MTX-Gaben als auch durch die Chemotherapie alleine, insbesondere MTX, induziert werden (6). In unserer Studie schnitten die 21 Pro-

banden mit dem neuroradio- logischen Befund Leukenze- phalopathie (20 gehörten der RT-Gruppe an) in dem Kauf- man-Faktor FD, der Auf- merksamkeit, Konzentrati- on- und Merkfähigkeit mißt, schlechter ab als Probanden ohne diese Veränderungen.

Da in dieser Gruppe die evozierten Potentiale auffäl- lig verändert waren, können vermutlich Schädigungen des Myelins neurophysiologische Veränderungen auslösen, die die Aufmerksamkeit, Merk- fähigkeit und Konzentrati- onsfähigkeit beeinflussen.

In einem Beobach- tungszeitraum von 10 Jahren nach Behandlungsende be-

schrieben Appleton und Mitarbeiter Verminderungen in den Perzentilen- kurven der Kopfumfänge um 30 bis 57 Prozent bei den Patienten, die kranial mit 24 Gy oder 18 Gy (Patienten unter drei Jahren) bestrahlt wurden (1). In unserer Studie fanden wir nur bei Pro- banden der RT-Gruppe eine Mikroze- phalie. Dies betraf fünf Probanden.

Als Ursache wird vermutet, daß die Schädelbestrahlung sowohl direkt das Knochenwachstum der Schädelkalot- te hemmt als auch das Gehirnwachs- tum verlangsamt. Das kann sekundär zu einem verminderten Kalotten- wachstum führen (14).

Von mehreren Autoren werden nach einer Schädelbestrahlung bei ALL-Patienten Störungen der Hy- pothalamus-/Hypophysenachse be- schrieben (5, 19, 20, 33), die auch ein Übergewicht auslösen können (11).

Wir bestimmten bei 40 Prozent der Untersuchten, unabhängig von der ZNS-Prophylaxe, ein Gewicht ober- halb der 97. Perzentilen. Dieser Be- fund wurde auch in anderen Unter- suchungen geheilter ALL-Patienten erhoben (11, 31). Für zukünftige Stu- dien ist zu empfehlen, den Body- mass-Index zu messen und diesen in Relation zu dem der Eltern zu be- werten.

Es muß auch betont werden, daß erst mit der Einführung einer präven- tiven Behandlung des Gehirns die ZNS-Rezidivrate deutlich gesenkt und die Heilungsrate erhöht wurde.

Die ZNS-Prophylaxe konnte in den vergangenen Jahren modifiziert wer- den: Durch den Einsatz von systemi- schen, hochdosierten MTX-Infusio- nen und intrathekalen MTX-Gaben wurde bei Verzicht auf eine präventi- ve Schädelbestrahlung die Wahr- scheinlichkeit, ein Knochenmark- oder Hodenrezidiv zu erleiden, ge- senkt, während die Inzidenz für ein ZNS-Rezidiv nahezu unverändert blieb. Somit kann heute bei den mei- sten Patienten der Standard- und Mit- telrisikozweig der ALL-Therapiepro- tokolle bei gleichem Therapieerfolg auf die präventive Schädelbestrah- lung verzichtet werden. Nur bei den Hochrisikopatienten ist die präventi- ve Schädelbestrahlung mit 12 Gy wei- terhin ein unverzichtbares Therapie- element. Insgesamt erreichen heute fast 80 Prozent der gesamten Studien-

population in Deutschland eine an- haltende erste Vollremission. Einen wesentlichen Beitrag zur Integration der geheilten Kinder in die Familie, Schule, Beruf und Gesellschaft leisten die Mitarbeiter der psychosozialen Dienste in den onkologischen Abtei- lungen, die leukämiekranke Kinder und deren Familien während der Be- handlung unterstützend begleiten.

Ausblick

Die Ergebnisse unserer Untersu- chungen wurden zur Konzeption einer prospektiven Studie zur longitudinel- len Erfassung der ZNS-Toxizitität ge- nutzt. Die multizentrische Studie un- tersucht eine Stichprobe von neuer- krankten ALL-Patienten an Kliniken in Deutschland und Österreich über einem Zeitraum von acht Jah- ren. Mit dieser Stichprobe sollen die Auswirkungen einer ALL-Behand- lung – durchgeführt nach den aktuellen Therapieprotokollen der BFM- und COALL-Studiengruppen – mit Hilfe neuroradiologischer, neurologischer und neuropsychologischer Untersu- chungen erfaßt werden. Ziel der Studie ist es, Auftretenszeitpunkt und Verlauf möglicher Teilleistungsstörungen zu erfassen und die gesundheitsbezogene Lebensqualität nach einer ALL-Be- handlung mit einer medikamentösen ZNS-Prophylaxe zu untersuchen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-3058–3068 [Heft 48]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Jörn D. Beck Abteilung für Immunologie und Onkologie

Klinik für Kinder und Jugendliche der Universität Erlangen-Nürnberg Loschgestraße 15

91054 Erlangen Die Mitarbeiter folgender Kliniken beteiligten sich

an der Spätfolgenstudie Universität Berlin: G. Henze, U. Brandl,

K. Berger-Jones, S. Wiesnewski;

Universität Bonn: U. Bode, C. Hasan, M. Kusch;

Universität Düsseldorf:Göbel, G. Janßen,

U. Kischlat-Steger, G. Steegmanns;

Universität Erlangen- J. D. Beck, W. J. Huk, Nürnberg: M. A. Überall, W. Meier,

H. Hertzberg, T. Langer, P. Martus;

Universität Freiburg: M. Brandis, R. Korinthenberg, M. Frotscher, C. Niemeyer, Fr. Olschewski;

Universität Gießen: F. Lampert, G. Neuhäuser, U. Tolks-Brandau;

Universität Graz: Ch. Urban, H. Lackner;

Universität Jena: F. Zintl, D. Fuchs, G. Skirl, E. Ruppert;

Universität Mainz: J. Michaelis, P. Kaatsch;

Universität München: C. Bender-Götze, T. Rauch;

Universität Tübingen: D. Niethammer, R. Dopfer, S. Kochendörfer;

Universität Würzburg:J. Kühl, O. Ottensmeier

Die Studie wurde gefördert von der Deutschen Krebshilfe e. V.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

respektive fehlende epidemiologische Datenlage zu AKI im Kindesalter teilweise erklärt. Ein Expertengre- mium aus Kindernephrologen empfiehlt, die KDIGO De- finition zu verwenden,

konnten kürzlich in einer Multicenter-Studie mit insgesamt 336 Patienten, die eine Kombinationschemotherapie mit L-Asparaginase und Cortikosteroiden erhielten, Unterschiede in

Für die Behandlung der ALL bedeutet dieser Mechanismus, dass entscheidende Medikamente eine verringerte Wirksamkeit durch Induktion von Cyp 3A4 haben 57.. Durch

Mit IndraWorks Engineering kann das Antriebs- und Steuerungssystem der IndraMotion MTX micro konfiguriert und in Betrieb genommen werden.. ●

Diese Dokumentation beschreibt die Funktionsweise und den Einsatzbereich der CAD/CAM-Verschachtelungssoftware Lantek Expert Inside.. Sie dient zur Automatisierung der

Improved treatment results in high-risk pediatric acute myeloid leukemia patients after intensification with high-dose cytarabine and mitoxantrone: results of Study Acute

Positive Effekte für das Immunsystem Eine nachhaltige Ernährung hat für Ihre Gesundheit viele Vorteile!. Sie stärkt zum Beispiel Ihr Immunsystem, schwächt Entzündungsprozesse im

Kurzbeschreibung Mit &#34;Nullpunkt Messen Rechteckzapfen&#34; wird der Nullpunkt für die Haupt- und Nebenachse einer Ebene auf Basis der Mitte eines vorhandenen