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Archiv "Aktuelle ZNS-Forschung Gliazell-Funktion wurde lange Zeit unterschätzt" (10.02.1995)

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THEMEN DER ZEIT

E

in Zwischenbericht zu Ausmaß und Folgen von sexuellen Über- griffen in der Therapie ist vor kurzem in Bonn vorgelegt worden.

Er wurde im Auftrag des Bundesmi- nisteriums für Frauen und Jugend (damals noch unter Dr. Angela Mer- kei) vom Freiburger Institut für Psy- chotraumatologie vorgelegt. Ausge- wertet wurden internationale For- schungsergebnisse, einschlägige Er- kenntnisse aus den USA und eine Fragebogenaktion.

Die Autoren des Berichts gehen davon aus, daß in Deutschland wie in ganz Europa sexuelle Übergriffe in der Therapie erst seit kurzem und nur vereinzelt in der öffentlichen Diskussion und innerhalb der Wis-

BERICHTE

senschaft behandelt werden. Anders in den USA: Dort wird das Thema seit langem diskutiert, und es liegen zahlreiche Untersuchungen über schwere Folgeschäden vor, die sexu- elle Übergriffe für die Betroffenen mit sich bringen. Als Konsequenz ha- ben die zuständigen Berufsverbände bereits Ethikrichtlinien formuliert.

Außerdem wurden in 14 US-Bundes- staaten Strafgesetze gegen Thera- peutinnen und Therapeuten erlassen, die im Zusammenhang mit einer

Therapie sexuelle Kontakte aufneh- men.

In Deutschland hingegen sei nicht nur ein allgemein geringer Infor- mationstand, vor allem auch in Fach- kreisen, zu beobachten. Auch die mei- sten Berufsverbände hätten gerade erst begonnen, sich mit der Problema- tik auseinanderzusetzen. Außerdem existierten bislang keine strafrechtli- chen Normen, die das gerichtliche Vorgehen eines Therapieopfers aus- sichtsreich erscheinen ließen. WZ

Studie zu

sexuellen Übergriffen

Aktuelle ZNS-Forschung

Gliazell-Funktion wurde lange Zeit unterschätzt

Spricht man von den Zellen des Gehirns, so denkt man unwillkürlich an Millionen von Nervenzellen, die über ein kompliziertes Netzwerk zu Schaltstellen (Neuronen) verbunden sind. Will man jedoch die Funktion des Gehirns verstehen, kommt man um eine weitere Familie von Zellen nicht mehr herum: die Gliazellen.

Sehr alt ist diese Erkenntnis allerdings nicht. Erst die rapide Entwicklung der zell- und molekularbiologischen Me- thoden zu Beginn der 80er Jahre hat den Weg gebahnt, auch die „schwei- gende Mehrheit" im Gehirn näher zu untersuchen: Denn Oligodendrozy- ten, Astrozyten und Mikroglia — wie die verschiedenen Typen der Gliazel- len genannt werden — stellen etwa zwei Drittel der Zellen des Zentral- nervensystems dar. Und die drei Glia- zelltypen sind, wie in den letzten Jah- ren deutlich wurde, keineswegs nur schlichtes Stütz- und Nährgewebe, sondern ebenbürtige Partner der etwa eine Billion Nervenzellen.

Und so beeinträchtigen Störun- gen der Gliazellfunktion auch massiv die Funktion der Nervenzellen. Dafür

ist die Multiple Sklerose ein sehr dra- stisches Beispiel. In den letzten Jah- ren wird immer deutlicher, daß die Multiple Sklerose als „Bürgerkrieg"

unter Gliazellen ihren Anfang nimmt . Vermutlich sind Mikroglia die Initia- toren eines körpereigenen Angriffs auf die Oligodendrozyten, der dann später von aus der Peripherie an- gelockten T-Lymphozyten und Ma- krophagen fortgesetzt wird.

Amöbengleiche Wanderung

Tatsächlich haben Mikroglia selbst einige Ähnlichkeit mit gewebe- spezifischen Makrophagen. Ihre Ab- stammung ist allerdings noch unklar.

Vermutlich dienen sie dem Gehirn als erste Verteidigungslinie gegen Verlet- zungen oder Infektionen.

Im gesunden, unverletzten Ge- hirn liegen' die Mikroglia, ohne sich gegenseitig zu berühren, zwischen den Neuronen oder entlang der Nervenfa- sern. Sie bilden mit ihren Verzweigun- gen ein engmaschiges Netz. Welche

Funktionen sie in diesem ruhenden Zustand ausüben, wird derzeit noch diskutiert. Möglicherweise befinden sie sich in einem Wartezustand.

Sie in diesem Zustand zu untersu- chen, ist auch gar nicht einfach. Die Zellen sind so sensibel, daß sie prak- tisch durch jeden Eingriff aktiviert werden, der die Integrität des Nerven- systems verletzt. In der Nähe einer Verletzung etwa ändern die Mikroglia innerhalb von Minuten bis Stunden ihr äußeres Erscheinungsbild: Sie zie- hen ihre Ausläufer ein, teilen sich und wandern amöbengleich (wie Einzeller im Wasser) an den Ort der Schädi- gung. Dort umzingeln sie die Zellkör- per der verletzten Nervenzellen.

Die Details dieses Aktivierungs- prozesses sind noch weitgehend un- klar. Die unterschiedlichsten Fakto- ren kommen als Aktivatoren in Frage:

Die Palette reicht vom Komplement- protein 3 über Makrophagenwachs- tumsfaktoren (M-CSF und GM-CSF) bis hin zu erhöhten Kaliumkonzentra- tionen oder ATP, das aus geschädigten Zellen austritt. Nach Aktivierung än- dert sich das Muster der Substanzen, Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 6, 10. Februar 1995 (35) A-349

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THEMEN DER ZEIT

die von den Mikroglia freigesetzt wer- den: sie bilden, wie in der letzten Zeit deutlich wurde, eine ganze Reihe für Makrophagen typischer immunmo- dulatorischer Peptide — darunter In- terleukin-1 und Tumor-Nekrose-Fak- tor alpha. Interessanterweise bilden aktivierte Mikroglia auch das Amylo- id-Precursor Protein (APP), welches im Verdacht steht, an der Entwick- lung der Alzheimerschen Krankheit beteiligt zu sein.

Mikroglia-Zellen reagieren ab- gestuft auf eine Verletzung. Eine ver- gleichsweise milde Reaktion ist das sogenannte synaptic stripping: Dabei trennen die Mikroglia eine Nerven- zelle von ihren eingehenden Schalt- stellen (Synapsen). Diese Reaktion läßt sich beispielsweise am Zellkörper und den Dendriten einer Nervenzelle beobachten. Möglicherweise, so die Spekulation, ist synaptic stripping ei- ne Voraussetzung für die Regenerati- on der geschädigten Nervenzellen.

Unter bestimmten Umständen — etwa in Gegenwart degenerierender Neurone — können Mikroglia jedoch diese eher defensive Rolle verlassen und zu aggressiven, zytotoxischen Phagozyten werden. Dann produzie- ren sie auch die „Kampfstoffe" der Makrophagen — reaktive Sauerstoff- radikale und Stickstoffmonoxid.

Beispiel Schlaganfall

Diese Reaktion der Mikroglia, sinnvoll im Einsatz gegen eine Infek- tion, kann jedoch leicht aus dem Ru- der laufen. Beispiel Schlaganfall: Ei- niges weist darauf hin, daß ein Teil der massiven Gewebezerstörung nach ei- nem Schlaganfall auf das Konto akti- vierter Mikroglia geht. Anstatt zu schützen, verstärken die Zellen noch den Schaden.

Dieser Aspekt macht die Akti- vierungsmechanismen der Mikroglia auch als pharmakologisches Ziel ei- ner Schlaganfalltherapie interessant.

„Wir möchten die Mikroglia-Aktivie- rung unterbrechen, um den verzöger- ten Zelltod zu verringern", beschreibt Dr. Thomas Fahrig die Ziele, die sich seine Forschergruppe in der Abtei- lung Experimentelle Neurologie der Kölner Troponwerke gesetzt hat. Die

BERICHTE

Rationale hinter diesem Ansatz ist die Beobachtung, daß im Infarktgebiet nur etwa 30 Prozent der Zellen direkt durch den Sauerstoffmangel bezie- hungsweise die unmittelbar nachfol- gende Glutamatkaskade zerstört wer- den.

„Leitplanken" für Nervenzellen

Sie sterben innerhalb weniger Stunden nach dem Ausfall der Blut- versorgung. 70 Prozent der Zellen ge- hen jedoch erst im Laufe der nächsten Tage nach dem Schlaganfall zugrun- de. Und zu deren Verlust könnte der zytotoxische Angriff der aktivierten Mikroglia entscheidend beitragen.

Sollten sich dieser Verlust tatsächlich durch Hemmung der Mikroglia-Akti- vität in Grenzen halten lassen, steht der Regeneration der Nervenzellen allerdings noch ein weitere Reaktion von Gliazellen im Weg — die der Astrozyten.

Auch dieser dritte Gliasubtyp wird durch Verletzungen des Gehirns aktiviert. Astrozyten haben je nach Entwicklungsphase des Gehirns un- terschiedliche Funktionen: Im heran- wachsenden Gehirn sind Astrozyten nicht nur die „Leitplanken" für ge- zielte Wachstums- und Wanderungs- bewegungen der Nervenzellen, son- dern produzieren, wie in den letzten Jahren klar wurde, auch einige der von den Neuronen benötigten Ner- venwachstumsfaktoren.

Nach Abschluß dieser Wachs- tumsprozesse bilden die Astrozyten durch Kontakte untereinander ein zu- sammenhängendes Kanalsystem, das allerdings auch mit allen anderen Zelltypen und den Blutgefäßen in en- ger Verbindung steht. In Kooperation mit den Nervenzellen sind Astrozyten entscheidend an der Aufrechterhal- tung des Ionen-Gleichgewichts im Gehirn beteiligt.

Indem sie vor allem Kalium- Ionen durch spezielle Kanäle aufneh- men, beseitigen sie zu hohe Kalium- Konzentrationen, die die lokale Leit- fähigkeit der Nervenmerübranen er- schweren. Gleichzeitig besitzen Astrozyten eigene Transportsysteme für Neurotransmitter, die an der Be- seitigung der Botenstoffe aus dem

synaptischen Spalt beteiligt sind.

Nach Verletzungen des Gehirns kön- nen jedoch auch Astrozyten in eine neue Rolle schlüpfen: Sie werden zu

„reaktiven" Astrozyten. Ihre Akti- vierung setzt indes einige Stunden bis Tage später ein als die der Mikroglia.

Es gibt Hinweise, daß es die aktivier- ten Mikroglia sind, die über freige- setzte Zytokine wie das Interleukin-1 eine sekundäre Aktivierung der Astrozyten auslösen. Reaktive Astro- zyten machen ebenfalls morphologi- sche Änderungen durch: Aus den weitverzweigten werden flächigere, eher kachelartige Zellen.

Narbenkapsel regenerationsfähig

Diese Zellen schotten die Regi- on einer Verletzung regelrecht von der Umgebung ab. Der biologische Sinn ist vermutlich, durch Einkapse- lung der verletzten Neuronen eine Beeinträchtigung der umliegenden Gebiete zu verhindern. Einige Indizi- en deuten darauf hin, daß Astroglia ihre Aufgabe oft zu gut erfüllen: Re- aktive Astrozyten schließen sich zu ei- ner Art Narbenkapsel zusammen, der sogenannten glial scar.

Solche Narben können noch Jah- re nach einer Verletzung nachgewie- sen werden. Dabei legen Untersu- chungen der im Inneren der Narbe überlebenden Neuronen nahe, betont Fahrig, daß die eingekapselten Ner- ven durchaus noch fähig zur Regene- ration sein könnten. Durch die Astro- zytenkapsel sind sie allerdings vom restlichen Gehirn völlig abgeschnit- ten.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, daß das Astrozyten-Narbenge- webe einer gewissen funktionellen Neuorganisation der Schlaganfall- region im Wege steht. Aus diesem Grund sucht man auch nach pharma- kologischen Wegen, diese Narbenbil- dung nach einem Schlaganfall zu ver- mindern oder rückgängig zu machen:

„Unsere Hoffnung ist", schildert Fah- rig, „die Astrozyten so zu manipulie- ren, daß sie für eine Regeneration zu- mindest nicht mehr hinderlich sind und die Nervenzellen über kurze Di- stanzen wieder vernünftige Verbin- dungen machen." Klaus Koch A-350 (36) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 6, 10. Februar. 1995

Referenzen

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