A 428 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 112|
Heft 10|
6. März 2015SMART HEALTH
Apps als Innovationstreiber
Assistierende Technologien und Apps werden zunehmend für die Gesundheitsvorsorge genutzt. Treibende Kräfte entwickeln sich dabei aus dem unregulierten Markt.
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bwohl schon Hunderte Mil- lionen Euro in die Erfor- schung und Entwicklung ambienter assistiver Technologien (AAL) ge- flossen sind, ist ein Marktdurch- bruch noch längst nicht erreicht.Hohe Produktpreise, wenig Kaufin- teresse, wenig unternehmerisches Interesse konstatierte Dr.-Ing. Rei- ner Wichert, Leiter der Fraunhofer- Allianz Ambient Assisted Living, Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung, beim Workshop der Bitkom-Akademie zu „Smart Health“ in Köln. Gemeinsame Ge- schäftsmodelle fehlten, Privacy und Datenschutz gelten als Hemmschu- he. Nur der „Nutzen“ bringe An- wender dazu, auf Privatheit zu ver- zichten, wie sich am Beispiel von Payback demon strieren lasse. Da Einzellösungen wie etwa der mobile Serviceroboter, das Aktivitätsmoni- toring oder das assistive Badezim- mer immer mit dem Problem der In- tegration behaftet seien, zeichne sich ein Trend zu übergreifenden Plattformen und Gesamtlösungen ab. Dabei ist der Übergang von komfortorientiert-unterstützenden zu medizinischen Anwendungen fließend, die technologische Basis weitgehend die gleiche. „AAL muss allen Altersgruppen nutzen, also dis- kriminierungsfrei sein, und allen Spaß machen“, betonte Wichert. Ei- ne Vermarktung mit Bezug auf „alt“
und „krank“ müsse scheitern.
In die gleiche Kerbe schlug Bernhard Calmer, Cerner Health Services GmbH. „Die Menschen wollen gesund altern und fragen:
Was kann mich dabei unterstützen, dieses Ziel zu erreichen?“ Statt Spezialtechnik für Alte sei „coole“
Technologie wie Wearables ge- fragt. Dabei sei der Vergleich mit anderen wichtig nach dem Motto:
„Ich veröffentliche meine Jogging-
werte und Vitaldaten in Facebook, weil ich in der Peergroup mitspie- len will“, erläuterte Calmer. Das sei der Wirkmechanismus, um Mo- tivation beim Einzelnen zu erzeu- gen. Der Hebel, um AAL breit um- zusetzen, sei, Nutzen und Motiva- tion intrinsisch zu erzeugen. Der Patient übernimmt Calmer zufolge dabei eine neue Rolle: „IT dient als Schlüssel zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.“ Die Prävention erhält dabei eine zen- trale Rolle und führt zu einem neu- en Verständnis von Versorgung (Beispiel: Bonizahlungen von Ver- sicherungen für Gesundheitsda-
ten). Dabei erweise sich der unre- gulierte Markt für E-Health als In- novationstreiber und Motor für disruptive Entwicklungen, argu- mentierte Calmer.
„Technik und Versorgungspro- zesse denken wir in Deutschland getrennt“, monierte Melanie Tap- rogge, Deutsche Telekom. Vernetz- tes Denken fehle. Sie verwies als Gegenmodell auf das Projekt Tele- health Ostsachsen, in dem die CCS GmbH, eine Tochter des Universi- tätsklinikums Dresden, und die Te- lekom-Tochter T-Systems Interna- tional als Projektträger eine offene, barrierefreie und interdisziplinäre IT-Plattform für die medizinische Versorgung der Bevölkerung auf- bauen (www.telehealth-ostsachsen.
de). Telecoaching, Telestroke, Tele- pathologie sind die drei Pilotan- wendungen, mit denen das Netz in Betrieb gehen soll.
„Es gibt gute und schlechte Health-Apps. Man darf sich nicht
blind auf Apps verlassen“, betonte Dr. med. Christiane Groß, Vorsit- zende des E-Health-Ausschusses der Ärztekammer Nordrhein und des Ärztlichen Beirates NRW. Apps könnten generell den Zugang zu In- formationen erleichtern und durch eine einfachere Kommunikation zwischen Arzt und Patient auch da- zu beitragen, die Versorgung zu verbessern. Ärzte seien jedoch noch skeptisch. „Wenn Apps den Arzt er- setzen, Diagnosen stellen oder The- rapieempfehlungen geben, dann sind wir nicht mehr dabei“, erklärte Groß mit Blick auf Anwendungen wie die Melanom-Diagnose per App. „Auch den Datenschutz sehen wir als Risiko.“ Die Preisgabe von Gesundheitsdaten etwa in Face- book berge die Gefahr des gläser- nen Menschen auf freiwilliger Ba- sis. Ärzten und Patienten sollte die Bewertung von Apps zum Beispiel durch Definition von Qualitätskri- terien erleichtert werden.
Wenn der Patient mit seinen Ge- sundheitsdaten aus dem Smart-
phone zum Arzt kommt, sind aller- dings Mechanismen nötig, wie da- mit umzugehen ist, so das mehr- heitliche Votum in der Diskussion.
Ärzte sollten in die Lage versetzt werden, gestaltend und nicht nur abwehrend mit diesen Prozessen umzugehen.
Während heute drei Gesund- heitsdatenpools nebeneinander ex is- tieren – die Daten für den Aus- tausch der Professionals zum Bei- spiel über die elektronische Fallak- te, strukturierte Daten für Big-Da- ta-Anwendungen etwa im Rahmen der personalisierten Medizin und das unstrukturierte Datenmaterial der privaten Nutzer – könnten künftig die Grenzen zwischen die- sen Welten verschwimmen. Auch der dritte Pool wird dann, entspre- chende Analyse- und Datenschutz- werkzeuge vor ausgesetzt, für eine bessere medizinische Versorgung
genutzt.
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Heike E. Krüger-Brand
„ Ich veröffentliche meine Joggingwerte und Vitaldaten in Facebook, weil ich in der Peergroup mitspielen will. “
Bernhard Calmer, Cerner Health Services GmbH
Fotos. iStockphoto