A 2402 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 48|
30. November 2012V
ertreter von Hilfsorganisatio- nen haben nach den Verwüs- tungen des Hurrikans „Sandy“ in der Karibik ein Umdenken in der Entwicklungspolitik gefordert. Vor allem der Fall Haitis zeige die Ver- fehlungen der internationalen Auf- bauhilfe, beklagten Experten aus den USA und Haiti im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.Während sich die Berichterstat- tung internationaler Medien über den Tropensturm „Sandy“ lange auf die Lage an der US-amerikanischen Ostküste konzentrierte, drohten die schweren Verwüstungen in der Ka- ribik weitgehend in Vergessenheit zu geraten. Dabei sei eine Debatte gerade jetzt wichtig, weil die Hilfs- gelder aus verschiedenen Gründen falsch genutzt würden, erklärte der haitianische Jurist und Menschen- rechtsaktivist Patrice Florvilus: „Es gibt eine Unmenge an ausländi- schen Nichtregierungsorganisatio- nen und Hilfsorganisationen, aber keine landesweite Koordinierung des Wiederaufbaus.“ Zudem versi-
ckere ein Großteil der Gelder in Bürokratie und in Korruption, sagte Florvilus. Auch deswegen seien die Folgen des Erdbebens vor drei Jah- ren noch nicht überwunden.
Hilfslieferungen kommen aus Venezuela
Bei dem schwersten Hurrikan der vergangenen Jahre verloren nach bisherigen offiziellen Zählungen im karibischen Becken circa 100 Men- schen ihr Leben. Allein in Haiti sind nach Behördenangaben 80 To- te zu beklagen. Dabei hatte der Sturm den Inselstaat gar nicht di- rekt getroffen. Durch die schweren Regenfälle am Rand des Sturm - wirbels traten die Flüsse jedoch über die Ufer und rissen zahlreiche Straßen und Behausungen mit sich.
In einigen Regionen des krisenge- beutelten Landes seien bis zu 70 Pro - zent der Ernte vernichtet worden, hieß es von Regierungsseite.
In Kuba hinterließ „Sandy“ die schwersten Schäden nach einer Na- turgewalt seit Jahren. Im Osten des
Landes kamen elf Menschen ums Leben, darunter ein Kind. Nach der bisherigen Bestandsaufnahme wur- den 220 000 Wohngebäude beschä- digt oder zerstört.
Ende Oktober trafen nach Angaben des lateinamerikanischen Nachrichtensenders Telesur erste Hilfslieferungen aus Venezuela in Kuba und Haiti ein. Eine Maschi - ne der venezolanischen Luftwaffe brachte seither Dutzende Tonnen Nahrungsmittel in das ostkubani- sche Santiago de Cuba, die zweit- größte Stadt des Landes. Während Venezuela Grundnahrungsmittel zur Verfügung stellt, legen die kubani- schen Behörden ihr Augenmerk auf die Verhinderung von Krankheiten.
In den vergangenen Monaten war es gerade im Osten Kubas zu Cho- lera-Fällen gekommen, die nach der Naturkatastrophe eine große Gefahr darstellen. Das gilt ungleich stärker für Haiti, wo durch einen durch UN-Blauhelme aus Asien einge- schleppten Cholera-Erregerstamm seit 2010 etwa 4 800 Menschen starben und mehr als 270 000 infi- ziert wurden.
Mit Blick auf diese Lage verwei- sen Experten auf die schweren strukturellen Probleme Haitis. Man müsse davon ausgehen, dass es in- folge von „Sandy“ in Haiti mehr Tote geben werde als in allen ande- ren Staaten zusammen, sagte Brian Concannon von der US-Organisati- on „Institute for Justice and Demo- cracy“ in Haiti. Der Sturm habe ein- mal mehr das reale Desaster Haitis offenbart, fügte Concannon hinzu.
Dieses bestehe in den „jahrzehnte- langen Verfehlungen der haitiani- schen Regierungen und der interna- tionalen Gemeinschaft, grundlegen- de Dienstleistungen sicherzustellen, um die Bevölkerung gegen Natur- katastrophen unanfälliger zu ma- chen“. Ähnlich äußerte sich Alexis Erkert von der US-Hilfsorganisati- on „Other Worlds“. Knapp 400 000 Menschen in Haiti lebten auch drei Jahre nach dem verheerenden Erd- beben noch in Zelten und Well- blechhütten. Die Auswirkungen von Hurrikan „Sandy“ zeigten,
„wie dringend ein Wohnungsbau- plan in Haiti ist“.
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Harald Neuber
KATASTROPHENHILFE
Haitis falsche Entwicklung
Hurrikan „Sandy“ provoziert eine Debatte über Not- und Aufbauhilfe in der Karibik. Experten weisen auf verschleppte Probleme in Haiti hin.
Doppelt getroffen:
Im Januar 2010 verwüstete ein Erdbeben Haiti.
Mit den Folgen kämpfen die Menschen noch heute. Jetzt richtete der Tropensturm
„Sandy“ neue Zerstörungen an.
Foto: dpa