FOKUS
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 29 Informationserfassung und -verarbeitung im Ge- samtunternehmen oder in bestimmten Unter- nehmensbereichen (siehe Tabelle 1). Ebenfalls häufig anzutreffen sind Technologien, die sich auf den firmeninternen bzw. -externen Infor- mationsaustausch beziehen. Beispiele dafür sind E-Beschaffung, Social Media und Telearbeit.
Komplexere Technologien sind seltener. Auf der einen Seite sind dies beispielsweise Roboter oder Technologien wie Radio Frequency Identi- fication und Rapid Prototyping, die primär in In- dustrieunternehmen bei der Güterproduktion eingesetzt werden. Auf der anderen Seite gehö- ren zukunftsorientiertere Technologien wie 3-D- Printing und Internet of Things dazu, die zum Teil noch experimentellen Charakter aufweisen.
Auswirkungen auf die Beschäfti- gung insgesamt
Rund drei Viertel der befragten Unternehmen melden keine Änderung der Gesamtbeschäf- tigung als Folge der Digitalisierung: Abnahme und Zunahme halten sich mit 12 und 11 Prozent die Waage (siehe Abbildung 1).2 Für die Industrie und im Dienstleistungssektor sind diese Werte ähnlich. Es bestehen auch keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Teilsektoren sowohl in der Industrie als auch im Dienst leistungssektor.
Besonders wenig betroffen von der Digitalisie- rung ist die Baubranche, wo 92 Prozent der Fir- men keine Änderung der Stellenzahl melden.
Relativ starke Beschäftigungseffekte gibt es bei den grossen Unternehmen, wo die di- gitalisierungsbedingte Zunahme 19 Prozent und die Abnahme 17 Prozent beträgt (siehe
D
ie Digitalisierung der Wirtschaft in der Schweiz steckt bezüglich der neuesten technologischen Entwicklungen noch in den Anfängen und hat bislang nur zu geringen Be- schäftigungseffekten geführt. Das sind Haupt- ergebnisse einer repräsentativen Umfrage bei 1183 Schweizer Firmen zur Digitalisierung für den Zeitraum 2013 bis 2015. Die Erhebung wur- de im Herbst 2016 von der KOF Konjunktur- forschungsstelle gemeinsam mit der Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und der Hochschule für Angewand- te Psychologie der Fachhochschule Nordwest- schweiz (FHNW) durchgeführt.1Die Firmen wurden unter anderem befragt, wie sie 24 ausgewählte Technologien bzw. Tech- nologieelemente einsetzen. Wie sich zeigt, sind Softwareapplikationen wie «Enterprise Resource Planning» und «Customer Relationship Manage- ment» am stärksten verbreitet. Diese dienen der
Unternehmen setzen auf qualifizierte Arbeitskräfte
Die Digitalisierung der Wirtschaft hat bislang in der Schweiz zu geringen Beschäfti- gungseffekten geführt, wie eine Unternehmensbefragung zeigt. Verschiebungen zei- gen sich indes beim Ausbildungsniveau: Während die Nachfrage nach gut qualifiziertem Personal steigt, sinkt die Nachfrage nach Ungelernten. Spyros Arvanitis, Gudela Grote, Toni Wäfler, Martin Wörter
Abstract Im Herbst 2016 haben die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, die Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und die Hochschule für Angewandte Psychologie an der Fach- hochschule Nordwestschweiz (FHNW) rund 1200 Schweizer Unterneh- men zur Digitalisierung befragt. Nach Ausbildungsniveaus betrachtet, stieg die Anzahl der Firmen, die Absolventen von Universitäten, Fach- hochschulen und Fachschulen sowie Personen mit abgeschlossener Be- rufslehre nachfragten. Geringere Nachfrage zeigt sich nur bei den An- und Ungelernten. Die gemeldeten Beschäftigungszuwächse für die Berufs- lehrabsolventen sind etwa gleich hoch in allen Sektoren, ebenfalls die Zu- wächse für Auszubildende. Das unterstreicht die Bedeutung einer guten, formalen Ausbildung und kann als Hinweis interpretiert werden, dass das duale Ausbildungssystem von der Digitalisierung – jedenfalls zurzeit – nicht gefährdet wird. Allerdings sind neue zukunftsorientierte Technolo- gien mit zum Teil experimentellem Charakter noch schwach vertreten.
1 Zur Umfrage siehe Ar- vanitis et al. (2017). Ins- gesamt wurden 3931 Firmen kontaktiert (Rücklaufquote von 30%). Die Umfrage wurde von der MTEC- Foundation der ETH Zürich gefördert; die Datenauswertung und die Verfassung des Be- richts wurden vom SBFI unterstützt.
2 Die Anteile addieren sich nicht immer zu 100%, da einzelne Fir- men keine Angaben ge- liefert haben.
DIGITALISIERUNG
30 Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018
Abbildung 2). Netto sind diese Änderungen aller dings kaum mehr sichtbar.3
Ungelernte als Verlierer
Aufschlussreich ist eine Betrachtung nach dem höchsten Berufsabschluss. Dazu wurden die Be- schäftigten in die Personalkategorien Universi- täts-, Fachhochschul-, Fachschul-, Berufslehrab- solventen, An- und Ungelernte sowie Lehrlinge eingeteilt (siehe Tabelle 2). Obwohl auch hier die meisten Befragten keine Änderungen aufgrund der Digitalisierung melden, ist die Richtung der Veränderung vermutlich wegweisend für die zu- künftige Entwicklung der Beschäftigung nach Ausbildungskategorien. So überwiegt die An- zahl der positiven Nennungen bei den Absolven- ten von Fachhochschulen, Fachschulen und Per- sonen mit einer abgeschlossenen Berufsschule deutlich. Auch Akademiker sind angesichts der Digitalisierung gefragter. Bei der Beschäfti- gung von Lehrlingen sind leicht häufiger posi- tive Nennungen zu verzeichnen. Einzig bei den An- und Ungelernten bewirkt die Digitalisierung einen negativen Nettoeffekt: 15 Prozent aller Fir- men melden hier eine Beschäftigungsabnahme, 5 Prozent eine Zunahme.
Die positiven Effekte für die vier ersten Kate- gorien sind sowohl im Industrie- und im Dienst-
leistungssektor als auch in der Baubranche an- zutreffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. So ist die Zunahme bei den Absol- venten von Fachhochschulen und Fachschulen merklich stärker im Industrie- als im Dienstleis- tungsbereich. In der Baubranche ist sie etwas schwächer als in den anderen zwei Sektoren. Die Effekte für Universitätsabsolventen, wiederum, sind in der Industrie und im Dienstleistungssek- tor ähnlich; der Bau meldet keinen zusätzlichen Bedarf nach Akademikern.
Auffallend hoch sind die Zuwächse für die Kategorien Fachhochschulen/Fachschulen in allen drei Sektoren. Auch die gemeldeten Zu- wächse für die Berufslehrabsolventen sowie die Zuwächse bei den Lehrlingen sind etwa gleich hoch. Beide Effekte zusammengenommen, deu- ten darauf hin, dass das duale Ausbildungs- system von der Digitalisierung derzeit nicht gefährdet wird. Bedroht scheint jedoch die Be- schäftigung von An- und Ungelernten – und zwar in ähnlichem Ausmass in allen Sektoren.
Grossunternehmen reagieren am stärksten
Je nach Unternehmensgrösse wirkt sich die Di- gitalisierung auf die Beschäftigung in den ver- schiedenen Personalkategorien unterschiedlich
3 Es wurde gefragt, ob eine Unternehmung aufgrund der Digitali- sierung Beschäftigung aufgebaut bzw. ab- gebaut hat. Es wurde nicht gefragt, wie viele Stellen auf- oder ab- gebaut worden sind.
Somit bezieht sich die Nettoveränderung auf die Anteile der Unter- nehmen mit der ent- sprechenden Nennung.
In Grossunterneh- men beeinflusst die Digitalisierung die
Beschäftigung stark. KEYSTO
NE
FOKUS
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018 31 Tabelle 1: Einsatz von ausgewählten Technologien in Schweizer Unternehmen (Anzahl Nennungen in %
der Firmen)
Rang Technologie Total Erstmals vor
2013 Erstmals
2013 bis 2015 Kleine Unter-
nehmen Mittlere
Unternehmen Grossunter- nehmen 1. ERP (Enterprise Resource
Planning 60 48 12 50 73 92
2. E-Beschaffung 57 35 22 58 54 72
3. CRM (Customer Relationship
Management) 47 30 17 42 52 65
4. Social Media - extern 45 15 30 42 47 65
5. Telearbeit 42 25 17 32 54 78
(…)
20. Internet of Things 12 5 7 12 11 17
21. Roboter 9 6 3 5 13 28
22. RFID (Radio Frequency Identification)
7 2 5 3 10 23
23. 3-D-Printing 5 2 3 4 7 15
24. Rapid Prototyping, Simulation 4 3 1 3 5 11
Abb. 1: Auswirkung der Digitalisierung auf die Beschäftigung im Industrie-, Bau- und Dienstleistungs- sektor (Anzahl Nennungen in % der Firmen)
ARVANITIS ET AL. (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Prozentualer Anteil der Unternehmen des jeweiligen Aggregats;
Industrie
Zunahme Abnahme Unverändert Industrie: Hightech
Industrie: Lowtech Bau
Dienstleistungen Dienstleistungen: Modern Dienstleistungen: Traditionell Total
Abb. 2: Auswirkung auf die Beschäftigung nach Firmengrösse (Anzahl Nennungen in % der Firmen)
ARVANITIS ET AL. (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFTARVANITIS ET AL. (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Klein <50 Beschäftigte in Vollzeitäquivalenten)
Zunahme Abnahme Unverändert Mittel (50–249 Beschäftigte)
Gross (>249 Beschäftigte)
Total
Prozentualer Anteil der Unternehmen des jeweiligen Aggregats;
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
90 100
0 10 20 30 40 50 60 70 80
DIGITALISIERUNG
32 Die Volkswirtschaft 1–2 / 2018
Für die drei Personalkategorien mit höherer Qualifikation (Universitäts-, Fachhochschul- und Fachschulabsolventen) melden auch die kleinen und die mittelgrossen Unternehmen (KMU) Zu- wächse, wenn auch in geringerem Ausmass als die grossen Firmen. Im Gegensatz zu den grossen Fir- men melden die KMU, insbesondere die kleinen Firmen, eine Nettozunahme der Beschäftigung für Gelernte. Die kleinen Unternehmen melden auch bei den Auszubildenden eine etwas stärkere Zunahme der Beschäftigung als mittelgrosse und grosse Firmen. Bei allen drei Grössenklassen sind negative Beschäftigungseffekte für An- und Unge- lernte zu verzeichnen.
Für die Schweiz scheint somit die internatio- nal oftmals vorgebrachte «Polarisierungsthese»
insgesamt ungültig.4 Laut dieser These bewirkt der technologische Wandel sowohl eine steigende Nachfrage nach Beschäftigten mit tertiärer Aus- bildung als auch nach Ungelernten – gleichzeitig sinkt der Bedarf an Beschäftigten mit mittleren Qualifikationen. Allerdings gibt es für die Schweiz Hinweise auf die Substitution wenig qualifizierter Arbeit.
Literatur
Arvanitis, S. (2005). Information Technology, Workplace Organization and the Demand for Labour of Different Skills: Firm-level Evidence for the Swiss Economy, in: H. Kriesi, P. Farago, M. Kohli and M. Zarin-Neja- dan (eds.), Contemporary Switzerland: Revisiting the Special Case, Pal- grave Macmillan, New York and Houndmills, 135–162.
Arvanitis, S. and E. Loukis (2015). Employee Education, Information and Communication Technology, Workplace Organization and Trade: A Comparative Analysis of Greek and Swiss Enterprises, Industrial and Corporate Change, 24(6): 1417–1442.
Arvanitis, S., Grote, G., Spescha, A., Wäfler, T. und M. Wörter (2017).
Digitalisierung in der Schweizer Wirtschaft: Ergebnisse der Umfrage 2016 – eine Teilauswertung im Auftrag des SBFI, KOF Studien Nr. 93, Zürich.
Autor, D.H., Katz, L.F. and M.S. Kearney (2006). The Polarisation of the U.S. Labor Market, American Economic Review, Papers and Procee- dings, 96(2): 189–194.
Michaels, G., Natraj, A. and J. Van Reenen (2013). Has ICT Polarized Skill Demand? Evidence from Seven Countries over 25 Years, Review of Eco- nomics and Statistics, 96: 60–77.
Spyros Arvanitis
Dr. oec. publ., höherer wissenschaftlicher Mitarbeiter, KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich Gudela Grote
Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie, Departement Management, Technologie und Ökono- mie, ETH Zürich
Toni Wäfler
Professor für Angewandte Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), Olten
Martin Wörter
PD Dr. rer. soc. oec., Leiter der Sektion Innovationsöko- nomik, KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
Tabelle 2: Auswirkung der Digitalisierung auf die Beschäftigung nach Ausbildungskategorien und Firmengrössen (Anzahl Nennungen in % der Firmen)
Klein
<50 Beschäftigte in Vollzeit
äquivalenten
Mittel 50–249 Beschäf
tigte
Gross
>249 Beschäftigte Total
Universitäten
Zunahme 4 12 20 8
Abnahme 1 0 1 1
Unverändert 94 88 79 91
Fachhochschulen
Zunahme 13 21 31 17
Abnahme 1 2 1 1
Unverändert 85 77 68 82
Fachschulen
Zunahme 14 18 29 16
Abnahme 1 3 7 2
Unverändert 85 79 64 81
Berufslehre
Zunahme 22 8 8 16
Abnahme 6 6 12 6
Unverändert 72 85 80 77
An und Ungelernte
Zunahme 7 2 2 5
Abnahme 14 15 25 15
Unverändert 79 82 73 80
In Ausbildung (Lehrlinge)
Zunahme 11 4 8 8
Abnahme 3 1 3 2
Unverändert 87 95 89 90
Prozentualer Anteil der Unternehmen des jeweiligen Aggregats.
ARVANITIS ET AL. (2017) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
aus. Die grössenbedingten Unterschiede sind dabei stärker als die sektorbedingten Differen- zen. Relativ stark betroffen sind die grossen Unternehmen: 20 Prozent dieser Firmen melden eine Zunahme der Beschäftigung bei den Uni- versitätsabsolventen, 31 Prozent eine Zunah- me bei den Fachhochschulabsolventen und 29 Prozent eine Zunahme bei den Fachschulabsol- venten. Für die Gelernten wird bei den grossen Firmen eine – wenn auch geringe – Nettoabnah- me der Beschäftigung gemeldet. Bei den Ausbil- denden wiederum ist netto ein kleiner positiver Effekt zu verzeichnen. Stark negativ ist der Be- schäftigungseffekt allerdings bei den An- und Ungelernten: Ein Viertel der grossen Firmen meldet eine Abnahme der Beschäftigung bei die- ser Kategorie.
4 Michaels et al. (2013) und Autor (2006). Zur Situation in der Schweiz vgl. auch Arvanitis/Lou- kis (2015), basierend auf Daten von 2004, und Arvanitis (2005), ba- sierend auf Daten von 1999.