START-UPS
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schaffen werden, lässt sich somit aufgrund der vorhandenen Daten nicht bestätigen.
Für die Ecoplan-Studie wurden erstmalig verschiedene Daten des Bundesamtes für Sta- tistik miteinander verknüpft.3 Wo es die rela- tiv dünne Datenbasis erlaubte, vergleicht der Bericht die Schweiz mit verschiedenen OECD- Ländern. Insbesondere zu Start-ups sind aber kaum Daten vorhanden. Die statistischen Grundlagen für die hier behandelten Fragen werden sich aber dank der neuen Unterneh- mensstatistik Statent des Bundesamtes für Sta- tistik (BFS) in den nächsten Jahren wesentlich verbessern.
Im untersuchten Zeitraum 2007 bis 2013 blieb die Zahl der Neugründungen von Unter- nehmen in der Schweiz über alle Sektoren rela- tiv stabil und wich jährlich maximal 5 Prozent vom langjährigen Durchschnitt ab. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Belgien und den USA – wobei sich die absoluten Zahlen der Neu- gründungen kaum vergleichen lassen, weil die Daten unterschiedlich erhoben werden.
Nicht in allen Sektoren herrschte Aufbruch- stimmung: Während im Dienstleistungssek- tor tendenziell mehr Unternehmen gegründet wurden, verzeichneten die Industrie und der Bau nach der Wirtschaftskrise von 2008 eine klare Abnahme. Der Bausektor hat sich später
F
ehlt es der Schweiz an wachstumsstarken Unternehmungen? Diese Frage wird oft von der Politik gestellt – so auch 2013 in einem Postulat des Waadtländer FDP-Nationalrats Fathi Derder.1 Das Staatssekretariat für Wirt- schaft (Seco) hat hierzu beim Beratungs- und Forschungsunternehmen Ecoplan eine Studie in Auftrag gegeben.2 Diese zeigt: Die Schweiz kann im internationalen Vergleich bei den rasch wachsenden – jungen und bestehenden – Unternehmen mithalten. Pro Einwohner liegt die Zahl wachstumsstarker Unternehmen so- gar deutlich über den meisten Vergleichslän- dern. Die These, dass die Schweiz über wenig wachstumsstarke Unternehmen verfügt und in diesem Bereich nur wenige Arbeitsstellen ge-Wachstumsstarke Unternehmen:
Schweiz in der Spitzengruppe
Bei den Anteilen der stark wachsenden Unternehmen hält die Schweiz international mit.
Sie befindet sich auf Augenhöhe mit Vergleichsländern wie Israel, Deutschland und Schwe- den. Michael Mattmann, Felix Walter
Abstract Das Beratungs- und Forschungsunternehmen Ecoplan hat im Auf- trag des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) abgeklärt, was die Statistiken über Unternehmensgründungen und Firmen mit hohen Wachstumsraten herge- ben. Die Auswertungen für Unternehmen, die ihre Beschäftigtenzahl stark stei- gern konnten, zeigen: Die Schweiz befindet sich hier in der Spitzengruppe mit den Vergleichsländern Israel, Deutschland, Schweden und Grossbritannien. Pro Ein- wohner liegt die Zahl wachstumsstarker Unternehmen sogar deutlich über den meisten Vergleichsländern. Bei den durch solche Unternehmen geschaffenen Arbeitsplätzen befindet sich die Schweiz, wo rund 11 Prozent der Beschäftigten in sogenannten Medium- und High-Growth-Enterprises arbeiten, knapp hinter den international führenden Vergleichsländern. Betrachtet man ausschliesslich die besonders wachstumsstarken High-Growth-Enterprises, dann liegt der Beschäf- tigungsanteil bei relativ hohen 4,5 Prozent.
1 Postulat 13.4237 (Für eine bessere Entwick- lung innovativer Jung- unternehmen).
2 Ecoplan (2016). Statis- tische Grundlagen zu Neugründungen und wachstumsstarken Unternehmen, Auswer- tungen für die Schweiz und internationaler Ver- gleich.
3 Statistiken zur Unter- nehmensdemografie (Udemo), die Betriebs- zählung (2005, 2008) und deren Nachfolge- rin, die Unternehmens- statistik Statent. Diese wird ab 2011 jährlich erhoben, die Regeln für die Erfassung und Ab- grenzung weichen aber von der Betriebszäh- lung ab, sodass Verglei- che schwierig sind.
Was sind wachstumsstarke Unternehmen?
Die Zahl der wachstumsstarken Unterneh- men wird für die Schweiz für die Jahre 2008, 2011 und 2013 bestimmt. Gemäss der Defi- nition von Eurostat und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) unterscheidet die Ana- lyse drei Typen wachstumsstarker Unter- nehmen.
Medium- und High-Growth-Enterprises sind Unternehmen, deren Zahl der Beschäf- tigten während dreier Jahre im Durchschnitt mindestens 10 Prozent pro Jahr gewachsen ist und die davor bereits zehn Beschäftigte hatten. High-Growth-Enterprises unterschei- den sich lediglich dadurch, dass sie ein Be- schäftigungswachstum von mindestens
20 Prozent pro Jahr aufweisen. Die soge- nannten Gazellen sind eine Unterkategorie der High-Growth-Enterprises: Sie dürfen am Ende der dreijährigen Wachstumspe- riode höchstens fünf Jahre alt sein. Teil- weise wird die Definition der Gazellen für Start-up-Firmen verwendet.
Die Volkswirtschaft 1–2 / 2017 13 rasch wieder erholt, in der Industrie dauert der
Rückgang der Neugründungen jedoch an.
Neu gegründete Unternehmen sind zäh
Die Überlebenswahrscheinlichkeit der neu gegründeten Schweizer Unternehmen ist im internationalen Vergleich hoch: Von allen 2007 gegründeten Unternehmen sind fünf Jah- re später knapp 60 Prozent noch aktiv. Von al- len 18 OECD-Vergleichsländern ist dieser An- teil nur in Österreich, Belgien und Schweden höher. Die übrigen Nachbarländer befinden sich mit 40 bis 50 Prozent im internationa- len Mittelfeld. Allerdings werden neu gegrün- dete Unternehmen in der Schweiz überdurch- schnittlich oft innerhalb eines Jahres bereits wieder aufgegeben, was aber möglicherweise auf die Erhebungsmethoden zurückzuführen ist.
Die Schweizer Wirtschaft ist im internatio- nalen Vergleich stark von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geprägt. Vier von fünf neu
geschaffenen Stellen stammten von KMU, wo insgesamt 67 Prozent aller Beschäftigten arbei- ten. Zwischen 2011 und 2013 schufen KMU jähr- lich rund 19 500 Stellen netto, 17 000 davon im Dienstleistungssektor und 2500 in der Indust- rie. Sie schufen somit rund viermal so viele Stel- len wie die Grossunternehmen4 mit rund 5500 Stellen. Im Dienstleistungssektor entstanden dabei insgesamt rund fünfmal so viele Stellen wie in der Industrie.
Auf Augenhöhe mit Israel, Deutschland und Schweden
In der Schweiz weisen rund 12 Prozent aller Fir- men ab zehn Beschäftigten im Dreijahresver- gleich ein durchschnittliches jährliches Wachs- tum von über 10 Prozent auf. Der Anteil solcher Medium- und High-Growth-Enterprises (siehe Kasten) ist über die Jahre stabil. Ähnliche Anteile von Medium- und High-Growth-Enterprises ha- ben Israel, Deutschland, Schweden oder Gross- britannien mit Werten zwischen 11 und 15 Pro-
zent. 4 Mehr als 250 Beschäf-
tigte.
KEYSTONE
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Betrachtet man ausschliesslich die High- Growth-Enterprises, welche im Dreijahres- schnitt mindestens 20 Prozent wachsen, ist die Situation in der Schweiz ebenfalls stabil. Mit einem Anteil von rund 3,5 Prozent aller Firmen ab zehn Beschäftigten liegt die Schweiz in der Nähe der international führenden Vergleichs- staaten Schweden, Grossbritannien und Israel, die Anteile zwischen 4,0 und 5,5 Prozent auf- weisen. Vor allem in den Jahren nach der Wirt- schaftskrise 2008 schneidet die Schweiz gut ab. Besonders hoch ist der Anteil der Schweizer High-Growth-Enterprises mit 4,5 Prozent im Dienstleistungssektor.
Aufgrund fehlender Daten lässt sich für die wachstumsstarken Jungunternehmen – High- Growth-Enterprises, welche jünger als fünf Jah- re sind – nur eine Ober- und eine Untergrenze angeben. Die Anteile dieser sogenannten Ga-
zellen liegen in der Schweiz zwischen 0,2 und 0,8 Prozent, was etwa 80 bis gut 400 Unterneh- men entspricht. Verschiedene Anhaltspunkte – wie beispielsweise der Ländervergleich bei den High-Growth-Enterprises – deuten darauf hin, dass der Anteil solcher Start-ups eher im Be- reich der Obergrenze von 0,8 Prozent liegt. Zum Vergleich: Im Spitzenland Israel liegen die Ga- zellen anteilsmässig bei 0,9 Prozent.
Deutlich über den meisten Vergleichslän- dern liegt die Schweiz bei der Aufschlüsselung pro Einwohner.5 Auf 100 000 Einwohner kom- men in der Schweiz rund 400 High-Growth-Ent- erprises (siehe Abbildung). In Israel liegt dieser Wert bei rund 300 Unternehmen, in den USA bei knapp 150. Rund drei Viertel der wachstumsstar- ken Unternehmen stammen aus dem Dienstleis- tungssektor – in der Schweiz und auch interna- tional.
Wachstumsstarke Unternehmen in der Schweiz (2008 bis 2013)
Unternehmen ab zehn Be- schäftigen
Beschäftigte
Total Medium- und High-Growth-Enterprises High-Growth-Enterprises Gazellen (Unter- und Obergrenze) Anzahl Firmen Anzahl Beschäftigte Anzahl Firmen Anzahl Beschäftigte Anzahl Firmen Anzahl Beschäftigte
2008 44 000 2 957 400 5500 397 400 1590 139 500 79–* 5800–*
2011 49 200 3 308 500 6300 374 100 1880 146 100 78–340 3300–22 100
2013 49 800 3 355 700 6100 280 700 1820 93 400 104–463 3800–19 500
ECOPLAN (2016); WERTE GERUNDET.
* Für 2008 kann keine Obergrenze ausgewiesen werden.
Anzahl stark wachsender Unternehmen («High-Growth-Enterprises») 2011 pro 1000 Einwohner zwischen 20 und 64 Jahren
ECOPLAN (2016), S. 57 / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Schweiz Luxemburg Israel Frankreich Portugal USA Dänemark Slowenien Italien Spanien
Alle Sektoren Industrie Bau Dienstleistungen 0,4
0,3
0,2
0,1
0
5 Die Abweichungen zur vorherigen Betrachtung (Anteil an alle Unter- nehmen) entstehen u.
a. durch Unterschiede in der durchschnittli- chen Unternehmens- grösse und der Er- werbsquote.
FOKUS
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Grossregionen Zürich und Genfersee besonders wachstumsstark
Innerhalb der Schweiz befinden sich in den Grossregionen Zürich und Genfersee überdurch- schnittlich viele wachstumsstarke Unterneh- men. 2011 hatten 45 Prozent aller High-Growth- Enterprises ihren Standort in diesen beiden Grossregionen. Im Tessin hingegen ist der Anteil wachstumsstarker Unternehmen unterdurch- schnittlich.
Die wachstumsstarken Unternehmen sind wichtige Arbeitgeber: Rund 11 Prozent der Be- schäftigten arbeiten in Medium- und High- Growth-Enterprises, von ihnen gut 4 Prozent in High-Growth-Enterprises. Damit befindet sich die Schweiz gleichauf mit Schweden. Ledig- lich Grossbritannien und Israel schneiden rund 3 Prozentpunkte besser ab.
Bei den High-Growth-Enterprises befindet sich die Schweiz in der Mitte der Vergleichsländer Israel, Neuseeland und Vereinigte Staaten, wobei die USA einen rund einen Prozentpunkt höheren Beschäftigtenanteil aufweisen. Pro Einwohner verzeichnen sie jedoch weniger als halb so viele High-Growth-Enterprises wie die Schweiz.
Auch beim Beschäftigtenanteil punktet der Dienstleistungssektor – das gilt sowohl für Me- dium- und High-Growth-Enterprises wie auch
für Gazellen. Die High-Growth-Enterprises des Dienstleistungssektors tragen beispielsweise insgesamt 5 Prozent zur Gesamtbeschäftigung in diesem Sektor bei. Im Baugewerbe beträgt der Anteil dieser Unternehmenskategorie 3 Prozent und im Industriesektor 2 Prozent.
Innerhalb der Schweiz sind die Beschäf- tigtenanteile von Medium- und High-Growth- Enterprises in den Grossräumen Zürich und Genfersee, aber auch in der Zentralschweiz über- durchschnittlich. In diesen Regionen arbeiten 12 bis 13 Prozent der Beschäftigten – also jeder achte Beschäftigte – in wachstumsstarken Unterneh- men. Bei den Gazellen schwingen die Grossregio- nen Zürich und Genfersee, wo bis zu 1 Prozent der Beschäftigten in solchen Jungunternehmen arbeitet, deutlich obenauf.
Michael Mattmann Wissenschaftlicher Mit- arbeiter, Beratungs- und Forschungsunternehmen Ecoplan, Bern
Felix Walter
Partner, Beratungs- und Forschungsunternehmen Ecoplan, Bern
Der Kaffeekapsel- Pionier Nespresso beschäftigt welt- weit über 12 000 Mit- arbeiter – um die Jahr- tausendwende waren es gerade mal 300.
Geschmackstester im waadtländischen Avenches.
KEYSTONE