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Risiken und Resilienz

Artikel von Benno Büeler 02.04.2020

Quelle: publicdomainpictures.net

Schon ein Asteroid würde unsere Lebensweise in Schieflage bringen. Es braucht viel mehr nationale Krisen-Vorsorge.

Covid-19 hat schon viele Leben gekostet und wird leider noch viele weitere kosten. Gleichzeitig verursachen die bisherigen Massnahmen grosse Verluste in der Realwirtschaft, in Staatskassen und an den Börsen, und ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Wer Mitgefühl für die vom Tod betroffenen Familien hat, wer die riesige Belastung von Medizinern und anderen sieht, wird sich vielleicht fragen: Hätten wir uns besser vorbereiten oder schützen können? Können wir in Zukunft ähnliche externe Schocks vermeiden oder wenigstens dämpfen?

Können wir unsere Gesellschaft „resilienter“ machen, das heisst widerstandsfähiger gegen innere und äussere Störungen? Und weil Resilienz kostet, stellt sich auch die Frage „lohnt sich das“?

Die westlichen Wohlstandsgesellschaften sind historisch gesehen maximal komplex und sind damit einhergehend vielfältig abhängig geworden. Über 98% der Bevölkerung hängen vom Lebensmittelanbau durch Dritte ab, die für die Produktion und Distribution unserer Güter und

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Dienstleistungen nötige physikalische Leistung stammt zu über 99% von technischen Quellen und nicht von menschlichen Muskeln.

Das Geld- und Finanzsystem hat sich von einer realen Golddeckung hin zu einer imaginären

„Vertrauensdeckung“ bewegt, in der die geldpolitischen und makroökonomischen Zusammenhänge von praktisch keinem Politiker mehr durchschaut geschweige denn beherrscht werden.

Exorbitante Verschuldung von öffentlichen und privaten Körperschaften zulasten künftiger Generationen, absurde Negativzinsen, dünne Eigenkapitalausstattung von Firmen und Banken erhöhen die Störungsanfälligkeit weiter.

Wenige Tage ohne Elektrizität würden nicht nur zu einem flächendeckenden Zusammenbruch der materiellen Versorgung führen, weil Kühlketten ausfallen oder die Logistik nicht mehr gesteuert, sondern auch weil nicht mehr elektronisch bezahlt werden könnte.

Auch das Gesundheitswesen und die öffentliche Ordnung würden zusammenbrechen, das Geldsystem würde einfrieren und damit Banken und Versicherungen in den Ruin treiben.

Zu diesen nationalen Risiken und Abhängigkeiten kommen noch die globalen Abhängigkeiten: Ohne die dauernde Versorgung mit Gütern und insbesondere Nahrungsmittel aus dem Ausland bricht das System Schweiz innerhalb weniger Wochen zusammen.

Diese Abhängigkeit manifestiert sich auch indirekt: Wenn China keine Autoteile nach Deutschland liefert, können deutsche Firmen auch keine Autos in die Schweiz liefern; wir sind gefangen in einem Netz internationaler Abhängigkeiten.

Es ist einfach, diese Schwächen und Abhängigkeiten zu erkennen und anzuprangern – aber diese sind entstanden, weil sie den grössten wirtschaftlichen Wohlstand versprechen und weil solche Abhängigkeiten Kriege unwahrscheinlicher machen sollten.

Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft und der Wirtschaft, welche inhärent die gegenseitigen Abhängigkeiten erhöht, ist die Grundlage für die Steigerung des materiellen Wohlstandes, der gesellschaftlichen Blüte und letztlich der individuellen Freiheit.

Die rationale Frage ist also nicht „sollen wir zurück zur Scholle?“, sondern welche Risiken sind besonders wichtig und verdienen pro-aktive Handlungen und Sicherungsmassnahmen, und wie kann die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften mit möglichst tiefen Kosten respektive geringem Wohlstandsverlust gesteigert werden.

Zu den grössten bekannten Risiken gemessen am Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Schaden gehören Asteroideinschläge, Ausbrüche von Supervulkanen, Pandemien und Nuklearkriege; dazu kommen in Zukunft künstliche Intelligenz und nanotechnologische Waffen, möglicherweise auch kombiniert.

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Natürlich gibt es auch noch unbekannte oder schwer einschätzbare Risiken wie Krieg mit Ausserirdischen. Und es gibt schon heute erkennbare Schäden in der Zukunft wie der Artenverlust, oder steigende Meeresspiegel und andere Effekte aus der Klimaänderung.

Spontan werden viele bei einer solchen Liste den Kopf schütteln und denken, das seien derart unwahrscheinliche Ereignisse, dass sich eine ernsthafte Beschäftigung damit verbiete, ja schon die Diskussion darüber Panikmache sei.

Blöd nur, dass ausgerechnet Fachleute in den jeweiligen Gebieten anderer Meinung sind. So gehörten Pandemien aus Sicht von Lebensversicherungen schon vor Corona zu den Top-Risiken. Wer die astronomische Literatur studiert sieht, dass grössere Asteroideinschläge keine Frage des Ob, sondern nur des Wann sind und sogar Stephen Hawkings davor gewarnt hat.

Auch Vulkanologen sehen eine ganze Reihe von realen Bedrohungen, mit den phlegräischen Feldern unter Neapel oder den verschiedenen Grossvulkanen auf Island kann sogar Europa zur globalen Bedrohungsliste einen Beitrag leisten.

Und wenn ein heller Kopf wie Elon Musk, der mit seinen Elektroautos die künstliche Intelligenz selbst mitvorantreibt, diese in Zusammenhang mit Waffen als existenzielle Bedrohung für die Menschheit im 21. Jahrhundert sieht, sollte dies wohl ernst genommen werden.

Bei all diesen Bedrohungen ist die relevante Frage weniger, wie wir im maximalen Katastrophenfall eines zehn Kilometer grossen Asteroiden oder dem Ausbruch des Supervulkans im Yellowstone noch überleben können, sondern wie die heutige Menschheit mit den sehr viel häufigeren mittleren Risiken umgehen kann.

Die aktuelle Coronaviruskrise ist ein gutes Beispiel, wie eine Pandemie mit vergleichsweise tiefer Mortalität schon grosse Einschränkungen und Schäden an der Wirtschaft verursachen kann. Schon mittlere Asteroide oder überschaubare Vulkanausbrüche reichen heute, um unsere komplex abhängige Lebensweise in gravierende Schieflage zu bringen.

In scharfem Kontrast zu diesen Risiken ist es eigenartig zu sehen, wie wenig risikobewusst unsere Gesellschaft ist und wie wenig unsere Politiker vorausschauend handeln. Zumeist klebt die politisch- mediale Aufmerksamkeit am kurzfristigen Wirtschaftswachstum, dem sozialen Verteilungskampf und der „rechten Haltung“.

Einzig beim Thema Klimawandel kann eine politisch-medial hohe Aufmerksamkeit festgestellt werden, wobei gerade die deutsche Energiewende zeigt, dass vollmundige Versprechen und hohe Kosten noch nicht hohe Wirkung bedeuten müssen, im Gegenteil.

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Tragisch an diesem einseitigen Klimawandel-Fokus ist, dass die Aufmerksamkeits- und Mittelverschwendung zulasten anderer Themen geht, ja gehen muss, und deshalb eine rationale Gesamtpolitik behindert wird.

Wer die Robustheit und Widerstandsfähigkeit eines Gesellschaftssystems im Hinblick auf mittlere globale Risiken erhöhen will, sollte einige grundlegende Aspekte beachten:

Lokalität: Je grösser eine gesellschaftliche oder politische Einheit ist, umso schwieriger ist es, bei eintretenden Schocks situationsbezogen zu reagieren. Die EU ist praktisch unsichtbar geworden, weil die Nationalstaaten die unterschiedlich ablaufende Covid-Krise viel besser managen können als die grosse heterogene EU.

Die Widerstandsfähigkeit ist dann besonders gross, wenn handlungsfähige Länder mit klarer Eigenverantwortung und entsprechenden Handlungskompetenzen bestehen. Eine wirkungsvolle Koordination und effektive internationale Zusammenarbeit kann auf einer solchen Basis flexibel realisiert werden, wie die gegenseitige Hilfe einzelner Länder und Regionen zeigt.

Gesellschaftliche Homogenität und Solidarität: Je heterogener eine Gesellschaft ist, je mehr Bruchlinien es in einer Gesellschaft gibt, umso schwächer wird die Solidarität, umso schwieriger wird der Diskurs, umso langsamer die Entscheidungsfindung, und umso eher brechen Spannungen unter äusserem Druck auf.

Puffer: Widerstandsfähigkeit heisst auch immer, Puffer vorzusehen. Angefangen mit Lebensmitteln über Energie bis hin zu sonstigen materiellen und organisatorischen Puffern. Eine globale just-in-time Produktion mag ökonomisch effizient sein, ist aber das Gegenteil von resilient und gepuffert.

Tragfähigkeit: Letztlich hängt in einer Krise das Überleben immer an den lokal verfügbaren Ressourcen, und wenn Krisen über Jahre andauern an der Tragfähigkeit der natürlichen lokalen Lebensgrundlagen: Wieviel Lebensmittel können angebaut werden, wieviel Wasser gibt es, welche Energiequellen stehen zur Verfügung, wie gut ist die Infrastruktur?

Übervölkerte Gebiete wie die Schweiz oder Grossagglomerationen sind besonders gefährdet weil sie weit über der natürlichen Tragfähigkeit leben.

Daraus folgen konkrete Anregungen für eine robuste, langfristig erfolgreiche Politik:

Erstens: Jedes Land muss seine wichtigsten Risiken kennen, für seine Bevölkerung angemessen vorsorgen und für den Krisenfall bereit sein. Die Regierungen sind dafür verantwortlich und müssen Rechenschaft ablegen.

Ausreden mit Verweisen auf internationale Gemeinschaften wie die EU oder die UNO sind unzulässig.

Eine überzeugende nationale Risikovorsorge ist die beste Voraussetzung, auch anderen Ländern im Krisenfall beistehen zu können.

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Zweitens: Internationaler Freihandel ist wertvoll, aber um das globale Wirtschaftsgefüge resilienter zu machen, muss jedes Land die für seine wirtschaftliche Situation passende Balance zwischen Protektionismus und Freihandel finden.

Eine effiziente, produktive Landwirtschaft gehört zweifellos zu den wichtigsten Pfeilern einer resilienten Gesellschaft und verdient entsprechenden Schutz.

Bei anderen Branchen muss von Fall zu Fall eine Güterabwägung gemacht werden, wobei die reiche und kompetitive Schweiz bei anderen Branchen meist keinen nationalen Schutz braucht, aber vernünftige Rahmenbedingungen.

Weiter sollte durch geeignete Anreize und Vorschriften die Lagerhaltung bei systemkritischen Gütern wie Medikamenten, Lebensmitteln und Energieträgern gestärkt werden. Zwar machen dies fast alle Länder sowieso, die meisten aber nur im Stillen und ungenügend, weil es Geld kostet.

Das Ziel ist nicht eine siebenjährige Total-Autarkie, wie es die alten Ägypter in der Bibel gebraucht hätten; aber wenn Medikamente und Schutzmasken in der Coronakrise innerhalb von wenigen Wochen nicht mehr reichen, scheint es massiv mehr zu brauchen, als es unsere Regierungen bis heute für nötig erachtet haben.

Drittens: Im Fall der Schweiz ist die Migrationspolitik sowohl quantitativ als auch qualitativ zu überdenken. Schon heute ist die Schweiz mit knapp neun Millionen Einwohnern – davon rund ein Drittel mit Migrationshintergrund – aus einer Nachhaltigkeits- und Risikooptik betrachtet überbevölkert.

Die anhaltende hohe Nettozuwanderung erhöht die Verletzbarkeit und die Versorgungsknappheit in Krisenzeiten weiter; idealerweise sollte der Migrationssaldo deshalb ausgeglichen sein und die Bevölkerungszahl langfristig wieder sinken.

Aber auch qualitativ muss auf eine hohe Integration Wert gelegt werden. Wenig integrierte Gruppen mit abweichenden Wertvorstellungen oder unzureichenden Sprachkenntnissen erschweren ein gemeinsames rasches Handeln in Krisenzeiten und erhöhen das Risiko von innergesellschaftlichen Spannungen und Gewalt.

Viertens: Die Weltbevölkerung lebt schon heute mit knapp 8 Milliarden Menschen über der langfristigen Tragfähigkeit der Erde, wodurch die globale Resilienz deutlich verringert ist.

Mit abnehmender Armut respektive global zunehmender Kaufkraft und einer Weltbevölkerung von über 11 Milliarden am Ende des Jahrhunderts wird der globale Puffer noch viel mehr überlastet sein.

Jedes Land, aber auch die UNO ist dringend aufgefordert, schnellstmöglich allen Menschen Zugang zu Familienplanungsmitteln zu geben und durch Aufklärungskampagnen sowie passende Sozial- und

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Bildungspolitik dafür zu sorgen, dass möglichst viele Paare die Kinderzahl durchschnittlich unter die Reproduktionsrate von 2.2 Kinder pro Frau senken.

Ziel muss sein, längerfristig mittels freiwilliger Massnahmen die Weltbevölkerung unter vier Milliarden zu senken. Im Durchschnitt haben Frauen in Europa schon seit Jahrzehnten nur noch circa 1.5 Kinder und sind damit vorbildlich.

Hoffen wir, dass die aktuelle Coronakrise wenigstens etwas Gutes hervorbringt, nämlich das Bewusstsein der Menschen zu stärken, wie fragil unsere so sicher geglaubte Welt tatsächlich ist.

Daraus folgend sollten die Regierungen die Resilienz deutlich höher gewichten und die Medien ihre Rolle als unabhängige, kritische Beobachter wieder stärker leben und dafür sorgen, dass diese Einsicht nicht schon wenige Monate nach Ende der Coronakrise aus dem öffentlichen Bewusstsein wieder verschwunden sein wird.

Autor: Benno Büeler, Dr. math ETH, Dipl. Ing.-Agr. ETH, ist Vorstandsmitglied von Ecopop.

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