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Der gesellschaftliche Stoffwechsel Costa Ricas

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Academic year: 2022

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Aron Dietl

Der gesellschaftliche Stoffwechsel Costa Ricas

Zur Entwicklung von Materialflüssen- und beständen im Zeitraum von 1900 bis 2016

MASTERARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science

Studium: Masterstudium Sozial- und Humanökologie

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Gutachter

Univ.Prof. Dr. Fridolin Krausmann Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Soziale Ökologie (BOKU)

Wien, Mai 2020

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Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere an Eides statt, dass ich

− die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe,

− die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließlich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe,

− die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinngemäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der Information durch möglichst exakte Quellenangaben (z.B. in Fußnoten) ersichtlich gemacht habe,

− die eingereichte wissenschaftliche Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt habe und

− bei der Weitergabe jedes Exemplars (z.B. in gebundener, gedruckter oder digitaler Form) der wissenschaftlichen Arbeit sicherstelle, dass diese mit der eingereichten digitalen Version übereinstimmt.

Mir ist bekannt, dass die digitale Version der eingereichten wissenschaftlichen Arbeit zur Plagiatskontrolle herangezogen wird.

Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.

Aron Dietl e. h. Wien, Mai 2020

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Danksagung

Ich möchte meinen Betreuern Univ.-Prof. Dr. Fridolin Krausmann und Mag. Dr. Dominik Wiedenhofer für das hilfreiche Feedback und die Begleitung während der Erstellung dieser Arbeit danken.

Einen großen Beitrag zur Fertigstellung dieser Arbeit haben meine Familie und Freunde durch ihre die Unterstützung und Ermutigung geleistet. Auch ihnen widme ich meinen größten Dank.

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Kurzfassung

In dieser Arbeit wird der Materialbestand und die damit zusammenhängenden Materialflüsse Costa Ricas zwischen 1900 und 2016 untersucht. Dafür wurde mit dem MISO-Modell der Materialbestand von vier Materialgruppen – Biomasse, Metalle, nichtmetallische Mineralien und fossile Materialien – modelliert. Die Bestände werden in diesem Modell aus den jährlichen Materialinputs für Aufbau und Erhaltung berechnet und unter Einbeziehung der mittleren Lebensdauer der Bestände die Menge an Outputs (Abfall). Costa Rica wurde als Untersuchungsobjekt gewählt, da es in Sachen Nachhaltigkeit in vielen Bereichen als Vorreiter gilt und in Lateinamerika einen besonders hohen sozialen Fortschritt aufweist. Die MISO- Methode wurde erst für wenige Länder des globalen Nordens bzw. Weltregionen angewendet, diese Arbeit soll somit auch die Anwendbarkeit im globalen Süden zeigen. Die Berechnung der Materialbestände in Costa Rica ergibt einen Wert von insgesamt 408,8 Mt (83,8 t/Kopf) im Jahr 2016. Davon sind 88% oder 361 Mt Baumineralien (Beton, Asphalt, Ziegel, Sand und Schotter), gefolgt von Holz und Eisen und Stahl mit 6% bzw. 4%. Die Bestände wachsen aktuell mit einer Rate von 3,2%/Jahr. Aus Materialbeständen, die das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, fallen 2016 6,6 Mt/Jahr an Abfallstoffen an, von denen nur 12,2%

wiederverwertet werden, der Rest wird zum Teil unkontrolliert entsorgt. Vor allem der Bedarf an Infrastruktur (Transport, Energieerzeugung und das Abwassersystem) und die fortschreitende Urbanisierung werden in Costa Rica auch in Zukunft zu weiterem Wachstum der Materialbestände führen. Costa Ricas Wohlergehen wird 2016 auf dem Social Progress Index (SPI) mit 80,22 Punkten beziffert, damit liegt Costa Rica auf gleicher Ebene mit vielen Ländern des globalen Nordens. Der SPI Costa Ricas liegt 20% über dem globalen Durchschnitt und nur 6% unter jenem der USA. Indessen ist Costa Ricas Materialbestand pro Kopf um 27%

bzw. 78% niedriger als im Vergleich zum globalen Durchschnitt bzw. den USA. Jedoch ist die Ungleichheit in Costa Rica im regionalen Vergleich hoch und im Steigen begriffen, vor allem in den ruralen Grenzregionen. Welchen Weg Costa Rica bei der Entwicklung der Materialbestände einschlägt, definiert somit langfristig Energie- und Materialverbrauch und beeinflusst die Wohlstandsverteilung im Land.

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Abstract

This thesis investigates the material stock of Costa Rica from 1900 to 2016. For this task the MISO model was used and four material stock categories were modelled: biomass, metals, non-metal minerals and fossil materials. In this model, the stocks are calculated from the annual material inputs for build-up and maintenance; outflows of wastes from end of life stocks are modelled making assumptions of average lifetime of stocks. Costa Rica was chosen because it represents a role model in many aspects of sustainability and has a comparatively high level of social progress for the region. Furthermore, the MISO model was only conducted in a few countries of the global north and country groupings. This work therefore also seeks to test the method for a country of the global south. The material stock of Costa Rica amounted to 408.8 Mt (83.8 t/cap) in 2016. From that figure, 88% or 361 Mt are represented by building materials (concrete, asphalt, bricks, sand and gravel) followed by wood and iron and steel with 6% respectively 4%. Stocks are currently growing at a rate of 3.2%/year;

material stocks reaching the end of their lifetime generate 6.6 Mt/year of waste materials, of this only 12.2% are recycled, the rest often being disposed in uncontrolled landfills. Above all, the demand for infrastructure (transport, power generation and the sewage system) and the progressing urbanization will lead to further growth of the material stocks. In 2016 Costa Rica’s well-being was rated at 80.22 points on the social progress index (SPI), putting it on par with many countries in the global North. Costa Rica’s SPI is 20% above the global average and only 6% below that of the US; for comparison: Costa Rica’s material stock per capita is 27%

and 78% lower than the global average and the US respectively. However, inequality in Costa Rica is on the rise and high by regional standards, especially in rural border regions. Which path Costa Rica will chose for the development of future material stocks thus defines energy and material consumption in the long term and will influence the distribution of wealth in the country.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 10

2 Theoretische Grundlagen ... 13

2.1 Sozialer Metabolismus ... 13

2.2 Materialflussanalyse ... 14

2.3 Die Rolle der Materialbestände ... 15

2.3.1 Materialbestände, Wohlergehen und Ressourcenverbrauch ... 16

2.3.2 Materialbestände und Emissionen ... 18

2.4 Methoden der Materialbestandsanalyse ... 19

2.4.1 Typologie und Messgröße ... 20

2.4.2 Räumliche Abgrenzung und Auflösung ... 20

2.4.3 Zeitlicher Umfang ... 21

2.4.4 Top-Down ... 21

2.4.5 Bottom-Up ... 22

2.4.6 Hybride Ansätze ... 22

2.4.7 Remote Sensing Ansatz ... 23

2.5 Costa Rica als Studienobjekt... 24

3 Fragestellung ... 28

4 Methode und Daten ... 29

4.1 Das Material Inputs, Stocks and Outputs (MISO) Modell ... 29

4.2 Bestandsaufbauende Materialien ... 31

4.2.1 Biomasse ... 33

4.2.2 Metalle ... 34

4.2.3 Mineralien ... 37

4.2.4 Fossile Materialien... 42

4.3 Recycling in Costa Rica ... 43

4.4 Szenarien S1 und S2 (2017-2050) ... 45

4.5 Einschränkungen und Hindernisse in der Durchführung der Methode ... 47

5 Ergebnisse ... 50

5.1 Inputs in die Materialbestände ... 50

5.2 Costa Ricas Materialbestand ... 53

(7)

5.3 Outputs aus dem Materialbestand und Recycling ... 56

5.4 Recyclingpotentiale 2017-2050 ... 57

5.5 Validierung der Ergebnisse ... 60

6 Diskussion ... 65

6.1 Wachstumsdynamik des Materialbestands ... 65

6.2 Zusammenhänge zwischen Materialbestand und Wirtschaft ... 66

6.3 Energie, Infrastruktur und Emissionen ... 70

6.4 Materialbestände und Wohlergehen ... 77

6.5 Nachhaltige Entwicklung der Materialbestände ... 81

7 Conclusio... 84

8 Literaturverzeichnis ... 86

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP) in Costa Rica nach Sektoren und

Bevölkerungsentwicklung. __________________________________________________________________ 26 Abbildung 2: Das MISO-Modell: Systemgrenzen und Materialflüsse. _________________________________ 29 Abbildung 3: Materielle Handelsbilanz für Metallabfälle (Importe-Exporte). ___________________________ 44 Abbildung 4: Inputs in die Materialbestände in Costa Rica, 1900-2016. _______________________________ 52 Abbildung 5: Inputs von Baumaterialien in die Materialbestände in Costa Rica, 1900-2016._______________ 53 Abbildung 6: Materialbestand in Costa Rica und Bevölkerungsentwicklung, 1900-2016. _________________ 54 Abbildung 7: Materialbestand pro Kopf in Costa Rica, 1900-2016. ___________________________________ 55 Abbildung 8: Prozentuelle Verteilung der Materialbestände in Costa Rica, 1900-2016. ___________________ 56 Abbildung 9: EoL Outputs aus den Materialbeständen und Menge an daraus wiedergewonnenen

Sekundärrohstoffen (inländisches Recycling) in Costa Rica, 1900-2016. _______________________________ 57 Abbildung 10: EoL Outputs aus den Materialbeständen in Costa Rica 1900-2050 für Szenario 1 und Szenario 2 58 Abbildung 11: Anteile der sekundären Inputs aus Recycling und Downcycling in Szenario 1 an primären Inputs in Szenario 2 in Costa Rica; kumuliert von 2017-2050. ______________________________________________ 60 Abbildung 12: Sekundäre Materialien aus Recycling und Downcycling in Szenario 2 in Costa Rica; prozentueller Anteil an primären Inputs in Szenario 2; kumuliert von 2017-2050. __________________________________ 60 Abbildung 13: Validierung der Betonbestände in Costa Rica, Cao et al. (2017) vs. MISO. _________________ 61 Abbildung 14: Validierung der Betonbestände pro Kopf in Costa Rica, Müller et al. (2013) vs. MISO. ________ 61 Abbildung 15: Validierung der Materialbestände in Eisen und Stahl pro Kopf in Costa Rica, Müller et al. (2013) vs. MISO. ________________________________________________________________________________ 62 Abbildung 16: Validierung der Eisenbestände pro Kopf in Costa Rica, Müller et al. (2013) vs. MISO. ________ 62 Abbildung 17: Validierung der Bitumenbestände pro Kopf in Costa Rica, Lauk et al. (2012) vs. MISO. _______ 63 Abbildung 18: Validierung der Plastikbestände pro Kopf in Costa Rica, Lauk et al. (2012) vs. MISO. _________ 63 Abbildung 19: Validierung der Holz- und Papierbestände pro Kopf in Costa Rica, Lauk et al. (2012) vs. MISO. _ 64 Abbildung 20: Validierung des Bedarfs an Sand und Schotter in Costa Rica. ___________________________ 64 Abbildung 21: Materialbestandsdynamik in Costa Rica 1900-2016. __________________________________ 66 Abbildung 22: Materialverbrauch (DMC) und Inputs in die Materialbestände in Costa Rica, 1980-2016. _____ 66 Abbildung 23: Entwicklung der Materialbestände und des Bruttoinlandsprodukts in Costa Rica, 1960-2016. _ 70 Abbildung 24: Materialbestand und Materialbestandsintensität in Costa Rica, 1920-2016. _______________ 70 Abbildung 25: Endenergieverbrauch und Energiebereitstellung in Costa Rica, 1990-2017. ________________ 71 Abbildung 26: CO2 Emissionen in Costa Rica nach Ursprung und Emissionsintensität der Materialbestände, 1950-2014. ______________________________________________________________________________ 73 Abbildung 27: Materialbestand, Materialverbrauch (DMC), Endenergieverbrauch, Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Human Development Index (HDI) in Costa Rica, 1960-2016. ____________________________________ 77 Abbildung 28: Materialbestand und Wohlergehen in Costa Rica, Japan, USA, China und global. ___________ 81 Abbildung 29: Bruttoinlandsprodukt/Kopf und Dimensionen des Social Progress Index (SPI) in Costa Rica und Peerländern. _____________________________________________________________________________ 81

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übereinstimmungstabelle von bestandsaufbauenden Materialien und den primären Materialinputs in den Materialbestand im MISO-Modell für Costa Rica. _____________________________________________ 32 Tabelle 2: Materialkategorien und dazugehörige SITC-Codes. Quelle: UN Comtrade (2019a, 2019b). _______ 33 Tabelle 3: Materialanteile in Produkten überwiegend aus Eisen und Stahl. ____________________________ 36 Tabelle 4: Berechnung Tragschichtmultiplikator. Eigene Berechnung, Faktoren nach (MOPT 2010). ________ 41 Tabelle 5: Recyclingraten in Costa Rica für Szenario 1 und 2. _______________________________________ 47 Tabelle 6: Zusammenfassung der Lebenszeiten und Unsicherheitsbereiche der Inputs in die Materialbestände. 49 Tabelle 7: Wachstumsrate der Materialbestände in Costa Rica pro Kopf und gesamt in 5-Jahresintervallen. __ 54 Tabelle 8: Materialverbrauch (DMC), Materialbestand und verschiedene ökonomische Indikatoren zu

ausgewählten Ländern. ____________________________________________________________________ 69

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Abkürzungsverzeichnis

AyA Instituto Costarricense de Acueductos y Alcantarillados (Costa Ricanisches Insititut für Aquädukte und Kanalisation)

BGS British Geological Survey BIP Bruttoinlandsprodukt

BIP KKP Bruttoinlandsprodukt Kaufkraftparität

DMC Domestic material consumption (Materialverbrauch) DMI Direct Material Input (direkter Materialeinsatz)

FAO Food and Agriculture Organization of the United Nations

FAOSTAT Statistical Database of the Food and Agriculture Organization of the United Nations GJ Gigajoule (109 Joule)

Gt Gigatonne (109 metrische Tonnen)

GWh Gigawattstunde

HDI Human Development Index

ICE Instituto Costarricense de Electricidad

IHDI Inequality-adjusted Human Development Index IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change

kt Kilotonne (103 metrische Tonnen)

LAC Latin America and the Carribean (Lateinamerika und die Karibik) MF Material Footprint

MFA Materialflussanalyse

MISO Material Inputs, Stocks and Outputs MIV Motorisierter Individualverkehr

MOPT Ministerio de Obras Públicas y Transportes Costa Rica (Ministerium für öffentliche Arbeiten und Verkehr)

Mt Megatonne (106 metrische Tonnen)

MW Megawatt

RGDPNApc Real GDP National Accounts per capita

SDG Sustainable Development Goal (Ziel der Nachhaltigen Entwicklung) t Metrische Tonne

TJ Terajoule (1012 Joule)

USGS United States Geological Survey

WKW Wasserkraftwerke

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1 Einleitung

Die Menschheit greift heute massiv in die Kreisläufe der natürlichen Umwelt ein. Seit der Industrialisierung haben menschliche Auswirkungen auf die Umwelt ein nie dagewesenes Ausmaß angenommen, erstmals ist die Resilienz der Erde gefährdet (Steffen et al. 2015). Die Veränderung der Erde durch die Menschheit hat vielfältige Diskussionen losgetreten; die Diskussion um die Benennung des aktuellen geologischen Zeitalters in Anthropozän (Crutzen 2016) beschreibt die Situation des Planeten trefflich. Zahlreiche Länder erkennen die Bedeutung der Problemlage an und versuchen ihren Einfluss auf die Erde und das Klima zu reduzieren. So beabsichtigt die UNO, das Klimaziel einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5-2°C zu erreichen und mithilfe der Sustainable Development Goals (SDGs) eine sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung global zu fördern.

Mit dem Konzept des gesellschaftlichen Metabolismus können zahlreiche Auswirkungen unseres heutigen Lebensstils sichtbar gemacht werden. Das Konzept beschreibt Material- und Energieflüsse zwischen der menschlichen Gesellschaft mit deren Umwelt im Hinblick auf Ressourcenabbau, Produktion, Konsum und dadurch entstehende Abfälle. Um den biologischen Stoffwechsel einer Gesellschaft abzudecken, werden vor allem Biomasse, Sauerstoff und Wasser benötigt. Zusätzlich greifen heutige Gesellschaften auf nicht- erneuerbare Ressourcen zur Deckung des Energie- und Materialbedarfs zurück. Mit diesen Ressourcen werden die umfangreichen physischen Strukturen (Materialbestände) einer Gesellschaft aufgebaut und genutzt. Diese Inputs führen zu Outputs, welche in der Biosphäre nicht auf natürliche Weise abgebaut werden können, beziehungsweise deren Aufnahmekapazität überschreiten. Seit den 1950-Jahren ist der Output von Industriegesellschaften kleiner als der Input, dies deutet auf ein Wachstum ihrer Materialbestände hin (Fischer-Kowalski et al. 1997; Fischer‐Kowalski 1998). Global fließen heute etwa die Hälfte aller abgebauten Materialien in die Materialbestände, die andere Hälfte wird dissipativ (z.B. als Düngemittel) oder zur Energieerzeugung verwendet (Krausmann et al.

2017). Der Begriff Materialbestand umfasst Infrastruktur, Gebäude und langlebige Artefakte.

Die Funktionsfähigkeit heutiger Gesellschaften ist von diesen Materialbeständen abhängig.

Sowohl für Aufbau und Erhalt der Materialbestände als auch für die Nutzung dieser ist ein kontinuierlicher Input von Material und Energie erforderlich, um die entsprechenden Services bereitzustellen (Haberl et al. 2017). Der materielle Wohlstand einer Gesellschaft wird

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erheblich von den Ressourcenflüssen in die Materialbestände definiert, sie stellen die physische Grundlage der Gesellschaft dar.

Global zeigt sich keine Stabilisierung der Ressourcenverwendung, auch nicht im hoch entwickelten globalen Norden. Einerseits wird der Ressourcenverbrauch durch Industrialisierung und Urbanisierung im globalen Süden und den hohen Konsum des globalen Nordens beschleunigt, andererseits spielen auch Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung eine große Rolle in dieser Beschleunigung (Haberl et al. 2019). Dies hebt wieder die Bedeutung der Diskussion um das Anthropozän hervor. Selbst wenn das Erdzeitalter nicht umbenannt wird, die Transformation der Erde durch die Menschheit ist unverkennbar. Der Material- und Energieverbrauch führt zu Umweltbelastungen, welche im Gegensatz zu den Klimazielen stehen (IPCC 2014). Für eine Transformation in die Nachhaltigkeit müssen die Materialflüsse auf ein ökologisch tragbares Maß gesenkt werden oder, entgegen dem aktuellen Trend, zumindest stabilisiert werden (Haberl et al. 2017). Die Materialbestände verursachen durch Energie- und Ressourcenflüsse erhebliche CO2-Emissionen. Müller et al.

(2013) haben berechnet, dass allein für die Herstellung der global bestehenden Infrastruktur durch die Erzeugung von Stahl, Zement und Aluminium Emissionen in Höhe von 122 Gt CO2- eq verursacht wurden.

Im globalen Süden sind wachsende Inputs in die Materialbestände zu erwarten (Krausmann et al. 2017). Die weltweite Ausweitung der Materialbestände auf das Niveau des globalen Nordens ist mit den verfügbaren Ressourcen jedoch nicht möglich, beziehungsweise übersteigt sie die Kapazitäten des globalen Ökosystems (Haas et al. 2015). Auch die Emissionen sind ungleich zwischen Norden und Süden verteilt, das Wachstum der Materialbestände im Süden steigert somit den Druck auf die Erreichung der Klimaziele. In den USA betrugen die CO2 Emissionen im Jahr 2009 241 t/Kopf, in China 136 t/Kopf und in Indien nur 23 t/Kopf (Davis et al. 2010). Die Rolle des globalen Südens ist für die zukünftige Entwicklung der Materialbestände von erheblicher Bedeutung, weil dort die größten Entwicklungen der Materialbestände erst bevorstehen. Die Quantifizierung der Materialbestände und ihre Beziehung zu Material- und Energieflüssen kann wichtige Informationen liefern. Ein umfassendes Verständnis über die Dynamiken zwischen Materialflüssen und Materialbeständen ist wesentlich, um zukünftige Entwicklungen entsprechend einer Nachhaltigkeitstransformation zu gestalten (Haberl et al. 2017).

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Zur Darstellung der Entwicklung der Material- und Energieflüsse gibt es zahlreiche Methoden, an dieser Stelle sei nur kurz die Materialflussanalyse (MFA) hervorgehoben. Bisher lag der Fokus der MFA auf Ressourcenabbau, Importen und Exporten, also den jährlichen Flüssen durch ein ökonomisches System. Im Vordergrund standen dabei Flüsse zwischen Volkswirtschaften und ihrer natürlichen Umwelt sowie zwischen anderen Volkswirtschaften.

Materialflüsse innerhalb einer Volkswirtschaft wurden in der MFA bisher kaum betrachtet (Fischer-Kowalski et al. 2011). Erst in den letzten Jahren wurden die Dimensionen der Materialbestände und deren Outputs, welche innerhalb der Volkswirtschaft liegen, systematisch in die Betrachtung inkludiert (Augiseau und Barles 2017; Lanau et al. 2019;

Krausmann et al. 2017; Fishman et al. 2014). Die Material Inputs, Stocks and Outputs Methode (MISO-Methode) baut methodisch auf der MFA auf, erweitert die Perspektive aber um die Einbeziehung von Materialbeständen und die damit verbundenen Materialflüsse. Sie wird in dieser Arbeit verwendet. Bisher wurde die Methode nur auf globaler Ebene (inklusive einiger Ländergruppierungen) und für Japan und die USA durchgeführt (Krausmann et al. 2017;

Fishman et al. 2014).

In dieser Arbeit sollen nun die Materialbestände Costa Ricas quantifiziert und deren Entwicklungsdynamik dargestellt werden. Costa Rica wurde als Studienobjekt gewählt, da es sich im Übergang von einem Schwellen- zu einem Industrieland befindet und auch sozial- ökologisch ein interessantes Untersuchungsobjekt darstellt. Costa Rica hat ein für die Region relativ hohes BIP und Wohlergehen, fast 100% der Elektrizität stammt aus erneuerbaren Quellen, die Entwicklung der Infrastruktur und Industrie liegt jedoch deutlich unter dem Niveau des globalen Norden (Oviedo et al. 2015). Durch ein besseres Verständnis und Informationen über die Zusammensetzung der Materialbestände in Costa Rica wird versucht, mögliche Entwicklungspfade abseits steigenden Ressourcenverbrauchs und steigender Emissionen aufzuzeigen. In den folgenden Kapiteln werden der Stand der Forschung in der Materialbestandsanalyse dargestellt und die theoretischen Grundlagen der Methode näher erläutert. Darauf aufbauend werden die wichtigsten Eckdaten Costa Ricas vorgestellt und die Forschungsfragen dieser Arbeit formuliert.

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2 Theoretische Grundlagen

2.1 Sozialer Metabolismus

Die Grundidee des sozialen Metabolismus geht auf das Konzept des industriellen Metabolismus nach Ayres und Simonis (1994) zurück. Dieses besagt, dass die Ökonomie physisch in die Umwelt eingebettet ist, sie stellt ein offenes System für Material- und Energieflüsse dar.

Untersuchte Systeme können Haushalte, Städte oder ganze Volkswirtschaften sein. Zu den physischen Strukturen dieser Systeme werden die Bevölkerung, der Nutzviehbestand und der anthropogen aufgebaute Materialbestand (Gebäude, Infrastruktur, langlebige Güter/Artefakte) gerechnet. Neben dem grundlegenden Bedarf von Bevölkerung und Nutzvieh an Nahrung, Wasser und Luft bestimmen die aufgebauten Materialbestände die allgemeine Funktionsfähigkeit eines sozialen Systems. Heutige Gesellschaften funktionieren nicht ohne entsprechende Infrastruktur, sie benötigen Materialbestände zum Wohnen, zur Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Elektrizitätsbereitstellung, zum Transport usw.

(Fischer-Kowalski und Erb 2016). Artefakte beziehungsweise Materialbestände werden hergestellt und kontinuierlich durch materiellen und energetischen Aufwand in einem gewünschten Zustand gehalten (Fischer-Kowalski et al. 1997). Materialbestände werden auch als in-use stocks bezeichnet, dadurch werden sie von hibernating stocks abgegrenzt, welche keine gesellschaftliche Funktion mehr erfüllen (Krausmann et al. 2017). Kapur und Graedel (2006) unterscheiden von den Materialbeständen in Verwendung als hibernating stocks beispielsweise alte Telefonkabel, welche nicht mehr ans Netzwerk angebunden sind oder alte Elektronikprodukte im privaten Besitz, welche nicht entsorgt wurden.

In der sozio-metabolischen Forschung bestehen verschiedene Ansätze zur Darstellung des sozialen Metabolismus, in allen Ansätzen haben nach Haberl et al. (2019) folgende drei Annahmen Gültigkeit: 1) Die Funktion von sozialen Systemen baut auf erfolgreicher Organisation von Material- und Energieflüssen auf, um die biophysischen Strukturen aufzubauen, zu erhalten und zu nutzen; 2) Zusammensetzung, Umfang und Muster dieses sozialen Metabolismus bestimmen Umweltbelastungen; 3) Es gelten die grundlegenden physikalischen Prinzipien, wie etwa die Gesetze der Thermodynamik. Im Folgenden wird die Methode der Materialflussanalyse näher erläutert.

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2.2 Materialflussanalyse

Mithilfe der MFA können die physischen Dimensionen einer Gesellschaft dargestellt werden.

Die MFA stellt Jahr für Jahr alle Materialien, die in ein ökonomisches System eintreten (inländischer Ressourcenabbau, Importe), die Akkumulationen (Materialbestände) und die Outputs zurück an die Natur und andere ökonomische Systeme (Abfälle, Emissionen, Exporte), dar. Alles, was in diesem Prozess gesellschaftlich produziert und reproduziert wird, wird als physischer Bestandteil der Gesellschaft gesehen. Materialbestände umfassen alle Artefakte, die Menschen selbst sowie den Bestand an Nutztieren. Materialbestände werden in der MFA nur als solche erfasst, wenn sie eine Lebensdauer von mehr als einem Jahr aufweisen (Fischer- Kowalski und Erb 2016; Fischer-Kowalski et al. 2011; Schandl et al. 2002).

Die MFA ist ein anerkanntes Instrument (Eurostat 2013; UNEP 2018), um materielle und energetische Austauschprozesse von Gesellschaften beziehungsweise Ökonomien mit der natürlichen Umwelt darzustellen. Mithilfe langer Zeitreihen können historische Analysen zu Veränderungen im Metabolismus vorgenommen und damit zusammenhängende Umweltbelastungen dargestellt werden. Als materielle Flüsse zählen grundsätzlich Material, Wasser und Luft. Wasser und Luft übersteigen die Quantitäten der anderen Materialien um eine Größenordnung und werden in Materialflussrechnungen üblicherweise nicht berücksichtigt beziehungsweise in separaten Rechnungen erfasst. Auf der höchsten Ebene wird in der MFA zwischen vier Materialgruppen differenziert: Biomasse, fossile Brennstoffe, industrielle Mineralien und Metalle sowie Baumaterialien (Fischer-Kowalski et al. 2011).

Alle Materialien, die dem Aufbau und der Erhaltung von Artefakten beziehungsweise der Nutzung und dem Betrieb dieser Artefakte dienen, sind Teil des gesellschaftlichen Metabolismus. Sie werden als Inputs und Outputs in Form von jährlichen Flüssen quantifiziert.

Eine zuverlässige Unterscheidung von Materialbeständen und Flüssen ist Voraussetzung, um bestimmen zu können, ob eine Gesellschaft bezüglich ihres Materialbestandes wächst, stabil ist oder schrumpft. Zwischen Materialflüssen und Materialbeständen existiert eine positive Feedbackschleife. Je größer die Materialbestände sind, desto größer sind die Materialflüsse zum Erhalt und Betrieb derjenigen. Für alle Inputs und Outputs einer MFA gilt das Massenbilanzprinzip. Dieses leitet sich vom ersten Hauptsatz der Thermodynamik ab und besagt, dass die Summe aller Material-Inputs in ein System gleich der Summe aller Outputs sein muss, korrigiert um Materialbestandsveränderungen (Schandl et al. 2002). Bisher hat sich

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die Forschung auf die Flüsse konzentriert, was durch die breite Datenverfügbarkeit in nationalen und internationalen Statistiken erklärt werden kann. Informationen über die Materialbestände, deren materielle Zusammensetzung und ihre Lebenszeit, sind häufig nicht verfügbar und hindern somit die Weiterentwicklung der Materialbestandsanalysen (Lanau et al. 2019). Im letzten Jahrzehnt wurde zunehmend die Bedeutung der Materialbestände erkannt, da sie langfristig Größe und Zusammensetzung der Materialflüsse und Energieflüsse bestimmen und die Verbindung zwischen Flüssen und Services darstellen (Haberl et al. 2017, 2019; Krausmann et al. 2009).

2.3 Die Rolle der Materialbestände

Materialbestände in der Form von Artefakten (Gebäude, Infrastruktur, Maschinen etc.) repräsentieren die physische Infrastruktur für Produktion und Konsum und stellen somit die materielle Basis für gesellschaftliches Wohlergehen dar (Haberl et al. 2017; Fishman et al.

2014; Krausmann et al. 2017; Lanau et al. 2019). Sie erfüllen eine Vielzahl von Funktionen und Services für die Gesellschaft. Pauliuk und Müller (2014) haben eine (nicht vollständige) Auflistung von verschiedenen Rollen der Materialbestände für den gesellschaftlichen Stoffwechsel erstellt:

Angebot von Services: Materialbestände erfüllen Services wie z.B. Wohnraum, Transport, Kommunikation.

Kapital- und Ressourcenspeicher: Zwischen 10-40% des ökonomischen Outputs wird für Errichtung und Erhalt der Materialbestände verwendet.

Bestimmung der Dynamik des gesellschaftlichen Metabolismus: Materialbestände definieren langfristig Möglichkeiten und Hindernisse für neue Technologien oder die Verfügbarkeit von Abfall für Recycling.

Wohlstandsindikatoren: Materialbestände zeigen auf, wie viel physisches Kapital eine Gesellschaft aufgebaut hat und ergänzen das BIP als Indikator.

Auswirkung auf jährlichen Ressourcenbedarf: Die physikalischen Eigenschaften von Materialbeständen stellen die Verbindung zwischen der Bereitstellung von Services und dem Energie- und Materialverbrauch dar.

Gestaltung von Städten: Die räumliche Anordnung von Materialbeständen in Siedlungen hat starken Einfluss auf urbane Dichte, Erreichbarkeit, Transportdistanzen und das Verkehrssystem.

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Die umfassende Bedeutung der Materialbestände in der Erfüllung von Services für die Gesellschaft hebt ihre zentrale Rolle im gesellschaftlichen Metabolismus hervor. Durch langfristige Pfadabhängigkeiten definieren Materialbestände zukünftige Nutzungsmuster und somit den direkten und indirekten Material- und Energieverbrauch (Haberl et al. 2017).

2.3.1 Materialbestände, Wohlergehen und Ressourcenverbrauch

Selbst im globalen Norden befinden sich die Inputs in die Materialbestände vielfach immer noch im Wachsen, trotz eines hohen Entwicklungs- und Wohlstandsniveaus stellt sich bisher keine Sättigung ein (Krausmann et al. 2017). Ursachen hierfür liegen unter anderem in der steigenden Nachfrage nach Transportinfrastruktur und größerem beziehungsweise qualitativ hochwertigerem Wohnraum. Außerdem treibt wachsender Wohlstand auch den Konsum und damit die Nachfrage nach langlebigen Gütern wie Autos, Elektronik- oder Haushaltsgeräten an (Matthews 2000).

Die Größe der Materialbestände unterscheidet sich stark zwischen Ländern des globalen Nordens und Südens (Krausmann et al. 2017). Bis zu einem gewissen Maß hat der Umfang der Materialbestände Einfluss auf Wohlergehen und BIP einer Gesellschaft. Neben dem Verhältnis von Materialbestand und BIP kann das Wohlergehen in einer Gesellschaft auch mit anderen Indikatoren gemessen werden. Neben dem Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen (UNDP 2019) gibt es unter anderem den Social Progress Index (SPI). Der SPI geht über die bloße Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes hinaus und versucht darzustellen, ob eine Gesellschaft die Grundbedürfnisse ihrer Bürger erfüllen kann, sie in die Lage versetzt, ihre Lebensqualität zu verbessern, die Umwelt schützt und ihnen Möglichkeiten (chance) bietet. Der SPI reicht von 0-100 und wird in sechs hierarchische Cluster unterteilt (tier 1-6), von sehr niedrigem bis sehr hohem sozialen Fortschritt (Porter et al. 2016).

Die Studie von Haberl et al. (2019) zeigt eine anfänglich hohe Korrelation von SPI und Materialbestand (gemessen mit dem Proxy-Indikator Beton). Ab einem Materialbestand von 50 t/Kopf ist ein SPI über 80 Punkte erreichbar (das entspricht Tier 3, oberer mittlerer SPI).

Darüber hinaus zeigt sich jedoch keine klare Korrelation zwischen Materialbestand und SPI.

Dennoch sind die Materialbestände und das Wirtschaftswachstum eng miteinander verbunden. Die Frage, wie wirtschaftliche Entwicklung die Ressourcennutzung antreibt, steht schon lange im Raum. Auch Mayer et al. (2017) haben den Zusammenhang von Materialverbrauch und Wohlergehen im Detail untersucht und konnten aufzeigen, dass für

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werden muss. In ihrer Studie betragen die kumulierten Materialinputs von 1950 bis 2010 zum Erreichen von hohem Wohlergehen 600-1000 t/Kopf. Fossile Ressourcen nehmen in den ökonomischen Systemen der Länder mit einem SPI über 80 laut Mayer et al. (2017) eine zentrale Rolle ein, die globale Konvergenz der Materialbestände in Bezug auf Energieverbrauch und Emissionen stellt für den Süden somit eine heikle Entwicklung dar.

Dies macht die Notwendigkeit einer Entkopplung von wirtschaftlicher Entwicklung beziehungsweise Wohlergehen vom Material- und Energieverbrauch deutlich.

Effizienzsteigerungen (d.h. technologischer Fortschritt) können zu einer relativen Entkopplung des BIP von der Ressourcennutzung oder den Emissionen führen. Eine absolute Entkopplung ist jedoch rar (und wird meist nur in Phasen mit niedrigem Wirtschaftswachstum oder Rezession beobachtet) und auf globaler Ebene nicht existent (Haberl et al. 2019). Der Ressourcenverbrauch befindet sich global gesehen im Steigen, es gibt jedoch nicht genügend Ressourcen, um das metabolische Level des globalen Südens jenem des Nordens anzugleichen beziehungsweise würde eine solche Annäherung die Tragfähigkeit der Erde übersteigen (Smil 2010; WBGU 2011). Die wichtigsten Maßnahmen für zukünftige Entwicklung liegen somit in einer gerechteren Verteilung von Material und Energie und der Entwicklung nachhaltiger Strategien der Ressourcenverwendung.

Die Gestaltung von Materialbeständen ist für die Entkopplung von Ressourcenflüssen und Wirtschaftswachstum von großer Bedeutung. Materialbestände verursachen früher oder später am Ende ihrer Lebensdauer (EoL) große Mengen an Abfall. Das Konzept der Circular Economy beschreibt eine Strategie, um Ressourcen- und Energieverbrauch in der Produktion zu senken und durch Wiederverwendung, Materialwahl und Design die Zeit, die ein Produkt oder Material genutzt werden kann, zu maximieren (Ellen MacArthur Foundation 2013). Die Circular Economy kann auch als ökonomischer Prozess definiert werden, in dem sämtliche Materialflüsse entweder aus biogenen Materialien bestehen, welche nach ihrer Nutzung wieder in die Biosphäre gelangen und dort über Ökosystemprozesse rezykliert werden, oder aus Materialien, welche dazu bestimmt sind, im ökonomischen System zu zirkulieren, ohne in die Biosphäre zu gelangen (UNEP 2012). Die Zirkularität kann durch das Schließen von Kreisläufen durch Re-Use, Reduce und Recycle (3R-Strategie), den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energiequellen und der Übersetzung von Effizienzsteigerungen in absolute Reduktionen der Materialverwendung erreicht werden (UNEP 2019; Ellen MacArthur Foundation 2013). Bisher liegt die Recyclingrate global bei nur 6%, während der

(19)

Materialverbrauch jährlich um 3,6% wächst, die Circular Economy ist somit aus heutiger Perspektive noch nicht in Sicht. Solange die Materialbestände stark wachsen, haben selbst hohe Recyclingraten geringen Einfluss. Außerdem ist die Transformation unserer Energie- Versorgungsbasis unumgänglich, da fossile Energieträger den größten Fluss darstellen und nicht recycelt werden können (Haas et al. 2015).

2.3.2 Materialbestände und Emissionen

Im globalen Durchschnitt beliefen sich die Materialbestände 2010 pro Kopf auf 115 t, die Inputs in die Materialbestände betrugen 2010 insgesamt 36 Gt/Jahr. Verbindet man diese Daten mit Emissionen, welche durch die Errichtung und Instandhaltung oder die Nutzung der Materialbestände entstehen, belaufen sich diese auf 62 kg Kohlenstoff pro t Input beziehungsweise 8 kg Kohlenstoff pro t Materialbestand im Jahr. Dies verdeutlicht, dass trotz Effizienzsteigerungen in der Energieverwendung die Materialbestände und deren Wachstum wichtige Treiber des Energieverbrauchs und der CO2 Emissionen sind (Krausmann et al. 2017).

Davis et al. (2010) schätzen die kumulativen Emissionen, welche während der Nutzung bereits bestehender Infrastruktur durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen verursacht werden, im Zeitraum von 2010 bis 2060 auf 496 Gt CO2. In diesem Szenario würde die Erderwärmung im Mittel 1,3°C betragen. Wird die fossile Infrastruktur (Energieproduktion, Transport, Industrie, Haushalte) jedoch weiter ausgebaut, werden die dadurch entstehenden Emissionen in dieser Studie bis zum Ende des Jahrhunderts auf ein Niveau von 3.000-7.000 Gt CO2 geschätzt. Dies allein würde bei Beibehaltung der aktuell verwendeten Technologien zu einer Erderwärmung um 2,4-4,6°C führen. Bei schrittweiser Einstellung der fossilen Infrastruktur ab 2018 (Energieerzeugung, Autos, Flugzeuge, industrielle Infrastruktur, etc.) würde diese bis 2058 Emissionen in Höhe von 715 Gt CO2 ausstoßen (Smith et al. 2019). Das IPCC (Rogelj et al. 2018) sieht jedoch nur Emissionen in Höhe von 580 Gt CO2 zwischen 2018- 2100 zur Erreichung des 1,5°C Ziels vor (mittlere Erreichungschance). Nach den Berechnungen von Davis et al. (2010) würde ein Stopp der Erweiterung der fossilen Materialbestände und die Nutzung bestehender Materialbestände bis ans Ende ihrer Lebenszeit deutlich zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass keine weiteren CO2

emittierenden Materialbestände produziert werden. Die Wachstumsdynamik der Materialbestände wird auch in der Studie von Haberl et al. (2019) thematisiert. Dieser zufolge verursacht die rasch voranschreitende Industrialisierung und Urbanisierung im globalen

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Ressourcenverwendung. Bereits heute werden 50% der Materialflüsse für Aufbau und Erweiterung der Materialbestände verwendet, dadurch ergeben sich zahlreiche Pfadabhängigkeiten, welche die Emissionen und Umweltbelastungen in Zukunft noch steigern können. Umfassendes Wissen über bestehende Materialbestände ist wesentlich, um urbane Entwicklung und Infrastrukturentwicklung und den zukünftigen Energie- und Ressourcenbedarf zu senken.

2.4 Methoden der Materialbestandsanalyse

Bereits 1941 haben Ostrolenk et al. (1941) erkannt, dass zum Beispiel der wachsende Automobilbestand in Zukunft auch eine wichtige Ressourcenquelle darstellen wird, wenn die Autos das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Zwei Jahrzehnte später hat Jacobs (1961) dasselbe für Städte postuliert. Dennoch hat sich die Forschung im Bereich des sozialen Metabolismus erst vor kurzem auf Dynamik und Größe der Materialbestände verlagert. Im Folgenden wird basierend auf zwei Reviews ein Überblick über die vorherrschenden Materialbestandsanalyse-Methoden gegeben. Das Review von Augiseau und Barles (2017) hat sich auf Baumaterialien konzentriert, im Review von Lanau et al. (2019) werden 249 Materialbestandsanalysen besprochen und versucht eine umfassende Kompilation der Methoden zu erstellen. Im Allgemeinen wird zwischen mobilem und immobilem Materialbestand unterschieden. Der Fokus des Reviews von Lanau et al. (2019) wurde auf immobile Materialbestände gerichtet. Diese umfassen Gebäude, Infrastruktur (Straßen, Schienen, Brücken) und technische Infrastruktur (Energie, Wasser, Abfall), und werden oft als built environment stocks bezeichnet (Lanau et al. 2019).

Lanau et al. (2019) charakterisiert die Studien über Materialbestände nach ihrem Zweck oder der Methode. Der Zweck kann anhand von Typologie und Messwert, räumlicher Abgrenzung und Auflösung oder zeitlichem Umfang unterschieden werden. Methodisch ist eine Unterteilung in Top-Down, Bottom-Up, eine Kombination der beiden (Hybride Ansätze) oder in Remote Sensing-Ansätze möglich.

Augiseau und Barles (2017) unterscheiden die Methoden nach 4 Ansätzen: Top-Down oder Bottom-Up und dynamisch oder statisch. Dynamische Ansätze können input driven/inflow driven (Zufluss-getrieben, Inputs als Treiber) oder stock driven (Bestandsgetrieben, Materialbestände als Treiber) durchgeführt werden.

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2.4.1 Typologie und Messgröße

Status des Materialbestands: Kapur und Graedel (2006) und Krausmann et al. (2017) unterscheiden zwischen in-use stocks und hibernating stocks, um Materialbestände in Verwendung von solchen, welche nicht mehr genutzt werden, zu differenzieren.

Der Großteil der Studien befasst sich mit in-use stocks, Inkonsistenzen in der Literatur verhindern jedoch eine genaue Analyse des Status der Materialbestände.

Endverwendung der Materialbestände: Dies bezieht sich auf die unterschiedliche Verwendung von Gebäuden und Infrastruktur. Die Hälfte der von Lanau et al. (2019) betrachteten Studien berücksichtigen die Gesamtheit des Materialbestands, jedoch oft nur eine Materialkategorie, z.B. Stahl. Die restlichen Studien betrachten Gebäude und nur wenige konzentrieren sich auf Infrastruktur. Die Definition der Endverwendung variiert stark, die Klassifizierung von Gebäuden ist kompliziert und unterscheidet sich zwischen den Ländern.

Messobjekt: Dies umfasst einzelne Substanzen oder Materialien wie beispielsweise Kupfer (Glöser et al. 2013) oder Zement (Cao et al. 2017), Bauteile wie Fensterrahmen (Kandelaars und van den Bergh 1997), Produkte wie Fußböden (Sartori et al. 2008) oder gesamte Gebäude.

Maßeinheit: Dies kann die Anzahl der Gegenstände, Dimensionen (m), Fläche (m2), Volumen (m3) von Materialbeständen oder das Gewicht derselben (Tonnen) sein.

Die Ergebnisse werden oft durch einen Indikator dargestellt, zum Beispiel in Verhältnis zu Fläche oder Bevölkerung.

2.4.2 Räumliche Abgrenzung und Auflösung

Die untersuchten Studien wurden auf verschiedenen geographischen Skalen durchgeführt, die sich maßstäblich auf Nachbarschafts-, Stadt-, regionale, nationale, multinationale bis hin zur globalen Ebene beziehen. Die Genauigkeit variiert von sehr geringer Auflösung bis hin zu sehr genauer Auflösung. Das heißt es gibt Studien, welche einen Materialbestand im allgemeinen untersuchen, wie zum Beispiel globale Kupferbestände (Glöser et al. 2013) oder solche Studien, die Materialbestände für ein bestimmtes Gebiet bestimmen wie Tanikawa et al.

(2015) für Gebäude und Infrastruktur in Japan.

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2.4.3 Zeitlicher Umfang

41% der Studien wurden statisch durchgeführt, das heißt es wird nur ein Schnappschuss für ein spezifisches Jahr untersucht (Lanau et al. 2019). Die restlichen Studien sind dynamisch und stellen die Entwicklung der Materialbestände über die Zeit dar, dies kann retrospektiv oder prospektiv geschehen. Dynamische Studien umfassen wenige Jahre bis hin zu einem Jahrhundert. Historische Perioden eignen sich besonders, um Dynamiken der Materialbestände zu analysieren und Einsicht in nichtlineare Abfall- und Recyclingpotentiale zu bekommen (Stahl in Pauliuk et al. (2013)) oder Überblick über Baumaterialien zu erhalten (Tanikawa und Hashimoto 2009).

2.4.4 Top-Down

Der Top-Down Ansatz (auch als input-driven bezeichnet) baut auf dem Prinzip der Massenbilanzierung auf. Die Veränderung der Größe des Materialbestands ergibt sich aus der Differenz von Inputs und Outputs eines Materials über eine definierte Zeitspanne, meist ein Jahr (Müller et al. 2014). Top-Down Ansätze sind üblicherweise Zufluss-getrieben (siehe MISO- Modell in Kapitel 4.1). Daten zum Materialinput werden aus der amtlichen Statistik, der Industrie- und Produktionsstatistik oder wissenschaftlicher Literatur bezogen. Outputs sind schwierig nachzuverfolgen, sie werden mithilfe von Lebenszeiten für Artefakte oder Infrastruktur berechnet. Das in dieser Arbeit für die Quantifizierung der Materialbestände in Costa Rica verwendete MISO-Modell ist ein Zufluss-getriebenes Modell und fällt in diesen Typus von Methoden.

Mithilfe von Top-Down Studien kann ein Überblick über die Materialbestandsdynamik für einzelne Materialien oder ganze Ökonomien über einen definierten Zeitverlauf gegeben werden. Zum Beispiel zeigt sich in der Studie von Fishman et al. (2016), dass in manchen industrialisierten Ökonomien die Geschwindigkeit der Materialbestandsakkumulation abflacht. Global zeigt sich keine solche Verlangsamung (Krausmann et al. 2017). Die identifizierten Muster der Materialbestandsentwicklung können als Benchmark für mögliche Entwicklungspfade im globalen Süden genutzt werden. Müller (2006) stellt eine Methode vor, mit welcher zukünftige Materialzyklen und der Materialbedarf simuliert werden können. Die Logik dieser Methode baut darauf auf, dass Materialbestände direkt das Servicelevel reflektieren, sie verhalten sich stabiler als Materialflüsse, reagieren nicht auf kurzfristige Schwankungen im Konsum und definieren so den Rahmen für Materialbedarf und Recycling.

(23)

Räumlich erlauben Top-Down Studien kaum eine Auflösung unterhalb des nationalen Levels, sie haben auch keine genaue Auflösung auf Produkt- oder Infrastrukturebene. Das verhindert ein detailliertes Verständnis über Standort und Qualität der Materialbestände. Darüber hinaus sind die Lebenszeiten von Materialbeständen ein entscheidender Parameter in der Modellierung. Sie haben geringen Einfluss auf die Darstellung der Materialbestände an sich, sind jedoch zentral für die korrekte Projektion der Outputs aus den Materialbeständen (Miatto et al. 2017). In diesem Kontext fehlen oft empirische Daten und die Unsicherheiten in den angenommenen Lebenszeiten können beträchtlich sein, da die Produktkategorien viele heterogene Produkte enthalten (Chen und Graedel 2015).

2.4.5 Bottom-Up

In Bottom-Up Ansätzen (auch als stock-driven bezeichnet) wird der Materialbestand Stück für Stück quantifiziert. Auf Grundlage von Informationen zur Materialintensität (also der Gehalt eines bestimmten Materials je Einheit Bestand) wird der Bestand der verschiedenen Materialien berechnet. Daten hierfür stammen direkt aus statistischen Informationen über die Materialbestände (Anzahl der Wohngebäude, Länge des Straßen- oder Schienennetzes etc.) und sind oft genauer als Ergebnisse aus Top-Down Studien. Diese Studien leisten einen Beitrag zum besseren Verständnis der physikalischen Anordnung und materiellen Zusammensetzung der Materialbestände (Recalde et al. 2008; Tanikawa et al. 2015).

Wegen der großen benötigten Datenmenge und des Arbeitsaufwands beschränkt sich die Methode meist auf kleine geographische Gebiete, einzelne Jahre, Materialien oder Materialbestände, zu denen es Informationen vorliegen. Wird die Methode in größerem Maßstab angewendet, zeigen sich Limitationen und Unsicherheiten in den Informationen über die Materialbestände, Verwendungszweck der Materialbestände und den Materialintensitäten (Recalde et al. 2008). Mithilfe von Hybriden Ansätzen wird versucht, diese Unsicherheiten zu umgehen.

2.4.6 Hybride Ansätze

Gebäudearchetypen: Klassifizierung des Materialbestands in Typen (Verwendung), Kohorten (Baujahr) oder eine Kombination der beiden in theoretische Gebäudearchetypen. Ortlepp et al. (2016) haben zum Beispiel die Gebäudearchetypen für Deutschland bestimmt, durch die Homogenisierung eines heterogenen Materialbestands an gewerblichen Gebäuden (non-residential

(24)

buildings). Ergun und Gorgolewski (2015) haben diesen Ansatz zur Bestimmung der Verfügbarkeit von Lehm für Recycling auf urbaner Ebene in Toronto angewendet und hierfür den Anteil von Lehmziegeln in freistehenden Häusern bestimmt.

Geographisches Informationssystem (GIS): GIS ist ein Werkzeug zur Handhabung, Verarbeitung und Analyse großer Mengen an Geodaten und ermöglicht eine höhere räumliche Auflösung des physischen Systems. Hierfür werden zwei Typen von Daten benötigt. Einerseits Daten über die Geolokation von Gebäuden und Infrastruktur, inklusive Attributen wie Gebäudeart und Baujahr. Andererseits Materialintensitäten zur Information über die spezifische Zusammensetzung der Gebäude und Infrastruktur. Meist sind jedoch nur durchschnittliche Materialintensitäten als Datenpool enthalten, welche zu Unsicherheiten führen. Tanikawa und Hashimoto (2009) haben in einer GIS-Bottom-Up Studie den Materialbestand für Japan berechnet, mit einem Ergebnis von 170 t/Kopf im Jahr 2010, im Gegensatz zu Ergebnissen aus Top-Down Studien welche 236 t/Kopf (2000) beziehungsweise 310 t/Kopf (2005) ergeben haben (Hashimoto et al. 2007; Fishman et al. 2014).

Gebäudearchetypen und GIS: Wird nur die durchschnittliche Materialintensität von Gebäuden verwendet, kommt es zu Ungenauigkeiten, da die Geometrie der Gebäude außer Acht gelassen wird. Stephan und Athanassiadis (2017) schätzen den Fehler durch nicht berücksichtige Materialien in Außenwänden auf ca. 20%. Mit sogenannten material passports (European Union 2020) können systematische Materiallisten für in Gebäuden enthaltene Materialien geschaffen werden.

Zeit und Bottom-Up: Bottom-Up Studien sind meist statisch, dynamische Studien sind oft eine Serie von statischen Ergebnissen. Meinel et al. (2009) haben zur Darstellung der räumlichen und zeitlichen Entwicklung der Materialbestände einer deutschen Stadt statische Bottom-Up Ergebnisse eines GIS-Modells über 20 Jahre aneinandergereiht. Dies erlaubt Antworten auf die Frage, wann und wo sich das Material akkumuliert hat.

2.4.7 Remote Sensing Ansatz

Diese Methode wurde von der Strahlung der nighttime lights (NTL) inspiriert, diese korrelieren mit menschlicher Aktivität und sozioökonomischen Parametern wie Bevölkerung, BIP und Emissionen. Rauch (2009) hat die Beziehung zwischen BIP und NTL genutzt und eine 1x1 km Karte für die Bestände von Metallen erstellt. Takahashi et al. (2010) haben den

(25)

Zusammenhang zwischen NTL und Kupfer untersucht und festgestellt, dass die NTL zu Materialbestand-Methode zu genaueren Ergebnissen führt, als die BIP zu Materialbestand- Methode. Vorteilhaft an dieser Methode ist die leichte Verfügbarkeit der NTL Daten über die ganze Welt und die Abdeckung längerer Zeiträume. So können auch Länder mit schlechter statistischer Datenverfügbarkeit untersucht werden. Jedoch werden Materialbestände nicht solide beschrieben: Materialbestände im Untergrund werden komplett außer Acht gelassen und die Zusammensetzung der Materialbestände, deren Alter und Qualität können mit der NTL Methode nicht untersucht werden.

2.5 Costa Rica als Studienobjekt

Costa Rica ist einer der reichsten Staaten Zentralamerikas, umfasst eine Fläche von 51.000 km2 und hat 2020 eine Bevölkerung von ca. 5 Millionen Menschen. 52% der Landesfläche sind bewaldet, 37% werden landwirtschaftlich genutzt und insgesamt 26% stehen unter Naturschutz (CIA 2019; Oviedo et al. 2015). Insgesamt leben 81% der Bevölkerung im urbanen Raum, davon 1,4 Millionen in Costa Ricas Hauptstadt San José. 20% des BIP fließen jedes Jahr in Bildung, Gesundheitswesen, Wasserversorgung, Elektrizitätsversorgung und Entsorgungsinfrastrukturen (CIA 2019). Das BIP belief sich 2016 auf $ 57,2 Milliarden (in aktuellen 2018 US$), pro Kopf betrug das BIP Kaufkraftparität (KKP) $ 18.008 (The World Bank 2019).

Das Land ist eine der ältesten Demokratien in Lateinamerika und der Karibik (latin america and the carribean, LAC). Die Demokratie hat für Stabilität in Costa Rica gesorgt und so stetigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt ermöglicht. Das BIP/Kopf ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und Costa Rica hat heute den Status eines Landes mittleren Einkommens im oberen Bereich erreicht. Hohe Ausgaben im Sozialbereich haben den Zugang zu Krankenversicherung, Grundbildung und einem Pensionssystem für die Allgemeinheit ermöglicht. Armut, Einkommensungleichheit und geschlechtsspezifische Unterschiede sind im Vergleich zu OECD Staaten hoch, nach LAC Maßstäben jedoch gering.

Außerdem hat Costa Ricas gewissenhaftes Management der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität (die Waldbedeckung wurde zwischen 1987-2015 verdoppelt und fast 100% der Elektrizität stammt aus erneuerbaren Quellen) dem Land sein „grünes Markenzeichen“

eingebracht und den Ökotourismus im Land befeuert (OECD 2018b).

(26)

Marois (2005) beschreibt in seiner Studie die wirtschaftliche Entwicklung Costa Ricas. Das Wirtschaftsmodell war bis in die 1960er vom Export landwirtschaftlicher Produkte (Kaffee, Bananen, Ananas) geprägt. Erst Mitte der 1960er kam es zu einem Wandel. Mithilfe von US- amerikanischem Kapital wurde die Industrie in Costa Rica ausgeweitet. Außerdem wurden durch Steueranreize und den Ausbau der Infrastruktur im Zentraltal rund um San José zahlreiche Industriefirmen angesiedelt. Die Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Exporten blieb jedoch bestehen. Die Rezession ab 1982 führte schließlich zum Einbruch der industriellen Produktion, das BIP der 1990er blieb unter dem Niveau der 1980er Jahre. In Folge wurde eine Kooperation mit dem IMF (International Monetary Fund) und USAID (United States Agency for International Development) eingegangen. Mit dieser Entwicklungshilfe wurde Costa Ricas Wirtschaft neu strukturiert.

Die Neustrukturierung war von der Errichtung zahlreicher Freihandelszonen geprägt, um Auslandsdirektinvestitionen anzuziehen. Dies führte zur graduellen Ansiedlung von Unternehmen in den Sektoren der Hochtechnologie, medizinischer Ausrüstung und anderer hoch verarbeiteter Güter, welche 2015 60% der Güterexporte ausmachten (Oviedo et al.

2015). Neben dem Hightechsektor hat aber auch der Dienstleistungssektor an Bedeutung gewonnen, nach der Wirtschaftskrise von 2007/2008 war dieser 2016 für 70% des BIP verantwortlich. Schwerindustrie ist in Costa Rica so gut wie nicht existent (OECD 2018b) und es gibt keinen Abbau von Erzen, Öl oder Gas (USGS 2019). Der Außenhandel für Ressourcen spielt in Costa Rica somit eine große Rolle, fast alle Materialien werden importiert (Metalle, Öl, Plastik etc.).

Wie in Abbildung 1 zu sehen, ist Costa Ricas BIP von 1990 bis 2018 insgesamt um 88%

gewachsen. Annähernd verdoppelt haben sich der Anteil des Finanzsektors und Immobilien, die öffentlichen Ausgaben und Transport und Telekommunikation. Die Wirtschaftskrise 2007/2008 hat das Wachstum in Costa Rica deutlich gebremst, jedoch setzt dieses bereits ab 2010 wieder ein. Das größte Wachstum nach der Wirtschaftskrise ist 2012 (verglichen zu 2008) bei Elektrizität, Gas und Wasserversorgung (51%), den öffentlichen Ausgaben (47%), dem Finanzsektor und Immobilien (42%), in Transport und Telekommunikation (38%), dem Bausektor (28%) und der Produktion (26%) zu beobachten. Insgesamt zeigt sich, dass Costa Ricas Wirtschaft stark auf Dienstleistungen aufbaut.

(27)

Abbildung 1: Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP) in Costa Rica nach Sektoren und Bevölkerungsentwicklung.

Anm: BIP in 2018 US$ auf primärer Achse; Bevölkerungsentwicklung auf sekundärer Achse; Quelle: (ECLAC 2020).

Die Materialflüsse Costa Ricas sind vom Import fossiler Brennstoffe, Kohle und Metallen geprägt, diese Materialien werden seit den 1970ern zu 100% importiert. Seit 1990 wird auch Holz zunehmend importiert. Von vorerst 8% ist der Anteil des importierten Holzes am Inlandsverbrauch im Jahr 2016 auf 32% gestiegen. Ebenso hat sich die Situation der Mineralien für Industrie und Landwirtschaft gewandelt. Von diesen wurden 1990 7% importiert, im Jahr 2016 52%. Demgegenüber wird der Bedarf an Kulturpflanzen und Baumineralien komplett durch den Inlandsabbau gedeckt. Die bedeutendsten Exportgüter stellen Kulturpflanzen, Fischfang, Metalle (in verarbeiteten Produkten) und seit 2000 zunehmend Nichteisenmetalle dar (UNEP 2018).

Costa Rica wurde aufgrund seiner speziellen Situation für diese Studie ausgewählt: Es stellt immer noch ein Land des globalen Südens dar, ist aber in vielen Bereichen bereits weit entwickelt. Nach Daten der IEA (2019a) deckt Costa Rica 2017 einerseits 99,7% seines Elektrizitätsbedarfs aus erneuerbaren Quellen und die Regierung will im Land bis 2050 die Dekarbonisierung erreichen (Gobierno de Costa Rica 2019). Andererseits basieren 65% des Endenergieverbrauchs auf fossilen Brennstoffen, welche zu fast 80% im Transportsektor verbraucht werden (IEA 2019c). Neben dem positiven Blick auf die hohe Bewaldung und Biodiversitätsrate zeichnen allgemeine Umweltindikatoren ein diverseres Bild der Umwelt in Costa Rica (OECD 2018b): Die Urbanisierung erhöht den Druck auf Ressourcen im Bausektor, größtenteils wird mit Beton und Metall gebaut, obwohl die erneuerbare Ressource Holz verfügbar wäre. Die Luftqualität leidet unter steigendem Autobesitz. Die Wasserversorgung

0 1 2 3 4 5 6

$- $10 $20 $30 $40 $50 $60

Millionen Menschen

Miliarden US$ GDP Sector Landwirtschaft

Bergbau Produktion Elektrizität, Gas und Wasserversorgung Bausektor Handel, Hotel und Restaurants Transport und Kommunikation Finanzsektor und Immobilien Öffentliche Ausgaben

Bevölkerung in Costa Rica

(28)

ist einerseits gut, jedoch stellt die Wasserqualität ein wachsendes Problem dar, 2015 wurden nur 12% des in der Kanalisation gesammelten Abwassers ordnungsgemäß behandelt. In der Abfallbehandlung liegt Costa Rica weit hinter den OECD Staaten, fast der gesamte Abfall landet in Deponien, während sich das Abfallaufkommen pro Kopf jenem der OECD Staaten annähert.

All diese Problembereiche hängen auf die eine oder andere Weise mit den Materialbeständen zusammen und stellen große Herausforderungen für die nachhaltige Entwicklung dar.

Umfassendes Verständnis über die Zusammensetzung und Entwicklung der Materialbestände in Costa Rica kann daher einen Beitrag zur zukünftigen nachhaltigen Entwicklung des Landes leisten.

(29)

3 Fragestellung

Untersucht werden in dieser Studie die Entwicklung des Materialbestandes von Costa Rica und die damit zusammenhängenden Materialflüsse zwischen 1900 bis 2016. Folgende Forschungsfragen werden zu beantworten versucht.

Forschungsfragen

− Welche Materialien sind in den Aufbau der Materialbestände zwischen 1900 bis 2016 geflossen?

− Wie hat sich der Materialbestand über die Zeit entwickelt und wie hat sich seine Zusammensetzung verändert?

− Welche Herausforderungen und Probleme treten bei der Anwendung des MISO- Modells auf nationaler Ebene und für ein Land des globalen Südens auf?

− Wie gestalten sich die Zusammenhänge zwischen Materialbestand (und den damit verbundenen Materialflüssen) und Energieverbrauch, wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlergehen in Costa Rica? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Materialbestand und nachhaltiger Entwicklung in Costa Rica?

Um die Datengrundlagen für die Beantwortung dieser Fragen zu schaffen, wurde eine Materialbestandsrechnung mit dem MISO-Modell (Krausmann et al. 2017; Wiedenhofer et al.

2019) durchgeführt, hierfür wurden Materialflussdaten für die vier großen Materialkategorien (Biomasse, fossile Materialien, Mineralien und Metalle) gesammelt und die Materialbestände im Modell mit diesen Daten berechnet. Außerdem fließen Informationen über Lebenszeit der Materialbestände, Re- und Downcycling-Raten und Verluste in Aufbereitung und Herstellung in das Modell ein. Im ersten Abschnitt wird die Methode dargestellt, darauf aufbauend die Sammlung und Aufbereitung der Materialflussdaten. Danach werden die Ergebnisse des Modells dargelegt und auf Schwierigkeiten in der Durchführung der Methode eingegangen.

Im letzten Teil werden schließlich Fragen über Zusammenhänge zwischen Materialbestand, Energieverbrauch und Wohlergehen behandelt.

(30)

4 Methode und Daten

4.1 Das Material Inputs, Stocks and Outputs (MISO) Modell

In dieser Arbeit werden die Materialbestände und die dazugehörigen Materialflüsse in Costa Rica von 1900 bis 2016 berechnet. Hierfür wir das MISO-Modell genutzt, ein dynamisches top- down inflow driven Modell, das konsistent mit den Prinzipien der MFA ist. Es berücksichtigt deren Definitionen der Materialbestände, -flüsse und Systemgrenzen (Krausmann et al. 2017;

Wiedenhofer et al. 2019). Aus den verschiedenen Methoden zur Berechnung der Materialbestände wurde das MISO-Modell ausgewählt, da es eine gute Methode darstellt um auf der Grundlage von gut verfügbaren MFA Daten mit moderatem Arbeitsaufwand die Entwicklung und Zusammensetzung des gesamten Materialbestandes eines Landes über einen langen Zeitraum darzustellen.

Wie in Abbildung 2 dargestellt, ist das MISO-Modell konsistent mit der Materialflussrechnung;

es verknüpft und nutzt Daten aus der MFA als Input für die Materialbestandsberechnung. Die MFA berichtet über Inlandsabbau (domestic extraction, DE) und Handelsflüsse. Der

Abbildung 2: Das MISO-Modell: Systemgrenzen und Materialflüsse.

Anm.: Aus den Materialflussdaten wird der Inlandsverbrauch an Rohmaterialien, die für Aufbau und Erhalt von Materialbeständen genutzt werden, berechnet, anschließend wird aus diesem Verbrauch der tatsächliche Input in die Materialbestände (abzüglich Aufbereitungsverluste) abgeleitet; dieser Fluss stellt einen wesentlichen Input für das eigentliche MISO-Modell dar. Das Modell quantifiziert aus den Inputs in den Materialbestand (abzüglich Herstellungsverluste) auf der Basis von Annahmen zur durchschnittlichen Lebensdauer der Materialbestände und recycling Raten die End-of-Life Outputs, Recycling- und Abfallflüssen sowie die Materialbestände. Quelle: (Krausmann et al. 2017).

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Materialverbrauch (domestic material consumption, DMC) ist die Summe aus DE und der physischen Handelsbilanz (Importe minus Exporte). An der Schnittstelle zwischen MFA und dem MISO-Modell wird unterschieden, ob es sich um Durchflussmaterial oder bestandsaufbauendes Material (stock building materials) handelt. Ersteres sind Materialien zur Gewinnung technischer Energie (fossile Brennstoffe, Brennholz), Nahrungsmittel und Tierfutter und andere dissipativ genutzte Materialien. Bestandsaufbauende Materialien umfassen die Rohmaterialien, welche zur Herstellung der Primärinputs in die Materialbestände (primary inputs into stocks) verwendet werden. Das Aufkommen an bestandsaufbauenden Materialien umfasst Rohmaterialien wie Erze oder Kalkstein. Von diesen müssen zunächst die Aufbereitungsverluste (processing losses) abgezogen werden, also etwa taubes Gestein und Schlacken, um vom Erz auf das eigentliche Metall zu kommen.

Abgezogen werden etwa auch Veränderungen im Wassergehalt von Holz. Primärinputs in die Materialbestände sind somit definiert als bestandsaufbauende Materialien abzüglich Aufbereitungsverluste, sie sind neben den Lebenszeiten und Re- und Downcycling-Raten die exogenen Inputparameter des MISO-Modells. Zusätzlich zu den Inputs an Primärrohstoffen fließen Sekundärrohstoffe aus Recycling und Downcycling in die Materialbestände.

Im nächsten Schritt innerhalb der eigentlichen Modellierung werden die tatsächlichen Inputs in die Materialbestände (Inputs to stocks) berechnet. Dafür werden von den Primären und Sekundären Inputs noch Herstellungsverluste (manufacturing losses) abgezogen. Im Herstellungsprozess anfallende Abfallstoffe, welche wieder in den Produktionsprozess einfließen, werden nicht quantifiziert, sondern als interner Fluss im Herstellungsprozess betrachtet. Die Inputs bleiben als Materialbestände (in-use material stocks) im System, bis sie das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben und zu EoL Outputs (End-of-Life Outflows) werden.

Von diesen EoL Outputs wird ein Teil recycelt oder downgecycelt und fliest als sekundärer Input in die Materialbestände. Alle restlichen Outputs werden als Abfall (waste flows) behandelt und beinhalten kontrolliert und unkontrolliert deponierten Abfall wie auch stillgelegte Materialbestände ohne gesellschaftlichen Nutzen (hibernating stocks). Die jährlichen Inputs in die Materialbestände werden im Modell als explizite Jahrgänge behandelt und durch die gesamte Zeitperiode verfolgt. Die EoL Outputs werden auf Basis von Lebenszeitinformation der Materialbestände modelliert und über Annahmen zu re- und downcycling Raten in Sekundärrohstoffe oder Abfall geteilt.

Referenzen

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