• Keine Ergebnisse gefunden

Costa Rica als Studienobjekt

Costa Rica ist einer der reichsten Staaten Zentralamerikas, umfasst eine Fläche von 51.000 km2 und hat 2020 eine Bevölkerung von ca. 5 Millionen Menschen. 52% der Landesfläche sind bewaldet, 37% werden landwirtschaftlich genutzt und insgesamt 26% stehen unter Naturschutz (CIA 2019; Oviedo et al. 2015). Insgesamt leben 81% der Bevölkerung im urbanen Raum, davon 1,4 Millionen in Costa Ricas Hauptstadt San José. 20% des BIP fließen jedes Jahr in Bildung, Gesundheitswesen, Wasserversorgung, Elektrizitätsversorgung und Entsorgungsinfrastrukturen (CIA 2019). Das BIP belief sich 2016 auf $ 57,2 Milliarden (in aktuellen 2018 US$), pro Kopf betrug das BIP Kaufkraftparität (KKP) $ 18.008 (The World Bank 2019).

Das Land ist eine der ältesten Demokratien in Lateinamerika und der Karibik (latin america and the carribean, LAC). Die Demokratie hat für Stabilität in Costa Rica gesorgt und so stetigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt ermöglicht. Das BIP/Kopf ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und Costa Rica hat heute den Status eines Landes mittleren Einkommens im oberen Bereich erreicht. Hohe Ausgaben im Sozialbereich haben den Zugang zu Krankenversicherung, Grundbildung und einem Pensionssystem für die Allgemeinheit ermöglicht. Armut, Einkommensungleichheit und geschlechtsspezifische Unterschiede sind im Vergleich zu OECD Staaten hoch, nach LAC Maßstäben jedoch gering.

Außerdem hat Costa Ricas gewissenhaftes Management der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität (die Waldbedeckung wurde zwischen 1987-2015 verdoppelt und fast 100% der Elektrizität stammt aus erneuerbaren Quellen) dem Land sein „grünes Markenzeichen“

eingebracht und den Ökotourismus im Land befeuert (OECD 2018b).

Marois (2005) beschreibt in seiner Studie die wirtschaftliche Entwicklung Costa Ricas. Das Wirtschaftsmodell war bis in die 1960er vom Export landwirtschaftlicher Produkte (Kaffee, Bananen, Ananas) geprägt. Erst Mitte der 1960er kam es zu einem Wandel. Mithilfe von US-amerikanischem Kapital wurde die Industrie in Costa Rica ausgeweitet. Außerdem wurden durch Steueranreize und den Ausbau der Infrastruktur im Zentraltal rund um San José zahlreiche Industriefirmen angesiedelt. Die Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Exporten blieb jedoch bestehen. Die Rezession ab 1982 führte schließlich zum Einbruch der industriellen Produktion, das BIP der 1990er blieb unter dem Niveau der 1980er Jahre. In Folge wurde eine Kooperation mit dem IMF (International Monetary Fund) und USAID (United States Agency for International Development) eingegangen. Mit dieser Entwicklungshilfe wurde Costa Ricas Wirtschaft neu strukturiert.

Die Neustrukturierung war von der Errichtung zahlreicher Freihandelszonen geprägt, um Auslandsdirektinvestitionen anzuziehen. Dies führte zur graduellen Ansiedlung von Unternehmen in den Sektoren der Hochtechnologie, medizinischer Ausrüstung und anderer hoch verarbeiteter Güter, welche 2015 60% der Güterexporte ausmachten (Oviedo et al.

2015). Neben dem Hightechsektor hat aber auch der Dienstleistungssektor an Bedeutung gewonnen, nach der Wirtschaftskrise von 2007/2008 war dieser 2016 für 70% des BIP verantwortlich. Schwerindustrie ist in Costa Rica so gut wie nicht existent (OECD 2018b) und es gibt keinen Abbau von Erzen, Öl oder Gas (USGS 2019). Der Außenhandel für Ressourcen spielt in Costa Rica somit eine große Rolle, fast alle Materialien werden importiert (Metalle, Öl, Plastik etc.).

Wie in Abbildung 1 zu sehen, ist Costa Ricas BIP von 1990 bis 2018 insgesamt um 88%

gewachsen. Annähernd verdoppelt haben sich der Anteil des Finanzsektors und Immobilien, die öffentlichen Ausgaben und Transport und Telekommunikation. Die Wirtschaftskrise 2007/2008 hat das Wachstum in Costa Rica deutlich gebremst, jedoch setzt dieses bereits ab 2010 wieder ein. Das größte Wachstum nach der Wirtschaftskrise ist 2012 (verglichen zu 2008) bei Elektrizität, Gas und Wasserversorgung (51%), den öffentlichen Ausgaben (47%), dem Finanzsektor und Immobilien (42%), in Transport und Telekommunikation (38%), dem Bausektor (28%) und der Produktion (26%) zu beobachten. Insgesamt zeigt sich, dass Costa Ricas Wirtschaft stark auf Dienstleistungen aufbaut.

Abbildung 1: Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP) in Costa Rica nach Sektoren und Bevölkerungsentwicklung.

Anm: BIP in 2018 US$ auf primärer Achse; Bevölkerungsentwicklung auf sekundärer Achse; Quelle: (ECLAC 2020).

Die Materialflüsse Costa Ricas sind vom Import fossiler Brennstoffe, Kohle und Metallen geprägt, diese Materialien werden seit den 1970ern zu 100% importiert. Seit 1990 wird auch Holz zunehmend importiert. Von vorerst 8% ist der Anteil des importierten Holzes am Inlandsverbrauch im Jahr 2016 auf 32% gestiegen. Ebenso hat sich die Situation der Mineralien für Industrie und Landwirtschaft gewandelt. Von diesen wurden 1990 7% importiert, im Jahr 2016 52%. Demgegenüber wird der Bedarf an Kulturpflanzen und Baumineralien komplett durch den Inlandsabbau gedeckt. Die bedeutendsten Exportgüter stellen Kulturpflanzen, Fischfang, Metalle (in verarbeiteten Produkten) und seit 2000 zunehmend Nichteisenmetalle dar (UNEP 2018).

Costa Rica wurde aufgrund seiner speziellen Situation für diese Studie ausgewählt: Es stellt immer noch ein Land des globalen Südens dar, ist aber in vielen Bereichen bereits weit entwickelt. Nach Daten der IEA (2019a) deckt Costa Rica 2017 einerseits 99,7% seines Elektrizitätsbedarfs aus erneuerbaren Quellen und die Regierung will im Land bis 2050 die Dekarbonisierung erreichen (Gobierno de Costa Rica 2019). Andererseits basieren 65% des Endenergieverbrauchs auf fossilen Brennstoffen, welche zu fast 80% im Transportsektor verbraucht werden (IEA 2019c). Neben dem positiven Blick auf die hohe Bewaldung und Biodiversitätsrate zeichnen allgemeine Umweltindikatoren ein diverseres Bild der Umwelt in Costa Rica (OECD 2018b): Die Urbanisierung erhöht den Druck auf Ressourcen im Bausektor, größtenteils wird mit Beton und Metall gebaut, obwohl die erneuerbare Ressource Holz verfügbar wäre. Die Luftqualität leidet unter steigendem Autobesitz. Die Wasserversorgung

0

ist einerseits gut, jedoch stellt die Wasserqualität ein wachsendes Problem dar, 2015 wurden nur 12% des in der Kanalisation gesammelten Abwassers ordnungsgemäß behandelt. In der Abfallbehandlung liegt Costa Rica weit hinter den OECD Staaten, fast der gesamte Abfall landet in Deponien, während sich das Abfallaufkommen pro Kopf jenem der OECD Staaten annähert.

All diese Problembereiche hängen auf die eine oder andere Weise mit den Materialbeständen zusammen und stellen große Herausforderungen für die nachhaltige Entwicklung dar.

Umfassendes Verständnis über die Zusammensetzung und Entwicklung der Materialbestände in Costa Rica kann daher einen Beitrag zur zukünftigen nachhaltigen Entwicklung des Landes leisten.

3 Fragestellung

Untersucht werden in dieser Studie die Entwicklung des Materialbestandes von Costa Rica und die damit zusammenhängenden Materialflüsse zwischen 1900 bis 2016. Folgende Forschungsfragen werden zu beantworten versucht.

Forschungsfragen

− Welche Materialien sind in den Aufbau der Materialbestände zwischen 1900 bis 2016 geflossen?

− Wie hat sich der Materialbestand über die Zeit entwickelt und wie hat sich seine Zusammensetzung verändert?

− Welche Herausforderungen und Probleme treten bei der Anwendung des MISO-Modells auf nationaler Ebene und für ein Land des globalen Südens auf?

− Wie gestalten sich die Zusammenhänge zwischen Materialbestand (und den damit verbundenen Materialflüssen) und Energieverbrauch, wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlergehen in Costa Rica? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Materialbestand und nachhaltiger Entwicklung in Costa Rica?

Um die Datengrundlagen für die Beantwortung dieser Fragen zu schaffen, wurde eine Materialbestandsrechnung mit dem MISO-Modell (Krausmann et al. 2017; Wiedenhofer et al.

2019) durchgeführt, hierfür wurden Materialflussdaten für die vier großen Materialkategorien (Biomasse, fossile Materialien, Mineralien und Metalle) gesammelt und die Materialbestände im Modell mit diesen Daten berechnet. Außerdem fließen Informationen über Lebenszeit der Materialbestände, Re- und Downcycling-Raten und Verluste in Aufbereitung und Herstellung in das Modell ein. Im ersten Abschnitt wird die Methode dargestellt, darauf aufbauend die Sammlung und Aufbereitung der Materialflussdaten. Danach werden die Ergebnisse des Modells dargelegt und auf Schwierigkeiten in der Durchführung der Methode eingegangen.

Im letzten Teil werden schließlich Fragen über Zusammenhänge zwischen Materialbestand, Energieverbrauch und Wohlergehen behandelt.

4 Methode und Daten