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Dokumentation der Veranstaltung der Fraktion von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN

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Rechtspolitisches Gespräch: Ein neues NPD-Verbot:

möglich, notwendig oder schädlich?

Dokumentation der Veranstaltung der Fraktion von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN vom 19. Juli 2012 in Dresden

Kompletter Text herunterladbar unter:

http://www.johannes-lichdi.de/fileadmin/user_upload/Publikationen_ab_7-12/Dokumentation_NPD-Verbot.pdf

Einleitung

Im Dezember 2011 verständigten sich die Innenminister des Bundes und der Länder auf die Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuerlichen Antrags zum Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgerichts. Ende März 2012 beschlossen sie, die staatlichen "V-Leute aus Führungspositionen" der NPD abzuziehen. Eine Arbeitsgruppe unter Federführung der Innenminister Sachsen-Anhalts und des Bundes erarbeiteten eine Materialsammlung, auf deren Grundlage im Dezember 2012 über eine Antragstellung entschieden

werden soll.Nachdem in der Sommerpause aus Unionskreisen Zweifel an einem erfolgreichen NPD-Verbotsverfahren laut wurden, schlugen SPD-Innenminister auch einen

Alleingang des Bundesrats vor. Die 1200-seitige Materialsammlung war Anfang September abgeschlossen.Am 9. September berichtete der "Tagesspiegel", dass Innenminister

300 Seiten wieder zurückgezogen hätten, da nicht auszuschließen sei, dass das

Material von V-Leuten stamme. Bundesinnenminister Friedrich äußert sich zunehmend skeptisch zur Möglichkeit eines NPD-Verbots.

Die Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag führte am 19. Juli

2012 ein rechtspolitisches Gespräch zu den rechtlichen Voraussetzungen und der politischen Zweckmäßigkeit eines NPD-Verbots durch. Es referierten Prof. Dr. Werner J. Patzelt,

Lehrstuhl für politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden, Dr. Sebastian Roßner, Institut für Parteienrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

sowie Michael Nattke, Fachreferent im Kulturbüro Sachsen. Diese Broschüre dokumentiert diese Debatte. Beigefügt sind Auszüge aus maßgeblichen Entscheidungen des

Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Die Frage nach verfassungsrechtlicher Zulässigkeit und verfassungspolitischer Sinnhaftigkeit eines Parteiverbots berührt Grundfragen des Selbstverständnisses der Bürgerinnen

und Bürger in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ihres Verhältnisses zum Staat. Wenn diese Dokumentation die Überzeugung wachsen lässt, dass ein NPD-Verbot nutzlos und schädlich ist, und die demokratischen Kräfte sich stattdessen

auf den Kern ihres gemeinsamen Kampfes gegen Rassismus, Antisemitismus und Diktaturbefürwortung besinnen sollten, hat sie ihr Ziel erreicht.

Johannes Lichdi Oktober 2012

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II. Vortrag von Prof. Dr. Werner Patzelt, Lehrstuhl für Politische Systeme und Sys- temvergleich, TU Dresden

Ja, soll man die NPD verbieten? - Die Antwort gibt es am Schluss. Und am Anfang gibt es, wie es sich für den deutschen Professor gehört, Grundsätzliches. Wir nähern uns vom Allgemeinen dem Besonderen.

1. Soll man Parteien verbieten können?

Also Grundsätzliches: Es ist schon gut, dass man Parteien verbieten

kann. Nicht beliebige Parteien. Nicht Parteien, die einem einfach nicht gefallen. Das wäre Diktatur. Sondern Parteien, die aktiv die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen. Freiheitlich demokratische Grundordnung, es sei daran erinnert, ist vom Bundesverfassungsgericht definiert worden als jene rechtsstaatliche Ordnung, in der es acht unverzichtbare Grundprinzipien gibt.

Jetzt hoffe ich, dass ich sie zustande bringe: Achtung vor den Menschenrechten, Ver- antwortlichkeit der Regierung, Gewaltenteilung, Rechtsstaatsprinzip mit Unabhängig- keit der Gerichte, Demokratieprinzip, leider Gottes vom Verfassungsgericht Volkssou- veränität genannt, Chancengleichheit aller politischen Parteien und Recht auf Oppositi- on. Das sind wirklich die Minimaldinge, die einen freiheitlichen Staat ausmachen. Und wenn ein Element davon fehlt, dann ist die Freiheit flöten gegangen. Und deswegen ist es ganz sinnvoll, dass man Parteien verbieten kann, welche einem freiheitlichen Staat seine grundsätzlichen oder eines der für das Funktionieren grundsätzlichen Elemente beseitigen wollen.

Und tatsächlich haben die zwei Parteienverbote, die es bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab, einmal das Verbot der "Sozialistischen Reichspar- tei" - unaufgeklärte Menschen schließen aus dem "sozialistisch", dass es sich um eine linke Partei gehandelt hätte - in Wirklichkeit war das eine Nachfolgeorganisation der Na- tionalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Verbot 1952. Und das nächste Parteien- verbot traf die KPD 1956. Und beide Parteienverbote, die gleichsam die äußersten Ab- rundungen der Ellipse eines freiheitlichen Verfassungsstaates abgeschnitten haben, bei- de Parteienverbote haben ganz ohne Zweifel dafür mitgesorgt, dass sich das bundes- deutsche, also damals das westdeutsche Parteiensystem als ein Parteiensystem ohne extremistische Ränder entwickeln konnte. Und das war auch gut so, dass im Nach- kriegsdeutschland kein Parteiensystem entstand, wo man von ganz links bis ganz rechts einander bekämpfen und die Mitte auf diese Weise wie in der Weimarer Republik unter Feuer nehmen konnte.

Und zu den Folgen dessen, dass es weder Linksextremismus noch Rechtsextremismus in legalisierter, in parteipolitisch legalisierter Form gab, zu den Folgen dessen gehört (es gibt freilich andere Ursachen dafür auch noch) gehört jener gemeinsame Verfassungs- patriotismus, der inzwischen so gut wie alle Deutschen mit Ausnahme von wenigen Extremisten, ganz gleich, wo sie stehen, eint.

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Es hat diese Erfolgsgeschichte zwei Pointen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Die KPD wurde 1956 verboten. Und irgendwann kam man auf die Idee, zu einem normalen Staat gehört eine kommunistische Partei. Folglich entstand der Wunsch, eine kommu- nistische Partei neu zu gründen. Und 1968 war es soweit, finanziert ganz wesentlich von der SED. Und unter intensiver Beratung deutscher Parteienrechtler und deutscher Staatsrechtler konnte die DKP gegründet werden. Und daraus ziehen Sie bitte alle die Lehre, dass obschon, wenn man eine Partei verbietet, auch Nachfolgeorganisationen dieser Partei zu gründen verboten ist, dass dort, wo ein Wille ist, sich auch ein Weg fin- det. Wenn ich eine Partei verbiete, heißt das noch lange nicht, dass sie nie eine Nach- folgeorganisation gewinnen wird.

Freilich, und das ist sozusagen das Schöne an dieser Pointe, dass viele Leute, denen unser Gemeinwesen am Herzen liegt, bei frechem Auftrumpfen von Rechtsextremisten nach einem Parteienverbot rufen, das zeigt eigentlich einen an sich lobenswerten, beim zweiten Blick freilich etwas naiven Glauben an die Wirkungskraft des Rechtsstaates.

Denn so schließt er messerscharf, es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ist der Rechtsextremismus parteimäßig verboten, dann wird er auch verschwinden. Eigentlich ist das ein Triumph rechtsstaatlichen Denkens, aber sie merken schon, dass das mehr Fassade als Substanz ist.

Die zweite Pointe der grundsätzlich guten Möglichkeit extremistische Parteien zu verbie- ten, die zweite Pointe ist die, dass zwischen den 1960er Jahren und den 1990er Jahren die Möglichkeit, Parteien verbieten zu können, von denen, die in Deutschland links von der Mitte stehen, ganz gleich, wie weit sie links von der Mitte stehen, als anti-- demokratisch, undemokratisch, sich eigentlich nicht gehörend aufgefasst wurde. So in der Wahrnehmung, ja, dann verbietet man halt die fortschrittlichen Kräfte, nämlich die Linken, und das ist undemokratisch. Seitdem auf der rechten Front wieder nennenswert politische Kräfte entstanden sind, haben die Linken hier einen schönen Schwenk vollzo- gen. Plötzlich sind sie nicht nur immer wieder für Parteienverbote, sondern insbesonde- re auf Seiten der Linken wurde lange Zeit und wird immer wieder ein Verbot von rechts- extremistischen und rechtsradikalen Parteien verlangt. Und das heißt bei aller Diskussi- on darüber, ob man die NPD oder sonst eine Partei verbieten soll, spielt meistens der eigene politische Standort von Leuten eine größere Rolle als er spielen sollte!

Doch die Frage, ob man Parteien verbieten soll, muss man systematisch erwägen. Und sie muss unabhängig davon sein, ob einem eine bestimmte Partei besonders wenig in den Kram passt. Der Bezugspunkt muss die freiheitlich demokratische Grundordnung sein und davon ausgehend muss man sich die Frage vorlegen, ob man eine gegebene Partei verbieten soll.

2. Was können Parteiverbote leisten?

Damit bin ich beim zweiten Teil: Was können denn Parteiverbote leisten? Das Parteiver- bot in Deutschland schließt ein, eine Nachfolgeorganisation aufzubauen und aufrechtzu- erhalten. Aber wie ich es Ihnen schon gezeigt habe am Beispiel der KPD-DKP: Es zeigt sich, das Verbot einer Nachfolgeorganisation kann politisch undurchsetzbar sein. Und die zweite Pointe: Die Linke hat Parteiverbote und die Möglichkeit, Parteien zu verbie- ten, geblockt, als undemokratisch bezeichnet. Daraus lernt man wiederum, dass das Parteiverbot selbst als ein Akt der politischen Willkür erscheinen kann. Und damit ist einem freiheitlichen Staat nicht gedient.

Ein freiheitlicher Staat lebt davon, dass er das Recht allen politischen Strömungen gibt, sich politisch zu betätigen und um die Mehrheiten zu ringen, sofern sie nicht die freiheit- lich demokratische Grundordnung selbst angehen. Was können also Parteienverbote leisten? Ja, sie können auf alle Fälle leisten, dass in aller Klarheit angezeigt wird, wel- che politischen Haltungen nicht akzeptiert werden und folglich die rote Karte nach sich ziehen. Das Parteienverbot ist das, was auf dem Fußballplatz die rote Karte ist. Und das dient durchaus der Hygiene. Ein Schiedsrichter, der beim Fußballspiel nicht entschieden genug durchgreift, der erntet tumultartige Keilereien, wenn er nicht doch irgendwann mit

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gelben oder roten Karten sich wehrt.

Also die Möglichkeit von Parteienverboten und ab und zu ein Parteienverbot selbst, dient tatsächlich der politisch diskursiven Hygiene. Aber das tun sie nur, wenn Partei- enverbote die absolute Ausnahme sind und zu nicht mehr dienen als einen absolut un- verzichtbaren Minimalkonsens über die politischen Spielregeln sichern. Parteiverbote könen sinnvoll und segensreich nur dann wirken, wenn sie nicht getragen sind vom Wunsch eine gleichwie unappetitliche politische Konkurrenz vom Spielfeld zu stellen, sondern sie können nur dann ihre politisch diskursive Hygienekraft entfalten, wenn es allein darum geht, solche Kräfte, die mit Nachdruck die demokratische Grundordnung beseitigen wollen, vom Platz zu stellen.

3. Was können und sollen Parteiverbote nicht leisten?

Nach diesem kurzen zweiten Teil bin ich schon beim etwas längeren dritten: Was kön- nen denn Parteiverbote weder leisten, noch sollen Parteiverbote leisten?

Durch ein Parteiverbot kann man nicht unterbinden, dass bestimmte politische Ansich- ten gehegt werden. Denn das Gewissen, dies und jenes politisch für richtig zu halten, ist frei. Und man kann mit Parteiverboten auch nicht politische Äußerungen unterbinden.

Das einzige, was verboten wird, ist eine Partei. Verboten wird weder das Lebensrecht ihrer Mitglieder noch werden den Mitgliedern einer verbotenen Partei durch das Partei- verbot ihre Grundrechte etwa auf Meinungsfreiheit und so weiter genommen. Was im Art. 18 des Grundgesetzes drinnen steht: wer seine Grundrechte für den Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung benutzt, der verwirkt diese Grundrechte – da gab es zwei, drei Fälle vor dem Bundesverfassungsgerichts, sehr früh in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das Verfassungsgericht judizierte regelmäßig, dass im Zweifelsfall die Meinungsfreiheit eines Einzelnen vorgeht, weil ein Einzelner gar nicht die Power hat, ein großes Staatswesen und ein solides Staatswesen, wie das un- sere, aus den Angeln zu heben. Es ist ja auch richtig so, in einem freien Staat hat jeder das Recht, auch völligen Unsinn zu sagen.

Es gibt nur in Deutschland eine Ausnahme. Das ist das, was mit der Auschwitz-Lüge verbunden wird. Das ist strafrechtlich untersagt. Ansonsten hat jeder freie Mensch in diesem Lande das Recht auf die Zurschaustellung des größtmöglichen Maßes auch politi- scher Unvernunft und auch persönlicher politischer Bösartigkeit. Das gehört nun mal zum freien Staat, der hier keine Zensur kennt. Und diese Grundhaltungen lassen sich durch ein Parteiverbot natürlich nicht beseitigen. Die Nazis bleiben da, selbst wenn man ihre Partei verbietet.

Obendrein gibt es hier eine bestimmte Dialektik, die zu bedenken ist. Einesteils zeigt ein Parteiverbot schon klar an, dass bestimmte politische Positionen nicht akzeptabel sind, dass jene, die organisiert auf die Verwirklichung dieser Positionen ausgehen, vom Platz gestellt weden. Und das, so sagte ich es vorhin, dient der Kommunikationshygiene.

Andernteils funktionieren Parteienverbote so wie in der Spätantike der Kirchenvater Ter- tullian von den Christenverfolgungen sprach: "Das Blut der Märtyrer ist der Samen neuer Christen". Das heißt, eine Partei zu verbieten, heißt Märtyrer zu schaffen, Leute ausgrenzen, die sagen: Und jetzt erst recht. Machen Sie sich bitte klar, dass die Re- naissance des Neo-Marxismus in der Bundesrepublik-Deutschland-alt nach dem Ver- bot der KPD einsetzte. Da wurde es chic sich zur Linken zu bekennen, zu jener "verfolg-

ten Minderheit", die im anderen Teil Deutschlands einen wunderbaren Staat errichten konnte, im Westen aber, in dieser "revisionistisch, restaurativen Gesellschaft zuguns-

ten des Monopolkapitals geknechtet" werde. Es ist die ganze 68er Bewegung, die ei- gentlich 1966 beginnt, ohne den Hintergrund des Sich-Auflehnens gegen ein als unfair empfundenes Parteienverbot nicht richtig zu verstehen.

Nun kann man sagen, ja, Parteiverbote ändern zumindest eines wirklich: Am Wahltag kann man eine bestimmte Partei nicht mehr wählen. Sobald die NPD verboten ist, kann

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sie auch keine 10 oder 12 oder 9 oder 8 Prozent der Stimmen mehr einfahren. Nun ja, das ist richtig. Es gibt eine Partei zum Wählen weniger. Aber es gibt deswegen ja nicht weniger Wähler. Und die Stimmen, die nun nicht auf eine verbotene Partei entfallen kön- nen, die fließen ja dann nicht automatisch anderen Parteien oder gar plötzlich den sys- temtragenden Parteien zu. Nur die Prozentanteile fließen dann anderen Parteien zu.

Und selbst natürlich bei sinkender Wahlbeteiligung, weil weniger Parteien um die glei- che Anzahl von Mandaten konkurrieren.

Das frei flottierende Protestpotential, das sich in einer im politischen Spektrum rand- ständigen Partei niedergeschlagen hat, dieses frei flottierende Protestpotential bleibt und nutzt der Nachfolgepartei. Und die Gründung von Nachfolgeparteien, mein Gott, die wird nur dadurch unmöglich, dass die Gründer einer Nachfolgepartei von abgrund- tiefer politischer Dummheit geschlagen sind. Denn natürlich sind die Gründe, warum man eine Partei verboten hat, klar. Und da kann man sich rechtskundlichen Rat einho- len, so wie damals die DKP, und dann meldet man sich nach deutschem Parteienrecht zu einer Landtagswahl, Bundestagswahl oder Europawahl an. Der zuständige Landes- wahlleiter oder Bundeswahlleiter hat grob zu prüfen, ob das Programm der neuen politi- schen Gruppierungen mit der fdGO vereinbar ist, und wenn man halbwegs klug war, hat man halt alle Reizargumente und Reizworte, die früher zum Parteiverbot geführt haben, draußen gelassen. Und schwuppdiwupp wurde aus der KPD dadurch, dass man das "K"

etwas verlagerte, die DKP, im Grunde mit dem gleichen Programm. Also, hier ist effektiv so furchtbar viel nicht zu bewerkstelligen. Parteiverbote leisten wesentlich weniger, als man sich von ihnen erhofft.

4. Wie soll man mit der NPD umgehen?

Und damit kommen wir, viertens, zum Schlussteil, der auch der längste Teil ist: Wie

ist vor dem Hintergrund all dessen mit der NPD umzugehen? Am Schluss steht dann eine sehr klare Aussage.

Keiner hier wird wahrscheinlich folgenden zwei Feststellungen widersprechen.

Feststellung Nr.1: Die NPD ist eine Partei, deren Funktionsträger und Mitglieder, zumindest viele Mitglieder, einen anderen Staat wollen als den Staat des Grundgesetzes.

Und kaum einer hier wird der Feststellung widersprechen, dass viele Deutsche die NPD aus Protest wählen. Und wenn man sich anguckt, wer wählt denn die NPD: Es sind eher die schlichteren Gemüter. Viele Wähler, die die NPD wählen, wählen die NPD ohne wirkliches Wissen über die Ziele und den Charakter der NPD als eine Partei, mit der man den größtmöglichsten Schrecken unter den anderen Parteien verbreiten kann. Ich meine, wenn Sie die deutschen Parteien erschrecken wollen, wen sollen sie denn wählen? Ja, die Piraten, ja damit kann man euch Grüne erschrecken. Aber schon die CDU …

Lichdi: ... die Piraten doch nicht! ...

Patzelt: Ja, ja … aber schon die CDU kann man damit überhaupt nicht mehr erschrecken.

Die freut sich vielmehr über die Piraten, weil die den Grünen und manch anderen Stimmen wegnehmen. Und wenn man die Linkspartei wählt, wen will man denn da erschrecken?

Vielleicht gibt es im tiefen Westen noch ein paar Leute, die glauben, das sei die Partei der kommunistischen Weltrevolution. Die Linkspartei hat in Deutschland

auf Landesebene lange, lange Jahre mitregiert – und durchaus solide.

Die einzige Partei, mit der man die anderen erschrecken kann, mit der, mit deren Wahl man Protest ausdrücken kann, so dass anschließend die Zeitungen voll sind und alle etablierten Parteipolitiker ein betroffenes Gesicht machen, die einzige Partei, die die anderen wirklich ärgert, wenn sie Wahlerfolge hat, ist die NPD. Und so wenig die Wähler

oft auch wissen, das wissen sie auf alle Fälle: Wenn ich Protest ausdrücken will, dann am besten durch das Wählen der NPD. Die NPD ist eine Partei, die ganz wesentlich aus Protestgründen

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und zum Zweck der Bestrafung der staatstragenden Parteien, zu denen auch

die Linkspartei wohlgemerkt gehört, gewählt wird. Ich glaube, darüber wird es nicht allzu großen Widerspruch geben. Gut, einverstanden?

In der zweiten Abteilung gibt es aber jetzt wahrscheinlich Widerspruch; aber ohne Widerspruch macht das Diskutieren anschließend auch keinen Spaß. Wenn sich im Wählen

der NPD ein durchaus beobachtbares und vielleicht auch beträchtliches Protestpotential widerspiegelt, dann gibt es womöglich dafür, dass es dieses Protestpotential gibt,

auch ein paar Gründe. Ein paar Gründe, die ernst zu nehmen sind.

Einer der Gründe kann ideologische Verblendung sein: Die Leute sind indoktriniert, sind zu blöd, kriegen demagogische Parolen vor die Nase gesetzt und sind nicht in der Lage mit diesen kritisch umzugehen. Und weil die Rattenfänger so schöne Melodien spielen, deswegen

laufen ihnen die kleinen Kinder, die politisch nicht erwachsen werden wollen, nach. Das kann einer der Gründe sein, warum es ein Protestpotential gibt, dass sich im Wählen einer klar unserem politischen System feindlichen Partei ausdrückt.

Aber es kann auch sein, dass viele Wähler echte Probleme empfinden. – Achtung: Ein echtes Problem empfinden heißt noch lange nicht, dass das empfundene Problem ein echtes ist. Aber eine der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Einsichten lautet so:

Wenn Menschen eine Situation als bestehend definieren und von dieser Situationsdefinition ausgehend handeln, dann sind die Folgen dieses Handelns real – ganz gleich,

wie irreal die Situationsdefinition gewesen ist. Das heißt, wenn manche Deutsche ein bestimmtes Problem empfinden, von dem sie meinen, dass die anderen Parteien es nicht lösen, weswegen man ihnen einheizen muss, dann nützt es überhaupt nichts, den Leuten zu sagen: Euer Problem besteht gar nicht!

Zum anderen kann es aber sein, dass manche Leute manche Probleme gar nicht nur empfinden, sondern dass real Probleme bestehen, die von anderen Parteien, aus gleich

welchen Gründen nicht gesehen werden, ihres ideologischen Gitters, ihres internen Kompass wegen, dem sie folgen, weswegen sie was anderes nicht machen können oder machen wollen.

Also dass Probleme bestehen, real bestehen, die von manch anderen Parteien nicht gerne aufgegriffen werden. Und dass sich am Nicht-Behandeln wichtiger Probleme eben Protest entzündet.

Ich verweise auf ein Beispiel, das so weit zurückliegt, dass es uns wahrscheinlich nicht mehr zu großen Kontroversen Anlass gibt. In den späten 80er Jahren gab es Jahre, in denen an die Hunderttausend Asylbewerber in die Bundesrepublik-Alt kamen. Um die Wiedervereinigung herum hatten wir an die zwei Jahre, wo so an die 400.000 pro Jahr kamen. Jahrelang davor hatten viele in Deutschland schon gesagt, hey, die Politik muss irgendwas mit dem, wie es hieß, Asylbewerberzustrom tun. Und die politischen Parteien spitzten vielleicht die Lippen, die Schwarzen sagten: „Jaja, da ist was dran. Da müssen wir was tun – aber wir können es nicht ohne die Sozis, und die wollen nicht.“ Und die wollten auch wirklich nicht. Und viele Schwarze auch nicht. Da haben dann in Süddeutschland etliche Deutsche die Reißleine gezogen und haben eine Ein-Themen-Partei gewählt, die aus ganz anderen Gründen entstanden war, nämlich die Republikaner. Mit

dem Asylbewerberthema kriegten sie Zustrom. Und Anfang der 90er war der SPD und war den Schwarzen so sehr eingeheizt, dass sie eine Grundgesetzänderung zustande brachten, die dann den Asylbewerberzustrom zu einem Asylbewerberrinnsal machte,

mit vielleicht so Zehntausenden ein paar Jahre lang pro Jahr. Das also haben die Wähler schon im Auge: Dass man die Parteien, wenn reale Probleme von Parteien

nicht angegangen werden, auf dem Umweg über Protestparteien zum Tun des Richtigen anhalten kann.

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Fußnote: Hätten wir Volksabstimmungen, dann bräuchte es diesen Umweg nicht. Aber aus dussligen Gründen haben wir keine Volksabstimmungen. Deswegen werden wir, solange wir keine Volksabstimmungen zum Korrigieren des Tuns der politischen Klasse

haben, immer wieder das Phänomen von Protestparteien haben.

Achtung, man muss unterscheiden: Eingebildete Probleme plus ideologischer Verblendung, derentwegen Protestparteien gewählt werden, und echte Probleme, die von

etablierten Parteien nicht aufgegriffen werden. Im Einzelfall kann man darüber streiten, zu welcher Klasse von Problemen welches politische Thema denn gehört. Deswegen will ich nur zwei Beispiele geben, die ziemlich offenkundig sind:

In Ostdeutschland gehört zu den eingebildeten Problemen, derentwegen etliche Leute die NPD wählen, ganz ohne Zweifel die „Überfremdung des deutschen Volkskörpers“ in Ostdeutschland. Nirgendwo sind die Ausländerquoten in Deutschland so gering. In

Berlin schaut die Sache schon wieder etwas anders aus; aber für die ostdeutschen Flächenländer ist das ein echt eingebildetes Problem.

Zu den nicht eingebildeten Problemen, derentwegen gar nicht wenige auch die NPD wählen, gehört der schleichende Verlust deutscher Selbstregierungsfähigkeit im Regierungssystem der Europäischen Union, das ja nun wirklich nicht exakt nach demokratischen Grundregeln funktioniert. Und in dem jetzt ja vor dem Verfassungsgericht ein

Streit darüber anhängig ist, ob denn deutsche Souveränität nicht in sozusagen endlosen Bürgschafts- und Zahlungsverpflichtungen auf europäischer Ebene aufginge. Der Verlust deutscher Souveränität ist ein Problem, dass die NPD aufgreift – was aber sehr wohl

ein echtes Problem ist, an dem die Mehrheit im Bundestag nicht rühren will. Mit löblicher Ausnahme der Linkspartei - diese freilich aus den falschen Gründen; aber immerhin kommen sie zum

richtigen Ergebnis. Alle anderen Parteien, abgesehen von einigen Fraktionsminderheiten, tun das nicht, wobei lediglich das Bundesverfassungsgericht - jetzt spreche ich polemisch - als Sachwalter von NPD-Positionen auftritt, nämlich als Sachwalter deutscher Souveränität.

So, wenn das verstanden ist, also wo die Schwungkraft von einer Protestpartei wie heute der NPD herkommt, dann glaube ich, kann man schnell erkennen, was man tun muss um mit dieser Partei nachhaltig vernünftig umzugehen.

Der einzig nachhaltig wirksame Weg zur Bekämpfung der NPD besteht darin, dass man sie um ihre Wähler bringt. So „einfach“ ist es. Die NPD bekämpft man am besten dadurch, dass die Leute nicht mehr die Notwendigkeit sehen oder den Wunsch haben, die NPD zu wählen.

Und diese Strategie zu verwirklichen, verlangt Anstrengung auf zwei Strecken.

Strecke Nr.1: Die etablierten Parteien, von den Schwarzen bis zur Linkspartei, müssen jene realen Probleme erkennen, ernst nehmen und glaubwürdig angehen, wegen welcher immer wieder nennenswert viele Bürger die NPD protestwählen oder die NPD

strafwählen, d.h. als Strafe für die etablierten Parteien. Es ist falsch, von allem, was die NPD behauptet, so rein intuitiv zu sagen, das kann nicht richtig sein. Das ist, mit Verlaub,

eine kindliche Attitüde. Die erwachsene Haltung bestünde darin zuzuhören. Es langt freilich auch einmal; man muss denen nicht pausenlos zuhören. Aber zumindest einmal zuhören, um zu begreifen, von welchen Problemen reden die wirklich, wenn auch in einer verquasten, hysterischen oder aus sonstigen Gründen unappetitlichen Sprache! Und wegen welcher Probleme meinen manche Deutsche, dass sie die NPD wählen müssten, weil die anderen Parteien diese Probleme nicht ernst nähmen.

Diese Probleme müssen die etablierten Parteien aufgreifen. Natürlich nicht alle Parteien gleichermaßen, denn Parteien haben ihre eigene Identität, Tradition, ihre eigenen

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Vorstellungen von dem, was ihre Aufgabe ist. Beispiel, und wirklich nur ein Beispiel, das Thema Heimatverlust durch Schrumpfen der ethnisch deutschen Bevölkerung und

durch Wachsen der multikulturellen Zuwandererschaft. Das ist kein Thema, das die Grünen aufgreifen können. Das geht nicht. Das widerspricht allen, allen internen und inneren

Orientierungspunkten. Aber die Schwarzen können dieses Thema aufgreifen, und die richtige Haltung der Grünen wäre dann, das hinzunehmen mit klammheimlicher

Freude, dass auf diese Weise den NPDlern ein Thema entzogen wird. Die übliche Reaktion der Grünen lautet, die CDU, die fischt am rechten Rand ...

Lichdi: Na klar!

(Lachen im Publikum)

Patzelt: … Das ist auch so. – Aber, meine Lieben, jetzt entsinnt Euch bitte einmal der Stelle, wo Ihr alle vorhin so intensiv genickt habt: Die zielführende Strategie, die NPD zu bekämpfen, besteht darin, ihr ihre Wähler wegzunehmen! Das heißt:; Man muss am

rechten Rand zum Menschenfischer werden! Und eine vernünftige Partei hat die Möglichkeit, auch an sich – oder in sich in ihrer Übertriebenheit – unvernünftige Positionen in ein

vernünftiges Gesamtprogramm zu integrieren. Das hat die SPD jahrelang an der linken Front geschafft und das war auch gut so. Also das ist das eine.

Zweiter Teil der Strategie: Indem dem die etablierten Parteien jede in ihrem eigenen ideologischen und emotionalen Zuständigkeitsspektrum werben! Und das ist bei den

Schwarzen ein anderes als bei den Grünen. Und dann kann man auch wirklich legitim darüber streiten, ob man den Rechten zu viel entgegenkommt oder nicht. Das ist alles ganz ok. Sobald die realen Probleme, von denen die Leute meinen, das seien wirkliche Probleme, von den etablierten Parteien aufgegriffen werden, genau dann wird es möglich sein, der NPD-Propaganda mit Aufklärung, mit Argumenten und mit dem Verweis auf real funktionierende Alternativen gegenüberzutreten. Solange man lediglich der

Argumentation – oder besser gesagt: der Propaganda der NPD – entgegentritt, wird man die Leute nicht erreichen. Die werden sagen: „Also, die streiten jetzt hier, aber eigentlich tun die doch nichts. Soll mal die NPD eine Chance haben, zumindest den anderen einzuheizen!“

Also, das ist die Doppelstrategie. Teil eins der Strategie: Die realen Probleme, derentwegen manche Deutsche den etablieren Parteien innerlich kündigen und die NPD wählen,

diese realen Probleme aufzugreifen. Und zweitens, wenn das nachweislich getan wird: den Leuten klar machen, dass die NPD zu alledem im Grunde nur hysterische heiße Luft abläßt, dass aber die tatsächliche Problemlösung bei den staatstragenden Parteien wesentlich besser aufgehoben ist.

Fazit

Somit komme ich zum Fazit: Was soll man tun?

Man soll im politischen Diskurs die Positionen der NPD ausgrenzen, die Funktionsträger der NPD ausgrenzen und beides auch ächten: „So geht es nicht! Und Ihr, die hier

Positionen vertreten, die nicht gehen, Ihr gehört nicht dazu. Euch muss man dulden und tolerieren, aber nicht mögen und nicht integrieren.“

Aber, zweiter Punkt, das darf man keinesfalls mit den Wählern der NPD tun. Die Wähler der NPD darf man nicht ausgrenzen. Die Wähler der NPD darf man nicht ächten. Diese muss man vielmehr gewinnen. Und guckt man auf Wählerstromanalysen, so gibt es immer wieder ganz reizvolle Wählerströme: Von der NPD zur Linkspartei, von der Linkspartei zur NPD, und eben nicht nur zwischen NPD und CDU, wie der Volksmund glauben mag.

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Es gibt auch beobachtbare Wählerströmungen zwischen SPD und NPD. - Ich glaube, die Grünen, wenn ich es recht im Kopf habe, haben da die wenigsten oder die geringsten Wählerströme. Und das ist doch mal eine gute Nachricht an diesem Abend.

Und bei Themen wie soziale Gerechtigkeit, Schutz gegen die Globalisierung durch einen starken nationalen Sozialstaat, da hat die Linkspartei und auch die SPD perfekte Möglichkeiten echte und begründete Sorgen von Teilen der NPD-Wählerschaft aufzugreifen.

Und bei anderen Themen – Heimat, deutsche Identität, Liebe zum eigenen Land

- hat die Union gute Chancen. Man muss nur jede Partei in ihrem Fischerauftrag gewähren lassen. Taktisch kann man dann immer noch streiten. Das ist legitim. Aber strategisch sollten alle Parteien begreifen, dass man der NPD ihre Wähler wegfischen muss, wo immer man sie kriegt.

Drittes Element im Fazit: Man muss mit Verstand, mit Verstand und ohne Emotionen prüfen, was an der Kritik der NPD an den bestehenden Verhältnissen und den ablaufenden Entwicklungen einen vernünftigen Kern hat. Ich wiederhole: Es ist kindlich zu vermuten, dass etwas, bloß weil es ein NPDler sagt, deswegen schon falsch sein muss.

Das ist eine kindliche Position. Auch NPDler können behaupten, 2 mal 2 sei 4. Und es wäre albern, das dann zurückzuweisen. Ohne Emotionen, ohne Abwehrhaltung bloß deswegen, weil ich diesen braunen Sumpf nicht mag, muss man prüfen: Was blubbert in ihm – und gibt es reale Ursachen für die Blasen, die das Ganze schlägt? Und aus dem, was man an vernünftigen Kernen in NPD-Kritik an unserem Gemeinwesen erkennt, muss man zu Korrekturen oder zu Akzentverschiebungen oder zu Neuakzentuierungen eigener Positionen gelangen.

Und dann kann und wird man zur NPD alternative Lösungsvorschläge haben, die in eine insgesamt wesentlich vernünftigere politische Konzeption

eingebunden sind. Und damit kann man dann bei den Wählern fischen – und nicht bei den Funktionären. Das Argument muss anschließend nicht kommen, ob man damit etwa unseren Fraktionsvorsitzenden überzeugen könnte. Die sind eine vernachlässigbare Größenordnung. Die Wähler sind es! Und wenn die NPD eines Tages wieder bei 2 oder 3 Prozent der Stimmen ist, dann haben wir fürs Erste das Richtige geschaffen.

Viertens: Viel weniger erfolgreich als das, was ich empfehle, wäre der Versuch, die NPD und die hinter ihr stehenden gesellschaftlichen Gruppen, Befindlichkeiten, Betroffenheiten von Bürgern, durch ein Verbot aus der Welt zu schaffen.

Machen Sie sich an einem Bild klar, wie untauglich dieser Versuch ist: Irgendwo schlagen die Rauchmelder an. Statt sich auf die Suche nach dem Feuer zu machen, schaffte

man die Rauchmelder ab, in der Hoffnung, dadurch den Brand erstickt zu haben. Nochmal:

Dadurch dass man die Rauchmelder abschafft, erstickt man keinen Brand! Man muss vielmehr die Rauchmelder nutzen und dann den Ursachen nachgehen!

Und darum ist dieses Verlangen nach NPD-Verboten, bloß weil die Rechtsextremen wieder mal besonders dreist sind, oder weil in erschreckenden Umfang ein rechtsradikales

Umfeld sichtbar wird, das wir zuvor so nicht für möglich gehalten hätten – dann darf es eben nicht zu dieser hysterischen symbolischen Politik kommen: „Jetzt muss die und die Partei verboten werden!“ Man löst kein echtes Problem damit.

So, und deswegen rate ich, wir sollten die Forderungen nach einem NPD-Verbot einschlafen lassen. Und das läuft ja derzeit auch so. Alle rudern jetzt zurück, weil offenkundig

ist, dass es nicht gehen wird. Und man soll nie wieder die Forderung nach einem NPD-Verbot als rein symbolische Politik erheben, wie es in der Vergangenheit immer wieder geschehen ist. Man soll vielmehr in der von mir beschriebenen Weise die NPD bekämpfen, und man soll in politische Bildung investieren: Lehrerausbildung,

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anständige Schulcurricula und so weiter, damit es immer weniger Deutschen plausibel erscheint, eine Partei zu wählen, die gerade nicht jene

Staatsform will, die den Deutschen unter all den Staatsformen, mit denen es unser Land

je versucht hat, doch tatsächlich am besten bekommen ist, nämlich die freiheitlich demokratische Grundordnung, also pluralistische Demokratie samt Rechtsstaat.

In einem Satz also die Antwort auf die Frage: Die NPD bekämpfen? Ja - und zwar intelligent!

Sie verbieten? - Nein! Punkt.

(Beifall des Publikums)

III. Diskussion zum Vortrag von Prof. Dr. Werner Patzelt

Lichdi: Vielen Dank, Herr Professor Patzelt. Sie haben mich da schon in manchem herausgefordert, aber ich muss mich ja jetzt irgendwie zurückhalten. Ich versuche es trotzdem mal an einem

Punkt. Diese Protestwahlthese, aus der Sie jetzt heraus die Ablehnung eines NPD-Verbots gezimmert haben,die ist in sich schon schlüssig, aber

ich habe ehrlich gesagt mit der Protestwahlthese meine Riesenprobleme.

... Für uns ist es einfach eine Form der Verharmlosung zu sagen, die NPD wird

aus Proteststimmung heraus gewählt. Das empfinde ich und ich glaube viele mit mir als eine Verharmlosung dessen, was tatsächlich passiert. Eigentlich ist doch dieser Erfolg der NPD viel eher darauf zurückzuführen, dass die Leute oder ein großer Anteil der Leute,

die sie wählen, tatsächlich genau diese Politik wollen, die die NPD vertritt. Weil Protestwahlthese heißt ja, die Leute wissen gar nicht genau, was sie wählen. ... Das glaube

ich nicht, dass das stimmt.

Und wenn das so ist, dann ist natürlich wirklich die Frage, was sagt das denn dann über den Zustand der Demokratie in Sachsen oder in Ostdeutschland oder Deutschland aus? Und es sagt im Grunde eigentlich aus, dass die Demokratie jetzt der etablierten Parteien oder der Systemparteien, oder nein … der systemtragenden Parteien, wie Sie

gesagt haben, dass die eigentlich unzureichend ist und eben nicht der freiheitlich demokratischen Grundordnung entspricht. …

Patzelt: Wollen wir an der Stelle gleich mal die Klingen ein wenig kreuzen?

Lichdi: Gerne, (Gelächter im Publikum) aber ich wollte jetzt nur weiter reizen und dann wollte ich auch ins Publikum reingehen. (Ja, bitte)

Patzelt: Also wie wir es wollen. Ich bin mit allem einverstanden.

Lichdi: Nein, sagen Sie etwas und dann gehen wir ins Publikum.

Patzelt: Also, wie viele Leute wissen genau, was die NPD will? Die meisten, also es sind relativ schlichte Leute, welche die NPD wählen, also das sind keine, die tiefgründig wählen. Die hören halt die Schlagworte: „Deutschland den Deutschen“ - ja, mein Gott:

"Israel den Israelis", "Arabien den Arabern" – leuchtet vielen Leuten ein, die da manche Untiefen und extreme Probleme nicht begreifen. Wir brauchen wieder den „starken

Staat“ – mein Gott, wie oft beklagt sich auch das liberalistische Milieu darüber, dass dieses Land schwer regierbar ist, dass es überall Politikblockaden gibt und dass vernünftige Politik nicht gemacht wird.

Lichdi: … Das ist die Demokratiekrise, auch in der Mitte der Gesellschaft, würde ich jetzt sagen, ok. (lacht)

(12)

Patzelt: Jaja, ich meine, man kann das Argument auf diese Weise ausziehen und kann sagen, die ganze Demokratie funktioniert nicht und deswegen sind wir in einer Krise unseres politischen Systems, und deswegen verfestigen sich anti-demokratische Grundeinstellungen.

Lichdi: Richtig, genau!

Patzelt: Diese These teile ich eben ausdrücklich nicht, weil wir finden diese Haltungen in sämtlichen westlichen Demokratien, jetzt wo der Sozialstaat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gekommen ist und zum Rückbau ansteht. Wir entdecken diese

Grundhaltung eigentlich überall, auch dort, wo es nicht sozusagen um die deutsche Besorgnis ob eines Rückfalls in Weimarer Verhältnisse geht. Ich behaupte ja nicht, dass

alle NPD-Wähler bloß aus Protestwählern, also so einen harten Kern von, naja, 3,4 Prozent...

Lichdi: Bestimmt!

Patzelt: ...würde ich schon zugestehen, das sind Leute, die sind halt rechts, aber nicht einfach nur rechts, sondern rechtsradikal und rechtsextremistisch. Aber dass das mal auf 9 oder bei der DVU in Sachsen-Anhalt auf 12 Prozent anwächst und dann kollabiert das wieder, das hat ja nichts mit gefestigten Haltungen zu tun, sondern mit den taktischen Erwägungen in Wahlkämpfen.

Und folglich meine ich, dass es fruchtbarer ist, sozusagen nicht gleich das ganze Staatswesen am Verfaulen zu sehen, sondern einfach zu begreifen: Es gibt halt Pro- bleme, auf die manche Leute sehr unvernünftig reagieren, weil sie auch unvernünftige politische Parteien haben. Da sollen sich die anderen Parteien auf den Hosenboden setzen und Probleme, die wir real haben – denn unsere Zuwanderungsgesellschaft hat real

echte Integrationsprobleme – diese Probleme angehen und den Leuten klar machen: „Das, was Ihr wollt, das begreifen wir, und das, was vernünftig dran ist, das realisieren wir

auch.“ Die realisieren das gewiss nicht! Dafür sind sie zu blöd, zu ideologisch, zu einseitig und so weiter. An der Stelle haben wir ganz offenkundig einen Positionsunterschied, aber das ist ja ganz ok.

Michael Nattke: Ja, ich würde mich der Position nochmal anschließen. Also die Erfahrung, die wir machen ist schon, dass Menschen die NPD wählen gerade weil sie rassistisch ist, gerade weil sie chauvinistisch ist, und so weiter. Dafür muss man ja

nicht das ganze Programm kennen. Ich denke, auch einem Großteil der Grünen-Wähler würde ich unterstellen, dass sie das Programm nicht kennen, sondern aus einer Stimmung heraus die Partei wählen und ähnlich ist es auch bei der NPD. Also wenn ich rassistische Positionen gut finde und das tut nun mal ein Teil unserer Bevölkerung und

das ist ja auch mit unterschiedlichen Studien nachweisbar, dass das ein Teil unserer Bevölkerung tut, dann reicht es ja aus, dass die NPD sagt, „Deutschland den Deutschen“

zum Beispiel, also dann ist es ja ausreichend dafür, dass ich weiß, da ist meine Heimat.

Und ich hätte ein großes Problem damit, wenn dann andere Parteien anfangen genau

sich ... dem anzunehmen, sondern man muss das von einer ganz anderen Richtung angehen, glaube ich.

Man muss dann, der letzte Punkt, den Sie sagten, zum Beispiel mit politischer Bildungsarbeit dafür sorgen, dass eben die rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung

abnehmen - das ist ein langer Prozess - und nicht anfangen jetzt die Positionen der NPD, wenn auch abgeschwächt, zu übernehmen. Also, ich finde, das ist genau das falsche Vorgehen, die Positionen der NPD dann in irgendeiner Form zu übernehmen,

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wenn auch abgeschwächt, weil man ja damit diese, ja diese rassistischen Positionen bedient und die widersprechen ja den allgemeinen Menschenrechten. Also das, da sind wir uns, glaube ich, auch einig, oder?

Patzelt: Ich sage zuerst, worin wir uns einig sind. Natürlich im letzten Punkt, klar. Und auch in dem Punkt, dass wir in politische Bildung investieren müssen. Um sozusagen Hygieneprobleme in deutschen Köpfen zu beseitigen, also da sind wir uns einig.

Nattke: Ja.

Lichdi: Müllabfuhr.

Patzelt: Nicht einig, nicht einig sind wir uns in einem anderen Bereich, nämlich dass jedes Sich-Einlassen auf Probleme, die die NPD benennt, ein Sich-Einlassen auf NPD-Positionen wäre. Wenn die NPD argumentiert, dass der deutsche Staat überschuldet ist,

dann ist das kein Sich-Einlassen auf NPD-Positionen ... . Folglich muss man, um nur das Rassismusthema anzusprechen, folgendes tun: Man muss gucken, wenn Leute sich rassistisch oder rassismusaffin äußern, was ist das, was sie konkret meinen. In der Regel wird man Verlustängste in Bezug auf sozialen Status, um soziale

Sicherungssysteme, Entfremdung, Aufgabe von kultureller Identität erkennen. Das ist nicht einfach Rassismus. Da ist noch vieles andere dabei.

Und wenn man dann sagt: Freunde, ich verstehe, was Ihr meint, was euch im Kern bedrückt, und ich teile Eure Sorgen; aber wir können folgendes nicht machen, weil …, und jenes

nicht, weil …. Folgendes können wir machen, und das wollen wir auch tun!“ – dann ist das kein Sich-Einlassen oder Übernehmen von NPD-Positionen, dann ist das ein differenzierter Umgang mit den undifferenzierten Gefühlslagen, die manche Bürger zum

Wählen der undifferenzierten NPD veranlassen. Dann ist das das Streben danach, den

Block der NPD-Wähler aufzulösen. Um jene, die man halbwegs gewinnen kann, zu gewinnen - S dass die NPD aus den Parlamenten rausfliegt, keine Fraktionsfinanzierung

mehr kriegt und irgendwann wieder finanziell am Krückstock geht.

Sebastian Goll: … Also das Problem ist aber tatsächlich so, dass wenn die Menschen halt trotzdem sagen, also für mich ist aber die Überfremdung jetzt tatsächlich da, weil ich habe gestern jemanden mit dunkler Hautfarbe in Bautzen gesehen, dann sozusagen ist für diese Menschen auch tatsächlich die Situation in vollem Umfang gegeben. Und für sie wird es dann halt, glaube ich, im Alltagsleben, in der Lebenswelt, in der sie sind, nicht irgendwie von Dauer relevant sein, dass es ja eigentlich im Vergleich zu Stuttgart oder so absolut zu vernachlässigen ist, wie da sich irgendwie die Mischung der Bevölkerung darstellt. Und dementsprechend ist halt eben diese Mischung zwischen realen und

nichtrealen Problem irgendwie so ein bisschen schwierig für mich.

Patzelt: Sie ist an den Nahtstellen schwierig! Ich meine, dass Schwarz und Weiß etwas Verschiedenes ist; aber wenn Sie ein Kontinuum haben zwischen Schwarz und Weiß, ist es immer schwierig, irgendwo die Grenzlinie zu ziehen! Das vorausgeschickt, Folgendes zu den zwei Klassen von Problemen:

Von eingebildeten Problemen, also von jenem Bautzner, der einen Afroafrikaner sieht und deswegen meint, die Sudanesen machen

nun die Invasion Sachsens allmählich wahr: Dem kann man zeigen durch Daten, durch Vergleiche, durch Argumentieren, dass seine Position zwar vielleicht aufrichtig gefühlt ist, aber mit all dem, was man vernünftigerweise wissen kann, nicht übereinstimmt.

Wenn hingegen jemand den Eindruck hat, dass die Bundesrepublik Deutschland inzwischen Bürgschaftsverpflichtungen eingegangen ist, die den deutschen Staatshaushalt

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übersteigen und bei Fälligwerden die Spielräume unseres Staates gewaltig einschränken, dann wird man dem nicht klar machen können, dass das eine reine Phantasmagorie ist.

Ihr Argument sticht nur dann, wenn es da draußen keine Wirklichkeit gibt,

über die man sich verständigen kann. Aber draußen ist eine Wirklichkeit über die man sich verständigen kann. Nicht mit jedem, wohlgemerkt! Ideologen spinnen sich ein;

aber um die Ideologen geht es mir nicht. Mir geht es um jene redlichen Bürger, die irgendwo hören, da ist ein Problem, und solange die nur von einem hören, das sei das

Problem und es sei so, dann glauben sie das. Und wenn auch andere kommen, die auch zeigen können, weil die Welt eben anders ist, als man es ihnen ideologisch einzutrichtern versucht, dann gibt es Chancen, die Leute abzuholen.

Aber man kann nicht den Leuten bei Sachen, die real so und nicht anders sind,

sehr leicht einreden, die Welt wäre ganz anders. Und deswegen ist es so wichtig diese beiden Typen von Problemen sorgfältig auseinanderzuhalten

um sich im Übergangsbereich zwischen Schwarz und Weiß, wo es nur noch

Abschattierungen von Grau gibt, dort sich zu streiten, aber nicht den grundsätzlichen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß infrage zu stellen.

SG: Ja, das ist wahrscheinlich so eine Diskussion zwischen Empirikern und Konstruktivisten.

Also, man ist halt schon irgendwie geneigt auch zu glauben, dass die menschliche Gesellschaft so wie sie ist, eben sehr viel konstruiert: Geschlechter, Probleme, wie auch immer. Und dementsprechend ist es halt für mich dann eben schwierig zu sagen, ok, es gibt reale Probleme, die lassen sich messen und so weiter und so fort. Denn wie

gesagt, ein Problem ist für die Menschen dann real, wenn sie das Problem als real definieren.

Patzelt: ....der Lehrermangel heutzutage ist nicht bloß eine Konstruktion! Das glaubt bloß noch die Staatsregierung.

(Lachen im Publikum.)

Marc Lalonde: Marc Lalonde von Ausländerbeirat Dresden und dem Sächsischen Migrantenbeirat und Bundeszuwanderungs- und Migrationsbeirat, also doch nicht vielleicht

ganz neutral, wenn es um diese Themen geht. Aber wir werden oft als naiv bezeichnet, wenn wir von Verboten sprechen, aber ich finde Sie auch ein bisschen naiv, wenn Sie denken, dass ich einen Neonazi mit Zahlen überzeugen kann. … Dass in Sachsen gerade 2 Prozent und in Dresden 4,1 Prozent wohnen. Ich denke, mit Zahlen können wir sie nicht überzeugen … also Leute wie hier oder an der Uni können Sie gern mit rationalen Argumenten überzeugen, aber mit diesen Leuten, ich denke nicht, dass die das so

gewinnen wird. Ich denke, das ist naiv. ...

Rolf Franek: Rolf Franek. Ich bin kein Soziologe, sondern ich bin Anwalt. Und...

Lichdi: Diesmal nicht in Verkleidung, deswegen hab ich Sie nicht erkannt …

RF: ... Ich glaube, also auch Michael, dass Du es dir einfach machst, wenn du sagst, das sind Nazis oder die sind Rassisten. Ich kenne eine Menge Leute, auch aus meinem Bekanntenkreis, studierte Leute, die bei weitem keine Neonazis oder Rassisten sind, ...

und die sich bewusst zum Beispiel aus der Großstadt rausziehen um zu sagen, ich will mein Kind nicht in eine Schule schicken, wo ich einen Ausländeranteil von 60 Prozent habe. Einfach weil sie Angst haben, dass ihre Kinder die richtige Bildung kriegen. So jetzt haben wir hier diese Problematik überhaupt nicht, aber es ist natürlich etwas, was man fühlt. Ja, also, der Wähler in der Sächsischen Schweiz sagt, das muss ja bei uns erst nicht so weit kommen, dass wir diese Probleme haben.

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Und das Problem, was wir dann in der Parteienlandschaft haben, ist, dass wenn jede Partei Angst hat, wenn ich jetzt diese Problematik anspreche, es sei denn es kommt zu Übergriffen auf Lehrer, wie in Kreuzberg … dass jede Partei, die das anspricht, denkt, man schiebt mich auf den rechten Rand…

Und das ist das was die Leute dann bewegt. Und dann sagen die: "Ok, die einzigen, die es ansprechen, ist die NPD. ... ich bin bei Weitem kein Nazi. Ich finde das alles schlecht, was bis 45 passiert ist und so weiter. Und ich habe auch früher SPD gewählt. Aber die einzigen, die jetzt das ansprechen, die ist die NPD und deshalb wähle ich die" ….

(Und dann haben die auch keine große Wahl, wen sie wählen können. Man sieht es

dann daran, zum Beispiel, wenn eine Partei wie die Piraten kommen, die auf einmal tierisch die Prozente abfassen, weil die etwas abdecken, was die anderen vergessen haben:

bürgerliche Freiheiten, Individualrechtsschutz im Datenverkehr, was auch immer.

Also ich glaube, man macht es sich einfach zu einfach und da denke ich schon, dass viel, viel Protest ist. So viele Nazis haben wir auch nicht in der Sächsischen Schweiz, so dass dort die großen Prozentzahlen zustande kommen. Es sind viele Stammtischparolen.

Da muss man einfach, denke ich, offensiv, sehr offensiv damit umgehen und auch ihnen zeigen, dass man wirklich Probleme, wie eben zum Beispiel die Bildungschancen, die Ghettoisierung und so weiter, dass man versucht, diese Sachen anzugehen.) … Und es gibt sicherlich für alles auch demokratische und vernünftige Wege, nicht dass man sagt, die müssen alle raus, sondern dass man so gut wie geht möglichst gleiche Chancen schafft. …

.

Teilnehmer: Wir haben ja jetzt immer geredet von zwei Formen von NPD-Wählern.

Den Protestwählern und den Ideologen, den Überzeugungstätern quasi. Dem Protestwähler kann man den Rassismus ganz einfach ausreden, wie Sie gesagt haben. Man

übernimmt einfach ein bisschen was von ..., das ist der reale Kern. Und sagt ihnen

dann, ihr müsst doch gar nicht rassistisch sein. Das mag sein. - … Etwa 3 Prozent schätzen Sie die Ideologen innerhalb der NPD ein. Und der Rest, der eben dann über die

Hürde in die Landtage verhilft, das sind die Protestwähler.

Ich glaube aber, dass Sie die Ideologen ein bisschen unterschätzen. Die mögen zahlenmäßig unterlegen sein, aber was ist denn der Effekt, wenn etablierte Parteien den

Kern von NPD-Positonen aufnehmen? Dann werden sich doch diese Ideologen legitimiert und bestätigt fühlen. Und Wähler, die denken ok, im Grunde hat die NPD ja recht

mit diesen ganzen, ja, mit der Überfremdung und so. Die werden sich legitimiert fühlen.

Das nennt man eine demokratische Partei, die in Landtagen sitzt …. Und die wird es noch mehr radikalisieren und die wird es noch mehr nach rechts und noch mehr vom freiheitlich demokratischen Boden treiben.

Lichdi: Jetzt Herr Patzelt und dann machen wir eine nächste Runde.

Patzelt: Ich fange mit der letzten Aussage an und spitze sie wie folgt zu, nicht Ihre Aussage, sondern meine Antwort drauf. Ich spitze sie wirklich absichtlich zu: Wenn Extremisten

sich in ihren Positionen dadurch bestätigt fühlen, dass ihre nicht-extremistischen Gegner solche inhaltlichen Positionen übernehmen, die der Bevölkerung einleuchten, weil sie ein Fundament in der Sache haben, wenn also Extremisten den Triumph haben, dass Nicht-Extremisten manche ihrer Positionen übernehmen, weil sie richtig sind, dann war etwas falsch mit den Nicht-Extremisten! ...

Dann haben die lange genug bestimmte Probleme nicht sehen wollen, nicht aufgreifen

wollen und sind in der Tat erst von extremistischen Parteien dazu genötigt worden, dasjenige zu tun, was eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre: „Schaden vom Volk zu wenden

und seinen Nutzen zu mehren“, was im Amtseid jedes deutschen Regierungsmitgliedes vorkommt. Infolgedessen sind wir beieinander an der Stelle, wo wir bedauernd und voller

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Ingrimm sehen, dass manche Extremisten triumphieren, wenn manche vernünftigen Parteien manche ihrer Positionen übernehmen.

Es ist aber jetzt mal – außerhalb der emotionalen Bindung in dieses Spiel von außen betrachtet – eigentlich nur eine verspätete und leider Gottes aufgezwungene Korrektur einer

lange Zeit falsch liegenden politischen Position. (Ich verweise nochmal auf mein Beispiel mit der Korrektur des deutschen Asylbewerberrechtes. Es ging einfach nicht weiter, jedes Jahr über Hunderttausend Asylbewerber nach Deutschland kommen zu lassen. Das hätte noch wesentlich mehr Wähler von populistischen, radikalen, extremistischen Parteien nach sich gezogen.)

Also in der Phänomenbeschreibung sind wir beieinander. Bloß ich bewerte das Phänomen anders und sage, das sind Korrekturen von Positionen, die man schon längst hätte

schrittweise so modifizieren müssen, dass die Extremisten aus ihnen gar nicht hätten Honig saugen können. So würde ich die Sache beargumentieren. Mit Ihnen stimme ich vollständig überein. Das hat sich aber ohnehin gezeigt.

(Lachen im Publikum)

Zu Ihrer Aussage wollte ich Folgendes differenzierend sagen, was aber auch schon angesprochen worden ist. Mein Anliegen ist es zunächst einmal nicht, Nazis zu resozialisieren.

Mein Anliegen ist es, Ihnen einen Großteil ihrer Wähler wegzunehmen,

und zwar soviele Wähler wegzunehmen, dass sie nicht mehr in die Parlamente kommen und idealerweise auch ziemlich unter die Schwelle der staatlichen Wahlkampffinanzierung fallen. Denn dann gehen die - "Freunde" hätte ich fast gesagt - die Kerle finanziell

am Krückstock. Und meine ganze Argumentation bezieht sich nicht darauf, Nazis zu überzeugen, sondern ihren Wählern plausibel zu machen, dass man mit anderen Parteien auch vernünftig wählend umgehen kann.

Und Sie haben absolut recht: intellektuelles Argumentieren reicht nicht; es braucht den Boden gemeinsamer Empfindungen. Die kann man auf der einen Seite Empathie und Sympathie nennen, auf der anderen Seite geht das über Patriotismus hin zur Heimatliebe. Zu gemeinsamen Stolz auf ein gemeinsames gutes Land, was einen dann integriert. Und ich meine, eine offene, freiheitliche, multikulturelle Gesellschaft wie die unsere ist doch die Gesellschaft eines Landes, das man genau deswegen mögen kann. Und dieses Mögen des eigenen, vielgestaltigen Landes zu betonen, das ist die richtige Strategie, um junge Leute, die sich an allem und jedem reiben mögen, rechtzeitig einzufangen. Die zornigen jungen Männer gingen früher zur Linken.

Ich bin in meiner Schulzeit mit langen Haaren und Mao-Button herumgelaufen, hatte auch das rote Buch. Ich weiß,...

Lichdi: Ach deswegen machen Sie das jetzt, kompensieren Sie jetzt über, oder was?!

(Lachen im Publikum)

Patzelt: … Ich weiß also, wovon ich rede. Und heutzutage ist die gleiche Geisteshaltung Dabei, auf dem rechten Rand abzuschmieren. Das heißt, die Aufgabe besteht darin, junge Leute nicht erst abschmieren zu lassen. Und wenn man sich diese Elendsgestalten

von jungen NPDlern anguckt, das sind Leute, häufig mit Ich-Schwäche, die ihre Ich-

Schwäche in Aggressivität ummünzen, die eigentlich nie richtig erzogen worden sind, nie richtig heimatvoll geworden sind. Denen muss man mit einem anständigen psychischen Angebot kommen. Also Patriotismus, Schwarz-Rot-Gold! Schwarz-Rot-Gold – und nicht

Schwarz-Weiß-Rot, und die Hakenkreuzfahne schon gar nicht. Schwarz-Rot-Gold. Und ein gutes patriotisches Gefühl. Jene, die Deutschland gerne lieben möchten, aber von allen Parteien eigentlich nur hören, das gehört sich nicht, denn die Liebe zu Deutschland sei die Liebe zum Nationalsozialismus und führt unmittelbar nach Auschwitz. Ja,

die drängt man raus, die gewinnt man nicht …

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Lichdi: Aber Herr Patzelt, das ist doch wirklich 70er Jahre!

Patzelt: Ich habe ein wenig überzogen, um das Argument zur Kenntlichkeit zu entstellen.

Ich bin auch gern bereit, es in homöopathischer Dosierung abzustufen.

Lichdi: So, das ist jetzt wunderbar. Jetzt haben wir hier eine muntere Debatte mit ganz vielen Menschen…. Ich würde jetzt erst mal Dr. Roßner bitten, weil der sich gemeldet hat …

Dr.Sebastian Roßner: Ja, ich habe mit Vergnügen gehört, dass Sie den weiten Weg von Marburg bis zum Kirchenvater Tertullian zurückgelegt haben. Das ist wirklich ein großer Bogen. Ich habe mich eigentlich die ganze Zeit gefragt, wo kann ich denn mal so richtig widersprechen. Und ich glaube, jetzt habe ich endlich einen Punkt gefunden.

(Lachen im Publikum)

Und zwar Ihr Beispiel mit den Asylbewerbern und der Quasi-Abschaffung des Asylrechts.

Das scheint mir doch ein schwieriges Beispiel zu sein und zwar deshalb, weil es zeigt, dass diese Strategie, Positionen, die einen realen Kern haben, zu übernehmen, eben auch leicht dazu führen können, dass man über das Ziel hinausschießt. Also wir sind ja jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht endlich darüber belehrt worden, dass das die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes seit fast 20 Jahren nicht

verfassungsgemäß waren. Und dass sowas überhaupt zustande kommt, hängt … damit zusammen, dass man diesem Druck von rechts da leichtfertig nachgegeben hat.

Das zweite, was ich dazu sagen würde, ist, dass dieses Beispiel auch zeigt, dass man nicht nur in einem Randbereich, einem wichtigen Randbereich, wie diese Leistungen zu viel des Guten tun kann. Wir haben ja mittlerweile ein Asylrecht, das praktisch nicht mehr praktikabel ist, weil die Regelung so ausgestaltet ist, dass jemand, der über einen sicheren Drittstaat einreist, also nicht mit Fallschirm über Deutschland abspringt, schon kein Asyl mehr bekommen kann.

Patzelt: Ja.

Roßner: Also da wäre meine Frage, … wie kann man sicherstellen, dass diese Anpassung an den populistischen Druck, die vielleicht eine realen Kern hat, dass das nicht

zuviel des Guten ist.

Denn es gibt ja auch einen realen Beweggrund dahinter, sich da anzupassen. Es geht ja, wie Sie sagen um Wählerstimmen, um Wählerstimmen von den Rechten, von den Rechtsextremen, abzufischen, hat ja nicht nur einen integrativen Aspekt, und den

Aspekt, die NPD abzudrängen, sondern hat auch den Aspekt, die eigene Position gegenüber dem ernsthaften Konkurrenten, die im System etabliert sind, zu stärken. Und

da tut man vielleicht manchmal des Guten zuviel. …

Gabriela Noack: Also mal aus meinen Erfahrungen so, ich wohne im Dresdner Osten.

Man sollte nicht denken, dass NPD-Wähler bloß auf der einen Seite die ideologisch Gefestigten und auf der anderen Seite irgendwelche sozial Schwachen sind, die nicht richtig

denken können oder irgendjemandem hinterherlaufen. Das sind Menschen aus allen Ebenen der Gesellschaft, aus allen Gebieten. Und die Ideologie, die war schon immer in der Gesellschaft vorhanden. Die ist nicht jetzt erst entstanden, weil man vielleicht keinen Arbeitsplatz mehr hat. Auch zu DDR-Zeiten. Es ist bloß unter der Hand so gesprochen worden, … es war nicht in der Öffentlichkeit. Es wurde einfach unter den Tisch gekehrt.

Und Wähler abzugewinnen, das ist, natürlich wichtig, aber ich finde, das muss noch viel eher ansetzen, schon bei den Kindern.

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Es ist auch irgendwie eine Charakterfrage nach meiner Meinung, in welchem Umfeld man aufwächst und wie man auch erzogen ist. Man kann sich nun mal seine Eltern und seine Herkunft nicht aussuchen. Und dem einen Charakter, dem kann es schlecht gehen, wie es will, die würden niemals NPD wählen. Das ist einfach nicht ihre Erziehung.

Aber wer vielleicht als Kind .. Es gibt ja auch Menschen, die fürchten sich regelrecht davor Verantwortung zu übernehmen. Die sind ja heilfroh, wenn ihnen jemand die Probleme abnimmt, ihnen sagt, wie es lang geht und wenn es eben zur Not die NPD ist.

46

Aber was kann man dagegen tun? Ich denke, das ist eine große Verantwortung schon

im Kindergarten, Schule, also dass Kinder rechtzeitig lernen Verantwortung für ein bestimmtes Gebiet zu übernehmen, wenn es das Elternhaus nicht schaffen kann. Deswegen

ist es auch ganz wichtig, dass … die Kinder möglichst aus verschiedenen Herkünften zusammen in einen Kindergarten gehen und sich auch gegenseitig kennenlernen.

Denn dann haben sie noch die wenigsten Vorurteile. Und dass das weitergeht und dass es aber auch ein Erfolg bringt, wenn man sich einsetzt. …

Also ich wollte dafür eintreten, man muss als Kind bereits lernen Demokrat zu werden oder Demokratin. Und wenn es das Elternhaus nicht schaffen kann, dann muss, ist das auch eine gesellschaftliche Aufgabe.

Lichdi: Jetzt Gregor, du bist gerade wieder reingekommen, du wärst nämlich dran.

Gregor Schäfer: Ja, vieles ist schon beantwortet worden. Vielen Dank auch für den

Vortrag und für die Beantwortung der Fragen. Mir ist nochmal eingefallen die Parteienfinanzierung bzw. die Wahlkampfkostenerstattung. Inwieweit das tatsächlich ein Argument

sein kann? …

Und das zweite, mir ist in der Zeit öfter in Diskussionen mit relativ jungen Menschen, also Mitt-Zwanzigern, das Argument untergekommen, wir wären ein fremdbestimmtes Land und es gäbe die Bundesrepublik in dem Sinne gar nicht, sondern wir wären also nach wie vor besetzt. Deutschland wäre besetzt und würde also von den Alliierten regiert werden und bestimmt werden und das wäre also ein Grund sich aufzulehnen, weil

Deutschland gar nicht souverän sei. Und da hätte ich gern von Ihnen mal vielleicht eine kurze Argumentationshilfe.

Patzelt: Ich fange mit dem letzten an. Weil ein paar Leute mich kennen, schicken sie mir an meine Email-Anschrift ab und zu alles Mögliche an Informationsmaterial. Da gibt es einen Freiherrn von Neuentitzschein ….

Publikum: .. Oh nein! ...

Patzelt: Wahrscheinlich, genau, wahrscheinlich etlichen von Ihnen auch bekannt! Genau da gibt es diese ganzen verquasten Argumentationen: Bundesrepublik Deutschland - Gründung von den Siegern. Ehrlich gesagt: Es ist alles Quatsch. …

Es ist schon so, dass die Bundesrepublik-West durch Auftrag der westlichen Siegermächte gegründet worden ist. Die Frankfurter Dokumente wurden den Ministerpräsidenten

übergeben mit dem Auftrag, einen West-Staat zu gründen. Die haben sich gewehrt, wollten ein Provisorium. Die Deutschen haben gar nicht mehr so richtig Notiz genommen von dem neuen Staatswesen. Aber über seine Geschichte hat es das Vertrauen

und die Legitimation des zunächst westdeutschen Volkes gewonnen. Und im Verfassungspatriotismus, der ja besonders stark auf der linken Seite des politischen Spektrums

positiv besetzt, beheimatet ist, ist die innere Legitimität dieses neuen Gemein- wesens auf das deutlichste zum Ausdruck gebracht. Und nach der Wiedervereinigung ist natürlich Deutschland ein Staat geworden, der seine Souveränität hatte, sie freilich - vom Grundgesetz dazu ermächtigt – in die Europäische Union mit eingebracht hat. Und jetzt sind wir wirklich so an der Grenze dessen, wo Deutschland seine Souveränität aufgibt, was für Deutschland deswegen anders anmutet, weil es ja zum Bezahlen aufgerufen

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ist – und nicht zum Empfangen von Stützgeldern für seine maroden Banken und sein marodes Sozialversicherungssystem.

Das heißt, im Kern bleibt von diesem ganzen Argument nur, dass die Staatsgründung eine den Ministerpräsidenten unwillkommene Initiative der West-Alliierten war, und dass die Bundesrepublik Deutschland bis hart an die Kante ihre Souveränität auf das nicht demokratisch funktionierende europäische Regierungssystem abgegeben hat … nicht ganz demokratisch funktionierende, so muss man es sagen. Der ganze Rest von diesem Neuentitzschein und ähnlich geistig nicht ganz Ausgeleuchteten, das ist reiner Quatsch, reines Einspinnen in Unsinn.

Was das Finanzielle betrifft: In der Tat, man muss versuchen die NPD durch Abwerben ihrer Wählerschaft so klein zu machen, dass sie aus den Wahlen nicht mehr üppige Fraktionsfinanzierung und so weiter hat, sondern dass sie irgendwann finanziell wieder am Krückstock geht. Und das ist strategisch etwas ganz Wichtiges: Ohne Geld kann man keine Wahlkämpfe wirklich gut machen …

Dass der Kampf gegen den Extremismus mit Persönlichkeitsbildung beginnt, das steht völlig außer Zweifel. Was wir brauchen ist Demokratieerziehung, politische Bildung, die in sehr jungem Alter anfangen muss, Demokratieerziehung, schon präreflektiv, einfach durch das Erleben dessen, wie man vernünftig miteinander umgeht. Und das Ziel muss sein, dass ein erwachsener Mensch in diesem Lande einfach weiß, es gehört sich nicht, gegen die Würde eines anderen Menschen verbal oder physisch vorzugehen.

Es gehört sich nicht, gegen so etwas Tolles wie einen freiheitlich demokratischen Rechtsstaat zu sein. Das tut man einfach nicht. Genau so wenig wie man sich, außer man ist Schauspieler, im Schauspielhaus entkleidet.

So, was Ihren Punkt betrifft, liegen wir überhaupt nicht auseinander. Ich habe die Sache mit dem Asylrecht bloß deswegen eingeführt um zu zeigen, dass die Deutschen sehr wohl wissen, dass man über das Wählen von Protestparteien von der politischen Klasse etwas erwirken kann, was diese eigentlich nicht tun will, aus welchen Gründen auch immer. Und das ist eine Lehre, die wirklich tief sitzt, beiderseits. Sie haben völlig

recht – und ich habe das nur nicht dazugesagt, weil das nicht mein Argumentationszusammenhang war, dieser Weg über Protestparteien, dass die politische Klasse über das

Wählen von Protestparteien zu etwas angehalten wird, was sie sonst nicht tun würde.

Dieser Weg hat unglaublich schädliche Nebenwirkungen. Er vergiftet eine politische Kultur, weil man erstmal riesige sozusagen Giftelemente an Argumenten in die Bevölkerung bringen muss, damit die Protestpartei hinlänglich viele Stimmen zustande kriegt,

und dann entstehen ganze Argumentationsfiguren, die absolut sozial- und politikunverträglich sind. Und natürlich führt das dann auch leicht zu phobischen Reaktionen der po-

litischen Klasse. Dann kommt es sozusagen zum over-achievement. Es wird dann mehr erreicht, als wenn man es vernünftig angegangen wäre. …

Und deswegen glaube ich, dass unser politisches System an dieser Stelle nicht die richtigen Instrumente zur Verfügung hat. Das deutsche Volk oder der deutsche Wähler oder

die deutsche Bevölkerung, nennen Sie es, wie immer Sie das nennen wollen, der deutsche Wahlbürger und die deutsche Wahlbürgerin, die haben bislang keine anderen Mittel, ihre politische Klasse zu etwas anzuhalten, was sie, die Klasse, nicht will, als: Protestparteien zu wählen! Das Heilmittel dagegen ist die Einführung von plebiszitären Instrumenten, und zwar der richtigen. Und das richtigste aller plebiszitären Instrumente ist das fakultative Gesetzes- und das fakultative Verfassungsreferendum.

Gemeint ist, und ich führe es nur am Beispiel des Gesetzes vor, das Parlament macht,

(20)

wie es seines Amtes ist, ein Gesetz; und dann gibt es eine Frist, in der man sich bemühen kann, hinlänglich viele Unterschriften zu sammeln. Und wenn die zustande gekommen sind … das muss man dann festlegen, wo die Grenze liegen soll, ein für alle Mal sozusagen.

Wenn es gelingt, hinlänglich viele Unterschriften zu sammeln, dann findet über

dieses Gesetz oder die Verfassungsänderung oder das Ratifikationsgesetz eine Volksabstimmung statt.

Auf dieser Weise wird nicht Populismus dergestalt gemacht, dass man dem Volk irgendwelche Phantasiefragen oder Pseudoalternativen zur Auswahl stellt und die Verantwortung

von der politischen Klasse auf das Volk ablädt. Sondern die politische Klasse hat

Stellung zu beziehen – und anschließend kann das Volk sagen: "nein!" Und wichtig an dem Instrument sind die Vorauswirkungen, die entfaltet werden. Eine

Mehrheit kann dann nicht mehr einfach das durchsetzen, was sie will; denn hat sie bei der Volksabstimmung keine Mehrheit, ja dann hat sie eine riesige Blamage. Folglich wird manches an over-achievement und Übertreibung sich schwer ereignen. Und zum anderen muss eine Opposition nicht immer gleich behaupten, Verfassungsbruch läge vor – was die Voraussetzung dafür ist, ein abstraktes Normenkontrollverfahren überhaupt sinnvollerweise anstreben zu können. Und der politische Kampf muss nicht erst kunstfertig in einen verfassungsrechtlichen Kampf transformiert werden, wo dann gleich die

Grundprinzipien der Verfassung, die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, damit die Herren in Karlsruhe sich zu einem entsprechenden Urteil bequemen. Sondern die Opposition kann ihre Sache dahin tragen, wo sie hingehört: vor das Volk. …

(Das bewirkt) nicht Populismus, das ist nur die entsetzlich enggeführte deutsche Diskussion, wo man sich die falschen Instrumente immer als Beispiel nimmt. Am Ende steht eine

sehr vernünftige Wählerschaft oder relativ großer Konsens in der politischen Klasse, weil beim Volk die letzte Instanz liegt. Wohlgemerkt, nachdem das Parlament das erste

Wort gesprochen hat, den Weg der Kompromissbildung. Auf die Weise werden Protestparteien weitgehend überflüssig – weitgehend, nicht vollständig, wie in der Schweiz

das Beispiel der SVP gezeigt hat. Aber gleichwohl: Die SVP hat aus der Schweiz auch nicht ein reaktionäres Staatswesen gemacht. Die sind ...

(Lachen im Publikum) ... pfui, (Lachen im Publikum)

Lichdi: Das lag jetzt auf der Hand, das Wort.

Patzelt: Weiß ich doch! Sie wollten ein bisschen Streit haben; darum bemühe ich mich ja auch nach Kräften darum. Sondern es entsteht ein Konkordanzsystem, mit dem die Leute unterm Strich extrem zufrieden sind. Das mag furchtbar sein, aber ich meine: den Eindruck zu haben, man werde gut regiert und habe im eigenen Staat auch noch etwas zu sagen, der ist doch nicht ganz verkehrt.

Nattke: Also, ich wollte vorhin direkt auch anknüpfen an die Frage zum Umgang, der zum Asylparagraphen gefunden wurde. Bei den plebiszitären Elementen würde ich jetzt noch hinzufügen, dass ich gerade bei solchen Fragen wie Flüchtlingsfragen ungern Mehrheiten der Bevölkerung über eine Minderheit entscheiden lassen möchte. Und ich dann gern wissen möchte, wie diese plebiszitären Elemente dafür sorgen, dass dann nicht eine Diktatur der Mehrheit solche Minderheiten, die vielleicht auch Schutzbedürfnisse haben, dann ja irgendwie behandelt, so wie wir es uns vielleicht nicht wünschen als Einzelne.

Und bezüglich der Flüchtlingsfrage Anfang der 90er Jahre: Natürlich kann das eine Lösung sein, dass man einfach die Zugangsbedingungen für Flüchtlinge verschärft als

eine Antwort darauf, dass dort Rechte Druck machen und dann rennt man halt den

Rechten hinterher. Aber es gäbe ja auch viele andere Möglichkeiten wie man damit umgeht.

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