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Zweifeln und Wissen. Grundprobleme der Erkenntnistheorie ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗ ∗

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Universit¨at Dortmund, WS 2005/06 Institut f¨ur Philosophie

C. Beisbart

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Zweifeln und Wissen. Grundprobleme der Erkenntnistheorie

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David Lewis, Elusive Knowledge, Australasian Journal of Philosophy 74 (1996), 549 – 67, nach- gedruckt in Bernecker/Dretske, Knowledge, Oxford University Press. Ausz¨uge. ¨Ubersetzung C.B.

Fl¨uchtiges Wissen

Wir wissen viel. Ich weiß, was Pinguine essen. Ich weiß, daß Telephone fr¨uher klingelten, aber heutzutage quieken, wenn jemand anruft. Ich weiß, daß Essendon1 das große Finale 1993 ge- wonnen hat. Ich weiß, daß hier eine Hand ist, und da eine andere2.

Wir verf¨ugen ¨uber alle m¨oglichen Arten von Alltagswissen, und wir haben es im ¨Uberfluß.

Das zu bezweifeln w¨are absurd. Auf jeden Fall w¨are es absurd, das in irgendeiner ernsten und andauernden Weise zu bezweifeln; und selbst philosophischer und zeitlich begrenzter Zweifel, der durch Argumente beeinflußt ist, ist mehr als eine kleine Ausnahme. Es ist eine Mooresche Tatsache, daß wir viel wissen. Es ist etwas, das wir besser wissen als die Pr¨amissen irgendeines philosophischen Arguments, das das Gegenteil beweisen soll.

Außer daß wir viel Allt¨agliches und Banales wissen, so denke ich, wissen wir auch viel, was interessant und esoterisch und umstritten ist. Wir wissen viel ¨uber Dinge, die wir nicht sehen:

kleine Teilchen und Felder, die den Raum durchdringen, um gar nicht die Unterw¨asche anderer Leute zu erw¨ahnen. Manchmal wissen wir sogar, was ein Autor mit seinen Schriften gemeint hat. Aber ¨uber diese Fragen wollen wir friedlich mit den Vertretern des

”Post-knowledgeism“

uneinig sein. Die banalsten und gew¨ohnlichsten Teile unseres Wissen sind problematisch ge- nug.

Denn sobald wir uns mit Epistemologie besch¨aftigen – jener systematischen philosophischen Pr¨ufung von Wissen – finden wir ein ¨uberzeugendes Argument daf¨ur, daß wir nichts wissen.

Das skeptische Argument ist nichts Neues oder Phantastisches. Es geht so: Es scheint, als ob Wissen per Definition infallibel sein muß. Wenn Du behauptest, daß S weiß, daß p, und doch zugibst, daß S eine gewisse M¨oglichkeit nicht ausger¨aumt hat, in der nicht p gilt, dann scheint es sicherlich so, als ob Du zugegeben hast, daß S doch nicht weiß, daß p. Von falliblem Wissen zu sprechen, von Wissen also, das bestehen soll, obwohl einige M¨oglichkeiten des Irrtums nicht ausgeschlossen wurden, klingteinfach widerspr¨uchlich.

Jeder Idiot kann sehen, wo das hinf¨uhrt. Laß Deine paranoiden Phantasien schweifen – CIA- Geschichten, Halluzinogene im Leitungswasser, Verschw¨orungen mit dem Ziel zu t¨auschen, der Teufel selbst – und schnell findest Du ¨uberall nicht aus dem Weg ger¨aumte M¨oglichkeiten des Irrtums. Diese Szenarien sind weit hergeholt, aber m¨oglich sind sie doch. Sie beißen in unser allt¨aglichstes Wissen. Wir haben niemals infallibles Wissen.

Nie – nun, vielleicht fast nie. Einige sagen, wir haben infallibles Wissen von einigen axioma- tischen, notwendigen Wahrheiten; oder von Deiner eigenen augenblicklichen Erfahrung. Sie sagen, daß ich einfach nicht irren kann, wenn ich glaube, daß ein Teil eines Teiles von etwas selber wieder ein Teil dieses Etwas ist; und daß es mir jetzt (da ich hier vor der Tastatur sitze) scheint, als ob ich Klickger¨ausche vor einem konstanten Surren h¨ore. Manche sagen das.

Andere verneinen es. Wie auch immer; nehmen wir, wenigstens um des Argumentes willen an, wir h¨atten solches Wissen. Doch dieses Wissen reicht nicht. Denn wenn wir nur so viel

1[Ein australischer Footballverein]

2[Anspielung auf G. E. Moore.]

(2)

infallibles Wissen haben und alles Wissen per Definition infallibel ist, dann haben wir wirklich sehr wenig Wissen – nicht die F¨ulle von Alltagswissen, die wir zu haben glaubten. Das ist immer noch absurd.

Wir wissen also viel; Wissen muß infallibel sein; doch wir haben entweder fallibles Wissen oder keines (oder fast keines). Wir h¨angen also zwischen dem Felsen des Fallibilismus und dem Strudel des Skeptizismus. Beide Alternativen sind verr¨uckt.

Aber Fallibilismus ist die weniger zudringliche Verr¨ucktheit. Er verlangt weniger h¨aufig Kor- rekturen an dem, was wir sagen wollen. Wenn ich daher gezwungen werde zu w¨ahlen, dann nehme ich den Fallibilismus. (Und das sagen die meisten von uns). Wir k¨onnen uns daran gew¨ohnen, und einige von uns haben sich daran gew¨ohnt. Aber das heißt nicht viel – wir wis- sen, daß sich Menschen an die verr¨ucktesten philosophischen Aussagen gew¨ohnen k¨onnen, die man sich vorstellen kann. Wenn Du eingestandenermaßen ein Fallibilist bist, dann bitte ich Dich, sei ehrlich, sei naiv, und h¨ore es erneut:

”Er weiß, aber er hat nicht alle M¨oglichkeiten des Irrtums ausger¨aumt.“ Selbst wenn Du Deine Ohren bet¨aubt hast, klingt dieser offene, explizite Fallibilismus nichtimmer noch falsch?

Also: lieber Fallibilismus als Skeptizismus; aber es w¨are besser, wenn wir die Wahl umgehen k¨onnten. Ich denke, das geht. Wir werden ganz nah bei dem Felsen und ganz nah bei dem Strudel vorbeischiffen, aber wenn wir sorgsam steuern, k¨onnen wir – gerade so eben – beiden entgehen.

Vielleicht ist n¨amlich die Epistemologie die Schuldige. Vielleicht beraubt uns dieser ungew¨ohn- liche Zeitvertreib unseres Wissens. Vielleicht wissen wir viel im Alltagsleben; aber vielleicht geht unser Wissen weg, wenn wir intensiv auf unser Wissen blicken. Aber nur, wenn wir inten- siver auf es blicken, als es Verr¨uckte jemals im Alltage tun; nur, wenn wir unseren paranoiden Phantasien freien Lauf lassen. Das ist der Fall, wenn wir zugeben m¨ussen, daß es immer nicht eliminierte M¨oglichkeiten des Irrtums gibt, so daß wir fallibles Wissen haben oder keines.

Viel, was wir sagen, ist kontext-abh¨angig, in einfacher oder subtiler Weise. In einfacher Weise:

”Es ist Abend“ ist nur dann wahr, wenn es abends ausgesprochen wird. In subtiler Weise: Es k¨onnte sehr wohl wahr sein, und das nicht nur als Gl¨ucksfall, daß Essendon scheußlich gespielt hat, daß die Easybeats brillant gespielt haben, und daß doch Essendon gewonnen hat. Unter- schiedliche Kontexte evozieren eben unterschiedliche Standards. Wenn wir ¨uber die Easybeats sprechen, dann wenden wir niedrige Standards an, denn anders k¨onnten wir kaum ihre besse- ren Tage von ihren schlechteren unterscheiden. Wenn wir aber ¨uber Essendon sprechen, dann brauchen wir solche Laxheit nicht. Essendon gewann, weil eine Leistung, die bei anspruchsvol- len Standards scheußlich ist, ausreicht, um eine Leistung zu schlagen, die bei laxen Standards brillant ist.

Vielleicht sind auch Wissenszuschreibungen in subtiler Weise kontext-abh¨angig, und vielleicht ist Epistemologie ein Kontext, in dem unsere Wissenszuschreibungen fehlgehen. Dann w¨are Epistemologie ein Kontext, der sein eigenes Thema zerst¨ort. Wenn das so ist, dann w¨aren skeptische Argumente v¨ollig in Ordnung, wenn wir uns in Epistemologie engagieren – aber nur dann.3

Wenn Du von der alten Idee ausgehst, daß Rechtfertigung das Kennzeichen ist, das Wissen von bloßer Meinung (sogar wahrer Meinung) abhebt, dann k¨onntest Du durchaus folgern, daß Wissenszuschreibungen kontext-abh¨angig sind; denn die Standards f¨ur eine angemessene Rechtfertigung sind kontext-abh¨angig. Und zwar wie folgt: Eine Meinung, selbst wenn sie wahr ist, verdient den Titel des Wissens nur, wenn sie angemessen durch Gr¨unde abgest¨utzt ist; und um diesen Titel im besonders anspruchsvollen Kontext der Epistemologie zu verdienen, m¨ussen die Argumente, die von den st¨utzenden Gr¨unden ausgehen, besonders wasserdicht sein; nun k¨onnen aber die speziellen Standards, die dieser spezielle Kontext erfordert, niemals erreicht werden (nun, fast nie). In dem strengen Kontext der Epistemologie wissen wir nichts, aber in laxeren Kontexten wissen wir viel.

3[...]

(3)

Allerdings kann ich selber nicht diese Darstellung von Wissen als kontext-abh¨angig unter- schreiben, weil ich deren Ausgangspunkt infragestelle. Ich bin nicht einverstanden damit, daß Wissen durch Rechtfertigung gekennzeichnet wird.4 Erstens, weil Rechtfertigung nicht aus- reicht: Deine wahre Meinung, daß Du nicht beim Lotto gewinnst, ist kein Wissen, wie immer Deine Chancen stehen. Denn nimm einmal an, Du weißt, daß es sich um eine faire Lotterie handelt, bei der man einen Gewinn und viele Nieten ziehen kann.5 Je gr¨oßer die Anzahl der Nieten, desto besser bist Du gerechtfertigt zu glauben, daß Du eine Niete ziehst. Aber es gibt keine Zahl von Nieten, die groß genug ist, um Deine fallible Meinung in Wissen zu verwandeln – denn schließlich k¨onntest Du doch gewinnen. Keine Rechtfertigung ist genug – oder keine auß er den wasserdichten deduktiven Rechtfertigungen, und alle, ausgenommen die Skeptiker werden sagen, daß da zu viel verlangt ist.6

Zweitens ist Rechtfertigung nicht immer notwendig. Welches (nicht-zirkul¨are) Argument un- terst¨utzt unser Vertrauen auf die Wahrnehmung, auf das Ged¨achtnis und auf Zeugenaussagen?7 Und doch gewinnen wir auf diese Weise Wissen. Und manchmal sind wir weit entfernt davon, st¨utzende Argumente zu haben und wissen nicht einmal, wie wir etwas wissen. Wir hatten ein- mal Evidenz, zogen Folgerungen und gewannen so Wissen; nun haben wir aber unsere Gr¨unde vergessen; dennoch behalten wir noch unser Wissen. Oder wir wissen noch den Namen, der zu dem Gesicht ge¨hort, oder das Geschlecht des Huhns, indem wir uns auf subtile visuelle Hinweise verlassen, ohne zu wissen, was diese Hinweise sind.

Die Verbindung zwischen Wissen und Rechtfertigung muß gel¨ost werden. Aber wenn wir die- se Verbindung l¨osen, dann nicht (oder nicht ganz, nicht exakt), indem wir die Standards f¨ur eine Rechtfertigung, daß Epistemologie Wissen zerst¨ort, anheben. Ich brauche eine andere Ge- schichte.

Zu diesem Zweck nehme ich die Infallibilit¨at des Wissens als Ausgangspunkt.8 Muß infallibi- listische Epistemologie im Skeptizismus enden? Nicht unbedingt. Warte ab. Hier ist auf jeden Fall meine Wissensdefinition. Ein Subjekt Sweißeine Proposition p, wenn und nur dann, wenn p in jeder M¨oglichkeit, die durch die Evidenz von S nicht ausgeschlossen wird, wahr ist, bzw.

anders herum ausgedr¨uckt, wenn S’ Evidenz jede M¨oglichkeit ausr¨aumt, in der nicht-p gilt.

Diese Definition ist kurz; der Kommentar zu ihr ist l¨anger. Zuerst ist da die Proposition p. Was ich wahlweise Proposition nenne, wird grobk¨ornig ¨uber notwendige ¨Aquivalenz individuiert.

Zum Beispiel gibt es nur eine notwendige Proposition. Sie ist in jeder M¨oglichkeit realisiert;

und daher auch in jeder M¨oglichkeit, die nicht durch die Evidenz von S eliminiert wird, v¨ollig unabh¨angig davon, wer S sein k¨onnte und v¨ollig unabh¨angig davon, was seine Evidenz ist.

Daher wird die notwendige Proposition immer und ¨uberall gewußt. [...]

Das n¨achste sind die M¨oglichkeiten. Wir m¨ussen uns hier nicht fragen, ob diese konkrete, abstrakte Konstruktionen oder abstrakte einfache Dinge sind. [...] Weiterhin k¨onnen wir uns nicht auf

’reale‘ M¨oglichkeiten beschr¨anken, die mit unseren Naturgesetzen vertr¨aglich sind, und vielleicht auch nicht mit der wirklichen Vergangenheit ¨ubereinstimmen. Denn Propositio- nen ¨uber Gesetze und Geschichte sind kontingent, und sie k¨onnen nicht gewußt werden.

Wir d¨urfen uns auch nicht auf

’epistemische‘ M¨oglichkeiten von S beschr¨anken – auf M¨oglich- keiten also, von denen S weiß, daß sie nicht real sind. Das w¨urde unsere Definition jeglichen Inhalts berauben. Denn nehmen wir einmal an, Wissen sei unter strikter Implikation geschlos- sen9[...] Nun hatten wir gesagt, daß wir zwischen notwendigen Propositionen nicht unterschei- den. Wissen einer Konjunktion (p und q) ist dann dasselbe wie Wissen von p und Wissen von q. Nun gilt ganz allgemein f¨ur jede Proposition p: p ist die Konjunktion aller Propositionen nicht-w, wobei w diejenigen M¨oglichkeiten sind, in denen p nicht gilt. Das ist ausreichend,

4[...]

5[Eine Lotterie ist fair, wenn die gesamten eingezahlten Geb¨uhren als Gewinne ausgespielt werden].

6[...]

7[]

8[...]

9[Das heißt: Wenn X p weiß, und wenn aus p q folgt, dann weiß X auch q.]

(4)

um folgende ¨Aquivalenz zu produzieren: S weiß, daß p, genau dann wenn f¨ur jede M¨oglichkeit w, in der p nicht gilt, S weiß daß nicht w. Diese

”genau, dann wenn“–Bedingung k¨onnen wir vereinfachen, indem wir eine Kontraposition bilden und eine doppelte Negierung entfernen.

Die Bedingung lautet dann: ... wenn in jeder M¨oglichkeiten, von der S nicht weiß, daß sie nicht realisiert ist, p gilt. Das k¨onnen wir aber abk¨urzen, indem wir sagen: ... wenn p mit jeder Pro- position vertr¨aglich ist, die f¨ur S epistemisch m¨oglich ist. Um soweit zu kommen, brauchen wir

¨

uberhaupt keine substantielle Wissensdefinition! Um das alles in eine substantielle Wissens- definition zu verwandeln (n¨amlich die Definition, die wir vorher gegeben haben), m¨ussen wir noch eine Sache hinzuf¨ugen: S’ epistemische M¨oglichkeiten sind nicht nur die M¨oglichkeiten, die durch sein eigenes Wissen eliminiert werden.

Wir m¨ussen also sagen, unter welchen Bedingungen eine M¨oglichkeit als eliminiert [durch die Evidenz von S] gilt. An diesem Punkt sage ich, daß alle diejenigen M¨oglichkeiten nicht elimi- niert sind, in denen alles, was S durch die Wahrnehmung erf¨ahrt und erinnert, genauso ist, wie es wirklich ist. Es gibt eine M¨oglichkeit, die unsere Welt ist; nenne sie Wirklichkeit. Dann ist eine M¨oglichkeit genau dann nicht eliminiert, wenn die Sinneserfahrung und die Erinnerung von S in ihr genauso ist wie in der Wirklichkeit. [...]10

Schließlich m¨ussen wir uns dem Wort

”alle“ zuwenden. Was heißt es zu sagen, daß jede M¨oglichkeit, in der nicht p gilt, eliminiert ist? Ein Quantifikationsausdruck wie

”alle“ wird normalerweise auf einen begrenzten Bereich beschr¨ankt. Wenn ich sage, alle Gl¨aser seien leer, und es ist Zeit f¨ur eine neue Runde, dann ignorieren ich und meine Zuh¨orer ohne Zweifel die meisten Gl¨aser weltweit und zu allen Zeiten. Sie sind außerhalb des begrenzten Bereichs. Sie sind daher irrelevant f¨ur die Wahrheit dessen, was gesagt wurde.

Genauso gilt: Wenn ich sage, daß in jeder nicht eliminierten M¨oglichkeit P gilt, (o. ¨a.), dann ignoriere ich ohne Zweifel nicht eliminierte alternative M¨oglichkeiten, die es gibt. Sie sind au- ßerhalb des begrenzten Bereichs. Sie sind daher irrelevant f¨ur die Wahrheit dessen, was gesagt wurde.

Aber nat¨urlich darf ich nicht jede M¨oglichkeit ignorieren, wie es mir gef¨allt. Denn sonst w¨aren wahre Zuschreibungen von Wissen, sei es mir selbst, sei es anderen, billig. Ich mag also einige M¨oglichkeiten mit Recht ignorieren, andere jedoch nicht. Unsere Definition braucht also eine sotto voce-Klausel.11 S weiß, daß p, wenn und nur wenn S’ Evidenz jede M¨oglichkeit, in der nicht p, ausschließt, – Psst! – außer die M¨oglichkeiten, die wir mit Recht ignorieren k¨onnen.

Unger12 schl¨agt eine instruktive Parallele vor. Genauso wie wir p wissen, wenn es keine nicht- eliminierten Irrtumsm¨oglichkeiten gibt, so ist eine Oberfl¨ache flach, wenn sie keine Unebenhei- ten aufweist. Dabei m¨ussen wir die Klausel hinzuf¨ugen: Psst! – außer die Unebenheiten, die wir mit Recht ignorieren. Ansonsten m¨ußten wir absurderweise folgern, daß nichts flach ist. (Da- bei habe ich vereinfachend Abweichungen von Flachheit ignoriert, die in sanfter Kr¨ummung bestehen).

Wir k¨onnen jetzt die Definition neu formulieren. Wir sagen, daß wir eine Proposition q vor- aussetzen, wenn wir alle M¨oglichkeiten, in denen nicht q der Fall ist, ignorieren. Um den Kreis zu schließen, kann man auch sagen: wirignorierengerade diejenigen M¨oglichkeiten, die unsere Voraussetzungen falsch machen w¨urden.AngemesseneVoraussetzungen entsprechen nat¨urlich angemessenem Ignorieren. Dann weiß S p, genau dann wenn S’ Evidenz jede M¨oglichkeit eli- miniert, in der nicht p gilt – Psst! – außer solche M¨oglichkeiten, die mit unseren angemessenen Voraussetzungen konfligieren.13.

Der Rest der (modalen)14 Epistemologie untersucht die sotto-voce-Klausel. Er fragt: Was d¨urfen wir mit Recht bei unseren Wissenszuschreibungen voraussetzen? Welche der nicht eli-

10[Im folgenden zieht Lewis auch Variationen dieses Eliminationsbegriffes in Betracht und erlaubt dem Leser, andere Formen der Elimination – etwa durch angeborenes Wissen – in die Elimination mit aufzunehmen.]

11[sotto voce heißt auf Italienisch etwa: mit ged¨ampfter Stimme.]

12[...]

13[...]

14 [modal hier etwa: mit M¨oglichkeiten operierend. Lewis’ Wissensdefinition ist modal, weil sie im Definiens oglichkeiten enth¨alt.]

(5)

minierten M¨oglichkeiten k¨onnen nicht mit Recht ignoriert werden? Was sind die

’relevanten Alternativen‘? – relevant n¨amlich daf¨ur, was das Subjekt weiß.15. Um diesen Punkt zu erledi- gen, k¨onnen wir einige Regeln auflisten. Wir beginnen mit drei Verboten, d.h. mit Regeln, die uns sagen, was wir nicht mit Recht ignorieren k¨onnen.

Da ist erstens die Wirklichkeitsregel. Die M¨oglichkeit, die wirklich ist, kann nicht mit Recht ignoriert werden; die Wirklichkeit ist immer eine relevante Alternative; wir d¨urfen nichts Falsches mit Recht voraussetzen. Es folgt, daß nur das, was wahr ist, gewußt werden kann, weshalb wir die Wahrheit nicht in unsere Wissensdefinition mit aufnehmen mußten. Die Regel ist ’externalistisch‘ – das Subjekt selbst ist m¨oglicherweise nicht in der Lage zu sagen, was es mit Recht ignorieren darf. Wenn wir beurteilen, wo er mit Recht ignoriert, und damit beur- teilen, was er weiß, dann beurteilen wir seinen Erfolg beim Wissen – nicht, wie stark er sich bem¨uht hat. [Fortsetzung in der Stunde vom 31.1.]

Leitfragen zum 31.1.2006

1. Welches Dilemma beschreibt Lewis am Anfang seines Aufsatzes? Was meinen in diesem Zusammenhang Fallibilismus und Skeptizismus?

2. Mit welchem v¨ollig allgemeinen Argument stellt der Skeptiker unsere Wissensanspr¨uche infrage?

3. Erkl¨aren Sie anhand einiger Beispiele aus dem Aufsatz, was es heißt, daß die Bedeutung eines Wortes vom Kontext abh¨angt.

4. Geben Sie in eigenen Worten die Wissensdefinition von Lewis in einer m¨oglichst zug¨anglichen Variante wieder. Warum verdient diese Definition die Bezeichnung

”kontextualistisch“?

5. Erkl¨aren Sie, wie Lewis mit seiner Definition das eingangs geschilderte Dilemma umgehen will.

6. Wie stellt sich Lewis zur traditionellen Wissensdefinition?

Ihre L¨osungen werden diesmal korrigiert, damit Sie sich ein besseres Bild ¨uber ihren Lei- stungsstand machen k¨onnen. Achten Sie daher insbesondere auf eine korrekte Belegpraxis (siehe essay.pdf).

15[...]

Referenzen

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