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Rolf-Dieter Müller, Militärgeschichte, Köln [u.a.]: Böhlau 2009, 376 S., EUR 19,90 [ISBN 978-3-412-20298-9]

Mit diesem Buch legt Rolf-Dieter Müller, der renommierte Experte für die Ge- schichte der Wehrmacht und des Zweiten Weltkrieges, eine vorwiegend chrono- logisch angelegte Einführung in die Militärgeschichte als einer »Teildisziplin der Geschichtswissenschaft« (S. 9) vor. Nach einer einleitenden Reflexion auf den Stand der Disziplin und einem Kapitel über begriffliche Grundlagen der Militärgeschichte geben neun weitere Kapitel einen komprimierten Überblick über vom Autor als wesentlich erachtete Zusammenhänge von Militär und Kriegführung von den »alt- orientalischen Ursprünge[n]« im Mesopotamien um 2500 v. Chr. (S. 53 ff.) bis hin zu den aktuellen Debatten um Neue Kriege und die Konfliktformen des 21. Jahr- hunderts. Die einleitende Reflexion auf »Möglichkeiten und Grenzen« der Militär- geschichte (S. 9–24) ist im Gestus der Andeutung und des ›vielleicht‹ gehalten, an- statt klar Stellung zu beziehen. Sie enthält zahlreiche fragwürdige Behauptungen, die zum Widerspruch herausfordern.

Das Anliegen des Autors besteht hier offensichtlich darin, dem Trend zur Ent- grenzung der Militärgeschichte hin in die allgemeine, von sozial- und kulturgeschicht- lichen Fragestellungen geprägte Geschichtswissenschaft entgegenzuwirken und zivilgesellschaftliche Anfragen an das Erkenntnisinteresse der Militärgeschichte abzuwehren. Wie sonst ist die Formulierung zu verstehen, die deutsche Militärge- schichte habe sich »vielleicht [!] sogar bis zu ihrer Unkenntlichkeit« gegenüber dem akademischen Diskurs geöffnet, während sich in der angelsächsischen »new new military history« ein Interesse an »originär militärischen Fragestellungen« zeige, worunter wohl vor allem die Operationsgeschichte zu verstehen ist (S. 12). Wie sonst ist die Behauptung zu verstehen, der »hauptsächlich von Politikwissenschaftlern« ge- tragene Arbeitskreis für Historische Friedensforschung berühre die Militärgeschichte

»nur punktuell«, und die »gewünschte Instrumentalisierung« der Militärgeschichte für die »Friedenserziehung« kontrastiere mit dem Vorwurf, die Militärgeschichte diene der »geistigen Kriegsvorbereitung« (S. 16). Das sind gleich drei falsche Be- hauptungen in einem Absatz. Erstens sind die überwältigende Mehrzahl der Mit- glieder des Arbeitskreises Historische Friedensforschung Historiker, nicht Polito- logen; zweitens haben viele von ihnen Doktorarbeiten und Habilitationsschriften zu zentralen Themen der Kriegs- und Militärgeschichte vorgelegt; drittens unter- scheidet sich die Historische Friedensforschung von der bis 1945 und teilweise da- rüber hinaus üblichen Wehrwissenschaft und Kriegsgeschichte dadurch, dass sie, ganz im Sinne Max Webers, den normativen Hintergrund ihrer Fragestellungen nicht einfach stillschweigend voraussetzt, sondern stets von neuem reflektiert.

Rolf-Dieter Müller geht des Weiteren fehl, wenn er Milieukenntnis und »Um- gang mit der Praxis« als wichtige Voraussetzungen für angemessene »Fachkennt- nisse« und damit militärgeschichtliches Arbeiten reklamiert: »Dem akademisch ausgebildeten Historiker, der seine Kenntnisse des Militärwesens allein aus Hand- büchern schöpft und für gelegentliche Projekte und einzelne Fragestellungen ge- neriert, wird das tiefere Verständnis der Militärgeschichte vielleicht [!] verborgen bleiben« (S. 20 f.). Nach dieser Logik dürfte es keine Geschichte des Todes geben – denn welcher Historiker hat diesen selbst erlebt? – und würde die Geschichte des Alters nur von pensionierten Akademikern geschrieben werden. Ebenso frag-

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würdig bleibt die Behauptung, die Operationsgeschichte sei »ein zentraler Bestand- teil der Kriegsgeschichte« und der Militärgeschichte generell (S. 21). Seit der klas- sischen Studie von John Keegan über das »Antlitz des Krieges« wird kein Militärhistoriker bestreiten, dass eine Rekonstruktion der Kontingenz des Gesche- hens auf Schlachtfeldern Wichtiges zum Verständnis der Dynamik des Krieges bei- trägt. Aber ist die Operationsgeschichte damit gleich ein »zentraler« Bestandteil der Kriegsgeschichte? Diese Behauptung scheint, zumal für das Zeitalter des tota- len Krieges, weit überzogen.

Müller zufolge bedarf eine derart zentral gestellte Operationsgeschichte »kei- ner speziellen Theorie oder Begründung, sondern vor allem neuer Formen der Dar- stellung«, die sich von der traditionellen Generalstabshistorie unterscheiden (S. 21).

Diese These lässt sich anhand seiner eigenen Darstellung überprüfen, denn die chronologisch angeordneten Kapitel bieten vor allem eine komprimierte Darstel- lung militärisch-politischer Entscheidungen und Strukturen sowie – auf das We- sentliche komprimiert – einen Abriss der typischen Konstellation auf den Schlacht- feldern der Zeit. Kultur- und geschlechtergeschichtliche Fragestellungen, mit denen die jüngere Forschungsdiskussion die Organisationsformen des Militärs und die Dynamik bewaffneter Konflikte auf innovative Weise erschlossen hat, sucht man bei Müller vergebens. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass politische und opera- tive Grundstrukturen des Militärs auf breiter komparativer Grundlage dargestellt werden. Dies ist keine Einführung nur in die deutsche Militärgeschichte, sondern – in den Grenzen des gewählten Ansatzes – eine stets den Kontext des europä- ischen Mächtesystems im Blick behaltende und dabei breit ausgreifende Darstel- lung. Auch »außereuropäische Kriegskulturen« werden unter anderem am Bei- spiel der Mongolen Dschingis Khans behandelt (S. 103 ff.). Dessen Truppen, so erfährt der Leser, »demoralisierten den Gegner durch den Schreckensruf, der ih- nen vorauseilte, entzogen sich dem meist schwer beweglichen Gegner durch listi- gen Rückzug, um ihn dann mit einem Pfeilhagel zu überschütten« (S. 104). Wäh- rend die Rede vom ›listigen Rückzug‹ noch unfreiwillig komisch wirkt, zeigen andere Formulierungen deutlich an, dass in der von Müller avisierten Operations- geschichte weder von einer neuen sprachlichen Darstellungsform die Rede sein kann, noch von einem analytisch wegweisenden Fundament für die Militärge- schichte. In welcher Hinsicht war der Schlieffenplan eine »glänzende Idee« (S. 205)?

War es so, dass deutsche Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika »Aufstände Ein- heimischer« einfach nur ›niederschlugen‹, wenn auch »mit größter Brutalität«, wie der von Müller verwendete Euphemismus für den Völkermord an den Herero lau- tet (S. 207)? »[E]rkämpfte« General von Manstein im Frühjahr 1940 wirklich einen

»grandiosen Sieg im Westen« (S. 270)? Wie steht es um den »kühnen Husarenritt«

von Erwin Rommels Panzertruppen zur spanischen Grenze (S. 271)? Lässt sich von

»Verfechter[n] einer ›ritterlichen‹ Kriegführung« sprechen, wenn Grenzen der To- talisierung des Vernichtungskrieges seit 1941 diskutiert werden (S. 294)? Die Dar- stellung von Müller enthält, dies sei ausdrücklich hervorgehoben, auch viele Pas- sagen, in denen operationsgeschichtliche Darstellung und Politikgeschichte des Militärs nüchtern miteinander verknüpft werden. Dennoch zeigen diese Beispiele an, dass die von Müller vertretene Fokussierung auf die Operationsgeschichte zu- weilen sprachlich einen Rückfall in längst überwunden geglaubte Metaphoriken darstellt, und inhaltlich wenig Innovatives verspricht.

Fazit: die deutsche Militärgeschichtsschreibung, und gerade und zumal die am Militärgeschichtlichen Forschungsamt betriebene Forschung, ist über die von Mül-

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ler im Gestus des ›vielleicht‹ vorgetragenen Bedenken längst hinausgewachsen.

Sie hat sich ihr analytisches Profil in einer multi-perspektivischen und multi-dis- ziplinären Annäherung an ihren Gegenstand, die Androhung und praktische An- wendung organisierter (Kriegs-)Gewalt, erarbeitet, und zwar ohne dabei – wie Rolf-Dieter Müller dies befürchtet – das Spezifikum ihres Gegenstandes aus den Augen zu verlieren. Die von Müller vertretene Fokussierung auf die Operations- geschichte bedeutet demgegenüber einen klaren analytischen Rückschritt. Als Ein- führung in die Militärgeschichte ist dieses Buch deshalb nur bedingt geeignet.

Benjamin Ziemann

Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär zwischen staatlichem Monopol und Privatisierung: Von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. von Stig Förster, Christian Jansen und Günther Kronenbitter, Paderborn [u.a.]: Schöningh 2010, 326 S. (= Krieg in der Geschichte, 57), EUR 38,00 [ISBN 978-3-506-76754-7]

Ziel dieses aus einer Potsdamer Tagung im Mai 2006 hervorgegangenen Sammel- bandes ist es, eine alte, bis vor kurzem nahezu unangefochtene historische Meister- erzählung infrage zu stellen: Diese Erzählung sieht die – als weitgehend geglückt angenommene – Etablierung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen wie nach außen als ein wesentliches Charakteristikum moderner Staatsbildung. Zu unter- schiedlichen Zeiten nach dem Dreißigjährigen Krieg sei es den europäischen Staa- ten gelungen, dieses Monopol gegen vielerlei Widerstände durchzusetzen, sodass Kriege zu einer zwischenstaatlichen Veranstaltung zwischen souveränen Völker- rechtssubjekten geworden seien. Daneben ließ dieses Narrativ allenfalls Sonder- fälle wie Bürger-, Guerilla- und Kolonialkriege gelten.

Während der letzten beiden Jahrzehnte scheint sich freilich das Verhältnis von Regel und Ausnahme umzukehren: Zu beobachten sei, so die Einleitung der Heraus- geber, eine neuerliche Privatisierung des Krieges, aber auch des Terrors durch Pri- vate Military Companies (PMCs) und global agierende Terrornetzwerke. Insbeson- dere das Auftreten von PMCs zuerst in Afrika, danach im Irak und in Afghanistan, lege nahe, von einer Rückkehr der Condottieri zu sprechen (S. 16). Der Rekurs auf diesen aus der Frühen Neuzeit stammenden Begriff verweise jedoch auf die Not- wendigkeit, das Thema in einer längerfristigen Perspektive zu untersuchen, um die Gefahr von voreiligen Schlüssen zu vermeiden. Diesem Zweck diente die eingangs erwähnte Konferenz, ein Gemeinschaftsunternehmen mehrerer sowohl mit histo- rischer Friedensforschung als auch mit Militärgeschichte befasster Institutionen.

Der zeitliche Bogen der (nach der Einleitung) 19 Beiträge spannt sich in der Tat von der Antike bis in die unmittelbare Gegenwart, wenngleich keine ausgewogene Verteilung vorliegt: Das Altertum und das Mittelalter sind lediglich mit je einem Überblicksbeitrag (Martin Zimmermann über antike Warlords) bzw. einer Fallstu- die (Uwe Tresp zu Böhmen als spätmittelalterlicher Söldnermarkt) vertreten, sodass 17 Kapitel der Zeit ab 1500 gewidmet sind. Dies liegt vorrangig an den Forschungs- schwerpunkten der Verfasser und nur sekundär daran, dass Söldnertruppen vor der Neuzeit nicht in Erscheinung getreten wären. So stellt Tresp mit Blick auf das Spätmittelalter fest, dass sich bereits damals »ein Verhältnis aus Angebot und Nachfrage von Söldnern entwickelt hatte, das allgemeinen Marktmechanismen folgte«. Es habe sich sogar um einen sehr beachtlichen Sektor des gesamten Ar- beitsmarktes gehandelt (S. 46).

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Sieht man vom simplen Warencharakter der Söldner ab, so bemühen sich die Einleitung sowie die meisten Beiträge um eine halbwegs präzise Definition des Be- griffs. Aufgrund der Vielzahl und Vielfalt der konkreten historischen Erschei- nungsformen laufen die Umschreibungen darauf hinaus, Söldnertruppen als Kon- trapunkt zu Wehrpflichtarmeen zu interpretieren, die sich innerhalb wie außerhalb eines bestimmten staatlichen oder vor-staatlichen Territoriums rekrutieren lassen.

Im Gegensatz zu Wehrpflichtigen melden sich Söldner freiwillig zum Kriegsdienst, wenn ihnen auch mitunter wenig Alternativen offenstehen. Auch können sie ih- ren Dienst aufkündigen, was häufig – meist wegen ausbleibender Bezahlung – ge- schieht, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Söldner verhalten sich wie rational agierende Wirtschaftssubjekte und nicht wie zur Loyalität gegenüber ihrem Staat und ihrer Nation verpflichtete Wehrpflichtige. Dienen letztere, notfalls bis zur Selbstaufopferung, ihrem Kollektiv, so verfolgen Söldner vorrangig, wenn nicht ausschließlich eigene Interessen. Unter welchen Umständen sie Kriegsdienst zu leisten haben, wird ausverhandelt und nicht, wie bei gezogenen Rekruten, einsei- tig durch staatliche Autoritäten normiert.

Die Varianten dieses Idealtypus sind freilich so zahlreich, dass sich manche Bei- träge schwer tun, den Condottieri-Begriff auf ihren Gegenstand anzuwenden – im- merhin versieht der Titel des Bandes diese Übertragung ja mit einem Fragezeichen und lässt die Antwort offen. Fraglich bleibt vor allem, ob als Condottieri einge- stufte Personen und die von ihnen befehligten Waffenträger in irgendeinem, wenn auch noch so losen, Unterordnungsverhältnis zu ihren (nicht nur staatlichen) Auf- traggebern stehen oder nicht. Dieses Problem ergibt sich etwa im Beitrag Anja Bröchlers über die spanischen Conquistadoren in Mittel- und Südamerika, bei de- nen eine Beauftragung durch die Krone – wenn überhaupt – nur sehr vage und ex post erfolgte. Jann M. Witt behandelt die Kaperei in der europäischen Seekriegs- geschichte, wobei staatlich autorisierte Kaperer wie Francis Drake und vollkom- men privat, ja dezidiert gegen jegliche Staatsmacht agierende Piraten zeitgleich und auf denselben Ozeanen in Erscheinung traten.

Zu den zentralen Beiträgen des Bandes zählt zweifellos jener von Heinrich Lang über Condottieri in Italien des 15. und 16. Jahrhunderts. Lang vermerkt deren Stre- ben nach einem eigenen, von ihnen beherrschten Territorium, was erneut die Frage nach dem Auftragsverhältnis aufwirft. Denn war Lang zufolge ein solches Bemü- hen für die italienischen Namensgeber des Typus in der Frühen Neuzeit kennzeich- nend und lassen sich gleichgelagerte Aspirationen anderswo kaum ermitteln, so begegnet die Generalisierung des Begriffs Condottieri erheblichen Schwierigkeiten.

Dies belegt Reinhard Baumanns Darstellung der deutschen Condottieri des 16. Jahr- hunderts, für die der Verfasser große »Hemmschwellen« ausmacht, denn kein deut- scher Kriegsunternehmer dieser Zeit konnte sich »dem Treueverhältnis zu Kaiser und Reich ungestraft entziehen. In vielen Fällen war das geradezu unmöglich«

(S. 117). Wenn Baumann bilanziert, die »Unabhängigkeit und das Selbstverständ- nis italienischer Condottieri« seien für deren deutsche Zeitgenossen unerreicht ge- blieben (S. 125), so ist zu fragen, ob es sich bloß um graduelle Abweichungen von einem Idealtypus oder um grundlegende Unterschiede gehandelt hat.

Auffallend ist, dass einige der folgenden Beiträge, direkt oder indirekt, von einem Niedergang der Condottieri nach deren Blütezeit im frühneuzeitlichen Ita- lien ausgehen und damit die kritisierte Meistererzählung vom staatlichen Gewalt- monopol ungewollt bestätigen. Lothar Höbelt titelt gar von einer »Götterdämme- rung« der privaten Kriegsunternehmer im Dreißigjährigen Krieg und bei Marian

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Füssels Skizze der Kosaken und Kalmücken als russische Irreguläre im Siebenjäh- rigen Krieg steht die Rolle dieser Verbände als – wenn auch unkonventioneller – Teil der zaristischen Streitkräfte im Zentrum. Da sich Füssel stark mit der Wahr- nehmung der Kosaken durch ihre preußischen Gegner beschäftigt, bleiben Aspekte privaten Kriegsunternehmertums randständig.

Auch Martin Rinks Kapitel über die Verwandlung der Figur des Partisanen vom freien Kriegsunternehmer zum Freiheitshelden zeigt die eingeschränkte Entschei- dungsmacht der irregulären Kämpfer auf: Freiheitshelden müssen, wie schon der Name sagt, einer hehren Sache dienen und können sich schwerlich an den Meist- bietenden verdingen. Interessant ist der Eindruck, dass sich ab etwa 1800 irregu- läre Verbände nicht mehr nur gegen äußere Feinde wandten, sondern in Teilen Europas gegen die »eigene« Staatsgewalt – was deren vorherige, wenn auch un- vollkommene Etablierung voraussetzt. Dieses Phänomen zeigt Ludolf Pelizaeus am Beispiel der keineswegs nur gegen die napoleonische Fremdherrschaft gerichteten Guerilla in Spanien und Lateinamerika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Teilweise parallele Aussagen bietet Christian Jansen für Italien zwischen 1848 und 1980. Wenn Jansen für Italien geradezu eine lange Tradition der Rebellion gegen das staatliche Gewaltmonopol am Werk sieht und die Unvollkommenheit der Durchsetzung dieses Monopols unterstreicht, so verweist er neuerlich auf die – kaum bestrittenen – Unterschiede der modernen Staatsbildungen, die sich erge- ben, sobald man von einigen geglückten Musterfällen absieht und den Blick auf das europäische Ganze richtet. Anregend ist Jansens Überblick nicht nur wegen seiner pointierten Thesen über die Mafia, sondern auch deshalb, weil er als einer der wenigen Autoren dieses Bandes Aspekte der Mythenbildung (etwa rund um Garibaldi) thematisiert. Offen bleibt hingegen, was die von ihm untersuchten (So- zial-)Rebellen mit Condottieri gemeinsam haben.

Es folgen drei Beiträge über außereuropäische Regionen: Mike Kortmann über die Offiziere der East India Company, Andreas Stucki über die Guerillabekämpfung auf Kuba 1868–1898 sowie Tanja Bührer über die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika 1885–1918. Auf diese Texte sei hier nicht näher eingegangen, da sie wegen ihrer Themenwahl wenig zur Frage des staatlichen Gewaltmonopols bei- tragen. Gleiches gilt für Torsten Thomas’ und Gerhard Wiechmanns Studie über die Wiedergeburt des Söldnerwesens im Kongo während der 1960er-Jahre, die als Überleitung zu den drei abschließenden Beiträgen über rezente private Sicherheits- firmen wichtig ist; das dazwischen platzierte Kapitel Corinna Hauswedells über den Paramilitarismus in Nordirland als kurzfristige Rückkehr zu einem europäischen Thema unterbricht leider diesen Zusammenhang.

Die drei Schlusskapitel sind Phänomenen gegenwärtiger Privatkriegführung gewidmet; sie schreiten vom Speziellen zum Allgemeinen fort. Zunächst unter- sucht Andrea Schneiker die als Mutter aller Private Military Companies apostro- phierte Firma »Executive Outcomes« und deren Einsätze in Sierra Leone in den 1990er-Jahren. Anschließend finden sich zwei systematische, nicht auf eine Fall- studie beschränkte Abschnitte: Marc von Boemcken widmet sich der gegenwärtigen Globalisierung des privaten Sicherheitsgewerbes und Herbert Wulf untersucht den Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und der Reprivatisierung des Militärs.

Neuerdings löst sich der Zusammenhang zwischen Söldnerwesen und Kriegfüh- rung (im eigentlichen Wortsinn) zunehmend auf, denn für Boemcken verkörpern Söldner einen »Antivirus« gegen Terroristen, Drogenhändler etc. (S. 302). Festge- halten zu werden verdient auch Wulfs Beobachtung, die Privatisierung militä-

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rischer Macht in westlichen Gesellschaften sei nicht nur einem Kosten-Nutzen-Kal- kül geschuldet, denn heute glaube kaum jemand an die noch vor Kurzem erhoffte Kostenersparnis derartigen Outsourcings. Maßgeblich sei vielmehr der ängstliche Blick von Regierungen auf ihre Öffentlichkeiten, denen – Stichwort Vietnam- Trauma – eigene Tote und Verwundete selbst im Rahmen humanitärer Einsätze nur mehr schwer vermittelt werden könnten (S. 315 f.).

Überblickt man den Band als Ganzes, so bietet er eine gelungene Zusammen- schau und eine anregende Lektüre auf hohem wissenschaftlichem Niveau. Sicher ist, dass – wie angekündigt – die historische Meistererzählung vom staatlichen Ge- waltmonopol erheblich differenziert wird. Ob sie auch »grundlegend infrage ge- stellt« wird (S. 25), ist hingegen weniger klar, stammen doch die meisten Beispiele für die »Rückkehr der Condottieri« aus Regionen außerhalb Europas, für welche die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols ohnedies nie behauptet wurde, weil die zugrunde liegende Meistererzählung im Wesentlichen eine europäisch/

nordamerikanische ist.

Martin Moll

Wolfgang Krieger, Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur CIA, München: Beck 2009, 362 S., EUR 16,95 [ISBN 978-3-406-58387-2]

In der deutschen Militärgeschichtsschreibung, ja in der deutschen wissenschaft- lichen Geschichtsschreibung überhaupt, kommt die nachrichtendienstliche Dimen- sion noch immer unverdienterweise zu kurz. Um dem abzuhelfen, wurde vor Jah- ren der »Arbeitskreis Geschichte der Nachrichtendienste« gegründet. Geholfen hat dies so recht wohl nicht, monografische Darstellungen in deutscher Sprache sind nach wie vor die Ausnahme.

So hat jetzt der langjährige Vorsitzende des Arbeitskreises, Professor Dr. Wolf- gang Krieger aus Marburg, selbst zur Feder gegriffen und eine umfängliche, da- bei aber doch leicht fassliche Überblicksdarstellung geschrieben. Er beginnt dabei mit der Ur- und Frühgeschichte, den Pharaonen und dem Zweistromland, und er entwickelt die Geschichte der »Dienste« aus einer Geschichte der staatlich kontrol- lierten Logistik heraus. Wer Straßen und Handelswege kontrolliert, der kontrol- liert in dieser Frühzeit auch den Fluss von Informationen. Um nichts anderes geht es bei den Diensten schließlich: Informationen zu gewinnen, schnell und sicher zu übermitteln und sie zugleich vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen.

Naturgemäß bleibt es bei den Aussagen zu entsprechenden Phänomen bei Grie- chen und Römern auch noch bei knappen Skizzen mit dem breiten Strich, und für die Darstellung des Mittelalters gilt das Gleiche. Erst mit der Entstehung des Staates in der Frühen Neuzeit lassen sich auch spezialisierte und professionalisierte Insti- tutionen zur Gewinnung von Informationen nachweisen. Dabei dienen diese zur Herrschaftssicherung gleichermaßen nach innen wie nach außen. Das rechtfertigt im Übrigen auch den Titel: Der Sprachgebrauch in der »Zunft« kennt »Geheim- dienste« als Sammelbegriff; dazu gehören unter anderem die Geheimpolizeien im Inland, die Institutionen der Spionageabwehr und die Nachrichtendienste im Sinne von »Aufklärungsdiensten« – alle diese Spielarten werden hier berücksichtigt und in ihrer Interaktion dargestellt.

Die wichtigste Form der Nachrichtengewinnung im Ausland während des 19. Jahrhunderts ist die Spionage – kein Wunder, dass der Spion und die Spionin (!)

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ein beliebter Topos der Literatur jener Zeit sind. Im Zeitalter des wachsenden Natio- nalismus tritt neben Opportunismus und Geldgier die echte nationale Überzeu- gung als Antriebskraft für »Agenten«, »Aufklärer« oder wie sich die in der illegalen Nachrichtengewinnung Tätigen im Einzelfall bezeichnen. Krieger unterscheidet sehr wohl zwischen fact und fiction, weiß aber auch zu erklären, wie sehr fiktive Spionagegeschichten die Wahrnehmung der Öffentlichkeit beeinflussen und welche Auswirkungen die Skandale um den österreichischen Oberst Redl oder um den französischen Hauptmann Dreyfus auf die Sicherheitspolitik ihrer Länder hatten.

Im 20. Jahrhundert, schon im Ersten Weltkrieg, treten technische Aufklärungs- mittel an die Seite der »HUMINT« (Human Intelligence). Vor allem die kriegfüh- renden Seestreitkräfte nutzen die Notwendigkeit, per Funk zu kommunizieren, um gegnerische Einheiten einzupeilen oder sogar nach Möglichkeit verschlüsselte Nachrichten zu entziffern. »Room 40« der Londoner Admiralität kann hier beacht- liche Ergebnisse verzeichnen.

Erstaunen muss den heutigen Leser ein wenig, wie schnell nach Kriegsende die Nationen bereit sind, ihre Dienste weitgehend aufzulösen und ihr technisches wie menschliches Know-how verfallen zu lassen. Um so schwieriger wird es zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, entsprechende Dienste in der Kürze der Zeit neu einzu- richten. Trotzdem gelingen vor allem den Sowjets erhebliche Einbrüche im Bereich der HUMINT (Richard Sorge, »Rote Kapelle«), während die Angloamerikaner vor allem im Bereich der SIGINT (Signals Intelligence) und ELINT (Electronic Intelli- gence) Erfolge haben. Am bekanntesten ist heute gewiss, wie die Briten und Ame- rikaner die deutsche Enigma-Verschlüsselungsmethode geknackt und damit einen wesentlichen Beitrag zum Sieg in der Schlacht im Atlantik geleistet haben. Dem- gegenüber nehmen sich die Erfolge des Admirals Wilhelm Canaris und seines Amtes »Ausland/Abwehr« im Oberkommando der Wehrmacht oder der Abteilung

»Fremde Heere Ost« im Oberkommando des Heeres (unter Generalmajor Rein- hard Gehlen) eher bescheiden aus.

Die große Zeit der Spionage bricht mit dem Kalten Krieg an – wobei Krieger je- doch darauf hinweist, dass den Sowjets einige ihrer spektakulärsten Rekrutierungs- erfolge bereits in den 1930er Jahren gelangen. Neben die bereits genannten Motive tritt jetzt das ideologische. Naturgemäß kann Krieger die Geschichte der westlichen

»Schlapphüte« (vor allem des Bundesnachrichtendienstes und der amerikanischen CIA) besser aus den Quellen darstellen als etwa jene des KGB: deutsche und ame- rikanische Dienste haben jetzt angefangen, Teile ihrer frühen Akten offen zu legen und damit wirklich fundierte Forschung zu ermöglichen. Andere – etwa Briten und Franzosen und natürlich vor allem die Nachfolgeeinrichtungen des sowjeti- schen KGB – sind da sehr viel zögerlicher.

Es ist fast unfair, in einer Rezension dieses Bandes von »Schlapphüten« zu spre- chen. Zu sehr ist er von der Absicht getragen, die Geschichte der Dienste aus der Ecke der Spionagethriller herauszuholen. Zu sehr verweist Krieger auf die tech- nischen Möglichkeiten, gerade im Kalten Krieg, auf die sozialen und wirtschaft- lichen Kosten (und die Erträge von Wirtschaftsspionage), zu klar erkennbar ist der Anspruch einer wissenschaftlich fundierten Gesamtübersicht.

Wer also eine Gesamtausgabe von John le Carrés Werken lesen möchte, der ist hier am falschen Ort. Wer aber eine zugleich lesbare und lesenswerte Einführung in das Thema und in seine Erforschung sucht, dem ist Kriegers Buch sehr zu emp- fehlen.

Winfried Heinemann

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Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Birgit Emich und Gabriela Signori, Berlin: Duncker & Humblot 2009, 349 S. (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beih. 42), EUR 54,00 [ISBN 978-3-428-12944-7]

Die Kriege im 14. bis 18. Jahrhundert haben nicht nur Bildquellen in Form von Ge- mälden und Zeichnungen hinterlassen, sondern ebenso Sprachbilder. Diese bei- den Formen von Bildern zu thematisieren, haben sich die beiden Herausgeberinnen als Ziel gesetzt. Birgit Emich als Vertreterin der Frühneuzeit-Forschung und Gabriela Signori als Inhaberin des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte in Konstanz stellten die Frage nach »Wissen über die Gemeinsamkeiten und Wechselwirkung von Wort und Bild in der Darstellung kriegerischer Ereignisse« (S. 8). Zurück geht der vorliegende Sammelband auf zwei Sektionen des 46. Deutschen Historiker- tages 2006 in Konstanz zum Thema »GeschichtsBilder«.

In der Einleitung führen Emich und Signori ihre Gedanken zum doppelten Bild- begriff und die Herangehensweise an das Phänomen Krieg aus. Selbstverständlich geht es ihnen weder um die Realitätstreue der Bilder noch um die Legitimation der Kriege. Im Sinne der Neuen Kulturgeschichte nähern sie sich den Kriegsbil- dern als Repräsentationen von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Krie- gen. Dieser theoretische Zugang – im Sinne der Wegbereiter der Kulturgeschichte Lynn Hunt und Roger Chartier – meint, dass sich aus den mentalen Strukturen, nicht etwa aus den materiellen Bestimmungen soziale Positionen ergeben. Um über vergangene Kriege Aussagen treffen zu können, interessieren hier weniger die rechtlichen Bedingungen oder organisatorischen Umstände. Vielmehr geht es ein- mal mehr um die Beobachtung und die Beschreibung der Ereignisse, wie es seit dem Einfluss der Ethnologie in der Geschichtswissenschaft üblich geworden ist.

Infolgedessen ist zum einen der Begriff »Krieg« allgemein gehalten, zum an- deren steht der Begriff »Bild« für zwei Bedeutungen. Krieg wollen die Herausge- berinnen als organisierte Form von Gewalt verstanden wissen, die zum Ziel füh- ren soll, den Gegner zu besiegen. Der historische Wandel des Begriffes, genauso wie die Bestimmung der gegnerischen Parteien und der Konfliktform werden dem- entsprechend zweitrangig. Der angewandte Bild-Begriff bezeichnet also sowohl die visuellen, materialisierten Formen als auch die immateriellen, sprachlichen Vorstellungen. Den produzierten Bildern und den Bilder im Kopf ist ihre Informa- tionskomplexität gemeinsam. Als Erinnerungsmedien wurden und werden die Kriegsbilder durch Archetype und Traditionen geprägt, die nicht bloß aufgegrif- fen werden können, sondern stets durch einen Interpretationsakt transferiert wer- den müssen. Das heißt, Kriegsbilder werden in einem sich wiederholenden Pro- zess gesehen, gedacht und erzeugt.

In den elf Aufsätzen wird über den Vergleich unterschiedlicher Quellengat- tungen der Frage nach den Darstellungen von Krieg in Texten, Malerei und Druck- grafik nachgegangen. Methodisch und empirisch wurde das unterschiedlich um- gesetzt. Die Beiträge bieten demzufolge Neues in verschiedenen Facetten.

Gruppieren lassen sich die heterogenen Beiträge durch gemeinsame fachliche oder thematische Zugänge.

Den sprachlichen Kriegsbildern in Chroniken des 14. und 15. Jahrhundert mit Blick auf die Verfasser widmeten sich mehrere Autoren. So setzt sich Malte Prietzel am Beispiel des Hundertjährigen Krieges mit den Darstellungskonventionen der französischen Chronisten auseinander. Diese beschrieben das Sterben im Kampf und den Umgang mit den Leichen nach der Schlacht insbesondere an Helden wie

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Karl von Blois. Zugleich aber gehen die Chronisten auf Verwundung und Verletz- lichkeit kaum ein.

Auf der Basis städtischer Chroniken aus dem 14. und 15. Jahrhundert stellt Stefa- nie Rüther die nichtadlige Kriegführung dar – mit den Ergebnissen, dass kriegeri- sche Gewalt als ein Teil der städtischen Politik aktiv betrieben wurde, aber gleich- wohl nüchtern-pragmatisch geschildert war. Zur Analyse unterscheidet sie zwischen den Darstellungen von Plünderungen, von Belagerungen sowie von Schlachten in den süddeutschen Städtekriegen.

Auch Michael Jucker interpretiert Abbildung von Plünderungen. Diese stammen einerseits aus höfischen Chroniken Englands und Frankreichs zur Zeit des Hundert- jährigen Krieges und anderseits aus spätmittelalterlichen städtischen Chroniken der Eidgenossenschaft. Die erste Abbildungsgruppe veranschaulicht Gewalt nur gegen Andersgläubige wie Muslime. Bei der zweiten Gruppe hingegen erscheint die verbildlichte Gewalt zur Legitimation der Gewalt. Bei den städtischen Chroni- ken entfallen die aus den höfischen Chroniken bekannten ritterlichen Tugenden.

Die Aufsätze des Sammelbandes werden neben dem vergleichenden Ansatz und wiederkehrenden Quellengruppen durch die Erinnerungs-, Ritual- und Kon- fessionalisierungsforschung miteinander verbunden. Die konfessionell konnotier- ten Feindbilder in spätmittelalterlichen Bildern, Liedern und Chroniken zu dem Krieg zwischen Burgundern und Armagnaken sowie zur Bartholomäusnacht ver- gleicht Simona Slanicka. Sie kann dadurch die Stigmatisierung des konfessionellen Gegners als unchristliche Person aufzeigen.

Konfessionelle Differenzierungen sind – zumindest als sekundäre Aspekte – aus den Aufsätzen zu den Kriegen des 16. und 17. Jahrhunderts nicht wegzuden- ken. Hier dominieren die Kriegsereignisse in Städten, die von den Zeitgenossen in verschiedenen sprachlichen und visuellen Medien festgehalten wurden. Die un- terschiedlichsten Bilder der Einnahme von Marseille im Jahre 1596 zur Zeit der Hugenottenkriege, stellt Wolfgang Kaiser dar. Er betonte anhand von Stichen und schriftlichen Berichten die Verschränkung der unterschiedlichen Bildmedien über die Narration. Er schlussfolgert, dass das Schweigen bzw. das Vergessen seitens der städtischen Elite erst die Deutung dieses unblutigen Medienereignisses als bür- gerliche Selbstbefreiung von der Heiligen Liga und Unterwerfung unter den fran- zösischen König Heinrich IV. entstehen ließ.

Die Einnahme der Stadt Magdeburg im Jahr 1631 durch die kaiserlich-habsbur- gischen Truppen bot Birgit Emich das empirische Material um zu beweisen, dass sich allegorische Deutung und »konkrete Darstellung« wechselseitig stützten. Die in der Publizistik vorherrschende Allegorie auf die Eroberung Magdeburgs als Hochzeit der jungfräulichen Stadt mit dem kaiserlichen General Tilly, wirkte sich auf die Handlungsweisen in Berichten aus Magdeburg beziehungsweise amtlicher Korrespondenz aus.

Am Beispiel der Zerstörung Brüssels durch die Franzosen 1695 sucht Horst Carl nach »realistischen« Bildern als Zeugnisse der Kriegsfolgen. Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung von Gerhard Paul, der in seiner einschlägigen Monografie »Bil- derkrieg«, den Krieg als das »Undarstellbare schlechthin« bezeichnet hat. Die zwölf kolorierten Ansichten des Augustin Coppens von der Zerstörung Brüssels fungier- ten – so wie die später entstandenen Veduten Bernardo Bellottos von Dresden – als Bildzeugnisse der Kriegsruinen. Diese bezeugen eine Kriegführung, die »Kolla- teralschäden« in Kauf nahm; sie sind aber auch Zeugnisse von Repräsentations- und Topografievorstellungen.

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Die »mediale Produktion des Schlachtenmythos von Zorndorf« (S. 320) erör- tert Marian Füssel, indem er die publizistische Beanspruchung des Sieges in Zeit- schriften, Flugschriften sowie in Grafik und Malerei ins Verhältnis setzt zu Aussa- gen in zeitgenössischen Selbstzeugnissen. Seiner These nach führte der Umstand, dass die Schlacht nur schwer darzustellen war, zu der Entstehung zahlreicher, mit- unter konkurrierender Bilder.

Das Ziel der Herausgeberinnen, unterschiedliche Bilder zusammenzubringen, bedurfte der Beiträge von Vertretern der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte.

In einer kunsthistorischen Studie zur Allegorie auf Krieg und Frieden führt Ulrich Heinen in gleichem Maße die Bilder wie die Schriften des flämischen Malers und Diplomaten Peter Paul Rubens an. Er erläutert, dass Rubens den Krieg als Weg zum Frieden verstand und er sich somit für das Habsburgerreich aussprach – den- noch interpretierten bereits die Zeitgenossen seine Malerei als direktes Plädoyer für den Frieden.

Wie sich die Kriegserfahrung des Dreißigjährigen Krieges in der Barockdich- tung niederschlug untersuchte Dirk Niefanger an der Nürnberger Dichtergruppe Pegnitz-Schäfer. Ihre »politischen Taratantariren« dokumentieren die Auseinan- dersetzung mit dem Krieg ebenso wie die Entstehung von Dichtung durch den Krieg. Darüber hinaus trugen diese affektiven und mimetischen Darstellungen zur Emotionalisierung poetischer Texte bei. Nicht zuletzt durch die einbegriffenen Handlungsweisen waren Literatur und Kunst im zeitgenössischen Verständnis miteinander verbunden. Ein wichtiger Aspekt dieser Studie widmet sich daher dem Diskurs zur Wesensgleichheit der Künste.

Mit diesem Sammelband ist es gelungen, die Bedeutung von sprachlichen und visuellen Kriegsbildern aufzuzeigen. Repräsentation und Konstruktionsleistung der Erzähler, Dichter, Maler, Grafiker machten den Krieg erst für eine »Öffentlich- keit« zugänglich. Dabei rückten Helden wie Herrscher immer wieder ins Blickfeld.

Die Funktionsweise von Bildkommunikation, die Materialität der Bilder und Me- dien, einschließlich der Forschungsergebnisse der Kommunikations- und Medien- wissenschaften, blieben aber wiederholt der Analyse der Deutungsmuster unter- geordnet. Hinzu kommt, dass die zeitliche Distanz zwischen Kriegsereignis und der Entstehung der Bilder in den vorliegenden Beiträgen ebenso wenig relevant war wie das Verhältnis zwischen Bildentstehung und Rezeption. Diese Aspekte dürften weiterzuverfolgen sein.

Der vorliegende Sammelband profitiert von der empirischen und methodischen Vielfalt der Beiträge. Über diese Anregungen hinaus bereichern zahlreiche Abbil- dungen die Lektüre, wobei der Band übrigens ohne die sonst unvermeidlichen Bil- der von Jacques Callot und Francisco de Goya auskommt. Eingereiht hat sich diese Publikation in eine zunehmend länger werdende Liste zu dem Thema Bilder vom Krieg. Dabei ist die Verhältnisbestimmung zwischen unterschiedlichen Bildbegrif- fen ein wesentliches Kriterium, das in diesem Beiheft der Zeitschrift für Histori- sche Forschung anregend aufbereitet wurde.

Angela Strauß

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Das Archiv der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg und seine Bestände. Bearb. von Peter Bahl, Frankfurt a.M. [u.a.]: Lang 2009, XIII, 273 S. (= Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landes- hauptarchivs, 24; zgl. Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, NF 3), EUR 49,80 [ISBN 978-3-631-59324-0]

In einer Zeit der modernen Medien, computerunterstützter Datenbanksysteme und softwaregenerierter Suchmaschinen ist die Veröffentlichung eines Findbuches eher die Ausnahme als die Regel. Denn weshalb sollte heutzutage die kosteninten- sive Veröffentlichung als Printmedium vorangetrieben werden, wenn das Einstel- len von Datenbanken im weltweit zugänglichen und schnellen Internet doch kos- tengünstiger erscheint? Zunächst könnte man meinen, dass hier der Urinstinkt des Archivars zum Tragen kommt, die Dinge für die Nachwelt materialisiert zu erhal- ten und nachvollziehbar zu machen. Dies ist jedoch nur eine Seite der Medaille.

Denn über Halbwertzeit von digitalen Daten wurde und wird gestritten. System- voraussetzungen ändern sich scheinbar saisonal, und auch Versuche der interna- tionalen Vereinheitlichung wie der General International Standard Archival De- scription stoßen oft an die Grenzen des Machbaren. Dagegen scheint es, dass bewährte Systeme der Erschließung von Sammlungsbeständen ihren Sinn und Zweck behalten. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass nun auch die Landesgeschicht- liche Vereinigung für die Mark Brandenburg ein Findbuch für ihren Sammlungs- bestand, der seit der Gründung 1884 stetig anwächst, geschaffen hat, was vor allem auf den langjährigen Archivar Dr. Peter Bahl zurückzuführen ist. Erschienen ist die Publikation als Band 24 in der Schriftenreihe des Brandenburgischen Landes- hauptarchivs, das bereits mit Band 10 »Kurzübersicht über die Archivbestände der Kreise, Städte und Gemeinden im Land Brandenburg« (2001) sowie mit Band 15

»Das Domstift Brandenburg und seine Archivbestände« (2005) zu brandenburgi- schen Archiven anderer Einrichtungen Hilfsmittel für die Forschung bereitgestellt hat. Die als »Touristen Club für die Mark Brandenburg« gegründete Vereinigung verstand sich seither als Vereinigung »wandernder Historiker und Heimatfreunde«, die das Bild der quellen- und literaturbasierten Geschichtswissenschaft durch »er- wanderte« Erfahrungen vertiefen wollte. Gleichzeitig wurden auch die Schaffung einer Bibliothek und eines Archivs schon frühzeitig in Erwägung gezogen. Durch das Zusammentragen von Büchern, Manuskripten, Fotografien und anderen Nach- lässen ist so ein Quellencorpus entstanden, der für die brandenburgische Landes- geschichte, auch die Geschichte der Altmark, einen unvergleichlichen Schatz dar- stellt. Doch erst seit Ende der 1980er-Jahre entstand ein neues, die Bestände komplett neuordnendes und den modernen archivarischen Anforderungen ange- passtes System, das die Gänze der Bestände erfasste. Es gliedert sich in (A) Ver- einsakten, (B) Nachlässe, (C) Sammlungen sowie (D) Deposita aus anderen Kör- perschaften. Den Sammlungsschwerpunkt bilden seit 1940 Nachlässe (B) von Heimatforschern und Landeshistorikern, die bisher auf mehr als 77 schriftliche Nachlässe angewachsen sind. Weiterhin gilt das Sammlungsinteresse den Bildern und Fotografien (C, c), die sowohl quantitativ als auch qualitativ zu den »bedeu- tendsten regionalgeschichtlichen Fotosammlungen in Berlin und Brandenburg«

(S. 115) zählen. Darüber hinaus lassen die aufgeführten Verzeichnisse der vorar- chivarischen thematischen Bildersammlungen, mit dem Schwerpunkt der Grab- stättenbildersammlungen (a) erahnen, welch ein immenser Fundus noch genauer zu erschließen bleibt (S. 138 f.). Vervollständigt wird das Findbuch durch Litera-

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turverzeichnisse, einen Überblick über die Bestandssignaturen, umfangreiche Per- sonen-, geografische- sowie Sachindizes. Im zweiten Teil des Bandes wird in zahl- reichen Abbildungen ein Querschnitt des Sammlungsgutes präsentiert.

Insgesamt ist die Publikation eine gut gelungene Nachschlagehilfe für Histori- ker und Interessierte über ein umfangreiches Archiv, das durch seine langjährige Sammlungstätigkeit wohl zu den umfangreichsten Quellenbeständen für die bran- denburgische Landesgeschichte zählen dürfte.

Stephan Theilig

Peter Wende, Das Britische Empire. Geschichte eines Weltreichs, München:

Beck 2008, 367 S., EUR 24,90 [ISBN 978-3-406-57073-5]

Im Jahre 1553 verließen drei Segelschiffe unter dem Kommando von Sir Hugh Will- oughby England in nördliche Richtung. Ihr Ziel war die Erschließung einer neuen, nördlichen Seeroute zu den gewürzreichen Küsten Asiens. Nahezu gleichzeitig brachen drei mit Kanonen bestückte Handelsschiffe zur afrikanischen Westküste auf, um im portugiesischen Einflussbereich Gold, Elfenbein und Pfeffer einzutau- schen. Obwohl Willoughby von seiner waghalsigen Suche nach der sagenhaften Nordwestpassage nicht mehr zurückkehrte, waren beide Unternehmungen der be- scheidene Beginn einer Reihe weiterer nun nicht mehr abreißender Seereisen, und somit nach Einschätzung des Frankfurter Historikers Peter Wende, dem vorma- ligen Leiter des Deutschen Historischen Instituts in London, der tatsächliche Auf- takt zur Geschichte des Britischen Empires. Nimmt man wiederum Großbritanni- ens Suezdebakel von 1956 als Endpunkt seiner imperialen Ansprüche, so bestand das Britische Empire ziemlich genau 400 Jahre. Auf seinem unbestreitbaren Höhe- punkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollbrachte es das seltene Kunststück, ein Viertel der bewohnten Erde und rund ein Fünftel seiner Bewohner mit nur 1500 Kolonialbeamten zu kontrollieren. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte sogar die Hälfte aller Muslime unter der gekreuzten Flagge ihrer allerchristlichsten britischen Majestät.

Doch auch wenn das Ende dieser eindrucksvollen Mischung unterschiedlichster Völker auf allen Kontinenten jetzt schon ein halbes Jahrhundert zurückliegt und ihre abenteuerlichen Protagonisten allmählich in Vergessenheit geraten, hat das Britische Empire seine Prägekraft für die moderne, globalisierte Welt noch längst nicht verloren. Insbesondere im Nahen Osten lassen sich aktuelle Grenzen und Konfliktlinien nahtlos auf die britische Mandatszeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückführen.

In seiner anhaltenden Nachwirkung scheint das Britische Empire mit dem Rö- mischen Reich im Westen vergleichbar zu sein, dass ebenfalls noch lange nach sei- nem Ende in Kultur, Sprache und Religion die folgenden Jahrhunderte eigentlich bis in die Gegenwart prägte. Vergleichbar wäre vielleicht auch noch die ungewöhn- lich lange Phase des Niedergangs beider Imperien, der zugleich ein Prozess der Verwandlung war, in dem trotz aller äußeren Bedrohungen die Metamorphose zu einer nur noch kulturellen Einheit ohne große Zusammenbrüche vonstatten ging.

Entstand im ersten Fall das christliche Europa des frühen Mittelalters, so folgte dem Britischen Empire das Commonwealth of Nations, ein lockerer und zuneh- mend unverbindlicher Zusammenschluss der ehemaligen Dominions und Kolo- nien.

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Doch damit endet auch nach Ansicht Wendes die Vergleichbarkeit beider Im- perien. Großbritannien überlebte im Gegensatz zu Rom das Ende seines Welt- reiches und kann sich weiterhin mit einigem Recht als nukleare Großmacht und eines der Weltzentren des internationalen Finanzwesens betrachten. Tatsächlich war, so formuliert es Wende, Großbritannien kein Weltreich, sondern es besaß eines. Und auch hier wäre es genauer zu sagen, dass es in der fraglichen Zeitspanne sogar mehrere Weltreiche besaß. Wende unterscheidet mindestens zwei, wobei das erste Reich mit dem Verlust der nordamerikanischen Kolonien 1783 endete, für die dann der indische Subkontinent zum Ersatz wurde. Und als das sogenannte Juwel der britische Krone 1947 ebenfalls in die Unabhängigkeit entlassen werden musste, schien man in London nicht abgeneigt, ein drittes Weltreich in Afrika aufzubauen.

Doch mit der Suezkrise von 1956 griff der Kalte Krieg auf die sich gerade formie- rende »Dritte Welt« über und im Wettbewerb der Systeme verlor der kulturelle Pa- ternalismus der Europäer vor dem aufkeimenden Nationalismus der kolonisier- ten Völker seine allerletzte Glaubwürdigkeit. So war es die konservative Regierung unter Harold Macmillan, die Großbritanniens afrikanische Territorien in einer Re- kordzeit von nicht einmal einer Dekade nach dem unrühmlichen Rückzug von Suez schnell und ohne große Reibungsverluste in die Unabhängigkeit entließ – im Vergleich zum blutigen Abschied Frankreichs von seiner imperialen Größe eine beachtliche Leistung.

Es bleibt noch die spannende Frage, ob Großbritannien tatsächlich jemals von seinem Weltreich profitiert hat. Wende erörtert hier ausführlich das Für und Wi- der, will sich jedoch selbst nicht festlegen, da er sein Buch nicht zuletzt auch als Impuls für weitere Forschungen versteht, die eine breitere Basis für ein abschlie- ßenden Urteil erbringen müssten.

Am ehesten noch erscheint ihm die erste Phase des Empires als die für London ertragsreichste, doch allein die Kosten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges dürften diese bis dahin nachweislich günstige Bilanz verhagelt haben. Im Verlauf des 19. und vollends im 20. Jahrhundert wurde das Empire dann mehr und mehr zu einem finanziellen Zuschussbetrieb. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts war die Zahl der Kolonialbeamten trotz des Verlustes von Indien schon auf 20 000 gestie- gen, während zugleich im umkämpften Palästina 100 000 britische Soldaten sich redlich mühten, die grollenden Konfliktparteien des »Heiligen Landes« auseinan- der zu halten. Gleichwohl hat das britische Empire über Jahrzehnte hinweg einer Reihe engagierter, wohl ausgebildeter und tatendurstiger Briten aller Schichten be- achtliche Karriereaussichten in Übersee eröffnet. Für die Entwicklung der briti- schen Gesellschaft war das möglicherweise von Vorteil, denn revolutionäre Um- brüche wie auf dem Kontinent musste sie gerade deswegen nicht mitmachen.

Brachte nun aber das Britische Empire auch den Bewohnern der Kolonien Vor- teile? Wende ist hier vorsichtig und sperrt sich allerdings auch gegen eine kontra- faktische Geschichtsschreibung, die auf die Frage hinausliefe, wie sich Indien und Singapur, die heute mit Riesenschritten die Schwelle zur Moderne überwunden haben, ohne Kolonialherrschaft entwickelt hätten. Vergleichbar wäre hier allenfalls Japan, doch dies ist ein komplexer Sonderfall.

Ganz eindeutig zuungunsten des Empires aus der Perspektive der Beherrschten spricht jedoch das erbärmliche Schicksal der schätzungsweise 800 000 Sklaven, de- ren rücksichtslose Ausbeutung auf den karibischen Zuckerplantagen einen beacht- lichen Teil zum sagenhaften Reichtum am Londoner Finanzplatz beigetragen hat.

Nicht vergessen werden sollten auch die Irrungen und Täuschungen der britischen

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Palästinapolitik seit 1917, die unwiderruflich die fatalen Vorzeichen eines inzwi- schen schon sieben Dekaden anhaltenden Konfliktes zwischen Juden und Arabern gesetzt haben.

Insgesamt bietet Wende mit seiner Geschichte des britischen Weltreiches einen facettenreichen Überblick in einer höchst ausgewogenen Mischung aus Ereignis- und Strukturgeschichte, wenn auch unverkennbar aus anglophiler Sicht. Der hand- liche Band ist mit 15 übersichtlichen Karten und einem brauchbaren wissenschaft- lichen Apparat ausgestattet. Als Leser hätte man sich aber noch eine geeignete Auswahl von Abbildungen gewünscht.

Klaus-Jürgen Bremm

Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen, Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 128 S. (= FRIAS Rote Reihe, 1), EUR 14,90 [ISBN 978-3-525-32300-7]

Das 19. Jahrhundert gilt als Epoche der Nationalstaaten. In seinem Verlauf avan- cierten Nation und Nationalstaat zur zentralen Legitimitätsquelle und zum wich- tigsten Leitbild politischer Herrschaft – zunächst in Europa, später weltweit.

Aufgrund seines unaufhaltsamen Siegeszuges wurde der Nationalstaat von vielen Zeitgenossen und nachgeborenen Historikern zum Inbegriff von Fortschritt und Modernität verklärt. Im Gegensatz dazu galten die multiethnischen Groß- reiche (Empires) als historische Auslaufmodelle, deren sukzessiver Niedergang unausweichlich war. Ihr faktischer Untergang nach dem Ersten Weltkrieg erschien mithin folgerichtig und als Bestätigung für die Überlegenheit des Nationalstaates.

Vor dem Hintergrund fortschreitender Globalisierung, zunehmender transnatio- naler Verflechtung und supranationaler Integration in Europa wächst jedoch in- nerhalb der historischen Forschung die Kritik an dieser überkommenen, simplifi- zierenden und nicht selten teleologischen Lesart der Geschichte. In dem Maße, in dem der Nationalstaat nicht mehr als das Ziel und die Norm der geschichtlichen Entwicklung verstanden wird, rücken die historischen Alternativen zum Modell nationalstaatlicher Ordnung wieder verstärkt in das Bewusstsein und Interesse der Geschichtswissenschaft.

In diesem Sinne plädieren auch Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen in ihrer Studie zum Verhältnis von Empires und Nationalstaaten im »langen 19. Jahrhundert« für einen Perspektivenwechsel, der die Komplexität und Offen- heit der Geschichte betont. »Europäische Geschichte ist mehr als die Summe euro- päischer Nationalgeschichten«, heißt es programmatisch im ersten Satz (S. 9). Ih- rer Auffassung nach prägten die multiethnischen Großreiche »die Geschichte Europas und der außereuropäischen Welt langfristiger und tiefer als es die ver- gleichsweise späte Erfindung des Nationalstaates und seine Dominanz in den eu- ropäischen Historiografien bis heute suggeriert« (S. 9 f.). Der Band bildet den Auf- takt einer neuen Reihe der School of History des Freiburg Institute of Advanced Studies (FRIAS) der Universität Freiburg, in der Forschungsergebnisse zur verglei- chenden europäischen Geschichte seit dem 18. Jahrhundert in essayistischer Form veröffentlicht werden sollen. In seinem Mittelpunkt steht der Vergleich von vier Imperien – dem Britischen Empire, der Habsburgermonarchie, dem Zarenreich und dem Osmanischen Reich – in ihrer Auseinandersetzung mit den Herausfor- derungen durch das neue Modell des Nationalstaates. Konkret werden hierzu drei

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Aspekte exemplarisch untersucht: die Inszenierungen der Monarchie, die Etablie- rung eines imperialen Zensus und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.

Methodisch handelt es sich bei der knappen und konzisen Darstellung um einen kontrastierenden Vergleich von Handlungsmustern und Aktionsräumen, der zu- gleich die gegenseitige Wahrnehmung und den selektiven Transfer von Vorgehens- weisen und Strategien thematisiert. Anders als es der Titel des Buches nahelegt, kommt der Nationalstaat hierbei jedoch nicht als eigener Untersuchungsgegen- stand vor, sondern bildet die implizite Kontrastfolie für die Untersuchung der vier Imperien.

Der erste Hauptteil untersucht die monarchischen Rituale und imperialen In- szenierungen der Empires. Ungeachtet der unterschiedlichen Herrschaftsformen und Traditionen vollzog sich in allen Imperien seit der zweiten Hälfe des 19. Jahr- hunderts ein Funktionswandel der Monarchie. Zunehmend trat im monarchischen Selbstverständnis und in den Repräsentationsformen überall der überkommene Aspekt der Dynastie zugunsten des imperialen Elements zurück. Paradigmatischen Ausdruck fand diese Entwicklung in der Krönung von Queen Victoria als Empress of India, in der sich eine Monarchisierung des britischen Empire bei gleichzeitiger Imperialisierung der britischen Monarchie manifestierte. Der zweite Abschnitt be- handelt die Einführung eines auf den Methoden der modernen Statistik basie- renden Zensus als imperiales Herrschaftsinstrument, mit dem die Beamten der multiethnischen Großreiche versuchten, ihre unterschiedlichen Bevölkerungsgrup- pen zu vermessen, zu klassifizieren und zu hierarchisieren. Volkszählungen avan- cierten in allen Empires zu einem Politikum, vor allem wegen der mehrdeutigen Kategorie der »Nationalität«. Sie entfalteten dabei häufig jedoch eine von ihren Ur- hebern nicht intendierte Dynamik. Der 1880 in der Habsburgermonarchie einge- führte Zensus etwa nahm in den nicht-deutschen Regionen den Charakter natio- naler Wahlkämpfe an und wurde von den Tschechen erfolgreich für eine Gesetzesänderung instrumentalisiert. In Indien führte der All-India-Census mit seiner Kodifizierung der Kategorie »Kaste« zu einer Aneignung und Neudeutung von »Kaste« als nationales Solidaritätsprinzip, das sich schließlich gegen seine im- perialen Autoren richtete. Diese Beispiele zeigen, dass imperiale Herrschaftsstra- tegien von den Betroffenen umfunktioniert werden konnten und so den Hand- lungsspielraum der Empires zunehmend einengten. Der dritte Teil schließlich analysiert die Rolle der Wehrpflicht in den Imperien und ihre Folgen für das nati- onalstaatliche Postulat einer »Nation in Waffen«. Im Zeitalter imperialistischer Ex- pansion galten moderne Wehrpflichtarmeen als Ausweis der Überlebensfähigkeit von Staaten und Gesellschaften. Vor diesem Hintergrund wurde die prinzipielle Notwendigkeit der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht in allen Empires (mit Ausnahme Großbritanniens, wo sie erst 1916 unter dem Druck des Ersten Weltkrieges eingeführt wurde) anerkannt. Ihre praktische Umsetzung stieß jedoch aufgrund der multiethnischen Strukturen an zahlreiche Grenzen, die ebenfalls die imperialen Handlungsmöglichkeiten einschränkten.

Als übergreifendes Ergebnis des Vergleichs konstatieren die Autoren eine Ten- denz zur Nationalisierung der Imperien, die durch die Übernahme nationalisti- scher Deutungsmuster in den Erfahrungsraum der multiethnischen Gesellschaften gekennzeichnet war. »Tendenziell begannen die Grenzen zwischen nationalisie- renden Empires und imperialisierenden Nationalstaaten dabei zu verschwimmen.«

Denn auch Nationalstaaten waren nur in den seltensten Fällen ethnisch homogen und entwickelten in zunehmendem Maße Elemente imperialer Herrschaft. »Den-

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noch bildeten das Ausmaß von Multiethnizität und Multireligiosität sowie die Er- fahrung im Umgang mit rechtlicher und ethnischer Vielfalt entscheidende Krite- rien zur Unterscheidung der Empires von Nationalstaaten, auf die sich die Zeitgenossen selbst immer wieder bezogen« (S. 107). Dieses Fazit verweist jedoch zugleich auf den konstitutiven Zusammenhang von Nationalismus und Imperia- lismus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, der in der Studie zwar gestreift, aber nicht grundsätzlich diskutiert wird. Eine ausführlichere Erörterung dieses Aspekts wäre wegen seiner herausragenden Bedeutung auch und gerade für die Zukunft der Empires sinnvoll gewesen. Das Fehlen einer solchen Diskussion stellt mithin das einzige Manko dieser ansonsten überaus instruktiven Studie dar, die vor allem durch ihre konsequent vergleichende Perspektive besticht. Nach diesem gelun- genen Start darf man gespannt auf die weiteren Bände der Reihe sein.

Peter Walkenhorst

Jens Boysen, Preußische Armee und polnische Minderheit. Royalistische Streit- kräfte im Kontext der Nationalitätenfrage des 19. Jahrhunderts (1815–1914), Marburg: Herder-Institut 2008, X, 328 S. (= Materialien und Studien zur Ost- mitteleuropa-Forschung, 18), EUR 44,00 [ISBN 978-3-87969-340-5]

Die Studie, eine von Dietrich Beyrau betreute Tübinger Dissertation, geht dem Ver- hältnis der polnischen Bevölkerung zum preußischen Staat und speziell zur Ar- mee während des langen 19. Jahrhunderts nach, wobei sich die Druckfassung auf den Zeitraum zwischen dem polnischen Aufstand von 1863/64 und dem Ersten Weltkrieg beschränkt. In einem knappen Rückblick kommt der Verfasser zu dem Schluss, dass für die militärische Führung bis zur Ära der Einigungskriege kein Grund für eine gezielte Minderheitenpolitik bestand, was auch darin zum Aus- druck kam, dass kaum diesbezügliche Dienstvorschriften oder Weisungen erlas- sen wurden. Dies änderte sich erst nach der Reichsgründung im Zusammenhang mit der neuen Polenpolitik, in Sonderheit mit den 1872/73 eingeleiteten Maßnah- men auf dem Gebiet der Sprach- und Schulpolitik. Für die Armee resultierte da- raus das Bestreben, den Großteil der Polen im Rahmen einer gezielten Verstreuungs- politik in Garnisonen außerhalb ihrer Heimatregion zu verwenden und die Garnisonen in den polnischsprachigen Regionen des Grenzgebiets zu »germanisie- ren«. Im Hinblick auf die ethnische Zusammensetzung der preußischen Armee kommt Boysen aufgrund seiner Berechnungen für die letzten Vorkriegsjahre zu dem Schluss, dass die Zahlenverhältnisse von Deutschen und Polen in den relevan- ten deutsch-polnischen Gebieten annäherungsweise für Westpreußen 65:35, für Posen und für den Regierungsbezirk Oppeln 40:60 betrugen.

Was das Offizierkorps anging, so schaffte nach 1871 nur eine sehr kleine An- zahl von Polen den Einstieg in die aktive Offizierlaufbahn. Dabei konnten sie in wenigen Fällen bis zum Obersten aufsteigen, meistens erreichten sie jedoch nur den Rang eines Hauptmanns. Dagegen waren – aufgrund des damit verbundenen Sozialprestiges – der Reserveoffizierstatus sowie der des Einjährig-Freiwilligen durchaus begehrt und wurden daher häufig von Angehörigen des polnischen Bür- gertums angestrebt. Festzustehen scheint, dass die preußischen Offiziere weniger eine Germanisierung oder Borussifizierung der Polen anstrebten als vielmehr die totale Kontrolle über ihre jeweiligen Untergebenen. Der oft aggressive Umgang der deutschen Ausbilder gegenüber den polnischen Rekruten war primär Aus-

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druck einer allgemeinen Machtdemonstration und basierte nicht zuletzt auf dem Vorurteil vom »dummen Polacken«. Dazu gehörte auch, dass es zu fallweisen, aber auch systematischen Misshandlungen von Rekruten kam. Diese Vorkommnisse wurden von der polnischen Presse ausführlich kommentiert, boten sie doch die Möglichkeit einer direkten Kritik an der Armeeführung.

Zur Beeinflussung der polnischsprachigen Soldaten diente auch der Ausbau der katholischen Militärseelsorge. Allerdings war der Einfluss der Pfarrer dadurch begrenzt, dass nur wenige von ihnen polnisch sprachen. Darüber hinaus führte der chronische Priestermangel oft dazu, dass die Soldaten polnischer Herkunft mo- natelang ohne Seelsorge in ihrer Muttersprache auskommen mussten. Während sich die Militärpfarrer gegenüber der Armeeführung durchgängig loyal verhielten, fungierten die zivilen Ortsgeistlichen als Träger der polnischen Nationalbewegung und standen von daher in deutlicher Opposition zu den »preußisch-protestanti- schen« Streitkräften.

Im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Militär und polnischer Bevölkerung spielten die sogenannten Militäranwärter eine wichtige Rolle. Diese Gruppe, zu- meist ausgediente Unteroffiziere, die nach zwölf Dienstjahren eine bevorzugte An- stellung in der Zivilverwaltung erhielten, stellte ein wichtiges Bindeglied zwischen der soldatischen und zivilen Welt dar. Dabei achtete die Militärverwaltung darauf, dass Soldaten, die aktiv für die Wiedererrichtung des polnischen Staates eintraten, von derartigen Laufbahnen ausgeschlossen wurden.

Auch die Kriegervereine, die in den letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts ei- nen raschen Aufschwung erlebten, dienten der publikumswirksamen Meinungs- bildung. Durch sie wurde einerseits die Erinnerung an den gemeinsamen Waffen- dienst wachgehalten, andererseits dienten sie der politischen Beeinflussung ihrer Mitglieder. Aufgrund ihrer königstreuen Ausrichtung boten sie insbesondere dem konservativen Teil der Bevölkerung überzeugende Identifikationsmuster. Je mehr die überkommene preußisch-royalistische Haltung jedoch durch deutschnationale Parolen verdrängt wurde, desto stärker wurden auch die Ressentiments der pol- nischsprachigen Soldaten gegenüber dem militärischen Vereinswesen, zumal die polnischen Zeitungen um die Jahrhundertwende verstärkt gegen die Mitglied- schaft von Polen in den Kriegervereinen polemisierten.

Im Schlussteil seiner Darstellung befasst sich der Autor mit unterschiedlichen Aspekten der militärischen Präsenz im östlichen Grenzgebiet bis 1914, das in den strategischen Überlegungen zunehmend mehr als »Glacis«, d.h. als ausgebautes Vorfeld, gegen Russland betrachtet wurde. Dementsprechend liegt ein Schwer- punkt der Untersuchung auf dem Wandel in den preußisch-russischen Bezie- hungen und dem in diesem Zusammenhang erfolgten Aufbau der Defensivlinie gegenüber Russland, so wie er sich besonders im Festungsbau und im Ausbau des Eisenbahnwesens manifestierte.

Boysen schließt seine Studie mit der Feststellung: »Insgesamt stellte die preu- ßisch-deutsche Armee am Vorabend des Ersten Weltkriegs einerseits wohl tatsäch- lich die perfekteste Kriegsmaschine ihrer Zeit dar. Andererseits hatte sie wichtige politische und mentale Faktoren, wie eben die nationale Frage, weitgehend ausge- blendet. Dadurch erscheint sie einerseits im Rückblick, ungeachtet eines stets rup- pigen Umgangstons, als vergleichsweise gemäßigte, kontrollierte Institution. An- dererseits aber war sie, entgegen der bekannten Clausewitzschen Warnung, auf etwaige ›Friktionen‹ mit solchen ›zivilen‹ Faktoren innerlich nicht eingestellt. Vor allem deshalb hatte sie Ende 1918, obwohl sie im Osten noch weitgehend intakt

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stand, dem nationalrevolutionären Aufbegehren der Polen psychologisch wenig entgegenzusetzen.« (S. 291 f.) Diese Formulierungen unterstreichen die sorgfältig abwägende Argumentation des Autors, dem es trotz der immensen Archivverluste während des Zweiten Weltkriegs durch die Heranziehung zahlreicher gedruckter Materialien gelungen ist, ein schwer zu bewältigendes Thema umfassend zu bear- beiten.

Heinz Stübig

Ingrid Mayershofer, Bevölkerung und Militär in Bamberg 1860–1923. Eine bayerische Stadt und der preußisch-deutsche Militarismus, Paderborn [u.a.]:

Schöningh 2010, 536 S., EUR 68,00 [ISBN 978-3-506-76753-0]

Der preußisch-deutsche Militarismus ist ein Thema, das seit Jahrzehnten die For- schung intensiv beschäftigt. Gerade in den letzten Jahren sind mehrere Studien er- schienen, die den Blick auf dieses Phänomen erweitert und vergangene Interpre- tationen zum Teil korrigiert haben. Auch Ingrid Mayershofer nimmt sich vor, Fragen zum Militarismus aus einem neuen Blickwinkel heraus zu stellen. Ihre im Tübinger Sonderforschungsbereich Kriegserfahrung entstandene Dissertation rückt dabei auch kulturgeschichtliche Fragestellungen in den Blick. Untersucht wird der Diskurs über Militär und Militarismus, wie er vom Vorfeld des Deutschen Krieges bis in die Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges hinein geführt wurde. Für ihre Langzeitstudie wählt die Autorin das bayerische, katholisch geprägte Bamberg als Untersuchungsfeld, um das bisher vor allem auf Preußen konzentrierte Interesse an der Wehrdebatte um eine süddeutsche Perspektive zu erweitern. Auf dieser lo- kalen Ebene rekonstruiert Mayershofer diejenigen Debatten, die sich um den Be- griff der ›Wehrhaftigkeit‹ gruppierten.

Die Arbeit ist diachron angelegt und beginnt – nach einer kurzen Einführung in die Besonderheiten des Untersuchungsraumes – mit der ›Wehrhaftigkeits‹-De- batte der frühen 1860er Jahre, die in Bayern ebenso wie im übrigen Deutschland von der Auseinandersetzung zwischen den konservativen Befürwortern des ste- henden Heeres und den liberalen Milizverfechtern geprägt war. Das preußische Modell einer Wehrpflichtarmee aber wurde zu dieser Zeit noch von beiden Seiten gleichermaßen abgelehnt. Erst die Erfahrung der Niederlage von 1866 bewirkte, dass Bayern gegen heftige Widerstände eine an Preußen orientierte Wehrverfas- sung einführte. Spätestens mit dem Sieg von 1870/71 wurde das stehende Wehr- pflichtheer zur allgemein akzeptierten »Monopol-Institution in Sachen ›Wehrhaf- tigkeit‹« (S. 501). Mit der Reichseinigung verschmolzen ›Wehrhaftigkeit‹ und Nation in den Augen der bayerischen Öffentlichkeit immer mehr miteinander. Die Armee wurde so zum wirksamsten Band der Einheit. Vor allem die Liberalen wandten sich sehr schnell von ihrem emanzipatorisch aufgeladenen Milizgedan- ken ab und ließen sich auf einen »synthetischen Militarismus« (Frank Becker) ein.

Für die zunächst als ›ultramontane Reichsfeinde‹ verfemten Katholiken hingegen blieb – zum Teil noch bis in die 1890er Jahre hinein – der ›preußische Militarismus‹

ein gern genutzter Kampfbegriff, der aber häufig lediglich als Chiffre für ihre grundsätzliche Systemkritik diente. Mit der zunehmenden Akzeptanz des Reiches schwanden schließlich auch im katholischen Milieu, das die Debatte in Bamberg publizistisch dominierte, alle Vorbehalte gegen das bestehende Wehrsystem. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges etablierte sich im ganzen Reich – getragen von

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radikalnationalistischen Kräften – ein neues, sozialdarwinistisch geprägtes Kon- zept von ›Wehrhaftigkeit‹, das mit vormilitärischer Jugenderziehung und der For- derung nach vollständiger Durchführung der Wehrpflicht eine ›Volksgemein- schaft‹ als ›Wehrgemeinschaft‹ propagierte. Im katholischen Bamberg allerdings hatte diese Bewegung in Gestalt des Wehrkraftvereins nur mäßigen Erfolg. Trotz- dem konnte während des Ersten Weltkrieges die Propaganda auch in Bayern den zuvor dort vielgeschmähten ›preußischen Militarismus‹ zu einer besonderen Qua- lität des ›deutschen Geistes‹ erheben. Mit dem Zusammenbruch 1918 kehrte sich die Situation zunächst vollständig um: Nun erschien der ›preußische Militarismus‹

als der Hauptverantwortliche für Krieg und Niederlage. Die alte Milizidee trat in Gestalt der zahlreichen Einwohnerwehren und Freiwilligenverbände wieder auf den Plan. Zugleich wurde durch die Erfahrung der Räterepublik gerade die bewaff- nete Macht wieder zum Synonym für die herbeigesehnte Ordnung. Mit den Jah- ren 1922/23 lässt Mayershofer ihre Untersuchung enden, die also die Entwicklung des Militär-Diskurses über mehr als sechs Jahrzehnte erfasst.

Die Verfasserin hat damit für ihre Studie ein sowohl breites Thema als auch eine lange Zeitperspektive gewählt. Als Untersuchungsraum dient ihr hingegen mit Bamberg eine kleine, in der Provinz abseits der Zentren gelegene bayerische Bischofs- und Garnisonstadt. Die regionale Eingrenzung ermöglicht eine eng an den Quellen orientierte Tiefenbohrung, mit der das Verhältnis von Zivilbevölke- rung und bewaffneter Macht in seinen zahlreichen Facetten untersucht werden kann, ohne dass sich die Verfasserin dabei aber auf eine Garnisongeschichte im en- geren Sinne beschränkt. Im städtischen Mikrokosmos des fränkischen Bamberg spiegeln sich zwar bis zu einem gewissen Grad im Kleinen die bayerischen und deutschen Entwicklungen wieder, letztlich aber weist Bamberg auch seine eigenen Besonderheiten auf. Die Verfasserin ist sich in ihrer sehr differenzierten Untersu- chung dieses Spannungsverhältnisses immer bewusst und hütet sich dementspre- chend vor plakativer Vereinfachung und Verallgemeinerung. Dabei kann die Un- tersuchung der Bamberger Diskurse interessante Erkenntnisse über eine spezifisch süddeutsche Positionierung zur ›Wehrhaftigkeit‹ und zur Einheit des Reiches lie- fern. Hier wäre allerdings eine deutlichere Einordnung Bambergs in die bayeri- schen Verhältnisse durch einen Vergleich mit anderen bayerischen Garnisonstäd- ten wünschenswert und unter Heranziehung entsprechender Forschungsliteratur auch machbar gewesen.

Einen breiten Raum nimmt die in den 1860er Jahren geführte Debatte über Mi- liz und stehendes Heer ein. In diesem Abschnitt, der zu den schwächeren der Stu- die zählt, verbleibt die Autorin letztlich zu sehr im Deskriptiven. Ein Vergleich mit der preußischen Auseinandersetzung über dieses Thema, die unter anderem von Dierk Walter untersucht worden ist, hätte hier zu weiterreichenden Ergebnissen führen können. In den folgenden Jahrzehnten glich sich die bayerische Debatte um die ›Wehrhaftigkeit‹ derjenigen im übrigen Reich zunehmend an: Weltpolitik und radikalnationalistische Agitation nach der Jahrhundertwende sowie die Propaganda während des Ersten Weltkrieges waren auch in Bayern und Bamberg präsent, wenngleich infolge der süddeutsch-katholischen Prägung dort etwas weniger wirk- sam. Daher ist vieles von dem, was Mayershofer für Bamberg rekonstruiert, be- reits bekannt und hätte weit weniger ausführlich behandelt werden können.

Dessen ungeachtet gelingt es der Verfasserin, den häufigen Wandel der Debat- ten um ›Wehrhaftigkeit‹ klar nachzuzeichnen und die verschiedenen Standpunkte überzeugend herauszuarbeiten. Dabei macht sie drei Indikatoren für die Positio-

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nierung im Wehr- und Militarismusdiskurs aus: erstens den politisch-weltanschau- lichen Standort, zweitens Bedrohungswahrnehmungen, Sicherheitsbedürfnis sowie Feindbilder und drittens schließlich unterschiedliche soziopolitische Zukunftsent- würfe. Darauf aufbauend werden die unterschiedlichen Phasen der Debatte un- tersucht. Stets bindet die Verfasserin dabei die Debatteninhalte an die Akteure und deren Verhalten zurück: Presse, Parteien und Vereine nimmt sie ebenso in den Blick wie die städtische und staatliche Obrigkeit und das Militär in Gestalt von Militär- führung und ortsansässigen Regimentern. In dieser Vielschichtigkeit ist die ent- scheidende Stärke der Arbeit zu sehen. Einen hohen Stellenwert nehmen neue kulturgeschichtliche Untersuchungsfelder ein: Ganz im Sinne einer neuen Militär- geschichte beschäftigt sich die Verfasserin hier mit Geschlechterrollen, Heldenbil- dern, Feindbildern, Regimentskulturen und der Festkultur. Gerade in diesen Berei- chen vermag sie ebenso das Ineinandergreifen von städtischer Bevölkerung und Militär wie auch den fortschreitenden Wandel besonders gut darzustellen.

Von den vielen interessanten Aspekten, die dem Leser in diesem Zusammen- hang nahe gebracht werden, soll hier der erst in jüngster Zeit von der Forschung entdeckte Bereich der Regimentskultur stellvertretend herausgehoben werden.

Wie fruchtbar dieses Untersuchungsfeld sein kann, beweist Mayershofer mit ihrer Gegenüberstellung des 5. bayerischen Infanterie-Regiments und des 1. bayerischen Ulanen-Regiments. Diese beiden in Bamberg stationierten Einheiten verfügten hin- sichtlich ihrer Sozialstruktur, Tradition und ihres Selbstverständnisses über ein gänzlich unterschiedliches Gepräge. Dieser Sachverhalt schlug sich auch im Ver- hältnis der Bevölkerung Bambergs zu diesen Regimentern nieder: Diese baute eine weit engere Beziehung zu dem in der Region verankerten traditionsreichen 5. Infan- terie-Regiment auf als zu dem sozial elitär geprägten und neugegründeten Kaval- lerieregiment. Im gesellschaftlichen Leben der Stadt spielten die Regimenter eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem aber ermöglichte ihre Präsenz im öffentli- chen Leben die Begegnung von Zivil und Militär, sei es auf institutioneller oder auf individueller Ebene. Gerade aber für Bamberg bzw. Bayern stellten die Regimen- ter die entscheidende Schnittstelle von der Region zur Nation dar. Das Militär in Gestalt seiner Regimenter, aber auch der Kriegervereine hatte so eine Mittlerfunk- tion. Es sorgte dafür, dass nach der Reichseinigung »mit Hilfe des Bandes der

›Wehrhaftigkeit‹ regionale und nationale Ebene miteinander verknüpft wurden«

(S. 502).

Insgesamt wartet die vorliegende Studie mit zahlreichen interessanten Ergeb- nissen auf. Diese sind zwar in vielen Fällen für sich genommen nicht wirklich neu oder überraschend, sie erklären aber in der Gesamtschau den Mentalitätswandel gegenüber den Fragen des Militärischen in Bamberg, in Bayern und letztlich auch in Deutschland. Sicherlich wäre gelegentlich ein stärkeres Heranziehen einer Ver- gleichsebene wünschenswert gewesen, um so die Bamberger Verhältnisse besser in die bayerischen und deutschen Verhältnisse einzubetten, und auch manche Ka- pitel des Buches hätten ohne Verlust ihres inneren Gehaltes gekürzt werden kön- nen. Trotz dieser Nachteile aber liegt mit dem vorliegenden Band eine gute und überzeugende Studie vor, die sich vor allem durch hohe Komplexität und sorgfäl- tige Differenziertheit auszeichnet.

Oliver Stein

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