Berufspolitik
56 Ärzteblatt Sachsen 2 / 2006
Fünftausend wurden erwartet, zwanzig- tausend Ärzte waren es am Ende. Mit so einer überwältigenden Beteiligung hatten selbst die Organisatoren des „Tags der Ärzte“ nicht gerechnet. Trotz der eisigen Temperaturen waren die Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands nach Berlin angereist, um ihren Unmut über die Ge- sundheitsreform zu demonstrieren. Und das ist den Ärzten auch gelungen. Bereits am Treffpunkt war die Stimmung gut, im Minutenabstand wurden die Teilnehmer- zahlen nach oben korrigiert. Unterstützt wurden die Skandierungen der protestie- renden Ärzte durch die Redner der Ver- bände und Körperschaften auf der Bühne.
Prof. Dr. med. habil. Jörg-Diettrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, gab den Kurs vor: „diagnostiziert haben wir lange genug, ab heute wird therapiert“.
Ärzte müssten sich wieder um Patienten und nicht um die Regressmedizin küm- mern können. Und es könne nicht so wei- tergehen, dass die Politik und die Kran- kenkassen unbegrenzt Leistungen versprä- chen, zugleich aber die Budgetierungs- schraube weiter anzögen. Unterstützt wurde sein Statement durch Pfeifen, Ras- seln und Trillerpfeifen.
Frau Dr. med. Astrid Bühren, Vorsitzende des deutschen Ärztinnenbundes, machte die Lage für Ärztinnen mit Kindern in diesem Gesundheitssystem besonders deutlich. Schlechte Auf- und Einstiegs- chancen kennzeichnen die Situation für
Frauen in diesem Be- rufszweig. Aufstiegs- möglichkeiten gibt es so gut wie keine, weil die Arbeitszeiten, die Bürokratie und die feh- lende Kinderbetreuung eine Karriere mit Fami- lie nicht zuließen.
Unterstützt wurde die Protesteilnehmer unter anderem durch die Krankenhausärzte und den Berufsverband der Arzthelferinnen. Dr.
med. Ulrich Montgomery, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes, überbrachte eine Solidaritätsadresse und formulierte den Ruf „Alle Spritzen stehen still, wenn unser starker Arm es will“. Frau Sabine Rothe aus dem sächsischen Zittau, Präsi- dentin der Arzt-, Zahnarzt- und Tierarzt- helferinnen, machte die Folgen für ihre Berufsgruppe deutlich, wenn der Kurs der Bundesregierung beibehalten wird: Entlas- sungen von Angestellten in Arztpraxen.
Auf dem anschließenden Protestmarsch zum Bundesgesundheitsministerium, vor- bei am Potsdamer Platz, gab es zahlreiche Begegnungen mit den Passanten, die größtenteils Verständnis für den „Tag der Ärzte“ äußerten. Ein Patientenvertreter war auf den Bühnen allerdings nicht zu finden. Dabei sind doch die Patienten die engsten Verbündeten der Ärzte und sollten für solche Veranstaltungen mobi- lisiert werden.
Die Bundesgesundheitsministerin, Frau Ulla Schmidt, Adressat des Protestes, hatte zeitgleich zur Pressekonferenz gela- den, um ihre Sicht auf die Dinge darzu- stellen und die Presse von den Ärzten abzuziehen. Trotz ihrer Versuche, die Pro- teste auf die Formel „Die Ärzte wollen mehr Geld, Geld ist da, aber von der Selbstverwaltung schlecht verteilt“ haben die Medien in der ausführlichen Bericht- erstattung die tatsächlichen Anliegen der Ärzteschaft transportiert: Entbürokratisie-
rung, Verbesserung der Arbeitsbedingun- gen, Abschaffung der Budgetierung und keine Rationierung. Bisherige direkte Erfolge des bisher größten Protesttages der Ärzte gerade zum fünfjährigen Amts- jubiläum von Ulla Schmidt war ein Gespräch zwischen ihr und den Spitzen der Selbstverwaltung. Nach diesem Ge- spräch hat die Bundesgesundheitsminis- terin zugesichert, das Honorarsystem der Ärzte zu reformieren und die Punktwerte gegen Pauschalen in Euro zu tauschen.
Das ist aber nicht wirklich neu.
Aus gut unterrichteten Kreisen verlautete inzwischen große Skepsis in Bezug auf die Umsetzung der angekündigten Maß- nahmen. Frau Ulla Schmidt gewinnt zwar jeder Situation ein Lächeln ab, aber trauen kann man ihren Worten nicht. Die Kölner Frohnatur scheint dagegen von den tat- sächlichen Zuständigkeiten und der Situ- ation der deutschen Ärzteschaft nur wenig Sachkenntnis zu haben. Wie anders lässt es sich erklären, dass sie die Selbstver- waltung immer wieder dann erwähnt, wenn sie eigentlich die Politik „meint“?
Die Erwartungshaltung der Ärzte ist gerade nach diesem Protesttag groß. Kurz- fristige Kurskorrekturen der Bundespoli- tik sind aber nicht zu erwarten. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn jetzt in den einzelnen Bundesländern die Proteste weitergehen und dann auch Patienten mobilisiert werden. Denn um die Patien- ten geht es doch eigentlich, oder genau genommen, um Leistungen, die sie aus Kostengründen (nicht mehr) erhalten. Die Politik traut sich nicht Klartext zu reden, um keine Wähler zu verlieren. Dabei dürfte inzwischen jedem klar sein, mehr Geld im System wird es nicht geben. Was bleibt ist die Aufteilung der Leistungen aus der Gesetzlichen Krankenversiche- rung in Basis- und Zusatzleistungen. Das hat bereits das Bündnis Gesundheit 2000 im Freistaat Sachsen Anfang 2005 in einem Positionspapier formuliert.
Prof. Dr. med. habil. Winfried Klug Knut Köhler M.A.
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tag der Ärzte in Berlin
20.000 Ärzte waren am 18. 1. 2006 in Berlin
18. Januar 2006