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Wider die Gleichmacherei

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Bayerisches Ärzteblatt 1-2/2009 3 Am 1. Januar 2009 ging das

Kernstück der jüngsten Gesund- heitsreform an den Start: der Ge- sundheitsfonds. Ab jetzt gehören kassenindividuelle Beiträge der Vergangenheit an und der Zu- satzbeitrag wird zum preislichen Wettbewerbsparameter. Mit dem Gesundheitsfonds wollte die Po- litik die Finanzierung der gesetz- lichen Krankenversicherung auf eine solide Grundlage stellen und den Kassenwettbewerb gerechter gestalten. Doch stimmen die Rahmenbedingungen? Welche Konsequenzen haben Zusatzbei- trag und die mit ihm verknüpfte Ein-Prozent-Überforderungsklausel auf den Kassenwettbewerb?

Hier würde ein Blick auf die Einnahmen- und Ausgabensituation der Krankenkassen, auf die Beitragsverteilung oder auf die Risi- kostrukturen durchaus lohnen.

Doch es geht mir um mehr. Es geht mir mit der Einführung dieses staatlichen Einheitsinstrumentariums Fonds, um die Gleichma- cherei. Soziale Ungleichheit, so sagen die Sozialdarwinisten, sei nichts anderes als die Widerspiegelung der biologischen Un- gleichheit von Menschen. Deshalb lehnen sie jede Sozial- und Umverteilungspolitik ab. Der natürliche Ausleseprozess schaffe allein gesellschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritt. Und der Markt werde nach dieser Lehre zur Fortsetzung der Natur. Was er macht, sei hinzunehmen wie das Schicksal.

Der Markt versagt aber bei der Versorgung derjenigen, die we- nig oder nichts anzubieten haben – auch in Sachen Gesundheit, Gebrechlichkeit oder Pflegebedürftigkeit. Und deshalb haben wir uns für eine soziale Marktwirtschaft und ein solidarisches Ge- sundheitswesen entschieden. Das Grundgesetz hat diese Orien- tierung ausgebaut. Es hat die Bundesrepublik als Sozialstaat ge- gründet – als eine Art Schutz für jeden einzelnen, als Schutz und Hilfe in Notfällen, als Schutz bei Krankheit und Gebrechlichkeit.

Das bedeutet, jedem Zugang zu einer guten Gesundheitsversor- gung zu ermöglichen. Dazu gehört, dass jeder eine Versorgung erhält, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ ist (§ 12 Sozialgesetzbuch V – SGB V).

Sozialstaat

Im Sozialstaat gibt es aber keine Gleichmacherei, keine gleich dicken Bankkonten oder gleich große Autos. Nein, es handelt sich um so viel Hilfe für jeden einzelnen, dass dieser nicht „erdrückt“

Wider die Gleichmacherei

wird von seinen Lebens-Risiken. Im Sozialstaat werden gesell- schaftliche Risiken, für die der einzelne nicht verantwortlich ist, ausgeglichen. Er verteilt auch Belastungen und belässt es dabei nicht bei formalrechtlicher Gleichbehandlung, entwickelt er doch gleichzeitig eine emanzipatorische Gerechtigkeitspolitik, also ei- ne Politik, die Chancenungleichheiten austariert. Das hat nichts mit Gleichmacherei zu tun. Der Sozialstaat erschöpft sich auch nicht in der Fürsorge für Benachteiligte, sondern zielt auf den Ab- bau der strukturellen Ursachen für diese Benachteiligungen.

Vertrauen

Ich stimme mit vielen namhaften Experten, wie beispielsweise Professor Dr. Eberhard Wille, Vorsitzender des Sachverständigen- rates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, überein, der jüngst sagte, dass der Fonds mit seiner Gleichma- cherei nicht die Finanzierungsprobleme löse. Insgesamt gese- hen, vergibt der Fonds seine potenziellen Chancen auf mögliche positive Effekte. Vielmehr klammert der Fonds die fiskalischen und distributiven Schwachstellen der geltenden Beitragsgestal- tung völlig aus. Er beseitigt in seiner aktuellen Ausgestaltung nahezu kein einziges Finanzierungsproblem in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die nächste Reform zur Stabili- sierung der GKV-Finanzen ist damit vorprogrammiert, was das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit in unser Gesundheitswesen nachhaltig erschüttert, wie der aktuelle MLP-Gesundheitsreport 2008 zeigt. Die Menschen spüren sehr wohl, dass die finanziellen und personellen Mittel nicht mehr ausreichen, um unser gutes und hohes Niveau der medizinischen Versorgung aufrechtzuer- halten. Der staatsmedizinische Ansatz ist vollständig ins Leere gelaufen. Wenn wir den medizinischen Fortschritt auch in einer Gesellschaft des langen Lebens erhalten wollen, dann brauchen wir endlich eine nachhaltige Gesundheitspolitik, die im Gesund- heitswesen und insbesondere unsere Arbeit als Ärztinnen und Ärzte, nicht nur einen Kostenfaktor sieht.

Der Münchner Bischof Reinhard Marx sagte kürzlich in einem Zeitungsinterview, dass er an die Vernunft der Menschen glau- be, an die „Fähigkeit des Menschen, Gut und Böse, Richtig und Falsch zu unterscheiden. Dieses Verständnis von Aufklärung be- sagt, dass Menschen aus Krisen lernen können. Das heißt, wir können jetzt eine Marktwirtschaft aufbauen, die ein Ziel verfolgt:

Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen.“

In diesem Sinne baue ich auch 2009 auf Ihre aktive Mitarbeit in der ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaft BLÄK und wün- sche Ihnen einen guten Start ins neue Jahr.

Dr. H. Hellmut Koch, Präsident der BLÄK

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