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Mit den Augen hören

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Academic year: 2022

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KOLUMNE HOLGER SCHULZE

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ennen Sie das auch? Auf einer Cock- tailparty können Sie wegen des Lärms der Umstehenden nicht genau hören, was ihr Gegenüber gerade sagt, aber wenn Sie sich auf seine Lippenbewegungen kon- zentrieren, können Sie die Worte auf einmal doch ganz gut verstehen. Oder Sie verfolgen eine Nach- richtensendung und der Kommentar eines fremd- sprachigen Redners wird simultan von einem unsichtbaren Dolmetscher übersetzt. Wenn Sie der fremden Sprache mächtig sind und auf die Lippen- bewegungen im Bild achten, dann verstehen Sie mitunter, was im Original gesagt wurde, und viel- leicht sogar, dass der Dolmetscher gar nicht wört- lich, sondern nur sinngemäß übersetzt hat.

In solchen Situationen erleben Sie die Fähigkeit Ihres Gehirns, den visuellen Eindruck der Lippen- bewegungen eines Sprechers zum Sprachverstehen mit zu nutzen. Diese Leistung ist also keineswegs auf Gehörlose beschränkt, wir alle sind dazu in der Lage, wenn auch üblicherweise in geringerem Ma- ße. Insbesondere in Situationen, in denen die akus- tische Sprachinformation nur lückenhaft zur Ver- fügung steht, nutzt das Gehirn jede Zusatzinfor- mation, um den Inhalt des Gesagten verstehen zu können. Hierbei kann es sich um Kontext handeln, früheres Wissen oder eben auch visuelle Erfah- rungswerte über die Lippenbewegungen.

»Sprache ist eine wesentliche menschliche Eigenschaft.«

Mit den Augen hören

Die Fähigkeit des Gehirns, akustische und visuelle Informationen gemeinsam zur Lösung einer Aufgabe, in diesem Fall dem Verstehen von Sprache, zu nutzen, ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für audio-visuelle Integration. Noch interessanter aber wird das Ganze, wenn der visuelle Eindruck etwas anderes übermittelt als der akustische Informationskanal. Dann kann es zu Wahrnehmun- gen kommen, die weder dem einen noch dem anderen entsprechen, wie beim sogenannten McGurk-Effekt: Betrachtet man einen Video einer Person, die die Silbe „ga” spricht und unterlegt diesen Video mit der gesprochenen Silbe „ba”, so hören die meisten Menschen die Silbe „da”, obwohl diese weder akustisch noch visuell präsentiert wurde. Mit verantwortlich für diesen Effekt ist ein Bereich im supe- rioren temporalen Sulcus der linken Hirnhälfte, der besonders bei Personen aktiviert wird, die den McGurk-Effekt wahrnehmen. Da- bei lehrt uns diese erstaunliche Illusion zweierlei: Zum einen, das das Gehirn immer versucht, alle ihm zur Verfügung stehenden In- formationen zu nutzen, um zu einer sinnvollen Interpretation der Welt zu kommen. Zum anderen aber eben auch, dass das, was wir wahrnehmen, eben immer nur diese Interpretation der Welt durch unser Gehirn ist und nicht die Welt selbst – und dass deshalb unsere Wahrnehmung der Welt auch falsch sein kann. Widersprüchliche Zeugenaussagen vor Ge-

richt bestätigen dies Tag für Tag. Trotzdem funk- tioniert es meistens ganz gut mit der audio-visuel- len Integration, denn glücklicherweise ist unser Gehirn so lernfähig, dass es sogar gelernt hat, sich von den „falschen” Lip- penbewegungen in syn- chronisierten fremdspra- chigen Filmen nicht mehr verwirren zu lassen – das kennen Sie doch sicher auch …

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ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze Hirnforscher

Holger.Schulze@uk-erlangen.de Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaft- liches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.

Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.

www.schulze-holger.de

12 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2012 | www.pta-aktuell.de

Sprachliche Kommunikation ist eine

zentrale Voraussetzung unserer

sozialen und kulturellen Grundlagen.

Referenzen

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