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Kein Zusammenhang zwischen internationalem Handel und Arbeitslosigkeit in der Schweiz | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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STUDIE

26 Die Volkswirtschaft  7 / 2019

Internationaler Handel und Arbeitslosig- keit: Kein Zusammenhang für die Schweiz

Abstract  Nicht die Lohnungleichheit, sondern die Arbeitslosigkeit der Tiefqualifizier- ten im Vergleich zu den Hochqualifizierten ist in der Schweiz in den letzten 30 Jahre an- gestiegen. Wir untersuchten, ob diese Entwicklung auf den zunehmenden internatio- nalen Güterhandel zurückgeführt werden kann. Mit Daten von 33 000 Individuen, die im Zeitraum von 1991 bis 2008 im Industriesektor beschäftigt waren, fanden wir kei- nen Zusammenhang zwischen individuellem Arbeitslosigkeitsrisiko und dem Niveau bzw. der Veränderung von Import- und Exportvolumen auf Branchenebene. Es muss deshalb nach anderen Ursachen gesucht werden.

Produziert die Globalisierung auch in der Schweiz eine Lohnschere zwischen Hoch- und Tief- qualifizierten? Nein, sagt eine neue Studie. Doch nirgends in der OECD steigt das Arbeits- losigkeitsrisiko von Niedrigqualifizierten im Vergleich zu Hochqualifizierten so stark wie hierzulande.  Lukas Mohler, Rolf Weder, Simone Wyss

D

ie Auswirkungen der Globalisierung auf die Beschäftigung gehören zu den bri- santesten Themen in der aussenpolitischen Diskussion. In der Schweiz hat das Thema durch das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union an Be- deutung gewonnen. Hierzulande besteht eine breite politische Unterstützung für die sogenannten flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne. Gleichzeitig wird in den USA über die Ursachen der sogenann- ten Lohnschere debattiert. Denn dort sind die Löhne der niedrig qualifizierten Arbeitskräfte im Vergleich zu den hoch qualifizierten über die letzten dreissig Jahre gesunken.

Gemäss der Handelstheorie ist die Ent- wicklung in den USA nicht überraschend:

Spezialisieren sich Länder wie die USA oder die Schweiz im Zuge der Globalisierung auf die Herstellung und den Export von Gü- tern und Dienstleistungen, bei denen es vorwiegend hoch qualifizierte Arbeitneh- mer im Produktionsprozess braucht, steigt die Nachfrage nach diesen Arbeitskräften.

Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach Nied- rigqualifizierten. Denn Produkte, zu deren Herstellung es grösstenteils Niedrigqua- lifizierte braucht, werden zunehmend aus Schwellenländern importiert. Diese bei- den Entwicklungen führen tendenziell zu einer – zumindest relativen – Abnahme der Löhne von Niedrigqualifizierten.1 Dieser Zu- sammenhang wurde in der Handelstheorie

1 Die Reallöhne der Tiefqualifizierten müssen dabei abso- lut nicht sinken, wenn in einer Volkswirtschaft gleich- zeitig auch die Produktivität zunimmt.

zielte Entschädigung der Niedrigqualifizier- ten hat in den letzten dreissig Jahren in der Schweiz gemessen am Lohn von Hochqua- lifizierten nicht abgenommen. Im Gegenteil:

Wenn schon, hat der Lohn sogar leicht zuge- nommen. Anders sieht es aus bei der relativen Arbeitslosigkeit: Über denselben Zeitraum hat die relative Arbeitslosigkeit der tief qua- lifizierten Arbeitskräfte in der Schweiz zuge- nommen.

Diese Beobachtungen stellen den Aus- gangspunkt unserer Analyse dar, welche letz- tes Jahr in der «Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik» publiziert wurde.3 Die Bedeutung des Themas akzentu- iert sich noch, wenn man die Entwicklung der relativen Arbeitslosigkeit in der Schweiz mit anderen OECD-Ländern vergleicht. Unter al- len OECD-Ländern, für die wir Daten zur Ver- fügung haben, hatte die Schweiz von 1991 bis 2014 die stärkste Zunahme der relativen Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten (siehe Abbildung 2).4

Theoretisch ist eine Zunahme der relati- ven Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten aufgrund des Stolper-Samuelson-Theorems dann möglich, wenn die Nominallöhne insbe- sondere der tief qualifizierten Arbeitskräfte aufgrund von Mindestlöhnen oder für allge- meinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsver- trägen nach unten nicht flexibel sind.

Arbeitslosigkeitsrisiko für Niedrigqualifizierte höher

Hängt die in der Schweiz steigende (relati- ve) Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten mit dem zunehmenden internationalen Han- del zusammen? Um dies zu beantworten, ha- ben wir die Daten von 33 000 Personen aus- gewertet, welche zwischen 1991 und 2008 im

3 Siehe Mohler, Weder und Wyss (2018).

4 OECD-Daten ab 2015 stehen uns zurzeit nicht zur Ver- fügung. Aufgrund der in Abbildung 1 beobachtbaren Entwicklung seit 2014 ist es möglich, dass die Schweiz im OECD-Vergleich von 1991 bis 2017 nicht mehr so schlecht dasteht.

durch das sogenannte Stolper-Samuelson- T heorem bekannt.2

Aber das ist nicht der einzige Grund, für eine mögliche Lohnreduktion bei Niedrig- qualifizierten. Ähnlich kann zunehmende Im- migration die Löhne der Arbeitskräfte im In- land unter Druck setzen, wenn sie mit den neu zugezogenen Immigranten oder auch mit temporären ausländischen Dienstleistungs- anbietern in der Schweiz in Konkurrenz ste- hen. In beiden Fällen kann so der Ruf nach Be- grenzung des internationalen Handels bzw.

der Immigration über den Preis (Zölle bzw.

Lohnuntergrenzen) oder über die Menge (Im- portquoten bzw. Zuwanderungskontingente) entstehen.

Relative Arbeitslosigkeit steigt

Existiert auch in der Schweiz eine Lohnsche- re? Die Beobachtungen aus den USA kann man nicht ohne Weiteres auf die Schweiz übertragen. Das zeigt ein Vergleich des durchschnittlichen Monatslohns (Median) der Arbeitskräfte mit einem Diplom von einer Universität, Fachhochschule oder höheren Fachschule mit dem durchschnittlichen Mo- natslohn der Arbeitskräfte ohne abgeschlos- sene Berufsausbildung mit oder ohne unter- nehmensinterne Ausbildung. Das Verhält- nis der Löhne der so definierten Hoch- zu Niedrigqualifizierten in der Schweiz ist zwi- schen 1991 und 2017 ziemlich konstant ge- blieben (siehe Abbildung 1). Die am Markt er-

2 Siehe Stolper und Samuelson (1941).

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STUDIE

Die Volkswirtschaft  7 / 2019 27

Lukas Mohler

Dr. rer. pol., Research Fellow, Aussen- wirtschaft und Europäische Integration, Universität Basel

Rolf Weder

Professor für Aussenwirtschaft und Europäische Integration, Universität Basel

Simone Wyss

Dr. rer. pol., Leiterin Economic Affairs, Novartis, Basel

Handel und Arbeitslosigkeit:

Schwacher Zusammenhang

Einzig für Niedrigqualifizierte lässt sich ein schwacher Zusammenhang zwischen inter- nationalem Handel und Arbeitslosigkeit beob- achten: Ist das Niveau der Importe nämlich um 1 Prozent höher, steigt das Arbeitslosigkeits- risiko für eine tief qualifizierte Person um 0,017 Prozent. Veränderungen des Import- volumens (oder des Exportvolumens) beein- trächtigen die Arbeitslosigkeit jedoch nicht.

In weiteren Schätzungen und verschiedenen Sensitivitätsanalysen wird dieses Ergebnis be- stätigt: Wenn überhaupt, besteht zwischen Arbeitslosigkeitsrisiko und internationalem Handel nur ein geringer Zusammenhang, der zudem statistisch nicht signifikant ist.

Aufgrund unserer Analyse kann die Zu- nahme der relativen Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten zu Hochqualifizierten in der Schweiz kaum auf den zunehmenden internationalen Handel zurückgeführt wer- den. Es muss nach anderen Ursachen gesucht werden. Mögliche Gründe könnten zuneh- mende Regulierungen im Arbeitsmarkt sein, die verhindern, dass die Löhne nach unten flexibel sind. Ebenso könnten die Immigra- tion oder die technologischen Veränderun- gen die Niedrigqualifizierten tangieren. Vor allem wenn sich der Trend zur Zunahme der (relativen) Arbeitslosigkeit von tief qualifizier- ten Arbeitskräften in der Schweiz fortsetzen oder gar verstärken sollte, ist es wichtig, die Gründe dafür zu kennen.

Industriesektor der Schweiz beschäftigt wa- ren (siehe Kasten).

Generell gilt, dass Niedrigqualifizierte grundsätzlich ein statistisch signifikant hö- heres Risiko haben, arbeitslos zu werden.

Das Arbeitslosigkeitsrisiko ist mitunter auch höher für Arbeitnehmer mit Teilzeitverträ- gen, für Temporärangestellte sowie für Aus- länder. Verheiratete, verwitwete sowie äl- tere Arbeitskräfte weisen ein signifikant tie- feres Risiko auf. Diese Resultate decken sich mit anderen Studien aus der Arbeitsmarkt- forschung. Die Effekte in unseren Schätzun- gen sind allerdings klein: Die Wahrschein- lichkeit, arbeitslos zu werden, ist für eine niedrig qualifizierte Person 1,3 Prozent hö- her als für eine hoch qualifizierte Person.

Einen viel stärkeren Einfluss hat das Arbeits- pensum: Für eine temporär angestellte Per- son ist die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, 11,3% höher als für eine fest ange- stellte Person.

Stellt sich die Frage, ob das Arbeitslo- sigkeitsrisiko zusätzlich vom internationa- len Handel beeinflusst wird. Konkret: Steigt oder sinkt die Wahrscheinlichkeit, arbeits- los zu werden, wenn eine Branche ein ho- hes Niveau an Importen oder Exporten hat oder wenn das Import- oder Exportvolumen im beobachteten Zeitraum (z. B. im Vorjahr) stark zu- oder abgenommen hat? Die Ant- wort: Nein, es besteht kein signifikanter Zu- sammenhang – weder mit noch ohne zeitli- che Verzögerung.

Aktuelle wissenschaftliche Studien aus der «Schweizerischen Zeit- schrift für Volkswirtschaft und Sta- tistik» mit einem starken Bezug zur schweizerischen Wirtschaftspoli- tik erscheinen in einer Kurzfassung in der «Volkswirtschaft».

Schweizerische Gesellschaft für Volkswirtschaft und Statistik Société suisse d’économie et de statistique

Società svizzera di economia e di statistica Swiss Society of Economics and Statistics

Abb. 1: Relative Arbeitslosigkeit und relative Löhne von hoch und niedrig qualifizierten Arbeitskräften in der Schweiz (1991–2017)

EIGENE BERECHNUNG DER AUTOREN, BFS (SAKE, MONATLICHER BRUTTOLOHN NACH AUSBILDUNG) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

3,5 Verhältnis 3

2,5 2 1,5

1 1991

1992 1993

1994 1995

1996 1997

1998

1999 2000 2001 2002

2003 2004

2005 2006

2007 2008

2009 2010 2011

20122013 2014

2015 2016

2017   Arbeitslosenquote Niedrigqualifizierte / Arbeitslosenquote Hochqualifizierte

  Lohn Hochqualifizierte / Lohn Niedrigqualifizierte

Abb. 2: Durchschnittliche Wachstumsrate der relativen Arbeitslosigkeit von Niedrigqualifizierten (1991–2014)

5 %

2,5 0

–2,5 –5

Schweiz dkorea

Deutschland Italien

Spanien Schweden

Australien Norwegen

Grossbritannien Finn

land Frankreich

Kanada Österreich

Neuseeland Tschechien USA

Dänemark Irland

Belgien rkei

Niederlande

EIGENE BERECHNUNG DER AUTOREN, OECD EDUCATION AT A GLANCE») / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Die Studie im Detail

Die Analyse basiert auf Daten von 33 000 Personen, welche zwischen 1991 und 2008 im Industriesektor der Schweiz beschäftigt waren. Dank diesen Daten aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) konnten wir die Personen anhand zahlrei- cher sozioökonomischer Faktoren – wie Alter, Qua- lifikation, Geschlecht, Art der Arbeitsverträge oder Zivilstand – und aufgrund ihrer Branche charak-

terisieren. Die 17 Branchen, in denen die Personen arbeiten, verknüpften wir unter anderem mit inter- nationalen Handelsdaten. Auf dieser Basis suchten wir nach Erklärungen für das individuelle Risiko, arbeitslos zu werden. Verschiedene Schätzmetho- den und Spezifikationen führten alle zu qualitativ ähnlichen Resultaten.

Literatur

Mohler, Lukas; Rolf Weder und Simone Wyss (2018).

International Trade and Unemployment: Towards an Investigation of the Swiss Case, in: Swiss Journal of Statistics and Economics, 154, 10, 1–12.

Stolper, Wolfgang und Paul Samuelson (1941). Protec- tion and Real Wages, in: Review of Economic Studies, 9, 58–73.

Referenzen

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