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Mobilität 2060: Schöne neue «Servicewelt»? | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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Die Volkswirtschaft   1–2 / 2022 43 MOBILITÄT

Mobilität 2060: Schöne neue «Servicewelt»?

Die Digitalisierung verändert die Mobilität bis ins Jahr 2060 grundlegend. Unter dem Strich sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von autonomen Fahrzeugen sowie der Sharing- Economy in der Schweiz laut einer Studie positiv.  Raphaël Lamotte, Joséphine Leuba,

Nicole A. Mathys, Martin Peter, Anne Greinus

S

elbstfahrende Fahrzeuge, Car- und Ride- sharing werden unser Mobilitätsverhal- ten grundlegend verändern. Eine Studie des Forschungsinstituts Infras im Auftrag des Bundesamts für Raumentwicklung hat die volkswirtschaftlichen Auswirkungen anhand dreier Szenarien bis ins Jahr 2060 geschätzt.1

1 Infras (2021). Ausgangspunkt der Studie ist Ecoplan (2018).

Abstract    Das Forschungsinstitut Infras hat im Auftrag des Bundesamts für Raum- entwicklung (ARE) geschätzt, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen selbst- fahrende Fahrzeuge und Car- und Ridesharing im Jahr 2060 für die Schweiz entfalten werden. Die Studie zeigt: Das automatisierte Fahren führt zu einem Zeitgewinn, zu einem besseren Zugang zur Mobilität und zu weniger Unfällen. Auf der anderen Seite drohen eine Reduktion der Arbeitsplätze in der Schweiz sowie Umweltschäden. Car- und Ride sharing wiederum tragen zu einer besseren Nutzung der Ressourcen bei und verringern die Abhängigkeit von Importen.

Jedes Szenario wurde einer Referenzent- wicklung gegenübergestellt, in der die beiden Trends «Automatisierung» und «Sharing» auf dem heutigen Niveau verharren. Die Berech- nungsgrundlage lieferten die Verkehrsmodel- le des Bundes zum Personen- und Güterver- kehr sowie interne Modelle von Infras.2

2 Nationales Personenverkehrsmodell (NPVM) sowie Aggregierte Methode Güterverkehr (AMG).

Im Szenario «Automatisierung» fahren die Fahrzeuge nahezu vollständig autonom. Das Auto wird attraktiver, weil die bisher zum Len- ken benötigte Zeit produktiver genutzt wer- den kann. Dadurch sinken die mit der Reise- zeit verbundenen Zeitkosten. Die Personal- kosten im gewerblichen Verkehr nehmen ebenfalls ab.

Im Szenario «Sharing» teilen die Nutzerin- nen und Nutzer sowohl die Fahrzeuge (Car- sharing) als auch die Fahrten (Ridesharing) vermehrt. Die bestehenden Ressourcen wer- den somit effizienter genutzt, und Personen ohne eigenes Auto haben einen besseren Zu- gang zu Mobilität. Zudem entstehen neue Mobilitätsdienste, die wir als «öffentlichen Individualverkehr» (ÖIV) bezeichnen: Im ÖIV

Der Bürgermeister der südkoreanischen Haupt- stadt Seoul, Oh Se-hoon, in einem selbstfahrenden Auto.

KEYSTONE

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MOBILITÄT

44 Die Volkswirtschaft  1–2 / 2022

werden Fahrten bedarfsgerecht gebündelt, wobei es ungeteilte und geteilte Fahrten ge- ben kann. Die Grenzen zwischen kollektiver und individueller Mobilität sind bei den Sha- ringangeboten somit fliessend.

Das Szenario «Servicewelt» stellt eine Kombination der ersten beiden Szenarien dar. Es erforscht mögliche Synergien, die sich zwischen selbstfahrenden Fahrzeugen und dem Car- und Ridesharing ergeben.

ÖV-Anteil rückläufig

In allen drei Szenarien führt die Automatisie- rung beziehungsweise Car- und Ridesharing zu zusätzlichen und längeren Fahrten. Das Kombiszenario «Servicewelt» führt zu einer Zunahme der Fahrzeugkilometer im Umfang von 18 Prozent gegenüber dem Referenzsze- nario. Trotzdem nehmen Staus tendenziell ab, da autonome Fahrzeuge dichter fahren kön- nen und so die Strassenkapazität erhöhen.

Hingegen sinkt der Anteil des öffentlichen Verkehrs und des Fuss- und Veloverkehrs.

Volkswirtschaftlich unterscheidet die Stu- die zwischen mikro- sowie makroökonomi- schen Effekten. Erstere umfassen einerseits

die Kosten und Nutzen für die Verkehrsteil- nehmenden – wie etwa die Reisezeit. Ande- rerseits enthalten sie die Kosten und Nutzen für die Gesellschaft – wie beispielsweise Um- weltauswirkungen. Die makroökonomische Analyse wiederum befasst sich mit den Aus- wirkungen auf Wertschöpfung und Beschäf- tigung.

Nutzen überwiegt

Eine Herausforderung war es, die Verhaltens- änderungen und ihre Folgen zu monetarisie- ren. Um hierzu Aussagen zu machen, wurde die klassische Methode der Kosten-Nutzen- Analyse adaptiert.3 So geht die Studie etwa davon aus, dass die Reisezeit in einem selbst- fahrenden Fahrzeug für produktive Aktivitä- ten wie Lesen oder Telefonieren genutzt wer- den kann.

Im Szenario «Automatisierung» beträgt der mikroökonomische Nutzen im Vergleich zum Referenzszenario 20 Milliarden Fran- ken pro Jahr, wobei 9,2 Milliarden Franken auf

3 Die Grundnorm für Kosten-Nutzen-Analysen im Stras- senverkehr ist SN 641 820.

Wertschöpfung und Beschäftigung im Jahr 2060 – Veränderung gegenüber Referenzszenario

  Szenario «Automatisie-

rung» Szenario «Sharing» Kombiszenario

«Servicewelt»

Wertschöpfung –8,6 Mrd. Fr. 

(–0.8%)

+3,8 Mrd. Fr.

(+0,4%)

+3,2 Mrd. Fr.

(+0,3%) Beschäftigung

(Vollzeitäquivalente) –55 000

(–1,2%) +12 000

(+0,3%) –60 000

(–1,4%)

INFRAS /DLR (2021) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

die produktive Nutzung der Fahrzeit zurück- zuführen sind (siehe Abbildung). Ein eben- falls grosser mikroökonomischer Nutzen von 8,6 Milliarden Franken ergibt sich in diesem Szenario durch die Verringerung der Anzahl Unfälle sowie deren Folgen.

Im Szenario «Sharing» resultiert ein mi- kroökonomischer Nutzen von insgesamt 7 Milliarden Franken. Dieser geht grössten- teils auf die Verringerung von Staus durch mehr Fahrgemeinschaften zurück. Im Kom- biszenario «Servicewelt» beträgt der mikro- ökonomische Nutzen insgesamt 25 Milliar- den Franken pro Jahr.

Für die Umwelt und die Gesundheit sind die Auswirkungen hingegen negativ: Die durch die erhöhte Mobilitätsnachfrage ver- ursachten zusätzlichen externen Kosten für Umwelt und Gesundheit belaufen sich im Szenario «Servicewelt» auf 1,7 Milliarden Franken. Als Berechnungsgrundlage dien- ten hier die heutigen Kostensätze des Bun- desamts für Raumentwicklung (ARE) und des Bundesamts für Statistik (BFS) unter Berück- sichtigung der erwarteten Entwicklung der Treibhausgasemissionen und des Bevölke- rungswachstums.4

Weniger Importe

Die verschiedenen betrachteten Szena- rien weisen sehr unterschiedliche makro- ökonomische Auswirkungen auf. Im Sze- nario «Automatisierung» nimmt die Wert- schöpfung gegenüber dem Referenzszenario beispielsweise um 0,8 Prozent ab, und die

4 ARE (2020) und BFS (2020).

Ökonomischer Nutzen und Kosten von Automatisierung und Sharing im Jahr 2060 – gegenüber Referenzszenario

Szenario «Automatisierung»

Szenario «Sharing»

Kombiszenario «Servicewelt»

20 Mrd. Fr

7 Mrd. Fr.

25 Mrd. Fr

-5 0 5 10 15 20 25

  Veränderung Unfallkosten        Neubewertung Reisezeit Stammverkehr        Reduktion Reisezeit Stammverkehr (motorisierter Individualverkehr)        Weitere Effekte (inkl.Umwelt) in Mrd. Fr.

INFRAS /DLR (2021) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Positive Zahlen stellen einen volkswirtschaftlichen Nutzen dar, negative Zahlen bedeuten Kosten.

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MOBILITÄT

Die Volkswirtschaft   1–2 / 2022 45

Literatur

BFS (2020). Statistik der Kosten und der Finanzierung des Verkehrs.

ARE (2020). Externe Kosten und Nutzen des Verkehrs in der Schweiz, Strassen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr 2017.

Ecoplan (2018). Abschätzung der ökonomi- schen Folgen der Digitalisierung in der Mobilität: Machbarkeitsstudie, Studie im Auftrag des ARE.

Infras/DLR (2021). Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Digitalisierung in der Mobilität – Schlussbericht, Studie im Auftrag des ARE.

Raphaël Lamotte

Dr. ing., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Sektion Grundlagen, Bundesamt für Raum- entwicklung (ARE), Ittigen BE

Martin Peter

Volkswirtschafter, Bereichsleiter Wirt- schaft und Umwelt, Partner, Infras, Zürich

Anne Greinus

Dr. sc., Verkehrsökonomin, Bereichsleiterin Verkehr, Partnerin, Infras, Zürich

Nicole A. Mathys

Chefin Sektion Grundlagen, Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), Ittigen BE, Pro- fessorin für Umweltökonomie, Universität Neuenburg

Joséphine Leuba

Dr. oec., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion Grundlagen, Bundesamt für Raum- entwicklung (ARE), Ittigen BE

Beschäftigung sinkt um 1,2 Prozent (siehe Ta- belle). Der Grund: Die Autos, ihre Bauteile und Treibstoffe werden heute grossmehrheitlich importiert. Wenn wir mehr mit dem Auto fah- ren und die Kilometerkosten steigen, sinkt das verbleibende Budget für den Konsum von in der Schweiz hergestellten Gütern.

Dagegen sind die Wertschöpfung und die Beschäftigung im Szenario «Sharing» gegen- über dem Referenzszenario leicht höher. Dies liegt an den niedrigeren Anschaffungskosten für gemeinsam genutzte Fahrzeuge, die eine Abnahme der Ausgaben für Importe und eine Verlagerung der Ausgaben der Haushalte auf wertschöpfungsintensivere Branchen in der Schweiz ermöglichen.

Im «Servicewelt»-Szenario sinkt die Be- schäftigung wegen der ansteigenden Impor- te um 1,4 Prozent gegenüber dem Referenz- szenario: Dank Automatisierung und Sha- ring lässt sich der Personalaufwand – etwa für Unterhalt und Betrieb – pro Mobilitäts- leistung reduzieren. Das Verkehrswachstum federt die negative Beschäftigungswirkung etwas ab. Hingegen wächst die Wertschöp-

fung aufgrund der grösseren Nachfrage nach Mobilität, wobei der ÖIV mit einem Plus von 41 Prozent die grösste Wertschöpfungszu- nahme verzeichnet. Zu den Verlierern be- züglich Wertschöpfung und Beschäftigung gehört neben dem klassischen ÖV und dem Güterverkehr (Strasse, Schiene) auch der Fahrzeugverkauf.

Wie die Digitalisierung die Mobilität in den nächsten 40 Jahren verändert, bleibt na- türlich äusserst ungewiss.5 Klar scheint: Ab- hängig davon, ob sich die Automatisierung, das Sharing oder beide Trends durchsetzen, sind unterschiedliche Massnahmen zu er- greifen. Um die Chance der hohen Effizienz- steigerung in der neuen «Servicewelt» zu nutzen und die damit einhergehenden Risi- ken zu minimieren, sollten Bund und Kanto- ne geeignete Rahmenbedingungen für kol- lektive Angebote im Personenverkehr (ÖV und ÖIV) beziehungsweise Fahrgemein- schaften im privaten motorisierten Indivi- dualverkehr fördern.

5 Siehe auch Beitrag von Matthias Balmer, Antonin Dana- let und Nicole Mathys auf S. 46.

Auto des Carsharing-Anbieters Mobility in Zürich.

KEYSTONE

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