ERNEUERBARE ENERGIEN
Perowskite
Senkrechtstarter bei Solarzellen
Hightech fürs Klima
Biokraftstoffe
Aus Stroh mach Benzin
Landschaftsästhetik
Bis zum Horizont und weiter
ISTOCK / TODD ARBINI
KOMPAKT
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sonne, Wind, Wasser und Biomasse gelten als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Energieversorgung der Zukunft: Anders als die bisherigen Hauptenergielieferanten Erdöl, Erdgas und Kohle sind sie nicht endlich, sondern theoretisch unbegrenzt verfügbar, und ihre Anwendung geht mit geringeren Umweltgefahren einher als der Einsatz der Kernenergie. Trotz allem müssen aber natürlich auch hier Folgen für die Umwelt und Gesundheit berücksichtigt werden – ebenso wie versteckte Fallstri- cke, die die positive Ökobilanz womög- lich relativieren.
Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen
Folgen Sie uns:
EDITORIAL IMPRESSUM
Antje Findeklee
E- Mail: findeklee@spektrum.de
Erscheinungsdatum: 01.02.2016
Chefredakteure: Prof. Dr. Carsten Könneker (v.i.S.d.P.), Dr. Uwe Reichert Redaktionsleiter: Christiane Gelitz, Dr. Hartwig Hanser,
Dr. Daniel Lingenhöhl
Art Director Digital: Marc Grove Layout: Oliver Gabriel
Schlussredaktion: Christina Meyberg (Ltg.), Sigrid Spies, Katharina Werle
Bildredaktion: Alice Krüßmann (Ltg.), Anke Lingg, Gabriela Rabe Produktmanagerin Digital: Antje Findeklee
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Tiergartenstr. 15–17, 69121 Heidelberg, Tel. 06221 9126-600, Fax 06221 9126-751; Amtsgericht Mannheim, HRB 338114, UStd-Id-Nr. DE147514638
Geschäftsleitung: Markus Bossle, Thomas Bleck Marketing und Vertrieb: Annette Baumbusch (Ltg.) Leser- und Bestellservice: Helga Emmerich, Sabine Häusser, Ute Park, Tel. 06221 9126-743, E-Mail: service@spektrum.de
Die Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH ist Kooperations- partner der Nationales Institut für Wissenschaftskommunikation
gGmbH (NaWik).
Bezugspreis: Einzelausgabe € 4,99 inkl. Umsatzsteuer
Anzeigen: Wenn Sie an Anzeigen in unseren Digitalpublikationen interessiert sind, schreiben Sie bitte eine E-Mail an
anzeigen@spektrum.de.
Sämtliche Nutzungsrechte an dem vorliegenden Werk liegen bei der Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Jegliche Nutzung des Werks, insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung, öffentliche Wiedergabe oder öffentliche Zugänglichmachung, ist ohne die vorherige schriftliche Einwilligung des Verlags unzulässig.
Jegliche unautorisierte Nutzung des Werks berechtigt den Verlag zum Schadensersatz gegen den oder die jeweiligen Nutzer. Bei jeder autorisierten (oder gesetzlich gestatteten) Nutzung des Werks ist die folgende Quellenangabe an branchenüblicher Stelle vorzu- nehmen: © 2017 (Autor), Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesell- schaft mbH, Heidelberg. Jegliche Nutzung ohne die Quellenangabe in der vorstehenden Form berechtigt die Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH zum Schadensersatz gegen den oder die jeweiligen Nutzer. Bildnachweise: Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber von Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Bücher übernimmt die Redaktion keine Haftung; sie behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen.
15
20
ENERGIEWENDE
Sonnenenergie ist auf Dauer die billigste Energiequelle
Den erneuerbaren Energien sind in Deutschland teils enge Grenzen gesetzt
38 MEERESWÄRMEKRAFTWERKE
Genügend Energie für die ganze Welt
Aus dem Meer ließe sich saubere Energie für die gesamte Menschheit gewinnen
FOTOLIA / ZLIKOVEC15 ISTOCK / ALINAMDFOTOLIA / FELIX RENAUD
ISTOCK / GYN9038
PEROWSKITE
Senkrechtstarter bei Solarzellen
Perowskite könnten dem Silizium beim Erzeugen von Solarstrom den Rang ablaufen
04
BIOENERGIE
Mit Algensprit ans Ziel
Aus Mikroalgen lassen sich schon heute Biodiesel, Bioethanol und Biogas gewinnen
FOTOLIA / MATEUSZ ZAGORSK
ISTOCK / WEBPHOTOGRAPHEER ISTOCK / BILF
DREAMSTIME / CHRISTOPHE TESTI
49 BIOKRAFTSTOFFE
Aus Stroh mach Benzin
Forscher wandeln sowohl Stroh als auch Gehölzschnitt in Biokraftstoffe um
WASSERSTOFFTECHNIK
Rosige Zeiten für künstliche Blätter
Technische Fotosynthese ist teuer und kompliziert. Noch?
55
60 ENERGIESPEICHERTECHNIK
Riesige Unterwasserballons
sollen Energie zwischenspeichern
Kanadische Firma erprobt
Kompressionsspeichersystem für Energie 75
LANDSCHAFTSÄSTHETIK
Bis zum Horizont und weiter
Wie beeinflussen Windräder die Ästhetik von Landschaften?
29 GROSSE WINDFARMEN STEHEN SICH SELBST IM WEG 11 SOLARPANEEL FALTET SICH ZUR SONNE
31 BAT SHIELD SOLL FLEDERMÄUSE SCHÜTZEN INHALT
13 SONNENWÄRMEKRAFTWERK IST TODESFALLE FÜR VÖGEL
33 MEINUNG: KEINE WEITERE WINDKRAFT IM WALD 28 WINDRÄDER LOHNEN SICH SCHON NACH KURZER ZEIT 44 ZUKUNFT FÜR EIN SCHMUDDELKIND 67 DAS KRAFTWERK IM BERGWERK 72 STAUDÄMME IN DEN TROPEN SCHADEN DEM KLIMA
3
FOTOLIA / ZLIKOVEC
PEROWSKITE
SENKRECHTSTARTER BEI SOLARZELLEN
von Robert F. Service
I
n Diagrammen, welche die Fort- schritte bei den unterschiedlichen Typen von Solarzellen zeigen, sticht eine Kurve eklatant hervor. Über Jahrzehnte hinweg gab es bei allen Fotovoltaikmaterialien – etwa Paneelen mit Wafern aus kristallinem Silizium oder dünnen Filmen aus Cadmiumtellurid – langsame, stetige Verbesserungen. Ein Neuzugang beeindruckte jedoch mit ei- nem rasanten Schnellstart. Das Material namens Perowskit betrat die Szene erst 2009 mit Zellen, deren Wirkungsgrad gera- de einmal 3,8 Prozent betrug – ein mickri- ger Wert angesichts der 25 Prozent, die Spit- zensiliziumzellen im Labor erreichten. Bis Ende 2011 hatte er sich jedoch auf 6,5 Pro- zent fast verdoppelt, und 2012 kletterte er auf 10 Prozent. Als er 2013 die 15-Prozent- Marke knackte, überholte er damit Konkur- renten, die jahrzehntelang optimiert wor-den waren. Im April 2014 meldeten For- scher auf einem Kongress in San Francisco schließlich den neuesten Rekordwert von knapp 20 Prozent.
Und das Material hat weitere Vorteile.
Perowskite lassen sich aus leicht erhältli- chen Substanzen herstellen. Im Gegensatz zu manchen anderen Solarzellen sind sie zudem einfach und preiswert zu produzie- ren. Aber was vielleicht das Beste ist: Ver- bindet man Perowskit-Solarzellen mit Sili- ziumpaneelen, sollten Tandemzellen mit Wirkungsgraden deutlich über 30 Prozent entstehen. »Es gibt eine Woge der Begeiste- rung, und sie breitet sich immer weiter aus«, schwärmt Michael McGehee, Werk- stoffkundler an der Stanford University (Kalifornien).
Allerdings sind die meisten Perowskit- zellen bisher nicht größer als eine Brief- marke und erzeugen nur wenige Milliam-
pere an elektrischem Strom. Außerdem zersetzen sie sich an der Luft, und die bes- ten enthalten das giftige Blei. Doch die For- scher sind zuversichtlich, dieses Problem zu meistern. Bisher gibt es nur einige Dut- zend Veröffentlichungen über die neuen Zellen, die von einer Hand voll Forschungs- gruppen stammen. »Das dürfte sich bald ändern. Die Leute stürzen sich auf das Ge- biet«, meint McGehee. Anhand seiner viel- fältigen Kontakte mit Kollegen schätzt er, dass sich mittlerweile mehr als 100 Teams mit Perowskiten beschäftigen.
Der richtige Mix
Dabei ist die Stoffgruppe schon seit Lan- gem bekannt. Ein russischer Mineraloge entdeckte den ersten natürlich vorkom- menden Perowskit bereits 1839. Inzwi- schen existieren hunderte Varianten. Die Bezeichnung charakterisiert alle salzarti-
Perowskite könnten dem Silizium beim Erzeugen von Solarstrom den Rang ablaufen. Im Labor lassen sich damit bereits ähnlich hohe Wirkungsgrade erreichen. Dabei sind sie viel preiswerter.
5
gen Stoffe mit einer bestimmten Kristall- struktur. In ihr bilden die Anionen Okta- eder, die über die Ecken in allen drei Raum- richtungen miteinander verbunden sind.
Bei den Exemplaren für Solarzellen han- delt es sich um Halbleiter. Doch die Spanne reicht von metallischen Leitern bis zu Iso- latoren, wobei die berühmtesten Vertreter jene Kupferoxid-Hochtemperatursupralei- ter sind, die 1986 für Aufsehen sorgten.
In den 1990er Jahren verfertigte der Physiker David Mitzi am Thomas J. Watson Research Center der Firma IBM in York- town Heights (New York) Dünnschichttran- sistoren und LEDs (Licht emittierende Dio- den) aus einem halbleitenden Perowskit.
Die Geräte funktionierten. Obwohl viele Licht emittierende Materialien auch gute Absorber sind – und damit potenziell ge- eignet für Solarzellen –, schätzte der For- scher seine Perowskite aber als zu instabil für die Fotovoltaik ein, bei der sie Jahrzehn- te unbeschadet überdauern müssen, um eine Chance als kommerzielle Produkte zu haben.
Knapp zehn Jahre später versuchte sich Tsutomu Miyasaka an der Lösung des Sta- bilitätsproblems. Der Chemiker von der To- in-Universität in Yokohama (Japan) arbei-
tete zusammen mit Kollegen an so genann- ten Farbstoffsolarzellen, die nach ihrem Erfinder Michael Grätzel von der Eidgenös- sischen Technologischen Hochschule in Lausanne auch Grätzelzellen genannt wer- den. Sie enthalten in einem Elektrolyten winzige anorganische Partikel – meist aus
Struktur von Perowskiten
Als Perowskite bezeichnet man Salze mit einer besonderen Kristallstruktur. Die Anionen (rot) ordnen sich darin zu Oktaedern an, die über ihre Ecken verknüpft sind. Eine Sorte von Kat- ionen (grau) befindet sich im Zentrum der Ok- taeder, die andere (gelb) zwischen ihnen.
SOLID STATE / CC-BY-SA-3.0 (CC-BY-SA)
Titandioxid –, die mit einem organischen Farbstoff beschichtet sind. Wenn ein Farb- stoffmolekül ein Photon absorbiert, geht ein Elektron in einen angeregten Zustand über, von dem es auf das Titandioxidteil- chen springt. Anschließend hüpft es so lan- ge von Partikel zu Partikel, bis es zu einer Elektrode gelangt und von dort in den Stromkreis eintritt. Zum Ausgleich wech- selt ein anderes Elektron von dem Elektro- lyten zum Farbstoff und überführt diesen wieder in den Ausgangszustand.
Verbesserungen im Eiltempo
Das Problem ist laut Grätzel, dass der Farb- stoff nicht jedes Photon absorbiert, das darauf trifft, was den Wirkungsgrad ver- ringert. Hier erhoffte sich Miyasaka von den Perowskiten eine Verbesserung. Laut eigenem Bekunden brauchte einer seiner Mitarbeiter zwei Jahre zur Entwicklung ei- nes Rezepts, um das Material zumindest stabil genug für eine kurze Demonstration zu machen. Am 6. Mai 2009 stellte die Gruppe im »Journal of the American Che- mical Society« ihre neuen Solarzellen vor, die statt des Farbstoffs eine dünne Schicht aus einem lichtabsorbierenden Perowskit enthielten. Der Wirkungsgrad betrug
3,8 Prozent. Allerdings funktionierten die Zellen immer nur kurz; denn der verwen- dete Flüssigelektrolyt löste den Perowskit innerhalb weniger Minuten auf.
Den nächsten Schritt unternahm Grät- zel zusammen mit Nam-Gyu Park und sei- nen Kollegen an der Sungkyunkwan-Uni- versität in Suwon (Südkorea). Sie ersetzten den Flüssig- durch einen Feststoffelektro- lyten und erreichten so einen Wirkungs- grad von knapp zehn Prozent, worüber sie am 21. August 2009 im Fachmagazin »Scientific Reports« berichteten. Damit be- gann die Geschichte interessant zu werden.
Als Nächstes suchte Grätzel nach besse- ren Züchtungsmethoden für das Material.
Bisher hatten seine Gruppe und andere For- scher einfach die Ausgangssubstanzen in einem Lösungsmittel zusammengemischt und die Flüssigkeit abgedampft. Dabei kris- tallisieren die Perowskite aus. Auf diese Weise entstehen jedoch Teilchen ganz un- terschiedlicher Form und Größe. Um den Vorgang besser steuern zu können, gingen Grätzel und seine Kollegen zu einem zwei- stufigen Verfahren mit zwei verschiedenen Lösungsmitteln über. Das Ergebnis waren gleichmäßigere Überzüge der Titandioxid- partikel. Zugleich schnellte der Wirkungs-
grad auf 15 Prozent empor, wie die Gruppe am 18. Juli 2013 bekannt gab.
Derweil machte Henry Snaith, der zuvor bei Grätzel gearbeitet hatte, an der Univer- sity of Oxford (England) eine weitere Ent- deckung. Sein Team wollte wissen, ob das Titandioxid eine entscheidende Rolle spiel- te, und ersetzte es deshalb durch ein porö- ses Aluminiumoxid, das keine Ladungen zu transportieren vermag. Die Forscher er- warteten deshalb, dass die Zelle nicht mehr funktionieren würde. Doch das Gegenteil war der Fall: Sie arbeitete besser als zuvor.
Damit war klar, dass der Perowskit nicht nur als Lichtabsorber diente, sondern auch als Halbleiter Ladungen transportieren konnte. Wozu sich also mit Titandioxid oder Aluminiumoxid abgeben, dachten die Forscher und erzeugten einfach durch Gas- phasenabscheidung dünne Filme ihres Pe- rowskits, die sie zwischen die Elektroden einbettete. Der Wirkungsgrad lag auch in diesem Fall bei 15 Prozent.
Den aktuellen Rekordwert von 19,3 Pro- zent erzielte Yang Yang von der University of California in Los Angeles. Seine Arbeits- gruppe optimierte den Züchtungsprozess für Perowskit weiter und sorgte so dafür, dass weniger Kristalldefekte auftraten, die
7
elektrische Ladungen einfangen. Zugleich verbesserte er die Grenzflächen zwischen dem Material und benachbarten Schich- ten. Mit ähnlichen Maßnahmen hatte Park zuvor bereits einen Wert knapp über 17 Pro- zent geschafft.
Günstige Eigenschaften
Was ist der Grund für die rasanten Fort- schritte? Zum großen Teil liege es wohl dar- an, dass Perowskite generell nur wenige Fehlstellen in ihrem Kristallgitter aufwei-
sen, meint der Werkstoffkundler David Ca- hen vom Weizmann-Institut in Rehovot (Is- rael). Diese Eigenschaft teilen sie mit ande- ren Spitzenmaterialien für Solarzellen wie Galliumarsenid und kristallinem Silizium.
Bei Letzterem erfordert es allerdings ext- rem hohe Temperaturen beziehungsweise Apparate im Wert von mehreren Millionen Euro, um weitgehend defektfreie Kristalle zu züchten. Perowskite dagegen lassen sich in fast perfekter Form einfach bei 80 Grad Celsius aus einer Lösung abscheiden.
Wirkungsgrade verschiedener Solarzelltypen
Vergleicht man die Steigerung des Wirkungs- grads der verschiedenen Solarzelltypen seit 1975, stechen die erst 2009 entdeckten
Perowskitzellen durch einen besonders steilen Anstieg hervor.
NACH: PABITRA K. NAYAK, WEIZMANN INSTITUTE OF SCIENCE