Die Stiftung: Einst regulatorisches Mauerblümchen – und heute?
Dr. Christoph Degen
Rechtsanwalt, Geschäftsführer proFonds, Dachverband gemeinnütziger Stiftungen der Schweiz
PPCmetrics-Stiftungstagung «Regulatorische Herausforderungen bei der Vermögensanlage»
vom 11. Mai 2021 per Livestream
90 Jahre Dornröschenschlaf
Inkrafttreten des Schweizerischen
Zivilgesetzbuchs (ZGB) am 1. Januar 1912
schweizweite Vereinheitlichung des Stiftungsrechts
das Stiftungsrecht im ZGB umfasste zehn Gesetzesbestimmungen
heute umfasst das Stiftungsrecht 17
Bestimmungen: fast doppelt so viele und zum Teil erheblich längere Bestimmungen
1990 bis 1994: Expertenvorlage für eine Stiftungsrechtsrevision wird ad acta gelegt
Tendenz zur Bürokratisierung des Stiftungsrechts
Aufblähung der Regelung über die Stiftungsaufsicht
obligatorisches behördliches Vorprüfungs- verfahren bei der Errichtung von Stiftungen
der Revisionsvorentwurf stösst in der
Vernehmlassung auf Ablehnung und wird in der Folge «schubladisiert»
Seit 1991: Erlass neuer bzw. Änderung be- stehender Gesetze ausserhalb des Stiftungs- rechts mit Auswirkungen auf Stiftungen
in verschiedenen Sachbereichen ausserhalb des eigentlichen Stiftungsrechts im ZGB setzen seit den frühen Neunzigerjahren verschiedene
Gesetzgebungsarbeiten ein
zum Teil erhebliche – positive wie negative – Auswirkungen auf Stiftungen
zum grossen Teil ist das Steuerrecht betroffen
zum Teil gibt es auch Änderungen in
verschiedenen Bereichen des Zivilrechts, aber auch des öffentlichen Rechts
2001 bis 2006: das Stiftungsrecht im ZGB erwacht aus dem Dornröschenschlaf
parlamentarische Initiative (paIv) von Ständerat Fritz Schiesser
gezielte Teilrevision des Stiftungsrechts im ZGB und der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen
Stärkung der Stifterrechte
Erleichterungen für Änderungen von Stiftungsurkunden
Einführung der Revisionsstellenpflicht
Stiftungserrichtungen auch durch Erbvertrag
Ab 2008: weitere Bestimmungen werden in das Stiftungsrecht eingefügt oder angepasst
Regeln über die Buchführung
Regeln über die Revisionsstelle
Behebung von Mängeln in der Stiftungsorganisation
Massnahmen bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit
2010 bis 2013: eine problematische Revision der Stiftungsaufsicht scheitert
die ausschliessliche kantonale Direktaufsicht über Stiftungen wird nicht eingeführt
die Eidgenössische Stiftungsaufsicht bleibt
ein teures, bürokratisches Oberaufsichtsmodell des Bundes wird abgewendet
Weitere zivilrechtliche Regelungen mit Auswirkungen auf Stiftungen
1998 bis 2004: Ausarbeitung und Einführung des Fusionsgesetzes mit einer
niederschwelligen, praktikablen Regelung von Stiftungsfusionen
2006 bis 2011: Neuregelung des Revisions- und Rechnungslegungsrechts mit einer flexiblen Handhabung für Stiftungen
Seit 1991: Grossbaustelle Steuerrecht
1991 bis 1995: Einführung einer liberalen,
gesamtschweizerischen Gesetzesregelung der Steuerbefreiung und des Spendenabzugs (direkte Bundessteuer und Kantonssteuern)
1994 bis 2000: Einführung der
Mehrwertsteuer: die Gemeinnützigkeit ist zwar kein Grund zur Befreiung von der MWST, doch
werden zahlreiche Steuerausnahmen für gemeinnützige Tätigkeiten vorgesehen
2001 bis 2006: wesentliche steuerliche
Verbesserungen für Stiftungen dank der paIv Schiesser (Erhöhung des Spendenabzugs auf 20% des Einkommens/Gewinns des Spenders bzw. Stifters, Sachspendenabzug, Abgrenzung zwischen Spenden und Sponsoring bei der
MWST)
Ab 2006: Weitere Teilrevisionen des MWST- Gesetzes: Keine Unterstellung von Spenden unter die MWST, Beibehaltung zahlreicher
Steuerausnahmen für gemeinnützige Tätigkeiten
Ab 2019: Revision des Bundesgesetzes über den Internationalen Automatischen
Informationsaustausch in Steuersachen
(AIA): Einstweilige Beibehaltung der Ausnahme von gemeinnützigen Stiftungen vom AIA
Ab 2020: Revision der internationalen Grundlagen des AIA (Common Reporting Standard)
Seit den Neunzigerjahren Abbau von Regularien über die Anlage des
Stiftungsvermögens
früher zum Teil detaillierte Regelungen in
kantonalen Erlassen (v.a. Aufsichtsverordnungen oder Weisungen von Aufsichtsbehörden)
zum Teil wurde sogar Mündelsicherheit vorgeschrieben (gilt seit langem als
bundesrechtswidrig)
Prudent Investor Rules als Leitlinien der
professionellen Anlage vom Stiftungsvermögen:
Sicherheit, Diversifikation, Rendite und Liquidität
keine prozentualen Limiten der Anlagekategorien
Die Anlagevorschriften der BVV2 sind nicht
anwendbar auf klassische Stiftungen (auch nicht analog)
Fragen und Regularien in der Praxis:
• Beizug von Fachleuten für die Vermögensanlage
• Anlagereglement
• Kosten der Vermögensverwaltung
• Retrozessionen
zum Teil neue gesetzliche Regularien mit Auswirkungen auf Stiftungen: FinfraG und FIDLEG
Weitere aktuelle gesetzgeberische Baustellen
Gesetzgebung gegen Geldwäscherei- und Terrorismusfinanzierung: begrenzte
Auswirkungen auf Stiftungen
Totalrevision des Datenschutzrechts: erhebliche Auswirkungen auf Stiftungen und grosser
Handlungsbedarf ab sofort
Neuste Entwicklung: wichtige Teilrevision des Stiftungsrechts und der steuerlichen
Rahmenbedingungen wird Opfer politischer Kurzsichtigkeit und Mutlosigkeit
parlamentarische Initiative von Ständerat
Werner Luginbühl/Entwurf Bundesgesetz zur Stärkung des Stiftungsstandorts Schweiz
acht gezielte Massnahmen zur weiteren
Verbesserung der Rahmenbedingungen für Stiftungen und NPO
pragmatische Lösungen für reale Probleme und
Herausforderungen im Stiftungs- bzw. NPO-Sektor, namentlich
• Stärkung der Stifterrechte
• Erleichterung der Änderung von Stiftungsurkunden
• Erleichterung der Suche nach Stiftungsrats- und Vorstandsmitgliedern (Haftungsbegrenzung für Ehrenamtliche, steuerliche Zulässigkeit der
angemessenen Honorierung von Organmitgliedern)
• fiskalische Anreize für das Stiften und Spenden, vor allem auch aus Nachlässen und Schenkungen
Kantone sagen Nein zu den fiskalischen Anreizen, obwohl sich diese schon nach kurzer Zeit positiv für die
Gemeinwesen auswirken
Kantone sagen Nein zur steuerrechtlichen Zulässigkeit angemessener Stiftungsrats- bzw. Vorstandshonorare
ohne Verlust der Steuerbefreiung, obwohl dies im Sinn der Good Governance geboten ist
die Rechtskommission des Ständerats streicht den Gesetzesentwurf zusammen und lässt nur zwei
Massnahmen stehen: Stärkung der Stifterrechte und vereinfachte Änderungen der Stiftungsurkunde
Fazit: die Stiftung ist kein regulatorisches Mauerblümchen mehr
in den letzten 30 Jahren hat die Regulierungsdichte auch im Stiftungsbereich erheblich zugenommen
eine weitere Erhöhung der Regulierungsdichte wäre für den Stiftungsbereich abträglich (Beeinträchtigung des Standortvorteils)
die Regularien müssen weiterhin «miliztauglich» bleiben
die Schweiz hat für die Erhaltung eines attraktiven Stiftungsstandorts zu sorgen
es fehlt zur Zeit die politische Bereitschaft zur positiven Weiterentwicklung des Stiftungsstandorts Schweiz: die neusten Entscheide bereiten Sorgen
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
proFonds
Dachverband gemeinnütziger Stiftungen der Schweiz Dr. Christoph Degen
Dufourstrasse 49 4052 Basel
Tel. 061 272 10 80 Fax 061 272 10 80 www.profonds.org
profonds@profonds.org